Sonntag, 26. Februar 2023
Wenn die Post nachts käme

/ und der Mond / schöbe die Kränkungen / unter die Tür: / Sie erschienen wie Engel / in ihren weißen Gewändern / und stünden still im Flur.«

So Ilse Aichinger in ihrem Gedichtband Verschenkter Rat von 1978. Inzwischen sind 45 Jahre ins Land gegangen, und alles hat sich enorm verschärft. Heute finde ich keine Kränkungen in meinem Mailfach vor, vielmehr gähnende Leere. Die Leute antworten einfach nicht. Da ich als Nachforscher und Manuskriptanbieter vergleichweise viele Mails herausschicke, erfahre ich auf diese Weise Tag für Tag, was ich eigentlich schon wußte: Die Welt befindet sich im Krieg. Das erste Opfer ist die Wahrheit, das zweite die Höflichkeit.

Dummerweise reißt diese Ignoranz stets ein Riesenfeld von Fragen, Unterstellungen, Verdächtigungen, ja Verwün-schungen auf. Deshalb ist sie in anarchistisch gestimmten Kommunen völlig unüblich. Dort bekommt man immer eine Antwort. Das Echo meines Gegenübers, und sei es die ganze Gruppe, läßt mich nie im Ungewissen. Es schiebt jenen Mutmaßungen einen Riegel vor. Der Mißachter meiner Mail dagegen reißt den Riegel erfreut zurück, aufdaß ich in ein Schwarzes Loch falle. Zugegeben, manchmal merkt er sein Zurückreißen gar nicht, weil er viel zu beschäftigt damit ist, andere Mails zu lesen oder an seinem Buch über Kommunikationsstörungen weiter zu arbeiten. Nicht selten reißt er den Riegel aber auch mit Lust zurück – wie ich ihm gern unterstelle. Er will, daß auch ich mich gekränkt fühle, nicht nur Ilse Aichinger.

Bezahlte mir jemand die Zeit, die ich schon über den Grund des Schweigens bestimmter Leute gerätselt habe, hätte ich Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn glatt die Dahlemer Villa abkaufen können, die ihm neuerdings so viele Anwürfe eintrug. Er hat sie gerade wieder verscher-belt, für 5,3 Millionen. Den Presseleuten erzählte er, zuletzt habe man es sogar gewagt, ihm »ein Paket mit Fäkalien« ins gediegene Haus zu schicken. An seiner Stelle hätte ich das Paket einfach elektronisch an Lauterbach, Habek, Baerbock und noch ein paar Ungesinnungsgenos-sen weitergeleitet. Jedenfalls versichern mir IT-Experten, die Möglichkeit, ein Roboter könnte meine Mail unterwegs mutwillig oder aus Versehen gefressen haben, sei äußerst unwahrscheinlich. Die Leute wollen einfach nicht.

Gewiß, ich übertreibe. Ein paar wollen durchaus, nur nicht gleich oder nicht so bald. Sie lassen also gern auf ihre Antwort warten. Das ist ihre Antwort auf die Raketenge-schwindigkeit der Elektropost. Drei bis 13 Tage Wartezeit sind nicht selten. Wie sich versteht, verweisen diese Gutwilligen auf die Fluten an Post, die sie zu bewältigen hätten. Die Redaktion des eher randständigen Monatsblatts Graswurzelrevolution versicherte mir einmal, im Schnitt bekäme sie 100 Mails am Tag. Setzt man für die Bearbeitung einer Mail lediglich fünf Minuten an, kommt man bereits auf gut acht Stunden, die sich täglich ein Mitarbeiter allein den eingegangenen Mails zu widmen hat. Auch an diesem Fall ist das Schicksal der »Erleichterungen« ablesbar, die uns der technische Fortschritt serviert: Sie fordern notwendig zur Aufblähung heraus und enden als neue Lasten.

Einmal gönnte mir ein namhafter Germanist zwar eine Antwort, ließ jedoch zunächst sein starkes Befremden über meine Unhöflichkeit durchblicken, in der Anrede seinen Titel zu unterschlagen. Er war selbstverständlich Doktor und Professor. Ich hätte ihn aufklären können, in Deutschland zählten derartige Titel von Amts wegen nicht zum Namen, sie stellten lediglich akademische Grade dar. Aber was hätte das genutzt? Der Mann war offensichtlich so stark von seiner Bedeutung durchdrungen, daß selbst die Schwaden aus einem Fäkalienpaket an seinem Panzer aus Eitelkeit und Minderwertigkeitskomplexen unwirksam abgeglitten wären.

Zuweilen hatte ich freilich auch die Empfindung, den Ignoranten seien lediglich Geringfügigkeiten gegen den Strich gegangen, etwa eine etwas offenherzige, unvorteilhafte Bemerkung zu einer bestimmten Arbeit von ihnen, meine altmodische Rechtschreibung oder mein Versäumnis, in meinem Blog nicht mit einem mich abbildenden Foto zu glänzen. Alles, was heute noch nach Eigenwilligkeit und Randständigkeit riecht, hat ungleich weniger Chancen, bei Spahn & Genossen anzukommen, als ein Fäkalienpaket. Von allem, was ihnen nicht ähnlich ist, fühlen sie sich unglaublich leicht beleidigt, bilde ich mir ein zu beobachten. Das scheint sicherlich meiner Behauptung zu widersprechen, wir befänden uns im Krieg. Aber der Anschein trügt. Der postmoderne Krieg wird von Hasenfüßen und Charakterruinen veranstaltet. Da gibt es wenigstens nicht mehr viel zu zerstören.

Ich möchte sogar die unbescheidene Vermutung wagen, zuweilen zögen die Leute nur deshalb den Schwanz ein, weil sie instinktiv spüren, sie wären der Überzeugungskraft meiner Argumentation oder Sprachbehandlung nicht so richtig gewachsen. Bei einigen Freunden gelte ich als ausgezeichneter Briefeschreiber. Doch die Leute haben in manchen Fällen auch Artikel von mir gelesen oder in meinem Blog geblättert, damit sie nicht auf den falschen Köder anbeißen. Und siehe da, sie sehen zum Beispiel: der Mann hat etwas gegen Autos, Nobelpreise, Hunde und so weiter. So einem werden wir doch nicht unter die Arme greifen! Allerdings gleite ich damit aus dem Zeitgenös-sischen ab. Adalbert Stifter hätte mir jede Wette auch nicht geantwortet, obwohl es zu seiner Zeit noch gar keine Autos und Nobelpreise gab. Sein Hätschelhund hieß Putzi.
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