Montag, 13. Februar 2023
Lömmbecks Hütte

Letztlich war Marietta an Lömmbecks Unglück schuld. Schließlich hatte sie ihn sowohl mit Edith wie mit der verdammten Hütte verkuppelt. Dabei war Lömmbeck erst im Sommer 2004 von einer Landkommune in der Wesermarsch aufgenommen worden, die sich um ein echtes niedersächsisches Bauernhaus scharte. Nur lag das geräumige rote Backsteingebäude mit ellenlanger Diele nicht an der Weser, vielmehr an einer Bundesstraße. Neben Lärm und Gestank gingen Lömmbeck rasch auch die sogenannten spirituellen Rituale der Kommune auf den Keks. Das konnte er aber Marietta nicht erzählen, weil sie sich inzwischen für die Anthroposophen erwärmt hatte. Sie stand auf dem, was die einen Religion, die anderen Ringelpiez mit Anfassen nennen. Im Grunde war Lömmbeck ein massenfeindlicher Melancholiker, der in einer Kommune ähnlich fehl am Platze gewesen sein dürfte wie ein Schlittenhund in der Wüste Sahara. Kam noch hinzu, daß er sich neuerdings in den Kopf gesetzt hatte, endlich einen umwerfenden Roman zu schreiben. Von Haus aus gelernter Uhrmacher, hatte sich Lömmbeck, ein blonder Schmalgesichtiger mit Ziegenbärtchen, schon bald nach dem Gesellenbrief in die Feinmechanik der Schreib-maschine gekniet. Von Computern hielt er nichts. Obwohl erst um 1980 geboren, hatte man ihn ziemlich altmodisch erzogen. Inzwischen hielt er natürlich auch von Uhren nicht mehr viel. Daher die Landkommune. Na, das war eben ein Trugschluß gewesen. Sie verehrten die Gestirne und kannten deren Bahnen und Schrecksekunden ganz genau.

Marietta, noch dürrer als Lömmbeck, dazu etwas streitsüchtig, war eine Verflossene von ihm. Sie wollte Malerin werden. Sie hatte sich in ihrem thüringischen Heimatstädtchen Truhn niedergelassen, wo sie es sogar schon zu einem eigenen Atelier gebracht hatte. Als er am Telefon seine Unzufriedenheit mit der Landkommune erwähnte, meinte sie barsch, dann müsse er eben wieder ausziehen. Wohin, verriet sie ihm nicht. Nach kaum zwei Wochen rief sie allerdings von selbst wieder bei ihm an. Das war im Frühjahr 2005; die kommuneeigenen Amseln sangen bereits gegen den Autostrom auf der Bundesstraße an. Sie habe gehört, auf dem Grundstück des Waldorfschullehrers Holger Mesturius werde ein Gartenhäuschen frei. Man müsse es freilich kaufen – 500 Euro wolle der bisherige Pächter haben, mehr nicht. Der Mann hieß Scholl, ein Heizungsbauer mit kleiner Firma, der Mesturius das Fleckchen Garten hauptsächlich der eigenen Kinder wegen abgepachtet habe. Sie gab ihm gleich Scholls Telefonnummer. Ja, gewiß, das Häuschen liege ruhiger als das Steinhuder Meer bei Windstille, trotzdem unweit der Altstadt. Da könne er nach Herzenslust eigenbröteln, und das Geklapper seiner Schreibmaschine ginge allenfalls ein paar Buntspechten oder Kleibern auf die Nerven. Sie sagte ihm zu, sofort ein angekreuztes Faltblättchen mit dem Truhner Stadtplan zu schicken.

Das angebliche Gartenhäuschen entpuppte sich als 12 Quadratmeter enge Bretterbude, die Heizungsbauer Scholl mit schwungvollem Quast pinkfarben angestrichen hatte. Erfreulicherweise hatte er beim Anstreichen die beiden Fenster ausgespart. Immerhin wies die Laube eine sogar überdachte große Veranda auf. Hier konnte Lömmbeck seinen Kühlschrank aufstellen und selbst bei Regen Brennholz sägen. Sein Stromzähler war in Mesturius' Vorderhaus angeklemmt. Wasser durfte er dort in gewissen Mengen umsonst zapfen. Er fuhr seinen einachsigen Ex-DDR-Lochblech-Handwagen stets voller Stolz und dem 10-Liter-Kanister über den Stichweg bis zu seinem eigenen Gartentor. Die Hecke zu Mesturius' Gemüsegarten besaß nämlich kein Tor. Dieser Stichweg lief zwischen dem Vordergrundstück und der hohen Mauer einer ehemaligen Brauerei bis zu einer versteckten Villa, die Lömmbeck wenig zusetzte. Auf der anderen Längsseite stand eine Fabrikruine, die keiner abriß, weil niemand die Kosten tragen wollte. Hier hatte sich schon regelrechter Wald aus Birken, Kiefern, Fichten und Ahornbäumen gebildet. Manchmal schnarrte es in dem Wald, wohinter Mesturius zufolge der Tannenhäher steckte, den sonst kaum ein Schwein kannte. Lömmbecks Gärtchen war nicht größer als ein halber Tennisplatz, wenn auch von ein paar älteren Obstbäumen beschattet. Dafür wollte Mesturius lediglich 30 Euro Pacht im Jahr. Das Teure war eben die Hütte, die Scholl, dem Geizkragen, gehört hatte. Es sollte sich noch herausstellen, daß er auch ein Betrüger war.

Bei der Besichtigung im Mai versicherte Scholl dem Ex-Kommunarden, die Bude besäße »Doppelschalenwände« mit drei Zentimeter starken, naturbraunen »Bio-Hanfmatten« drin. Möglicherweise waren das nur drei Zentimeter starke Maggiwürfel hier und dort … Aber Lömmbeck nahm die ganze Halsabschneiderei klaglos hin, weil das Fleckchen ohne die Bretterbude immerhin eine reizvolle Idylle war, soweit er sah. Außerdem schien das nur leicht geneigte Dach dicht zu sein – keine Selbstverständlichkeit. Freilich war, wie immer, kein Vorteil ohne Nachteil zu haben. Ab Frühherbst schlugen Lömmbecks angefaulte Cox-Orange-Äpfel mitten in der Nacht wie Eierhandgranaten aufs Dach, um dann noch schön bedächtig in die Regenrinne zu kollern. Die Birnen und Pflaumen reiften etwas weiter von der Hütte weg. Heere von Mäusen und Siebenschläfern zankten sich in den »Doppelschalenwänden« um den Bio-Hanf oder die Maggi-Würfel; die Igel unter dem Haus röchelten beim Geschlechtsverkehr schlimmer als Hausrotschwänze sangen. Ja, Lömmbeck hatte einen Fußknöchel hohen Keller, den nutzten manche Tiere gern als Untermieter. Scholl hatte nämlich die ganze Hütte, ob aus Faulheit oder Dummheit, kurzerhand lediglich auf ein Dutzend Hohlblocksteine aufgebockt. Lömmbecks Schaden war es, nur Feinmechaniker zu sein. Bevor Kyrill kam, der noch heute berüchtigte Orkan, verschwendete Lömmbeck nie auch nur einen Gedanken an die Verankerung seiner Hütte.

Den ersten Sommer über kam Lömmbeck mit seinem Roman recht gut voran. Hungersnot brauchte er nicht zu fürchten, weil er das damals noch ziemlich neue Hartz-IV-Almosen von der kreisstädtischen sogenannten Arbeitsagentur bekam. Für ihn als Uhrmacher fanden sie einfach keine geeignete Stelle. Selbstverständlich versuchten sie ihm auch ungeeignete Stellen anzudrehen, doch als Romancier verstand er es, immer neue überzeugende Ausreden zu erfinden. Am kniffligsten war es, die völlig überflüssigen und substanzlosen »Trainings-Maßnahmen« abzuschmettern, durch die sie ihm die »Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt« erleichtern wollten. Lömmbeck hatte in Mesturius' Vorderhaus-eingang einen eigenen Briefkasten. Er kam mit der Zeit dahin, sich nicht etwa über bestimmte seltene Post zu freuen, vielmehr dann, wenn der Kasten ganz leer war! Das hieß nämlich, die liebe Arbeitsagentur hatte ihn für heute mit ihren Gestellungsbefehlen verschont.

Dies alles kam ja nur der Literatur zugute. Wer weiß, ob ihm sein Romanmanuskript nicht auf Anhieb das Lüneburger Heinrich-Heine-Stipendium oder den Döblin-Preis einbringen würde. Erste nennenswerte Stockungen brachte der Winter mit sich. Mesturius hatte ihm, obwohl Anhänger der weit über Rudolf Steiner hinausgehenden Religion des angeblichen, uns zunehmend ausdörrenden »Klimawandels«, einen brauchbaren gußeisernen Zimmerofen abgetreten. Aber der konnte sich anstrengen wie er wollte: kaum reingesteckt, hatten sich die Holzscheite und Briketts in Luft aufgelöst, ohne nun dafür das Hüttenklima deutlich zu erwärmen. Während das Thermometer am Verandapfosten über Wochen zumindest in der Frühe minus 10 bis 15 Grad zeigte, hatte sich Lömmbeck aus dem Bett in ungefähr null bis zwei Grad Innentemperatur zu begeben. Dann entfachte er den Ofen. Nach einer knappen Stunde fing die Gemütlichkeit an: nun hatte er, trotz Lüftens der Hütte, die 10 Grad über-schritten. Unter dem Bademantel trug er gewöhnlich zwei Hosen und zwei Pullover. Bei gelegentlichen Gängen zu seinem Kompostklohäuschen half das allerdings nicht mehr viel, weil er, auf dem Örtchen eingetroffen, die beiden Hosen herunterziehen mußte. Zum Glück besaß er zwei Paar wollgefütterte Pantoffeln, die er abwechselnd auf dem Ofen anwärmen konnte. Am härtesten betroffen waren des morgens die Hände, weil alles, was man anfaßte, einfach nur kalt war. Sich mit wärmenden Fäustlingen das Gesicht zu waschen oder auch nur Tee aufzubrühen, gelang Lömmbeck nie.

In diesem ersten Hüttenwinter zahlte Lömmbeck nicht nur als angehender Schriftsteller einiges Lehrgeld. Öffnete er am Vormittag eine Schranktür, um Geschirr oder Schreibpapier hervorzuholen, wehte es ihn unweigerlich klirrend an. Man ließ sie besser geschlossen. Den Kühlschrank auf der Veranda hatte er selbstverständlich stillgelegt. Nun diente ihm ein ofenfernes Plätzchen unter seinen Kleiderhaken dazu, Butter, Käse und Eierschachtel einfach auf dem Teppich abzustellen. Sie drohten auch dort nicht zu zerfließen. Scholl hatte ihm übrigens versichert, selbst unter den Fußbodendielen läge Bio-Dämm-Stoff. Lömmbeck spielte vorübergehend mit dem Gedanken, den Hohlraum zwischen den Hohlblocksteinen im nächsten Herbst mit flachen Stohbündeln zuzustopfen. Marietta meinte jedoch, sie könnten Feuchtigkeit ziehen und faulen. Dann stänke es in der Bude vielleicht wie in einem Schweinestall, sagte sie allen Ernstes, ohne jede Ironie. Es sei wohl eher günstig, wenn die Bude, durch das Aufbocken, immer eine gewisse Durchlüftung erführe. Man konnte später glauben, Kyrill hätte bei dieser Erörterung zugehört.

Allerdings war Lömmbeck bei der Stillegung des Kühlschranks ein kleiner Fehler unterlaufen. Er hatte seine Kartoffeln zunächst im Gemüsefach belassen. So ein Kühlschrank muß schließlich gut gedämmt sein, hatte er sich gesagt. Als er dann ein paar von den Kartoffeln zwecks Kochens in die Hütte holen wollte, hätte er freilich einen Waffenschein vorweisen müssen. Sie waren steinhart gefroren. Er schleuderte sie wütend gegen die Brauereimauer jenseits des Stichwegs, aber die wäre fast eingestürzt. Die Kartoffeln prallten ab und spielten auf den zugefrorenen Pfützen des Stichweges Dullerdopp. Leider wurde Lömmbeck nur allmählich aus Schaden klug. Er hatte es versäumt, auch seinen Kasten mit Flaschenbier in die enge Hütte zu holen. So war das literatur- oder schlaffördernde Getränk trotz seines Alkoholgehaltes über nacht eingefroren, wie er plötzlich mit Entsetzen sah. Dabei hatte es gleich mehrere Flaschen gesprengt. Andere Flaschen trugen helle Halskrausen oder Bärte. Prompt war Lömmbeck dumm genug, in einem nächsten Fehler den ruinierten Bierkasten einfach auf der Veranda sich selbst zu überlassen. Tauwetter kam – und seine Verandadielen stanken noch im April wie in der übelsten Spelunke.

Als ihn im Mai erstmals Edith besuchte, gab er sich vorher alle Mühe, die Veranda-Dielen zu schrubben. Sich selber pflegte Lömmbeck im Winter eher spärlich, im Sommer an einem stadtnahen ehemaligen Mühlbach zu waschen, der halbwegs sauberes Wasser zu führen schien. Er hatte dort unter einer Trauerweide beinahe so etwas wie seine private Badekabine. Anfangs wusch er auch sein Fahrrad und seine Kleider dort. Aber dann bot ihm Marietta für die Kleider ihre Waschmaschine an. Das »Wohnstudio« der dürren Malerin nahm das halbe Dachgeschoß eines mehrstöckigen Mietshauses ein; die Waschmaschine stand jedoch erfreulicherweise im Keller. Marietta spendierte Lömmbeck einen Waschküchenschlüssel und enthob ihn so der Bürde, sie immer erst, im Dach, aufsuchen zu müssen. Aber Anfang Mai tat er es dennoch, weil er von der letzten Maschinenwäsche her einen von seiner Mutter persönlich gestrickten, bunt geringelten Socken vermißte, den linken. Nach dessen Verbleib wollte Lömmbeck sie fragen. Und das war schon wieder ein Fehler. Er platzte nämlich in eine Aktstudie, die Marietta gerade von ihrem krassen Gegenstück anfertigte. Das war die 23jährige, dunkel krausköpfige Cellistin Edith, wie sich herausstellte. Lömmbeck verschlug es fast den Atem. Er wagte kaum hinzugucken. Ohne Cello war dieses auf einem Stuhl sitzende Weibsbild immer noch durchaus rund genug. Ihre Brüste wirkten praller als Lömmbecks ganzes Gartenobst zusammen genommen, und aus den strammen Schenkeln schob sich ein gleichfalls krauses, finsteres, riesiges, wenn auch trickreich auf die Spitze gestelltes Gefahrenschild, das nicht verlockender hätte sein können. Dem unerwarteten Besucher schenkte das Modell sogar ein freundliches Lächeln. Der ließ sich von Marietta ganz rasch seine linke Socke aushändigen, grüßte verlegen und wankte jenseits der hinter ihm ins Schloß fallenden stählernen Feuerschutz-Studiotür die Treppen hinab.

Selbstverständlich kam es, wie es kommen mußte. Nachdem er sich einige Tage lang nach dieser die Sinnen verwirrenden ersten Cellistin eines bekannten kreisstädtischen Jugendorchesters verzehrt hatte, erwirkte Lömmbeck telefonisch ein Stelldichein mit ihr. Sie hatte inzwischen natürlich gehört, er war ein kommender Dichter. Aber den Reinfall, den Lömmbeck dann über viele Wochen erlebte, hatte er sich keineswegs erträumt. Edith verschloß sich nicht geradezu, wenn Lömmbeck sie mit feurigen Worten und Gesten begehrte, aber sie ließ diese sexuellen Aktivitäten über sich ergehen, als sei sie eine Kartoffelmiete in der Wesermarsch oder ein denkmalgeschütztes Hünengrab in der Lüneburger Heide. Sie gab noch nicht einmal vor, entflammt zu sein, etwa durch das einschlägige Stöhnen oder Röcheln, wie es ja wenigstens Lömmbecks Igel machten. Wie sich versteht, versuchte er wiederholt, aus ihr heraus zu bekommen, was sie sich eigentlich bei dieser die Volksgesundheit schädigenden Blockadehaltung denke. Sie sagte nur mehrmals achselzuckend, sie mache sich eben aus Sex nicht so viel. Das muß man sich einmal vor Augen halten! Sie sagte nicht etwa: du bist mir zu wild. Oder: deine Rute ist mir zu dünn. Oder: es ekelt mich vor deinen Schweiß- und Samenausbrüchen. Nein, sie sagte lediglich ganz allgemein, aus Sex mache sie sich eben nicht so viel.

Die leidige Angelegenheit mit Edith verblaßte ziemlich jäh, als Lömmbeck von dem bereits angedeuteten Unglück heimgesucht wurde. Es war Ende Januar 2007. Da er weder Fernsehen noch Radio besaß, wurde Lömmbeck vom Orkan Kyrill mehr überrascht als etwa Waldorf-schullehrer Mesturius oder der Truhner Feuerwehrchef. Nachmittags an seinem Roman arbeitend, merkte Lömmbeck zunächst lediglich, die Windböen wurden immer heftiger, lückenloser und heulender. Unter seinen Obstbäumen lagen nur noch Flecken von Schnee, aber sie waren bald unkenntlich, weil es draußen immer finsterer wurde. Er hatte längst das Licht eingeschaltet. Nur sah sich seine Inspiration zunehmend von Atemnot aus Angst überlagert. Die Hütte wackelte bereits wie der Stummel eines Hundeschwanzes. Dann fiel ihm mit Entsetzen die enorme Schwankungsbreite seiner mordsdicken Obstbaumstämme auf, soweit sie in dem fahlen Zwielicht noch zu erkennen waren: in Hüfthöhe sicherlich ein Meter. Jetzt sprang er in panischer Angst auf und warf sein Romanmanuskript, seine Zahnbürste, sein Lieblingshemd und seine Schatulle mit Ausweisen und Geldscheinen in seine einzige Reisetasche. Die geringelten Socken hatte er glücklicherweise an. Er sah sich hastig um, ob noch etwas fehle. Es konnte nämlich gar kein Zweifel mehr bestehen: die Hütte mußte jeden Augenblick zusammenbrechen. Doch das war nur ein Teil der Wahrheit. Wie sich keine 30 Sekunden später zeigte, hatte er seine immerhin schon verschlossene Tasche ahnungsvoll für eine Luftreise gepackt.

Die letzte heulende Sturmböe, die Lömmbeck am alten Standort erlebte, ergriff die Hütte als Ganzes, schleuderte sie über die Hecke und ließ sie auf Mesturius' Rosenkohlbeet krachen. Nun fiel die Hütte allerdings auseinander. Die Deckenlampe war erloschen und zerplatzt. Lömmbeck hockte sprachlos inmitten der Trümmer und Kohlstrünke und sah sich vergeblich nach seiner Reisetasche um. Er prüfte seine Gliedmaßen. Wie es aussah, war er noch gehfähig. Er kämpfte sich in dem tobenden Zwielicht zur Hecke vor, rollte sich über sie und wankte zu den Hohlblocksteinen. Sie lagen noch schön quadratisch angeordnet am alten Ort. Er tastete sie ab – nichts. Keine Schraubenlöcher, keine Eisenwinkel, nur die übliche Kälte. Lömmbeck fluchte und trat wutschnaubend nach dem Hohlblockstein, den er zuletzt abgetastet hatte. Dadurch kam er endlich auch zu einer Verletzung: Fuß verstaucht. Er fluchte erneut und hinkte zu seinem nach wie vor schwankenden Apfelbaum, um sich daran notdürftig festzuhalten und bittere Tränen zu weinen.

Plötzlich vernahm er im Heulen des Sturmes Mesturius' Stimme. Anscheinend hatte sich sein Verpächter ebenfalls über die zerfledderte Hecke gerollt. »Mein Gott!« rief Mesturius. »Du mußt einen Schutzengel gehabt haben, Lömmbeck. Lebst du noch?« – »Hör mir mit dem Geseiche auf!« brüllte Lömmbeck zurück und wies fuchtelnd auf die Hohlblocksteine. »Scholl, dieses Schwein, hat die ganze Hütte lediglich lose auf die Steine gelegt, siehe nur selber nach! Und so einer nennt sich Heizungsbauer! Ich werde ihm sämtliche Werkstattfenster einschmeißen!«

Mesturius staunte zwar, bemühte sich freilich, seinen Pächter erst einmal zu besänftigen. Lömmbeck möge mit ins Haus kommen, Tee trinken, und dann könne er sich auf dem Sofa erst einmal ausschlafen.

»Scheiße kann ich!« brüllte Lömmbeck und ließ seinen Apfelbaum los. »Geh zum Teufel! Ich muß jetzt erst einmal meine Reisetasche suchen!«

Schon buckelte oder grätschte er in dem nach wie vor zugigen Zwielicht wie ein waidwundes Wiesel durch sein Gärtchen, um die Tasche vielleicht schon hier zu erblicken beziehungsweise zu ertasten. Aber er fand sie erst nach einer halben Stunde in der benachbarten Fabrikruine. Sie hatte sich mit einem Griff an einem Halter eines längst abgerissenen Regenfallrohres verfangen, und sie dort, von einer Fensterhöhle aus, zu lösen und dann zu bergen, brachte ihm auch noch einen sogenannten Hexenschuß ein. Den schob er dann später Edith in die Schuhe, von der er sowieso nichts mehr wissen wollte.

Am übernächsten Tag wurde der Truhner Feuerwehrchef von der Lokalzeitung interviewt. Er bezweifle stark, sagte er, daß Herrn Lömmbecks Hütte mit ringsum ange-dübelten Hohlblocksteinen nicht weggeflogen wäre. Falls Herr Lömmbeck wieder baue, möge er vielleicht ein im Boden verankertes Betonmäuerchen als Fundament in Erwägung ziehen.
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