Montag, 17. Juli 2023
Mukesh

Die Maisonne scheint: günstig für radelnde RentnerInnen und für sogenannte deutsche Landwirte. Vorm nächsten Dorf fährt einer mit seinem Schlepper, dessen Mäh-Vorsatz breiter als die Waltershäuser Hauptstraße ist, auf seiner ausgedehnten Heuwiese hin und her. Möglicher-weise langweilt er sich, ganz im Gegensatz zu dem Storch, der ihm bei geringstem Sicherheitsabstand wie ein Leibwächter folgt. Das sind schon achtungseinflößende Dolche, die diese Störche mit sich führen.

Das Dorf weist an einem Hang eine hübsche, schlichte, aus hellem Sandstein errichtete Barockkirche auf, die ich ganz gern besuche. Sie bewacht den Friedhof. Etwas nachlässig gekleidete Leute wie ich riechen doch leicht nach Blumendieb. Von meiner Stammbank aus kann ich die mächtigen Linden bewundern, die im Rücken der Kirche stehen. Das Grab von C. habe ich lediglich im Augen-winkel. Sie pflanzten der 16jährigen einen rötlich schimmernden Grabstein auf den Kopf, den die Turmfalken und Dohlen von rechtswegen täglich einmal bekoten müßten. Auf einer Seite zeigt der ausgesparte Stein die Skulptur eines kleinen Mädchens. Um das Maß des Kitsches voll zu machen, blickt dieses Kind auf das Feldblumensträußchen in seiner Hand. Die 16jährige, Realschülerin in Waltershausen, frönte wohl mehr dem Eishockeysport als dem Kranzwinden. Eines Abends kam sie, nach einem Spiel in Erfurt, im Wagen ihrer etwas älteren Freundin und Fahrerin bei Gotha von der Straße ab und landete vor einem Baum. Es stand damals in der Lokalzeitung. Die Fahrerin überlebte. Der Reporter war immerhin pietätvoll genug, um die Frage, wie das mit solchen Schuldgefühlen möglich sein soll, lieber nicht anzuschneiden.

Kürzlich las ich Berichte über Kinderarbeit in Indien. Die warten da gar nicht, bis die Kinder im Führerscheinalter sind. Millionen von ihnen haben sich bei der Fronarbeit auf Äckern, an Teppichknüpfstühlen, in Steinbrüchen Krankheiten, Demütigungen und Traumata zu holen, die für ein Erwachsenenleben im Siechtum gut sind, falls sie überhaupt über 30 kommen. Das ging mir recht nahe, und so verfaßte ich dieses Lied. Die Musik nahm ich von meinem Schlackendörfer-Lied Requiem für ein Gebirgstal, das es nicht in Christian Nagels Auswahl für unsere Platte Leon schaffte. Die Platte wird zur Stunde* – wie ich hoffe – von Pianist Nagel und Schlagzeuger und Produzent Christoph Boldt im Hochschwarzwald »abgemischt«. Radeln wäre sicherlich vergnüglicher. Man hockt bei schönstem Sonnenschein mit Deckeln auf den Ohren am Computer und vergleicht die Versionen der aufgenom-menen Spuren oder ganzen Stücke solange, bis sie einem buchstäblich zum Hals heraushängen. Andererseits möchte ich im Geiste einer vorstehenden Betrachtung anmerken, Warten ist auch nicht immer das reinste Vergnügen. Auf diese Platte warte ich im Grunde schon seit rund sieben Jahren, und besonders zermürbend seit vielen Wochen. Ich kann ja nichts dazutun, weil ich nicht am Schwarzwald, vielmehr am Thüringer Wald lebe.

Man könnte mir schmeicheln, immerhin hätte ich die 28 Stücke der Platte beigesteuert. Ja, das stimmt. Aber ich glaube inzwischen schon fast, meine Geduld und Beharrlichkeit in organisatorischer Hinsicht stellten, über sieben Jahre hinweg, die größere Leistung dar. Es bedarf eines dicken Fells, das ich von Hause aus keineswegs vorweisen kann. Aus den Körben, die ich mir bei der Suche nach einem Arrangeur und Projektleiter einhandelte, könnte ich mir eine Trutzburg bauen.

* Geschrieben im Mai. Bei der Platten-Abmischung gab es noch Schwierigkeiten und daher Verzögerung bis Mitte Juli. Dann konnte das Premaster, die Mutter der künftigen CD, ans Preßwerk geschickt werden. Vorraussichtlich erscheint die Platte am Monatsende.
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