Dienstag, 19. Juli 2022
Schweinsblaseninsel
2017

Der Name ist ein Notbehelf, was vermutlich auch schon aus ihm hervorleuchtet. In Wahrheit hat diese Insel, auf der nach meiner Einschätzung ein durchaus fesselnder Roman spielen könnte, gar keinen Namen. Sie gilt noch nicht einmal als »Insel«. Dabei ist sie nachweislich von viel Wasser umgeben. Sie mißt ungefähr 7 mal 10 Kilometer. Ihre rund 300 BewohnerInnen, Kinder eingeschlossen, leben in drei auseinander liegenden Küstendörfern. Sie kennen keinen Namen für ihre Insel, weil sie kein anderes Land kennen. Sie kennen auch keine anderen Menschen. Die hügelige, teils bewaldete Insel liegt also irgendwo abgeschieden im Meer. Schiffe oder Flugzeuge kennt man dort allenfalls aus großer Entfernung – wie Kometen ungefähr.

Der Stand der insularen Technik entspricht in etwa dem europäischen von 1600. Es gibt ein kleines Erzvorkom-men, das zur Eisengewinnung dient (Jagdwaffen, Handwerkszeug, Kessel). Nachrichtentechnik gibt es nicht. Notfalls werden Läufer ausgeschickt, oder aus Freude. Soweit man zurückdenken kann, trat eigentlich noch nie ein wirklicher Notfall ein. Schließlich ist der Begriff der Invasion unbekannt, mangels denkbarer Eindringlinge, und für hausgemachte Umstürze ist man zu faul. In beschränktem Umfang wird Papier hergestellt, weil man (seit einiger Zeit) eine handschriftliche Chronik führt, die wichtige Ereignisse, Entdeckungen oder Erfindungen sowie Beschlüsse vermerkt. Sie liegt in drei Exemplaren auf die Dörfer verteilt vor, wegen Brand- oder Wassergefahr. Sie wird beim jährlichen Sommerfest der InsulanerInnen, das auch Vollversammlung ist, öffentlich vervollständigt. Möglicherweise dient sie in den Dörfern gelegentlich zur Unterrichtung der Kinder, aber auf keinen Fall in Schulen. Alle Bände und Exemplare der Chronik sind in Bergziegenleder gebunden. Zu den Delikatessen der Chronik – die zum Beispiel so gut wie nie von Verbrechen berichten kann, weil kaum welche vorkommen– zählt der Eintrag über einen Anschlag. Ein Insulaner hatte ein Exemplar der Chronik wutentbrannt angezündet, weil er sich darin übergangen fühlte. Man wollte ihn zunächst töten, aber dann zeigte er sich reuig und wurde zu einer Abschrift der ganzen Chronik verdonnert, Skizzen und Miniaturen eingeschlossen.

Beim einheimischen Klima könnte man sich an Elba erinnert fühlen, obwohl die »Schweinsblaseninsel« natürlich nicht im Mittelmeer liegt. Gleichwohl gibt es an ihrem Lageort weder Tropenschwüle noch Hurrikane. Während die Temperaturen im (überwiegend feuchten) Winter selten unter 10 Grad fallen, steigen sie im Sommer (eher trocken) selten über 28 Grad. Trotzdem werden Tom und Mark weitgehend auf den kostenlosen Anblick wippender Frauenbrüste verzichten müssen, sind doch entblößte Oberkörper außerhalb des Badens verpönt. Mit dem unerwarteten Eintreffen dieser beiden Männer dürfte ein beschlagener Autor das Romangeschehen eröffnen. Den Insulanern des Dorfes A., die nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen sind, stehen immerhin die Münder auf, weil ein riesiger, qualmender Vogel herandonnert. Es handelt sich, unter uns gesagt, um ein propellergetriebenes einmotoriges, zweisitziges Leichtflugzeug, das auf einer schmalen Landzunge der Insel notzulanden versucht. Das mißlingt. Die Maschine kracht am Ende der Landzunge vor einen Felsen und geht in Flammen auf. Kurz vorher gelang es allerdings den beiden Insassen, sich irgendwie aus dem Cockpit ins Wasser zu werfen. Es sind die schon erwähnten beiden Männer, die leicht verletzt geborgen werden. Der blondgelockte ältere, um 35, stellt sich als »Tom« vor. Er war der Pilot. Der dunkelhaarige jüngere, um 25, ist Toms Neffe »Mark«. Er wirkt etwas erschöpfter und verstörter als sein Onkel. Die Sprache der beiden versteht natürlich kein Mensch.

Wie Tom und Mark rasch aufgeht, sind sie bei Leuten gelandet, die sich vorwiegend als Jäger- und Sammler-Innen sowie FaulenzerInnen betätigen. Das letzte bedeutet, sie spielen auch viel, Musik eingeschlossen. Im Dorf C. gibt es zum Beispiel eine erstklassige Band, die neben verschiedenen Trommeln und Flöten zwei Marimbas einsetzt, eine tiefe, die den Baß ersetzt, und eine hohe. Bei diesen Marimbas werden die Töne durch unter den Klanghölzern angebrachte Kalebassen verstärkt. Dafür kennen die InsulanerInnen erstaunlicherweise keine Spielbälle, das ist wichtig. Bei all diesem Treiben herrscht Gleichberechtigung und Gelassenheit. Die Dörfer sind egalitär verfaßt und begreifen sich insgesamt als Einheit. Man besucht sich häufig, wohnt sogar oft für Wochen in einem Nachbardorf, und hilft einander aus. Von persönlicher Habe abgesehen, etwa ein paar Hemden, ein über dem Bett hängender Traumfänger oder ein reich beschnitztes Jagdmesser, ist alles Gemeineigentum. Habgier, Lokalpatriotismus und Konkurrenz sind weitgehend unbekannt. In der Sprache der InsulanerInnen – eine Sprache, die weder einen Namen für sich selbst noch ein Wort für so etwas wie eine »Sprache« kennt – gibt es selbstverständlich auch keine Wörter für Geld, Wert, Ware, Wohlstand, Ehrgeiz und dergleichen mehr.

Da die Verhältnisse gut überschaubar sind, kommen die InsulanerInnen nahezu ohne Vorschriften und Vertre-tungen aus. In der Regel finden in jedem Dorf nach dem gemeinsamen Frühstück kurze Arbeits- beziehungsweise Mußebesprechungen statt: wer macht heute was? Das Gemeinschaftshaus ist groß genug, um alle Dorfbewohner-Innen zu fassen, ansonsten rund, spitzdächig und aus in der Sonne gebrannten Lehmziegeln gebaut wie alle Häuser der Dörfer. Die Leitung der Plena geht reihum, was aus einer (markierten) Namenstafel ersichtlich ist. Die jeweilige Leiterin hat sich um eine gewisse Vorbereitung und Abkürzung zu bemühen; kein Palaver. Daneben werden zu wichtigen Fragen Gesprächsrunden angesetzt, die teils durch Kleingruppen vorbereitet werden. Den regen Austausch zwischen den drei Dörfern und die jährlichen Sommerfeste erwähnte ich bereits. Auch in diese Gepflogenheiten wird das neue Fußballspiel eingreifen. So könnten sich Tom und andere Besessene, die er für dieses Spiel gewonnen hat, in den Kopf setzen, das kleine Freilufttheater, das ungefähr auf Inselmitte in den Hügel liegt, zu einem echten »Stadion« zu erweitern. Mit der Konkurrenz fängt das Opfern an.

Wie man bereits erahnt, besteht die Grundidee des vorgeschlagenen Romanvorhabens darin, den kulturellen Horizont der aus der sogenannten Zivilisation notgelan-deten Gäste mit dem der Insel zu konfrontieren. Vielleicht sollte ich noch die Ernährungslage der Insel umreißen. Sie ist ausgezeichnet. Den Löwenanteil der Nahrung liefert das Meer durch Fische, die leicht zu fangen sind. Das gilt auch für Lachse, die jährlich die vorhandenen Bäche hinaufwandern. Manchmal bricht einer auch gern für nächtliches Flußangeln auf, um beispielsweise Aal, Zander und Karpfen nachzustellen und dabei von seiner gerade verreisten Geliebten zu träumen, oder es tun sich ein paar Leute zusammen, um nachts aufs Meer zu fahren, weil dann die Fische die Schleppnetze leichter übersehen. Der typische Insulaner ist, entgegen dem Vorurteil, so wenig Gewohnheits- wie Gesetzestier; er liebt die Abwechslung. Deshalb betreibt er auch keine Viehzucht, von etwas Imkerei einmal abgesehen. Warum mühsam ein Hausschwein mästen, wenn einem das Wildschwein, geschickt genug aufgespürt, fast in die Arme läuft, um das Dorf mit Braten, Borsten und eben mit seiner Blase zu beliefern? Übrigens jagen die Frauen nicht schlechter als die Männer; sie zimmern – und fußballern leider auch, wie sich zeigen wird. Hauptwaffe der JägerInnen sind Pfeil und Bogen. Fallen werden nur eingesetzt, sofern sie die Beute nicht quälen. Feuerwaffen sind unbekannt.

Als Haustiere könnte man allenfalls die Färberläuse, Kreuzspinnen und C-Hörnchen anführen. Die Färberläuse, woanders auch Cochenillen genannt, werden von ein paar Leuten des Dorfes A. (das an der Südküste liegt) auf einem kleinen Kakteenfeld gehalten. Sie geben ein prächtiges Karminrot ab, für Kleider oder Wolldecken beispielsweise, weniger für Fahnen. Die Kreuzspinnen, im mitteleuropä-ischen 20. Jahrhundert wegen ihres angeblichen »Rotationsprinzips« zum grünen Wappentier herabge-würdigt, bringen den Häusern der Inseldörfer Glück, wobei sie mit ihren in manchen Fensterhöhlen ausgespannten zierlichen Netzen sogar Gewitter fernhalten. Bleiben noch die C-Hörnchen. Sie tummeln sich hauptsächlich in der Gegend des Dorfes C., wie der Name bereits andeutet. Sie sind nämlich ausgesprochen musikliebend. Sobald die erwähnte Band auch nur eine Flöte anbläst, unterbrechen sie ihre paarweisen, spiralförmigen wilden Jagden um die Stämme der Eßkastanien, hocken sich auf den nächsten Holzstoß und machen mit gespitzten Pinselohren gespannt Männchen. Als Jagdobjekt sind sie selbstverständlich tabu.

Das galt bis zum Eintreffen der beiden weißhäutigen Männer auch für das einzige größere Raubtier der Insel, den Luchs. Unter den Bergziegenrudeln, die den Insulanern neben Fleisch Leder und Wolle lieferten, richtete er keinen nennenswerten Schaden an. Ein gut getarnter, oft regungslos verharrender echter Faulpelz, war er am Tage kaum zu sehen. Auf Beutezug ging er in der Morgen- und Abenddämmerung. Er griff aber niemals Menschen an, auch keine Kinder. Dann gab es noch die Aspisviper. Zwar war diese, 60 bis 90 Zentimeter lange einzige Giftschlange der Insel vorwiegend tagaktiv, doch die Dörfer und die Menschen mied auch sie. Man sah sie gelegentlich an sonnigen, steinigen Hängen. Im Winter hielt sie Starre. Aufgescheucht, floh und warnte sie in der Regel, statt sofort anzugreifen. Ein Biß von ihr war selten tödlich. Meist blieb die Vergiftung lokal, die Schmerzen waren aushaltbar. Man wußte auf der Insel einen wirksamen Kräuteraufguß gegen ihre Bißwunden.

Neben Eßkastanien und Kräutern unterschiedlichster Art bot die Insel Früchte wie Nüsse, Pflaumen, Oliven, Pilze, Muscheln in rauhen Mengen, man brauchte sie nur aufzulesen oder zu pflücken. Etwas mühsamer gestaltete sich die Kartoffelernte. Die Kartoffel war die einzige Frucht, die nennenswert angebaut wurde. Neben den Fischen stellte sie sogar die zweite Säule der Ernährung dar. Die Ernte im Herbst war stets ein Fest. Die Kinder trugen das vergilbte Kraut für Feuer zusammen, in deren Glut gleich ein paar Pfund Kartoffeln gebacken wurden. Die anderen Kartoffeln wurden eingekellert. Für den Transport der Ernte standen Kiepen, Körbe und verschiedene Schub- oder Ziehkarren zur Verfügung, vor die sich selbst die Kinder mit Begeisterung spannten. Zug- und Reittiere waren ja mit der Viehzucht entfallen. Als Haupttransportmittel zwischen den drei Dörfern dienten Boote, vor allem Kanus. Mit ihnen wurde natürlich auch gleich die Kunde von der Ankunft der Weißhäutigen in die Dörfer B. und C. gebracht.

Tom war in der anderen Welt Fußballstar und junger Lebemann gewesen. Er hatte gerade den Trainerposten eines Spitzenclubs übernommen. Seinen Neffen hatte er zu der vermeintlichen Spritztour (in Toms eigenem Flugzeug) als Belohnung für den frischen Doktor-Titel Marks eingeladen. Mark ist etwas handwerklicher und auch etwas kulturkritischer als sein Onkel geartet. Gelernter Elektriker, hatte er Informatik studiert und in »sozialen Netzwerken« mitgemacht. Ursprünglich wollte ich lediglich Tom auf der Insel absetzen; durch die Verdopplung der Gäste kann der Romanautor jedoch glaubwürdiger von den haarsträubenden westlichen Zuständen sprechen. Beispielsweise fühlt sich Mark von Gestalt und Hautfarbe der InsulanerInnen her an eine Flugreise nach Mumbai (früher Bombay) erinnert, die ihn ziemlich erschütterte. Ein größerer Gegensatz als zwischen der Insel und einer durch und durch verseuchten fernöstlichen 20-Millionen-Metropole ist sicherlich kaum denkbar. Für die InsulanerInnen selber ist er zudem völlig unvorstellbar. Davon abgesehen, wird der Kampf, der auf der Insel entbrennt, auch zu einer Spaltung zwischen Tom und Mark führen.

Ein Buch wirkt fast immer wie aus einem Guß geschrieben. In Wahrheit wird die Arbeit an ihm im Laufe von Wochen oder gar Jahren, ja selbst an nur einem Tage fortwährend unterbrochen, weil der Autor etwa zum Bäcker oder aufs Klo muß. In der zweiten Hinsicht muß ich für diese Skizze weitgehend passen. Man kann lesen, was man will, Peter Farb, Wolfgang Lindig, Jost Herbig zum Beispiel: um Kothaufen und Urinlachen machen sie alle einen mehr oder weniger großen Bogen – ob schamhaft oder einfach nur aus Schlamperei. Niemand verrät, wie und wo der Jungsteinzeitler oder die Aztekin aufs Klo ging. Diesseits allen westlichen Hygienefimmels lauern in unseren Ausscheidungen möglicherweise wenig Gesundheits-gefahren; Urin wird ja sogar streckenweise als Heilmittel empfohlen. Immerhin erwähnt Herbig einmal, es habe lange gedauert, bis der Neandertaler auf die Idee kam, seine Küchenabfälle nicht kurzerhand auf den Höhlenfußboden fallen zu lassen, wo sie natürlich Ungeziefer, Schimmelpilze, Ratten und dergleichen, und damit Bakterien in Scharen anzogen. Vielleicht war er wenigstens so nett, seine Kotwürste nicht auf die Pantoffeln seiner Hausfrau, sondern draußen von irgendeinem Donnerbalken auf die erstarrte Aspisviper fallen zu lassen. Das brachte ihm hin und wieder mindestens einen Schnupfen oder Rheumatismus ein. Aber diese »Scham«, wie sie die InsulanerInnen an den beiden Weißhäutigen beobachteten, kannte er wohl kaum.

Gottseidank lebten die InsulanerInnen nicht mehr in der Eiszeit, und so nehme ich einmal an, sie waren sozusagen von Hause aus ziemlich gesund. Andererseits ist man natürlich nirgends vor heimtückischen Krankheiten oder Unfällen oder vor den bekannten Zeitbomben namens Zähne gefeit, die ein jeder Mensch zeitlebens mit sich herumschleppt, solange er noch welche hat. Wahrschein-lich gibt es auf meiner Insel nur Volksmedizin; keine Spezialisten. Ist einmal eine Operation erforderlich, wird sie ohnehin von mehreren Leuten vorgenommen; eventuell Beiziehung aus anderen Dörfern. Mit Tom und Mark mag die Insel Glück haben, sonst können wir den Roman gleich vergessen. Denn was wäre heimtückischer, als bei einem solchen Besuch Pocken, Syphilis oder Aids einzuschlep-pen? Wobei ich mich bislang vergeblich frage, wo eigent-lich die erste, dann ansteckende Geschlechtskrankheit der Menschen hergekommen sein soll. Wenn doch ursprünglich alles gesund war? Außer den israelitischen Königen und Propheten? Vielleicht kam sie ebenfalls von Gott, wie das Mana und die israelitische Atombombe.

Man könnte sich hämisch fragen, ob die beiden Besucher nicht gesucht würden. Nun, im Prinzip schon, aber nicht in der Gegend der Insel, hatten sich die Männer doch völlig verflogen. Und ihre Handys zerschmolzen in den Flammen. Sie müssen also notgedrungen bleiben. Was ihr Vorleben bedeutet, werden sie trotz rascher Fortschritte im Erlernen der Inselsprache kaum klarmachen können. Aber sie können es zumindest teilweise demonstrieren. Was Fußballstar Tom angeht, findet er den Müßiggang, die Anspruchslosigkeit und die losen Sitten der Insulaner-Innen zwar zunächst »ganz witzig«, wie auch diese seine seltsamen Andeutungen über westlich-kapitalistische Lebensart »zum schießen« finden. Aber das bleibt eine Dreitagegrille. Dann zeigt sich, der hünenhafte, weißhäutige Draufgänger, der bereits sein 180.000 Euro schweres Flugzeug gegen den Felsen fuhr, kann oder will sich diese merkwürdige Zufriedenheit der InsulanerInnen auf keinen Fall zu eigen machen. Er ist chronisch managerkrank, daneben selbstverständlich eitel. Das führt natürlich zu gewissen Konflikten. Den einen oder anderen Insulaner, Frauen eingeschlossen, kann er vielleicht durch seinen von blonder Lockenpracht gekrönten athletischen Körper betören, nicht jedoch durch seine Besserwisserei. Allerdings heimst er weite Sympathien ein, als er den Insulanern zeigt, wie man, aus Leder, einen Fußball anfertigt und wie man damit spielt. Eben die Lederhülle dieses Fußballs wird mit der titelgebenden Schweinsblase gefüllt, ehe die Blase ihrerseits aufgeblasen und abgeknotet und die Hülle (mit Nadel und Faden) geschlossen wird.

Neffe Mark, nicht ganz so dunkelhaarig wie sämtliche Einheimische, erwärmt sich zunehmend für das Inselleben, obwohl er einiges zu leiden hat. So hat er Heimweh, verliebt sich unglücklich und erlebt Reinfälle mit »Erfindungen«. Auf die Frage der Liebe werde ich wohl noch irgendwie eingehender zurückkommen müssen. Was die Fußballwelle angeht, schwimmt Mark zunächst auf ihr mit. Viele InsulanerInnen, vor allem junge, begeistern sich für das neue, von Tom zündend eingeführte Spiel. Die gewohnte Lebensordnung gerät ins Wanken, zumal sich einige InsulanerInnen auch Toms Normen des Bewunderns, des Siegens, des Wachstums, des Übervorteilens, des erbarmungslosen Wettstreits – kurz des Fußballkrieges zu eigen machen. Dem fallen sogar erste Luchse der Insel zum Opfer, hatte Tom doch die großartige Idee, Kleidungsstücke aus Luchspelz und Schmuck aus Zähnen oder Klauen des Tieres in Prämien, in Geld also zu verwandeln. Das wäre die zweite Grundidee: die drei Inseldörfer bekämpfen sich immer erbitterter, schaden dem »Gegner«, wo es nur geht, bis hin zur drohenden Ausrottung nicht nur des Luchses sondern auch der InsulanerInnen.

Den Ausgang der Geschichte überlasse ich anderen. Vielleicht entscheiden sie sich tatsächlich mutig für die vollständige gegenseitige Vernichtung bis zum letzten Ersatztorwart. Das wäre immerhin im Sinne von Heike Zuberdorf und ihres verdienstvollen, wenn auch verdammt kurzlebigen Bundes für die Abdankung der Menschheit. Mir persönlich wäre freilich die Lösung lieber, auf der Höhe des Kampfes, nach schon etlichen Opfern, eine Umkehr zu bewirken, indem man Einpeitscher Tom von Verschworenen isolieren, bloßstellen, notfalls töten läßt. Auf deren Seite schlägt sich nach einigem Zögern auch Mark. Vielleicht tobt der Kampf lediglich zwischen den Inseldörfern B. und C., weil Tom aus A. verjagt wurde oder dem Ruf einer neuen Geliebten folgte, die seinen Plänen aufgeschlossener gegenüber steht. Aus A. käme schließlich die Initiative, ihn kaltzustellen und die Nachbardörfer wieder zur Vernunft zu bringen. Vielleicht setzt man Tom am Ende mit vereinten Kräften, nebst Vorräten, in ein Kanu und schiebt ihn dann, in einer entsprechenden Strömung, aufs offene Meer hinaus. Soll er doch, wenn nicht von Dritten gerettet, kämpfen, das wollte er ja stets.
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