Sonntag, 18. Juni 2023
Pony-Pizza
ziegen, 09:35h
Durch den Brief eines mutigen Schullehrers erfährt Cora verblüfft, sie hat einen kleinen Neffen. Der saß ursprüng-lich im Waisenhaus der fernen Stadt Yovi, wurde aber anscheinend, mit anderen Zöglingen, von einem Fabrikanten geködert oder gekapert, um auf einem ummauerten ländlichen Anwesen für ihn Teppiche zu knüpfen. Die Kinder würden wie Sklaven gehalten, dabei unter anderem von scharfen Hunden bewacht. Der Lehrer aus Yovi warnt, die Gegend sei fest in der Hand von wenigen Grundeigentümern. Gerechtigkeit gebe es nicht. Falls Cora ihn, Steuben mit Namen, aufsuche, müsse sie es heimlich tun.
Cora ist Viehhirtin im Wartestand. Sie vertreibt sich die Zeit mit Bogenschießen. Nun überredet sie ihre Bekannten Lech und Kopernikus, mal in Yovi nach dem Rechten zu sehen. Ihren Bogen nimmt sie gleich mit. Dafür fehlt es jedoch an Reisegeld. Auch Lech, ein gelernter Koch, ist stellungslos, und der gefeuerte Kirchenorganist Kopernikus guckt, wie sein Spitzname schon andeutet, am liebsten in die Luft. Sie beschaffen sich einen Batzen durch einen maskierten Überfall auf eine heimische Bank. Darauf hätten sie eigentlich auch schon früher kommen können. Der bereits bei anderen bewährte Staffeltrick glückt. Dann fahren sie mit der neuartigen Eisenbahn nach Yovi, immerhin 250 Kilometer.
Steuben weiht sie in Einzelheiten ein, soweit er darum weiß. Ansonsten müssen die Drei das Anwesen erst einmal ausspähen. Die beiden riesigen zottigen Köter scheinen wirklich die größte Hürde zu sein. Sie schnüren nachts über den Fabrikhof, von der freistehenden Baracke der rund ein Dutzend Kindersklaven nur durch einen Maschendrahtzaun getrennt. Hier dürfen sich die TeppichknüpferInnen auf ein paar Quadratmetern die Beine vertreten oder ihre eigene Latrine aufsuchen. Die Fabrikmauer ist fast drei Meter hoch. Der Fabrikant wohnt mit seiner sogenannten Haushälterin im Torhaus. Es gibt natürlich noch ein paar Angestellte auf diesem Hof, aber die schnarchen nachts, wie auch der Boß selber. Er verläßt sich vor allem auf die Hunde.
Cora nimmt im Walde sofort wieder ihr Bogentraining auf. Die anderen besorgen mit Steubens Hilfe einen Planwagen mit drei Zugpferden. Ferner Proviant und, für alle Fälle, auch ein paar Flinten. Schon in der zweiten Nacht schießt Cora eine Botschaft zur Baracke. Sie ist zwar an den Neffen John gerichtet, doch die Drei sind inzwischen entschlossen, gleich das ganze Dutzend Kinder zu befreien, wenn sie schon einmal den weiten Weg nicht gescheut haben. Der Zettel fordert zum Wachdienst auf und beschreibt den Eulenruf, der die Stunde des Ausbruchs anzeigen soll. Cora muß noch drei Nächte bangen, bis ihr der Himmel, den Kopernikus eifrig beschwor, hinreichend helles Mondlicht beschert. Bald nach Lechs Eulenruf schaltet sie die beiden über den Hof streunenden Wachhunde aus. Unweit der Mauer in einem Baum versteckt, schießt sie zunächst einen saftigen Köder in den Hof, dann setzt sie zwei Blattschüsse, die das drohende Bellen im Rachen der Köter ersticken. Die AngreiferInnen warten 10 Minuten, dann eilen Lech und Kopernikus mit der langen Leiter herbei. Auf der Mauerkrone hockend, lassen sie die Leiter innen wieder zu Boden. Die Kinder erklimmen zunächst die Mauer, dann steigen sie ins Gras hinab. Sie werden von den beiden Männern zu dem versteckten Planwagen geführt. Die Leiter lassen sie vorher mit einem Stups auf den Drahtzaun der nun entvölkerten Baracke sinken, ehe sie selber in nahe Sträucher springen. Jetzt setzt Cora in rascher Folge mehrere Brandpfeile ab, ehe sie ihren Baum verläßt. Leiter, Baracke, Teppichlager und so weiter stehen im Nu in Flammen. Cora hangelt sich auf den bereits anfahrenden Planwagen und läßt sich von ein paar Kindern tüchtig feiern. Die anderen Kinder sind noch zu verzagt. Der Wagen tritt die Rückreise über die 250 Kilometer an.
Wie sie bald darauf brieflich von Steuben erfahren, hatten die Fabrikleute alle Hände voll zu tun, die Musterzeich-nungen (Patronen) fürs Teppichknüpfen, die Wertsachen aus dem Torhaus oder wenigstens sich selber zu retten. Sie nahmen die Verfolgung der Rebellen gar nicht erst auf. So hatten die drei Erwachsenen und 11 Kinder Muße, unterwegs Zukunftspläne zu schmieden. Man einigte sich auf Lechs Vorschlag, noch eine Bank auszuräumen und dann mit dem Geld im Heimatstädtchen eine Bäckerei nebst Gehöft zu erwerben, um einen kooperativen Betrieb der Nahrungs- und Genußmittelbranche in Gang zu setzen. Sie schafften einige kleine Mustangs an, und binnen weniger Wochen war Pony-Pizza schon kreisweit bekannt und beliebt. Die Kunden, die in der Bäckerei vorsprachen, erhielten einen Zettel mit der vorraussichtlichen Ankunftszeit ihrer Pizza, der auch gleich die Quittung für die geleistete Vorkasse war. Es funktionierte prima. Das Kind, das gerade an der Reihe war, warf sich mit der in Pappe und Schafspelz eingeschlagenen Pizza auf das jeweils ausgeruhteste Pferdchen, und ab ging die Post.
Wie sich versteht, hatten die Kinder auch beim Backen, Putzen und in den Ställen mitzuhelfen. Sie wechselten sich immer schön ab. Auch die Erwachsenen durften nicht auf der faulen Haut liegen oder Banken überfallen gehen. Die Lieferzeiten berechneten Cora oder Kopernikus am Bäckereitresen so, daß keine Hetze aufkam. Gleichwohl hat es nie einen schnelleren und zuverlässigeren Pizza-Lieferdienst gegeben. Es war ja sowieso der weltweit erste.
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