Sonntag, 26. Februar 2023
Kummerkastenonkel (1)

Lieber KO, meine Tochter sollte Informatik studieren, aber jetzt ist sie Klima-Kleberin geworden! Kürzlich war der gewählte Klebstoff zu stark und sie hatte den halben Belag der betreffenden asphaltierten Straße an der Hand – auch noch der rechten, mit der sie mir zuweilen beim Teppichklopfen geholfen hat! Ihrem Vater hat sie zeternd vorgeworfen, wer sich jetzt nicht endlich für das Klima, somit die Rettung der Welt einsetze, sei ein elendes Weichei. Hätten Sie sich das gefallen lassen? Er klebte ihr eine – und jetzt hat er Post vom Staatsanwalt: Kindes-mißbrauch! Ergebenst Ihre Hiltrud P., Mechterstädt.

Liebe Frau P., gegen machtvolle Weltreligionen kommt man nicht so leicht an, schon gar nicht mit Ohrfeigen. Deutlich früher als die Pandemie-Besessenheit entstanden, zog die Religion vom Klimawandel anscheinend nur vorübergehend gegen jene den Kürzeren. Jetzt hat sie wieder ein Oberwasser, das die Meeresspiegel nur in ungeahnte Höhen treiben kann. Wer heutzutage keine Angst vor dem Klimawandel hat, setzt sich sofort dem Verdacht aus, minderwertigen Tierarten anzugehören, etwa Wanderratten oder Siebenschläfern. Wer ihn gar noch bestreitet, wie möglicherweise Ihr werter Gatte, wandert auf der Stelle in die Atomschutzbunker, die Annalena Baerbock in Norwegen oder in der Holstein-schen Schweiz einzurichten gedenkt. Im Vertrauen gesagt, hat sie aber mit dem Klima nicht so viel an ihrem grünen Tirolerhut. Ihr Feld ist die Russenphobie, die man eigentlich seit 100 Jahren gar nicht mehr eigens zu befeuern braucht.

Was mich selber angeht, bestreite ich den Klimawandel keineswegs, denn es hat ihn schon immer gegeben. Unsere irdische »Weltgeschichte« wimmelt geradezu von Warm- oder Eiszeiten. Schuld sind wahrscheinlich solare oder gar universale Vorgänge, die sich leider schlecht beobachten lassen, weil sie zu weit weg stattfinden. Wird freilich behauptet, die Klimaschwankungen gingen aufs Konto unseres menschlichen industriellen oder sonstwie unökologischen Wirkens, dürfte doch der bekannte Wurm des Größenwahns in den behauptenden Hirnen bohren. In vielen früheren Warm- oder Eiszeiten gab es null Industrie und allenfalls eine Handvoll Keulen oder Hellebarden schwingender ZweibeinerInnen. Nun stoßen sie CO² aus, die Rabauken. Aber gerade das spielte auf Erden schon immer eine wichtige Rolle. Ein Gift ist es wahrscheinlich nicht, da es sehr gern von Pflanzen eingeatmet wird.

Das postmoderne Märchen vom drohenden, insbesondere erhitzenden und ausdörrenden Klimawandel wurde, soweit ich weiß, vor ungefähr 45 Jahren, also zur »grünen« Hochzeit ausgeheckt. Ich werde mich allerdings hüten, dafür einen Ober-Aushecker verantwortlich zu machen. Solche Trends liegen irgendwie in der schlechten Luft. Einer krempelt die Ärmel auf, und dann kommt ein Hölzchen aufs andere, bis auch seriöse Leidmedien den Knüller wittern. Nach so und so langer Anlaufzeit liegt schließlich ein prächtiges Motivbündel vor, dem selbst Bundeskriminalamt und CIA ausreichende Tragfähigkeit für die Ausrufung einer neuen Weltreligion nicht mehr absprechen können. Bedenken Sie einmal, es war ja auch nicht so, daß sich vor rund 250 Jahren ein Dutzend fetter, mit Frack, Zylinder und Zigarre wohlversehener Herren an einen Tisch gesetzt hätten, um festzustellen: So, meine Verehrtesten, langsam wirds ja wohl Zeit, jetzt gründen wir den Kapitalismus. Man kann höchstens sagen: Damen waren damals noch nicht dabei. Der Kapitalismus lag eben in der Luft – und eben deshalb, weil er vor 45 Jahren ziemlich angeschlagen wirkte, mußte etwas her, das zu seiner Gesundung dient oder wenigstens dazu, von seiner Überfälligkeit abzulenken. Man strich die vielverspre-chendsten Geschäftsmodelle einfach grün an, Sie verstehen? Man hämmerte den jungen Leuten ein, der unter Schadstoffen, Raubbau und Militärmaschinerie ächzende Planet sei nur noch durch »intensiven« Gebrauch von Windradmasten, Smartphones und biologisch einwandfreiem Kleber zu retten.

Sie wenden vielleicht ein, Ihre Tochter bombardiere sie aber bei jeder Gelegenheit mit den allerneusten und allerschlimmsten Fakten, Fotos, Meßwerten und dergleichen mehr, die doch das Abschmelzen der Gletscher, die Versengung der Eisbärenfelle und die Verwandlung des in der Türkei niedergehenden Schnees in Fliegende Schaumteppiche hinlänglich bewiesen! Unfug tun sie, liebe Frau. 95 Prozent davon sind zurechtfrisiert, um nicht von Fälschungen zu reden. Diese Manipulationen kennen wir ja eigentlich auch von vielbeschworenen »Statistiken« aus zahlreichen anderen Bereichen, wenn ich Sie nebenbei auf A-24 hinweisen darf. Glauben Sie erst dann an die versengten Eisbärenfelle, wenn Ihnen Ihre Tochter eins davon um die Ohren geschlagen hat. Vergewissern Sie sich aber vorsichtshalber, ob sie es nicht im Heizungskeller selber versengt hat. Das wäre ja wohl zu riechen, falls man der eigenen Nase noch traut.

Können Sie zufällig Noten lesen? Dann grüße ich Sie mit ein paar Versen, die ich soeben auf die Musik von Reitmeiers Zwerglied Im Parcours verzapft habe: verkohlung (pdf, 19 KB) .


Lieber KO, nachdem das berühmte Segelschulschiff unserer Marine Gorch Fock für ungefähr 135 Millionen Euro saniert worden ist, hat sich meine knallblonde Tochter gesagt, auf so einem teuren schicken Renner würde sie sich als Matrosin sicherlich gut ausnehmen. Sie wissen ja, das Militär akzeptiert seit der rotgrünen Machtergreifung auch Weiber. Jasmin will sich also bewerben und übt an unserem Balkongeländer bereits das Selfie-Schießen an der Reling. Ihre Mutter tobt – zumal wir in der Ex-Platte ganz oben wohnen. Sollte man aber solcher emanzipativen Forschheit, wie Jasmin sie verkörpert, Steine in den Weg legen? Ergebenst Ihr Arnold F., Halle-Neustadt.

Lieber Herr F., ich will kein Blatt vor den Mund nehmen und Ihnen versichern, der Namensgeber des berühmten Segelschulschiffs war ein Arschloch. Offiziell gilt er als Schriftsteller. Zwar bemühen sich immer mal wieder einige AnhängerInnen, Gorch Fock zum »Karl May des Meeres« auszurufen, doch bislang überdauerte sein Name weniger in seinen Büchern, dafür in Straßen, Schulen, Plätzen, Mettwürsten, Schnäpsen und eben jenem Renner, in den sich Ihre Jasmin verliebt hat. Dessen Vorläufer war am 3. Mai 1933, also vermutlich unter Hakenkreuzfahnen, auch schon als Gorch Fock vom Stapel gelaufen. Fock selber, geboren 1880, wuchs auf Finkenwerder (Hamburg) als Sohn eines Hochseefischers auf. Zu seinem Leidwesen als seeuntauglich befunden, war er notgedrungen Buchhalter geworden. Ab 1904 hielt er sich freilich als Schriftsteller schadlos, indem er das Fischer- und Matrosenleben und den beifallsträchtigen Kampf gegen die Naturgewalten in zumeist auf plattdeutsch verfaßten Texten verherrlichte, die rasch Zuspruch fanden. Seinen Roman Seefahrt ist not! kannte und liebte zumindest an der »Waterkant« jedes Kind, das sich nach verwegenen, oft auch vaterländischen Heldentaten verzehrte. Die Hamburger Schulbehörde bestellte 1913 gleich 8.000 Exemplare, angeblich die gesamte zweite Auflage, »um sie den Schulabgängern (nur den Jungen!) als Weihnachtsgabe zu überreichen«, wie mich ein Hamburger Gewerkschaftler belehrt.* Das müßte mir mal passieren!

Andererseits sehe ich ein, daß auch Frauen Arschlöcher haben und daher neuerdings mit Macht zur Macht drängen. Nur sind die Chancen, Jasmin könnte sich unter 23 knallweißen Segeln unbemerkt bis zur Krim vorpirschen, doch eher gering. Hat sie einen Führerschein? Na also. Ich schlage vor, sie bewirbt sich bei einem Panzerbataillon. Auf den Panzern, mit denen Baerbock jetzt verstärkt den Herren Biden und Selinski in den Arsch kriecht, sind Männer wie Frauen stets gut getarnt (meistens braun). Auf diesem Wege wird es gelingen, ganz Rußland zu unterwandern und im entscheidenden Augenblick, wenn Nato-Chef Stoltenberg das Signal dazu gibt, überall die orange-farbenen Flaggen durch die Gully-Roste zu recken.

Auch Gorch Fock kämpfte, als Freiwilliger des Ersten Weltkrieges, zunächst bescheiden als Landratte, nämlich bei der Infanterie. Im Frühjahr 1916 setzte er allerdings doch noch seine Seetaufe durch: er wurde Matrose auf dem Kreuzer SMS Wiesbaden, wohl vornehmlich als Ausguck und Berichterstatter verwendet. Mit diesem Schiff ging der 35jährige Patriot und Familienvater noch im Mai desselben Jahres in der berüchtigten Skagerrakschlacht (gegen die Briten) glorreich in der Nordsee unter.

Hatte Ihre Tochter eigentlich in Mathematik gute Noten? Sie könnte doch einmal erwägen, was man bereits mit einer Million Euro alles anstellen kann. So ließen sich dafür sicherlich etliche Kilometer Autobahn in Gemüsefelder umwandeln. Und dann erst für 135 Millionen! Es käme glatt zu Überproduktion, sodaß wir das halbe Gemüse nach Afrika oder Asien verschenken müßten. Bundesverkehrsminister Wissing soll freilich anders drauf sein. Er möchte die Autobahnen dichter und breiter haben, und dies so schnell wie möglich. Auf den angebauten Spuren könnten die Autokonzerne dann ihre Halden-Modelle parken, damit sie nicht in den Himmel wachsen, die Halden. Ich fürchte, im Mittelalter hätten sie so einen wie Wissing einfach mal für ein paar Monate, zur Erholung der Pferde, vor die im Wegebau eingesetzten Steinwalzen geschirrt.

Nebenbei, Herr F.: Achten Sie einmal darauf, wie sehr wir in den jüngsten Jahrzehnten darauf getrimmt worden sind, eine Million als Klacks oder Peanuts zu empfinden. Das ist natürlich nur ein Seitenstück zu der Entwertung, die wir auch auf dem Finanzmarkt oder auf den Schlachtfeldern beobachten können. Nur wenn die Frage so steht, ob 135 Millionen Ukrainer genauso viel wert sind wie 135 Milli-onen Russen, wissen bereits GrundschülerInnen die kor-rekte Antwort. Die Ukrainer sind hundertmal soviel wert.

* Ralph Busch, »Schwieriges Gedenken an Gorch Fock«, hlz (GEW Hamburg), 7–8 / 2016: https://www.gew-hamburg.de/sites/default/files/download/hlz/hlz_2016_juli-august_gorch_fock.pdf


Lieber KO, Ralph-Dieter, mein Mann, will dieses Jahr unbedingt Dahlien pflanzen, wieder so eine Grille. Vorsichtshalber habe ich gleich in seiner Brockhaus Enzyklopädie nachgeschlagen (Band 5 von 1989). Danach gibt es inzwischen, durch emsiges Kreuzen, immerhin schon »mehrere zehntausend Sorten« dieser um 1800 auf uns gekommenen mittelamerikanischen Korbblütlerin. Können Sie mir einmal verraten, wie ich 30- oder 40.000 Dahliensorten in unserem 28 Quadratmeter großen Vorgarten unterbringen soll? Mein Mann sagt natürlich: wählen! Ich finde jedoch, laut UNO wäre das Folter, an der man nur irre werden kann. Diese Dahlien sehen schließlich alle gleich bunt aus, und duften tut keine einzige von ihnen. In der Politik stinken sie wenigstens nach Eigennutz oder Vetternwirtschaft. Ergebenst Ihre Laura B., Ziegenrück.

Liebe Frau B., täuscht mich meine Nase nicht, haben Sie hier, mit den Dahlien, das viel zu selten gewürdigte Phänomen der Arbeitsteilung und Spezialisierung angeschnitten. Es scheint rein menschlicher Natur zu sein. Oder können Sie mir beispielsweise Schimpansinnen nennen, die die Volkswirtschaft ihres 30köpfigen Rudels mit 77 Waschmittelmarken, 77 philosophischen Systemen oder 77 verschiedenen Methoden der Haarspalterei belasten würden? Wolf Schneider erwähnt in seinem Buch Wörter machen Leute eher am Rande die Bananenwasch-frage, das schon. Sie hatte sich unter bestimmten japanischen Affen erhoben. Die Hälfte der Population hatte sich eines Tages aus unerfindlichen Gründen darauf verlegt, ihre Bananen vor dem Schälen und Verzehren im Fluß zu waschen. Die anderen rieben sich die Augen, hielten aber an ihrer bewährten Methode des Nicht-waschens eisern fest. Es kam nur deshalb nicht zu einem erbitterten Konkurrenzkampf oder Weltkrieg – behauptet der langjährige Chef der Hamburger Journalistenschule – weil die Affen keine Sprache besaßen, in der sie den je eigenen Umgang mit Bananen als alleinseligmachend, den fremden Umgang dagegen als höchst verderblich hätten ausgeben können.

Für die neuzeitlichen Marktwirtschaften wirkte es anfänglich sicherlich belebend und segensreich, immer neue Waren und Berufe zu erfinden. Einem über alle Backen strahlenden deutschen Schrebergärtner den ersten persönlichen, rotgrün karierten Rasenmähtraktor anzudrehen, muß die reinste Lust gewesen sein. Die Hausfrau bekam endlich einen atomar angetriebenen Korkenzieher, und ihren drei halbwüchsigen Söhnen verordnete sie Schuhe mit automatisch nachwachsenden, biodynamisch einwandfreien Absätzen. Auch die Fernsehanstalten und deren Werbeprogramme vermehrten sich wie die Affen. Allerdings stiegen die Gebühren. Kurz und schlecht, auf seiten des Kleinen Mannes vermehrte sich dummerweise das Geld mitnichten im flotten Tempo der Waren, Berufe und Fernsehpro-gramme. Ergo blieben die paar großen, reichen Leute zunehmend auf dem von ihnen hergestellten Schund sitzen. Sie schrien nach staatlichen Ankäufen, aber die Ministerinnen wollten die atomar angetriebenen Korkenzieher auch nicht haben. Jetzt wird erwogen, die Weltwirtschaft vollends aufs ökologisch orientierte Entsorgungsgeschäft umzustellen. Die einen Unterneh-merInnen kippen den Schund in die Weltmeere, die anderen holen ihn wieder raus.

Man hat bereits ein paar Experten angeheuert, die das Wahlvolk auf die Umstellung vorbereiten sollen. Der deutsche Präsentationstrainer und Autor Peter Mohr (* 1964) wird die Kernidee herausschälen. Karin-Simone Fuhs (* 1968), Professorin für Nachhaltiges Design in Bonn, übernimmt insbesondere die Gestaltung der Transportlinien zu den Meeren hin und von den Meeren weg. Die deutsche Humortrainerin, Keynote-Speakerin und Suggestopädin Margit Hertlein (* 1953) will die Leichtigkeit und Sozialverträglichkeit der großen Aufgabe unterstreichen. Bianca Wittmann (* 1978), eine Gießener Professorin für Biopsychologie, bindet die Säcke, die gefüllt oder ausgeschüttet werden, ökologisch unan-fechtbar zu. Hilft alles nichts, wird uns der niederländische Alternativmediziner und Reinkarnationstherapeut Rob Bontenbal (1945–2015) zeigen, wie es später anders besser geht.

Vielleicht noch ein Wort zu den von Schneider erwähnten Wörtern, liebe Frau B. Sie glauben ja gar nicht, wieviele um Haaresbreiten voneinander abweichende typografische Möglichkeiten es gibt, beispielsweise das Wort Ziegenrück zu schreiben. Das Internet sträubt sich, mir die Anzahl zu nennen, ich schätze sie freilich ungefähr auf Dahlien-niveau. Zum Glück haben die meisten postmodernen Schriftarten aber einen Generalnenner, der sie wiederum gut handhabbar macht. Das ist ihre Unlesbarkeit.
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