Sonntag, 5. Februar 2023
Das Rundhaus und die Heizschweinchen

Die verblüffendste Zimmerheizung des Universums trifft man möglicherweise nur auf Pöhsnick an. Aber schon das dortige Rundhaus könnte recht originell sein. Die Grundorganisationen (GOs) der Pöhsnicker Dörfer umfassen in der Regel zwischen 80 und 100 Köpfe, Kinder eingeschlossen, solange noch welche aufgezogen werden. Diese 80 oder 100 Leute wohnen eben in Rundhäusern. Da man auf Pöhsnick den entsetzlichen irdischen Familien-geist nicht kennt, verteilt man sich ungefähr nach Generationen auf die runden Wohnhäuser, die meist 15 Meter Durchmesser haben. Nur das Gemeinschaftshaus, wo gekocht, gegessen, palavert und gefeiert wird, dürfte eher 20 Meter haben. Im leicht geneigten Spitzdach der deckenlosen Wohnhäuser sitzt, anstelle der Spitze, ein niedriger, verglaster, ebenfalls runder Dachreiter, aus dem, ganz zentral, auch der einzige Schornstein ragt. Er ist zugleich tragender Pfeiler für die Dachsparren.

Im Internet wird man von verschiedenen Fachleuten über einige grundsätzliche Vorteile des Rundhauses belehrt. Mein zentraler Schornstein und meine fächerartige Zimmereinteilung fehlen selbstverständlich. Nach diesen Experten stellt der Kreis in statischer Hinsicht sowieso die stabilste Bauform dar. Die gekurvten Außenwände bieten das günstigste Verhältnis zwischen Grundfläche und Mantel, bieten damit auch Wind und Wetter weniger Angriffsfläche – ergo hat man weniger Wärmeverlust im Winter. Hinzu kämen Fortfall von überflüssigen Fluren, dafür besserer Lichteinfall. Man habe nicht umsonst schon in der Steinzeit so gebaut, und in der Folge immer mal wieder: siehe etwa Jurten, Iglus, Burg- und Leuchttürme. Nur die Fachleute wurden stets zu wenig erleuchtet. Sie schneiden jedes moderne Rundhaus wieder auf jenen verheerenden Familiengeist zu.

Nicht, daß die jeweiligen, maximal 22 Hausbewohner-Innen auf Pöhsnick alle über- oder durcheinander schliefen. Das ließe sich bestenfalls vom Mütter- und Kinderhaus sagen. Die Kinder haben noch keine eigenen Zimmer. Ein paar Säuglinge wohnen mit ihren Müttern abgeteilt. Alle Innenwände sind (aus gebrannten Lehmziegeln) gemauert, wegen der Schalldämpfung. Die Rundhäuser für jugendliche, mittelalte und alte GO-Angehörige weisen sämtlich denselben Schnitt auf. Zieht man vom Mittelpunkt des Grundrisses einen inneren Halbkreis von fünf Meter Radius, kann man diesen bis zum Eingangsbereich (Haustür von je einem Fenster flankiert) gradlinig verlängern. Dadurch ergibt sich ein recht geräumiger Gemeinschafts- und Durchgangsraum. Er erhält auch durch den erwähnten Dachreiter etwas Tageslicht. Von dieser hufeisenförmigen Innenwand gehen die 22 Zimmer beziehungsweise deren Türen ab. Die Trennwände zwischen den Zimmern halten sich überwiegend an den Radius des äußeren Kreises. Jedenfalls sind alle Zimmer ungefähr gleichgroß und ähneln der Spitzen beraubten Tortenstücken. Die äußere, rund 1,50 breite Zimmerwand hat ein großes Fenster, das notfalls für Möbeltransport dienen kann. Denn die Türen dieser schmalen, zellenartigen, aber immerhin fünf Meter langen Zimmerchen sind bestenfalls 70 Zentimeter breit. Ein Klavier ginge selbst durch die Fenster nicht – doch wenn es auf Pöhsnick Klaviere gäbe, stünden sie sicherlich im Gemeinschaftsraum oder im Gemeinschaftshaus. Kanzler Ludwig Erhard wäre möglicherweise unter Mühen durch ein Zimmerfenster gebracht worden – aber meine Rundhäuser sollen um Gottes willen keine Knäste sein. Übrigens verklagte der dicke Erhard in den 1960er Jahren meinen Karlskirchener Privatdetektiv und Deutschrock-sänger Heinz Schlackendörfer, weil er sich durch dessen Lied Der Kanzler will kein Kind verunglimpft fühlte. Es ging um das Abtreibungsverbot. Schlackendörfer gewann den Rechtsstreit. Dieser wirkte sich auch sehr positiv auf die Verkaufszahlen der Langspielplatte Schlackendörfer aus, die Heinz mit vier MitstreiterInnen herausgebracht hatte. Heute wird sie, als rares Kultobjekt, schon zu Van-Gogh- oder wenigstens Baselitz-Preisen gehandelt.

Auch die Langspielplatte war rund. Man sollte die Bedeutung der Kreisform nicht unterschätzen. Sie ist die geschlossene Unendlichkeit. Natürlich steht sie auch für Gerechtigkeit und Gleichheit. Sitzen Kommunarden im Kreis, hat ein jeder von ihnen ein gleichweit entferntes Gegenüber. Einen Häuptling oder Guro haben sie nicht. Wie sich versteht, wäre die Kreisform bei der Gerichtsverhandlung gegen Schlackendörfer nicht in Frage gekommen. Richter benötigen Throne und ein Publikum, das wie Hühner auf Stangen sitzt. Auch für Plenarsäle kapitalistisch verfaßter Demokratien ist die echte Kreisform ungeeignet. Baerbock etwa könnte nicht mehr von der erhöhten Regierungsbank herab zetern, sie werde Rußland ruinieren. Eine Besucherin soll damals (Februar 2022) von der Tribüne aus zurückgerufen haben, für Kabinettsmitglieder mit akutem Dachschaden hielte der Hausmeister sicherlich einen Erste-Hilfe-Kasten bereit. Aus Rache ruiniert sie jetzt Deutschland – Baerbock, meine ich.

Vielleicht sollte ich noch auf die Heizung zurückkommen. Das runde Pöhsnicker Wohnhaus hat lediglich einen Ofen. Er wird in täglichem Wechsel reihum (nach Alphabet) von jeweils einem Hausgenossen betreut. Der Heizdienst kann getauscht werden. Im Kinder- und Mütterhaus stehen naturgemäß nur die beiden monatlich wechselnden BetreuerInnen (die auch dort übernachten) und ein paar Mütter fürs Heizen zur Verfügung; allerdings werden die älteren Kinder schon eingespannt. So lernen sie das Feuer und den Eigennutz beherrschen. Nebenbei sind die Winter in der Pöhsnicker Mulde nie streng. Frost kommt kaum vor; meist hat man um 10 Grad. Schnee ist somit so selten, wie es uns auf Erden schon um 2000 von Klima-Guros geweissagt worden ist.

Ziemlich geräumig gebaut und unmittelbar an dem zentralen Schornstein gelegen, erwärmt jener eine Ofen natürlich in erster Linie den Gemeinschaftsraum. Wer freilich seine Zimmertür recht häufig aufstehen läßt, zehrt ebenfalls von der Wärme des Hausofens. Möchte er jedoch mit einem vertrauten Gast in Ruhe Schach oder sonstwas spielen, ruft er ihm am besten schon durchs Fenster zu: »Hallo Wiclaff, bring doch bitte gleich ein frisches Schweinchen mit!« Gemeint sind sehr speicherfähige, ungefähr Vier-Pfund-Brot-große Heizsteine, die stets in Fächern des Hausofens bereit liegen. Stammen sie nicht aus dem bekannten Pöhsnicker »Mondgestein«, dann hat man sie eben aus speziell gemischter Ton- und Erdmasse gebrannt. Die Pöhsnicker haben zangenartige, mit Holzgriffen versehene kleine Gestelle aus Eisen entwickelt, mit denen jeweils ein »Schweinchen« gepackt und auf einem anderen Gestell abgesetzt werden kann, das jeder in seinem Zimmer hat. Ist dieses zweite Gestell noch von einem bereits erkalteten »Schweinchen« besetzt, wird letzteres vorher sofort wieder in den Hausofen verfrachtet, damit das neue, heiße »Schweinchen« Platz und die Hausgemeinschaft stets Nachschub hat. Dieses primitive System habe einwandfrei funktioniert, werden einmal in ferner Zukunft Archäologen feststellen, die einem von der Erde ausgesandten Raumschiff entstiegen sind.

Gewiß hat alles irgendwo einen Pferdefuß. Nicht unbedingt das Heizschweinchen, aber vermutlich der Schornstein. Nimmt man naheliegenderweise an, die Pöhsnicker Rundhäuser seien mit Palmblättern oder ähnlichem Pflanzenmaterial gedeckt, besteht natürlich, wegen des Funkenflugs, eine gewisse Brandgefahr. HolsteinerInnen kennen das von ihren Reetdächern her. In dieser Hinsicht muß man sicherlich schon bei der Lagerung der Dach-sparren im oder am zentralen, auch als Pfeiler dienenden Schornstein achtsam sein. Jedenfalls schlage ich eine (zeitlich) lückenlose Brandwache nebst gewisser Löschvorrichtungen für jedes Pöhsnicker Dorf vor. Die dortigen Dörfer umfassen höchstens 10 GOs. Vielleicht könnte man in dem Dachreiter des größten Gemeinschafts-hauses gleich noch eine Sternwarte einrichten.
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