Montag, 11. Juli 2022
Pflaster (Straßenbau)
2022


Die mit Steinen mehr oder weniger ordentlich gepflaster-ten Dorf- oder gar Landstraßen in meiner Zwergrepublik Mollowina dürften (um 1900) schon ein beachtlicher Fortschritt gewesen sein. Auf Robert Merles Insel hatte man sich in schweren Regenzeiten noch mit mühsam herangekarrten, einigermaßen breiten und flachen losen Steinen beholfen, die man, mitunter sogar zweistöckig, auf die schlammigen Dorfpfade legte. Das wird ein rechter Eiertanz gewesen sein. Aus zwei anderen Romanen erfuhr ich neulich zu meiner Verblüffung, sowohl im Chicago der 1890er Jahre wie in Petrograd um 1917 seien viele Straßen holzgepflastert gewesen. Ich wünschte Genaueres zu wissen und bemühte das Internet. Danach wurden bei diesem Pflaster Würfel aus Weichholz in der Richtung ihrer Fasern in den Sand gebettet. Auf die Oberflächen mit den Jahresringen wurde dann noch einmal Sand gestreut, den die Schuhe und Hufe alsbald ins Holz eintraten. Das habe sowohl die Haltbarkeit der Würfel erhöht wie die Rutschgefahr für Mensch und Tier vermindert, heißt es. Dadurch soll das Pflaster immerhin sieben Jahre gehalten haben. Für Steinpflaster nimmt man eher 100 Jahre an, bei guten Unterbauten auch 1.000, wie etwa die römische Via Appia beweist. Warum man im Mittleren Westen der Staaten zu Holzwürfeln griff, kann ich nur mutmaßen: Holz war häufiger und leichter als Stein, deshalb auch billiger, lebte man doch bereits im Kapitalismus. Auch mit Ästhetik und Tourismus ließ sich damals noch kein Geld verdienen. Denn dieses mit Sand und Kot zugesetzte Holzpflaster kann ja weißgott keine Augenweide gewesen sein.

Bei den gepflasterten Fernstraßen des Römischen Reiches trug ein mehrschichtiger Unterbau ungefähr 25 Zentimeter dicke Steinplatten aus Lava oder Basalt. Die Straßen-dämme waren nicht selten zwei Meter hoch, was den zweifelhaften Vorteil hatte, sie auch als Stellung bei feind-lichen Angriffen benutzen zu können. Selbstverständlich waren sie in erster Linie Heerstraßen. Entsprechend verliefen sie oft auf halber Höhe des jeweiligen Geländes. Auf der Talsohle hätte der Troß nichts gesehen, auf dem Kamm hätte man ihn gesehen. Neben hohen Meilen-steinen – auf denen sich nur zu gerne BaugeldstifterInnen namentlich verewigen ließen – waren die Straßenränder mit Aufsitzsteinen gespickt, kamen doch die Steigbügel in Europa erst um 700 n.Chr. auf. Erbauer der Straßen waren neben Häftlingen und Sklaven oft Soldaten, denn so viele Kriege, um die vielen Legionäre ständig in Atem zu halten, konnten selbst die Cäsaren nicht führen. BenutzerInnen waren gelegentlich auch nichtuniformierte Fußgänger, für die es, ihren Bandscheiben zuliebe, beiderseits des Straßendamms eingefaßte Trampelpfade gab. Die marschierenden Legionäre trampelten nicht, wie sich versteht – sie erfanden auf dem holprigen Straßenpflaster den Vorläufer des preußischen Stechschritts, wenn ich meinen Quellen trauen kann. Zweck der Übung war, nicht über die kleinen Stufen im Pflaster zu stolpern und damit schon kampfunfähig zu sein, bevor der Feind zum Angriff bläst – ob vom Kamm oder der Talsohle aus.

Bekanntlich kehrt der »Trend« in jüngerer Zeit wieder zum Pflaster zurück, auf daß die Bio-Welle einen gefälligen Unterbau gewinne. Meine Haltung dazu ist gespalten. Unter ästhetischem Blickwinkel begrüße ich den Trend, weil jeder, der Normierung und Globalisierung haßt, auch Asphalt hassen muß. Ich streiche hier nur das Spiel von Licht, Schatten und Farben hervor, durch das uns ein Kopfsteinpflaster aus Granit oder Basalt, je nach Wetter und Tageszeit, erfreuen kann, ohne auch nur ein Watt Strom zu verbrauchen. Dafür fressen die Geräte und Maschinen, die beim Asphaltieren eingesetzt werden, wenn nicht Strom dann Unmengen an Benzin und Öl, und auch die Geräte und Maschinen selber fallen nicht vom Himmel. Als Freund der Gesundheit, des Fahrradfahrens und der Greise dagegen kann ich ein solches Pflaster nur knochenbrecherisch nennen. Ist der Greis bereits ertaubt, hat er Glück, weil ihn zumindest die akustischen Nachteile eines Straßenpflasters nicht mehr zum Amokläufer werden lassen können. Das Natur-Pflaster verstärkt Geräusche von Fahrzeugen aller Art ungemein. Das räumte sogar der Schriftsteller Heinz Jäckel ein, Konräteslust. Der Pferdenarr wohnte in der DDR-gepflasterten Bahnhofstraße.

Ich höre die Mahnung, wer sich mit Pflaster befasse, dürfe dessen hohen »Gefühlswert« nicht vernachlässigen. Es wirke auf viele Menschen viel »anheimelnder« als Beton oder Asphalt. Ich nehme einmal an, die MahnerInnen schließen unter »Pflaster« nicht das inzwischen sattsam bekannte genormte, künstliche Doppel-T-Verbundpflaster aus Beton ein, auch »Knochensteine« genannt, wohl allen Hundehaltern zuliebe, die es zurecht bescheißen lassen. Hier griffe jene Anheimelung, die unser Vorstellungsbild sofort mit anderen, eben aus der Heimat vertrauten Merkmalen zu bepflastern weiß, ersichtlich ins Leere beziehungsweise Fugenlose. So aber trottet das dickbäuchige Kaltblutpferd in seiner Deichsel, hockt der Knirps in Lederhose gegrätscht über einer Pfütze, schimmert das Laternenlicht zugleich auf dem Kopfsteinpflaster und auf dem goldenen Haar unserer Tanzstundendame, die wir nach Hause begleiten durften. Ich vermute stark, wegen dieser verbundhaften Bepflasterung im Geiste ist die Faustregel je älter, desto schöner so beliebt. Sie führt uns schnurgerade in das krumme Fachwerkhaus zurück, in dem wir geboren, gewiegt und in die erwähnte Lederhose gesteckt wurden, auf daß uns nichts ankratze. Hätte ich Enkel, fänden sie in ungefähr 40 Jahren wahrscheinlich die dann längst veralteten Handys, Quads und freistehenden, lärmenden Luftwärmepumpen anheimelnd.

→ Auf meiner Platte Nie wieder Lieder III (2012) kommt sogar ein Pflasterer vor: In einer Seitenstraße
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