Mittwoch, 4. Juli 2012
Gern hart
Enthalten in meinem Stockraus von 2009


Er liebte die Vögel und half auch gelegentlich beim Aufpäppeln künstlerischen Nachwuchses. Die Sommer verbrachte er meistens ländlich: in der Toscana. Dort konnte er dann neben dem Kuckuck, über den er mir einen ausgefuchsten, kenntnisreichen Aufsatz schickte, den federhäubigen Wiedehopf genießen, den deutsche Stadt-indianerInnen leider verschmerzen müssen, obwohl er wie ein Auto hupen soll.

In Wismar traf ich ihn einmal – den komischen Vogel Robert Gernhardt. Dort waren 2000 seine saftigen Grafiken zu Lichtenbergs Sudelbüchern zu sehen. Nach einem Vortrag „Trost bei Lichtenberg“ luden er, Frau Almut und Hündin Bella mich zum Essen ein. Gernhardt trank gern guten Wein, doch erfreulicherweise schüttete er die Leute nicht mit eitlen Worten zu. Er war bescheiden und uneigennützig hilfsbereit. Er hievte meinen Aktmo-dell-Essay in den Züricher Raben, weil er ihn gut fand. Daß der Rabe alsbald krepieren und Lektor A., die Elster, mit meinen 300 DM Honorar durchbrennen würde, konnte Gernhardt ja nicht ahnen.

Jenen Essay änderte und straffte ich vorher in fünf Jahren acht mal. Gernhardt war eher Red- als Schriftsteller. Er forscht nicht mit Hilfe der Sprache, sondern tritt scharfzüngig für etwas ein oder gegen etwas auf. Im Buch Der letzte Zeichner schreitet er 1999 das riesige Feld der Unüberprüfbarkeit ab, das moderne Kunst zur Glaubens-sache macht. Uneingeschüchtert vom Nochniedagewe-senen, pocht er auf artistische oder denkerische Leistung. Auch der Kitsch erspart sich diese. Es ist bequemer so. Es ist die berüchtigte Liebe auf den ersten Blick – die nach der ersten Auseinandersetzung schon zu bröckeln beginnt. Es ist der kürzeste Weg. Hier finden sich röhrende Hirsche, Sandhaufen mit Beuys-Hut, hingekotzte Zeitungsartikel, die kein Drucker mehr klischieren muß. Sollte somit ausgerechnet ich – ein unerschrockener Verhöhner des Proletkultes – die Mühsal verherrlichen?

So ist es. Alles nicht mühsam Errungene hält sich nicht auf der Erde; der nächste Windstoß bläst es weg wie Enten-flaum. Gernhardt selber blieb es 2006 nicht erspart, schon mit 68 unter die Erde zu kommen.
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