Donnerstag, 10. November 2022
Fluchen

Wahrscheinlich vergeht kein Tag, an dem ich nicht minde-stens zwei- bis dreimal »Scheiße«, »Mist«, »verdammt!« und dergleichen knurre oder gar schreie. Ich fluche also gern. Nur ist Fluchen leider unschön, wenn nicht gar, wegen Gottes- oder Bundeskanzlerlästerung, verboten. Im Mittelalter hätte man mich vermutlich öfter ins Trillerhäuschen gesperrt, auch Roll- oder Narrenhäuschen genannt. Es handelte sich um einen meist auf dem Marktplatz stehenden, zuweilen spitzbedachten röhrenförmigen Käfig, der nichts anderes als einen besonders fortschrittlichen Pranger darstellte. Auf einer Art Töpferscheibe gelagert, war er nämlich drehbar. So konnte man den betreffenden Dieb, Rauf- oder Trunkenbold, Sittenstrolch und so weiter von außen in Bewegung setzen, bis ihm schwindlig wurde und er sich zum Beispiel erbrach. Hoffentlich nicht auf den drehenden anständigen Bürger. Durch seine Drehbarkeit war das Trillerhäuschen auch enorm platzsparend, sodaß es oft in einem Winkel zwischen zwei Häusern unterkam und sich gleichwohl noch bedienen ließ. Wer den Missetäter, darunter durchaus auch schon unzüchtige Weiber, anspucken wollte, konnte dies also trotz der Beengtheit in dem betreffenden Winkel von allen Seiten tun, ohne nun wie ein Göpelgaul im Kreis laufen zu müssen. Er konnte ihn natürlich auch gefahrlos mit faulen Eiern oder Tomaten bewerfen. War etwa ein grüner Spitzenpolitiker und Kriegstreiber eingesperrt, durfte man aber nur zertifikierte Bio-Ware nehmen.

Ursprünglich lag der Sinn des Fluchens allerdings nicht darin, den Fluchenden, vielmehr den Verfluchten zu strafen. Man baute dabei sogar auf Fernwirkung. Gott würde schon helfen – wenn es ihm schon einmal mißlungen war, einen Planeten zu erschaffen, auf dem Gerechtigkeit waltet. Riefe ich heute per Handy Baerbock an, um sie als kriegsgeiles Weib zu verwünschen, würde natürlich gar nichts passieren. Außer, daß ich das Bundeskriminalamt und den zuständigen Staatsanwalt auf dem Hals hätte. Einige Seelenärzte weisen freilich darauf hin, man sollte die heilsame Innenwirkung des Fluchens oder Verwünschens nicht unterschätzen. Der Wutabfuhr bis hin zur Schmerzlinderung dienend, kann es sich mitunter ins Gegenteil verwandeln, den Segen. Bringt einen der Staatsanwalt dann, wegen der Baerbock, in den Bau, sitzt man wenigstens gesund und glücklich drin. Der Philosoph Spinoza und die nordamerikanische Mystikerin Renée Weber hätten sogar von »Seligkeit« gesprochen. Kommunarden kennen die Faustregel seit langem: kommen dir Dinge oder Verhältnisse in die Quere, die du nicht ändern kannst (zum Beispiel das Wetter oder das Weltwirtschaftsforum), mußt du deine Haltung zu ihnen ändern.

Selbstverständlich geht meinem alltäglichen Gefluche jede erlauchte politökonomische oder kosmologische Kragenweite ab. Es ist schlicht und ergreifend kindisch. Ich verfluche meinen Tretroller, meinen Papi, die in tausend Körnern gewälzten Brote (die Körner springen zu 90 Prozent ab), die thüringische Landesregierung (speziell Bodo Ramelow) oder gar meine abtrünnige Geliebte, weil mir diese Dinge nicht so zu Willen sind, wie ich es gerne hätte. Und warum? Weil ich mich für den Nabel der Welt halte. Dabei hat mich Gott lediglich als Arschloch der Welt erschaffen. Das ist die nackte Wahrheit.
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