Sonntag, 25. Mai 2025
Journalisten
ziegen, 09:47h
Schubladen-Glosse aus April 2025, unvermittelt beginnend mit dem kurzen Briefwechsel.
>>Sehr geehrte Frau Z, / ich suche händeringend Menschen vom Fach, die sich einmal etwas näher mit meinem literarischen und musikalischen Schaffen befassen. Leider wartet diese Sorte nicht gerade auf mich, bin ich doch offensichtlich ein krasser, wohl auch gar zu unbequemer gesellschaftlicher Außenseiter. Da fällt Stilistisches nicht mehr ins Gewicht. / Vielleicht gelingt es mir dennoch, Sie durch meinen jüngsten Kurzroman zu ködern: https://siebenschlaefer.blogger.de/stories/2898569/. Er spielt nämlich in einer Freien Zwergrepublik, die auf dem Territorium der ehemaligen DDR liegt. Gute Russisch-Kenntnisse können also nur von Vorteil sein … / Nebenbei: 2005 nahm Jürgen Engler, früher ndl-Redakteur, zwei Texte von mir in die Anthologie small talk im holozän auf. Da war ich noch 20 Jahre jünger. Engler ist leider schon tot. / Für Ihr Echo wäre dankbar: H. R., Waltershausen, Kreis Gotha.<<
~~~ >>Lieber Herr R., / haben Sie vielen Dank. Ich verstehe Sie sehr gut. Aber leider, ich schaffe das nicht. Auch wenn ich von früh bis spät arbeite. Schauen Sie auf meine Webseite: Ich bin ja auch viel unterwegs. / Es tut mir sehr leid. / Herzliche Grüße / Dr. A. Z.<<
~~~ Diese höfliche, sogar mitfühlende Absage traf bereits nach drei Tagen bei mir ein. Auch das ist selten.
~~~ Freilich ist, wo Licht ist, meistens auch Schatten. Sie hat also keine Zeit, sagte ich mir nach dem zweiten Lesen ihrer Mail. Sie muß ununterbrochen Geld verdienen. Wozu braucht sie soviel Geld? Im schlimmsten Fall hat sie einen dementen Vater oder eine behinderte Tochter zu versorgen und zu betreuen, was ja auch eine Menge Geld verschlingt. Aber eher pocht sie auf den Kubystischen Lebensstandard, weil sie ausgefallene Kleider schätzt und in ihrer Millio-nenstadt eine teuflische Wohnungsmiete aufzubringen hat. Das ist natürlich nur gemutmaßt. Schließlich kann ich von einer verdienstvollen Geistesarbeiterin nicht verlangen, mir ihre Kontoauszüge und ihr Haushaltsbuch vorzulegen.
~~~ Ich bleibe noch beim Thema Geld. Irre ich mich nicht, hätte ich für einen rund 10seitigen Essay wie »Ritas RUD« um 2000 beim Wochenblatt Zeit oder bei der Jahresschrift Scheidewege ungefähr 500 Euro eingesackt. Allerdings hätten sie ihn nicht genommen. Was heutzutage Online-Magazine zahlen, weiß ich nicht. Ich könnte natürlich Anfragen herumschicken, etwa an Florian Rötzer vom schicken Overton, aber auch dieser Kollege, der meinen Namen von Telepolis-Zeiten her sogar kennt, würde mir, jede Wette, was husten, also schweigen.
~~~ In meinem PAL beklagte ich neulich unter dem Stichwort Gewalt die Milchglasscheiben, hinter denen in der Regel auch die »alternativen« Redaktionen ihrem aufklärerischen und anklägerischen Geschäft nachgehen. Nun haben uns Albrecht Müllers NachDenkSeiten kürzlich immerhin ein paar dürftige Angaben zur Etatfrage nachgeliefert. Man finanziere sich ausschließlich von eher niedrigen Privatspenden. GroßspenderInnen mit Wünschen nach Einflußnahme gebe es bei NDS nicht. Die Summen werden auch genannt. Wer jedoch gespannt wäre, wofür der befremdlich hohe Monatsetat (von anscheinend mindestens 100.000 Euro) ausgegeben wird, guckt in die Röhre. Es heißt lediglich allgemein, man finanziere die Technik und die MitarbeiterInnen davon. Das ist so »aussagekräftig« wie ein Pappelblatt.
~~~ Ich räume ehrlich ein, die Etathöhe von ungefähr 100.000 Euro pro Monat hat mir im ersten Augenblick den Atem verschlagen. Man muß bedenken, nennenswerte Druck- und Vertriebskosten fallen ja eigentlich online nicht an. Auch die Kosten für Redaktionsräume und Dienstfahrzeuge können im Fall von kleineren Online-Magazinen kaum erschreckend hoch sein. Somit nehme ich an, die Kohle wandert vor allem in die Taschen – wenn nicht des Herausgebers und mutmaßlichen Eigentümers Albrecht Müller – der wenigen festen Redakteure einschließlich des Webmasters und der allerdings vergleichsweise zahlreichen freien Autoren. Und sie alle wollen nun bitteschön »anständig« entlohnt sein? Oder vielleicht sogar üppig? Wie gesagt, ich weiß es leider nicht. Laut Internet verdient ein vermutlich gewöhnlicher, also nicht-alternativer Online-Redakteur derzeit mindestens 3.000 Euro brutto monatlich. Davon gehen Steuern und Versicherungen ab. Für mich wäre das sicherlich ein Heidengeld. Selbst die geschätzt täglich zwei oder drei zuliefernden ArtikelschreiberInnen scheinen sich nicht mit jeweils 30 Euro Honorar abspeisen zu lassen. Das wären (90 mal 30) noch keine 3.000 Euro Honorar im Monat. Vielleicht unterschätze ich ja doch den angeführten »technischen« Aufwand der Herstellung eines digitalen Tagesblattes.
~~~ Oder sollten sich auch Redakteure und Freie Autoren von eher versteckt wirkenden »alternativen« Online-Magazinen keine groben und farblosen handgewebten Gewänder aus dem einstigen Birma zumuten wollen, um an E. F. Schumacher zu erinnern? Journalist Erich Kuby, sein Schwager, war allgemein dafür bekannt, feine Kleidung, erlesene Weine und so weiter zu schätzen. Heute rollte Kuby wahrscheinlich mindestens in einem VW-Touareg (Neupreis ab 75.000 Euro) zu den Objekten seiner Recherche, ob tot oder lebendig.
~~~ Damit noch ein Wort zum Gewaltbegriff. Ich beklagte schon wiederholt, man fasse ihn in der Regel viel zu eng. So übersieht man gern die sogenannte strukturelle und die gleichsam psychologische Gewalt. Hier muß ich aber betonen, auch die Verweigerung von Kommunikation oder jedenfalls Erklärungen stellt mitunter eine Gewalt dar, die Faustschlägen aufs Auge oder in den Magen ähnelt. Mit dieser Form der Gewalt hatte ich schon oft das Vergnügen.
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