Donnerstag, 14. Juli 2022
Mozart, Wolfgang Amadeus

35 (1756–91). Falls es ohne Genie nicht geht, ist es neben Fleiß Gedächtnis. Das vom Vatikan sorgsam vor »Raubkopien« behütete Miserere von Allegri, eine um 1635 entstandene neunstimmige Psalm-Vertonung, soll der 14jährige Mozart 1770 bei einem Romaufenthalt zum Mittwochsgottesdienst gehört und anschließend aus dem Kopf korrekt aufgeschrieben haben. Unter Fachleuten ist es auch ein offenes Geheimnis: der klassische Komponist hatte keine Hemmungen, sich ausgesprochen viele Gattungen und Stile anzuverwandeln. Wie bei solchem »Abschreiben« »Eigenes« entstehen kann, hat vor etlichen Jahren einmal Blueschampion John Mayall in einem Interview erläutert: Mit der Zeit eigne sich der Nachah-mende derart viele verschiedene Dinge an, daß er nicht mehr wie die Kopie des einen oder anderen Musikers klinge. Er schneidet die Diebstähle auf sich zu. Irgendwann scheinen all die geklauten Kniffe, Phrasen, Stücke demselben Handgelenk oder Hals entsprossen.

Allerdings hatte sich Mozart dabei etwas mehr zu sputen als der britische Rockstar, der zur Stunde bereits die 90 angreift. Bekanntlich wurde Mozart nur 35, wobei bis heute, allen Forschungsexzessen zum Trotz, nicht geklärt werden konnte, warum der angesehene Wiener Komponist am 5. Dezember 1791 nach einigen Wochen Bettlägerigkeit seinen »genialen« Geist aufgab. Während der Totenbeschauer etwas von einem »hitzigen Frieselfieber« murmelte, warfen andere BeobachterInnen ungefähr alles in die Waagschale, was man so kennt, vom Rheuma über die Syphilis bis zum beliebten gummiartigen Herzversagen. Mozart selber glaubte, jemand habe ihn vergiftet, aber es fanden sich leider keine hinreichenden Mordmotive, geschweige denn Beweise. Für Gerd Reuther lag er damit gleichwohl gar nicht so schief. Der zeitweise in Wien lehrende Mediziner hält es für wahrscheinlich, »die Ursache des Nierenversagens« bei dem Bettlägerigen sei die damals europaweit verbreitete »Gefälligkeitsver-schreibung« von Quecksilber zur Behandlung einer Syphilis gewesen.*

An Unterernährung kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Die angebliche Armut des schmächtigen Genies entpuppte sich in neuerer Zeit als Märchen aus der Deutschen Romantik. Wie wir spätestens seit Günther G. Bauers 2009 erschienenen Studie über Mozarts finanzielle Verhältnisse wissen**, trug der von zahlreichen Dienstboten, Hunden, Reitpferden umtänzelte Komponist stets elegante Kleidung, und ein Zimmer seiner ausgedehnten jeweiligen Wiener Wohnung war traditionell für das eigene Billard reserviert, damals ein wahrer Luxus. Möglicherweise war Mozart auch spielsüchtig und unter anderem deshalb oft in Geldverlegenheiten. Eigentlich war er Großverdiener. Er verfügte über ein Jahreseinkommen von rund 5.000 Gulden, was nach heutiger Kaufkraft etwa 150.000 Euro entspricht. Zum Vergleich listen die ForscherInnen um Bauer den Kollegen Joseph Haydn mit 2.000 Gulden auf, einen Universitätsprofessor mit 300, einen Schulmeister mit 22 und Mozarts Dienstmädchen (egal welches) mit 12 Gulden pro Jahr. Das ist wacker von den Forschern; trotzdem darf man getrost darauf wetten, den Sprung in ein sogenanntes seriöses Nachschlagewerk wird nicht eines von Mozarts Dienstmädchen jemals schaffen. Sind deren Dienste auch zweifellos in die Zauberflöte oder die Spatzenmesse eingegangen: nach dem Mayallschen Gesetz merkt es keiner.

Der Wiener Komponist Franz Xaver Süßmayr, zuletzt auch rechte Hand des Kapellmeisters Joseph Weigl vom Theater am Kärntnertor, wurde nicht nennenswert älter als Mozart. Er hatte jedoch das Glück, 10 Jahre jünger zu sein, weshalb er sich nach Mozarts Ableben zum Vollender von Mozarts Requiem (in D-Moll) erheben konnte. Vielleicht hatte auch die liebe Witwe Constanze Mozart ihre fürsorgliche Hand im Spiel, halten sich doch hartnäckig Gerüchte, sie hätte etwas mit dem Freund des Hauses gehabt – möglicherweise sogar den angeblichen Mozartsohn Franz Xaver Wolfgang, geboren 1791. Süßmayr hatte Constanze zum Beispiel wiederholt zur Kur nach Baden (bei Wien) begleitet. Er sollte nämlich »auf sie aufpassen«, wie der vielbeschäftigte Gatte angeblich glaubte. Zu dieser Theorie würde es natürlich ausgezeichnet passen, wenn Mozart vergiftet worden wäre, eben durch Süßmayr, doch dann gibt es wieder Quellen, die bei dem Wiener Hausfreund und Schlawiner eher homosexuelle Neigungen beobachtet haben wollen. Bei seiner Ergänzung des Requiems konnte er, so wie es angelegt war, vielleicht nicht viel falsch machen; sie wird, in der Aufführungspraxis, meistens gebilligt. Angeblich beruht sie auf Skizzen und im Todeskampf gehauchten Anweisungen des Meisters persönlich. Süßmayrs eigene Werke unterscheiden sich nach Ansicht etlicher Sachkundiger von Mozarts Werken ungefähr wie ein kugelbäuchiges Shetlandpony von Mozarts Reitpferd. Aber wer weiß, ob Süßmayr nicht im Alter noch gewachsen wäre. Er erlag 1803 mit wahrscheinlich 37 Jahren einer Krankheit – vielleicht der Tuberkulose. Damit zum nächsten Wunderkind.

Es handelt sich um den »spanischen«, für manche auch nur »baskischen Mozart« Juan Crisóstomo de Arriaga. 1806 in betuchtem musischem Hause geboren, wurde seine erste Oper (Los Esclavos felices, Die glücklichen Sklaven) mit Erfolg in seiner Heimatstadt Bilbao aufgeführt, als er 15 war. Da sein Hauptinstrument die Geige war, konnte er, neben manchem anderem, selbst einer Sinfonie, auch noch drei Streichquartette schreiben – und hinterlassen, ehe er 1826 in Paris mit knapp 20 Jahren der Tuberkulose und wohl auch seinem rastlosen Schaffen zum Opfer fiel. Zu diesem Zeitpunkt war er am dortigen Konservatorium bereits Assistent in François-Joseph Fétis' Kompositionsklasse gewesen. Die ein Jahr zuvor veröffentlichten Streichquartette gelten als Arriagas Hauptwerke. Fétis versicherte damals, man werde keine Schöpfung finden, die »origineller, eleganter und von größerer stilistischer Reinheit« sei. Die Quartette sollen streckenweise an Schubert erinnern, ohne daß man Arriaga bislang eine Bekanntschaft mit dessen Werken nachweisen konnte. 1890 wurde Bilbaos wichtigstes Theater nach dem Frühverstorbenen benannt.

Der Wiener Komponist Franz Schubert ist berühmt genug, um hier nur gestreift zu werden. Er starb 1828 mit 31 Jahren. Für den Hamburger Mediziner Timm Ludwig*** ist die »Diagnose« der Todesursachen in Schuberts Fall nahezu geklärt. Zwar besage der tradierte Ausdruck »Nervenfieber« lediglich, dem Tod sei eine Bewußtseins-störung vorausgegangen – doch entscheidend sei die Syphilis-Erkrankung, mit der sich Vielschreiber Schubert seit rund sechs Jahren bekanntermaßen abgeplagt habe (häufig Schwindel, Kopfschmerz usw.). Daneben muß Schubert freilich auch Vielesser, -säufer und -raucher gewesen sein. Alles zusammen habe, die »katastrophalen Wiener hygienischen Verhältnisse« eingerechnet, sicherlich für geringe Abwehrkraft gesorgt. Wahrscheinlich habe ihm in jenem Winter eine »Infektion mit Abdominaltyphus« den Rest gegeben. Hier sei die »aus heutiger Sicht absurde Therapie« mit einem Aderlaß natürlich »fatal« gewesen. Dr. med. Ludwig, ein Anästhesiologe, gestattet sich noch ein bemerkenswert fachfremdes Schlußwort: »Der tiefreligiöse Pazifist Schubert hatte die Courage, seine Verachtung für Metternichs Polizeistaat und die damit kollaborierende katholische Kirche offen zu zeigen. Das hat ihm Verhaftung, Bespitzelung, berufliche Chancenlosigkeit eingetragen und, über seinen frühen Tod hinaus, bis heute, perfide Verkitschung zum weinseligen Liedermacher.«

* Heilung Nebensache. Eine kritische Geschichte der europäischen Medizin von Hippokrates bis Corona, München 2021, S. 68
** Buchausgabe: Günther G. Bauer, Mozart – Geld, Ruhm und Ehre, Bad Honnef 2009
*** »Tödliche Krankheit, unsterbliche Musik«, Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 47, 21. November 1997: https://cdn.aerzteblatt.de/pdf/94/47/a3195-6.pdf

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