Sonntag, 10. Juli 2022
Jedenfalls Trompetenhals
ziegen, 16:40h
2022
Mein Großvater Heinrich, ein Volksschullehrer, Schrebergärtner und strammer Wandersmann, war zusätzlich ein hartnäckiger Reimer. Ein Familien- oder Verbandsfest ohne seine mehr oder weniger holprigen, humorigen Verse war undenkbar. Hauptsache, gereimt. Mich schon als Knabe zu fragen, was uns eigentlich am Reim so betört, wäre vielleicht zuviel verlangt gewesen. Also eiferte ich meinem Großvater kurzerhand nach. Keine Schülerzeitung war vor meinen holprigen, humorigen Versen sicher. Später, wohl noch in maoistischen Nachwehen liegend, verbrach ich ein furchtbares langes Gedicht auf einen Förderturm der stillgelegten Bochumer Zeche Hannibal, der sich zunächst seiner Sprengung widersetzt hatte. Das dürfte 1974 gewesen sein. Damals wohnte ich auch noch in Bochum, wo ich zeitweilig Berufsrevolutionär gewesen war. Wenn ich mich richtig erinnere, war der Turm erst im dritten Anlauf in die Knie gegangen – was ja wohl eindeutig für die tiefen Wurzeln und die baldige Wiederkehr des proletarischen Aufbegehrens sprach! Pustekuchen.
Am Reim betören einige edle Züge, die uns in der Realität nur selten oder nie gewährt werden. Zum Beispiel den Gleichklang des Proletariats … Das Aufgehen einer Rech-nung. Stimmigkeit, Nachvollziehbarkeit, Übersichtlichkeit. Kurz, der Reim schafft Ordnung. Das stellt gerade auf seinem Herkunftsgebiet, der Sprache, eine wahre Labsal dar, sehen wir doch von Afghanistan bis Ukraine nichts als heillose Verwirrung, Betrug und Spaltung. Die Soldaten sprengen Brücken und Fabriken, nie dagegen Lügengebäude.
Das Schönste an jeder Ordnung ist: wir wissen, warum sie so ist, wie sie ist. Schließlich haben wir sie selber gemacht: die Religion, den Staat, die Ausweis-, Schul- und Impfpflicht, den Kalender, die Uhrzeit, die schwachsinnige »Sommerzeit« und so weiter. Sogar die bekannten, angeblichen »Naturgesetze« sind auf unserem eigenen Mist gewachsen. Ob sie wirklich vorhanden sind oder welche Reichweite sie haben, kann kein Mensch sagen. Hauptsache, sie funktionieren. Bei uns. In unseren Maschinen. Das hindert aber ein Heer von hochqualifi-zierten Astrophysikern nicht daran, im Hinblick aufs Universum oder auf die Gesamtheit aller Universen mit irdischen Kategorien Marke »Raum«, »Zeit«, »Geschwindigkeit«, »Richtung« wie mit Eierlöffeln oder Vorschlaghämmern zu hantieren.
Statt Ordnung wird auch oft Notwendigkeit gesagt. Beider Widersacher ist ein Phänomen, das wir meistens Zufall nennen. Von diesem wissen wir im Grunde nicht mehr, als daß er selten glücklich, in der Regel ärgerlich ist. Er stiftet viel Verwirrung. Was Wunder, wenn jeder Mensch auch grundsätzlich lieber notwendig statt zufällig wäre. Allerdings behaupten inzwischen die meisten »Evolutions-forscherInnen«, die größte Rolle bei der Entstehung von Arten spielten zufällige Genmutationen, und nicht etwa ausgeklügelte göttliche Pläne à la Illusion Fortschritt. Auf jene zufälligen Sprünge führen sie auch die schon früher gestreifte altsteinzeitliche »Explosion« unseres Gehirns zurück. Deshalb seien wir alles andere als eine Krone der Schöpfung, eher deren x-tes Magengeschwür.
Das Dumme ist nur: alle Verweise auf zufällige Anlässe oder Beweggründe erklären so gut wie nichts. Warum sprang denn das Gen? Warum verläuft ein zufälliges, chaotisches Geschehen so und nicht vielmehr anders ab? Dies alles liegt im Nebel, und in der Tat ist es uns nicht gegeben, uns mehr als völlig verschwommene Vorstellungen von nicht-notwendigen Vorgängen zu machen. Da sind ein Staat, ein gereimtes Gedicht oder eine Oktave doch etwas ganz anderes. Bei dieser fand irgendein Steinzeitler, falls es keine Frau war, plötzlich das kleine c im eingestrichenen c' wieder. Ja, das ist Ordnung.
Jetzt fängt draußen wieder dieser idiotische Buchfink zu schmettern an. Während seine Artgenossen ihren »Gesang« meistens in dem Schnörkel Gewürzbier auslaufen lassen, hat mich dieser Vertreter zu dem Gedicht angeregt: »Ja, das ist Sirédio / wird wohl nie des Lebens froh.« Ich hoffe, Sie sind beeindruckt. Um 1977 ziemlich unvermutet auf dem Weg zum Liedermacher, kam ich »natürlich« auf meine frühe Reimlust zurück. Immerhin war ich aber im folgenden klug genug, auf Schmarren wie »Herz/Schmerz« zu verzichten und meine Reime stattdessen mehr oder weniger »unsauber« zu halten. Das empfand ich als bedeutend raffinierter. Doch genau diese Unsauberkeit (in meinen um 2012 aufgenommenen Zwergliedern) warf mir neulich ein Berliner Chorleiter als »Stümperhaftigkeit« vor! Das war vielleicht das Todes-urteil für Liedtexte der folgenden Sorte: >>Meine Flöte ist ein Notbehelf, denn viel lieber säng ich aus eigenem Hals. Doch erwartet man in diesem Fall alle Töne schön in Bedeutung gewälzt. Hab schon gebetet um einen Liedtext, der mir womöglich aus dem Glied wächst.<<
Die Noten können Sie gerne anfordern. Sie werden sehen, die »holprigen« Worte sind gar nicht so ungeschickt auf die hübsche Melodie geschneidert.
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Mein Großvater Heinrich, ein Volksschullehrer, Schrebergärtner und strammer Wandersmann, war zusätzlich ein hartnäckiger Reimer. Ein Familien- oder Verbandsfest ohne seine mehr oder weniger holprigen, humorigen Verse war undenkbar. Hauptsache, gereimt. Mich schon als Knabe zu fragen, was uns eigentlich am Reim so betört, wäre vielleicht zuviel verlangt gewesen. Also eiferte ich meinem Großvater kurzerhand nach. Keine Schülerzeitung war vor meinen holprigen, humorigen Versen sicher. Später, wohl noch in maoistischen Nachwehen liegend, verbrach ich ein furchtbares langes Gedicht auf einen Förderturm der stillgelegten Bochumer Zeche Hannibal, der sich zunächst seiner Sprengung widersetzt hatte. Das dürfte 1974 gewesen sein. Damals wohnte ich auch noch in Bochum, wo ich zeitweilig Berufsrevolutionär gewesen war. Wenn ich mich richtig erinnere, war der Turm erst im dritten Anlauf in die Knie gegangen – was ja wohl eindeutig für die tiefen Wurzeln und die baldige Wiederkehr des proletarischen Aufbegehrens sprach! Pustekuchen.
Am Reim betören einige edle Züge, die uns in der Realität nur selten oder nie gewährt werden. Zum Beispiel den Gleichklang des Proletariats … Das Aufgehen einer Rech-nung. Stimmigkeit, Nachvollziehbarkeit, Übersichtlichkeit. Kurz, der Reim schafft Ordnung. Das stellt gerade auf seinem Herkunftsgebiet, der Sprache, eine wahre Labsal dar, sehen wir doch von Afghanistan bis Ukraine nichts als heillose Verwirrung, Betrug und Spaltung. Die Soldaten sprengen Brücken und Fabriken, nie dagegen Lügengebäude.
Das Schönste an jeder Ordnung ist: wir wissen, warum sie so ist, wie sie ist. Schließlich haben wir sie selber gemacht: die Religion, den Staat, die Ausweis-, Schul- und Impfpflicht, den Kalender, die Uhrzeit, die schwachsinnige »Sommerzeit« und so weiter. Sogar die bekannten, angeblichen »Naturgesetze« sind auf unserem eigenen Mist gewachsen. Ob sie wirklich vorhanden sind oder welche Reichweite sie haben, kann kein Mensch sagen. Hauptsache, sie funktionieren. Bei uns. In unseren Maschinen. Das hindert aber ein Heer von hochqualifi-zierten Astrophysikern nicht daran, im Hinblick aufs Universum oder auf die Gesamtheit aller Universen mit irdischen Kategorien Marke »Raum«, »Zeit«, »Geschwindigkeit«, »Richtung« wie mit Eierlöffeln oder Vorschlaghämmern zu hantieren.
Statt Ordnung wird auch oft Notwendigkeit gesagt. Beider Widersacher ist ein Phänomen, das wir meistens Zufall nennen. Von diesem wissen wir im Grunde nicht mehr, als daß er selten glücklich, in der Regel ärgerlich ist. Er stiftet viel Verwirrung. Was Wunder, wenn jeder Mensch auch grundsätzlich lieber notwendig statt zufällig wäre. Allerdings behaupten inzwischen die meisten »Evolutions-forscherInnen«, die größte Rolle bei der Entstehung von Arten spielten zufällige Genmutationen, und nicht etwa ausgeklügelte göttliche Pläne à la Illusion Fortschritt. Auf jene zufälligen Sprünge führen sie auch die schon früher gestreifte altsteinzeitliche »Explosion« unseres Gehirns zurück. Deshalb seien wir alles andere als eine Krone der Schöpfung, eher deren x-tes Magengeschwür.
Das Dumme ist nur: alle Verweise auf zufällige Anlässe oder Beweggründe erklären so gut wie nichts. Warum sprang denn das Gen? Warum verläuft ein zufälliges, chaotisches Geschehen so und nicht vielmehr anders ab? Dies alles liegt im Nebel, und in der Tat ist es uns nicht gegeben, uns mehr als völlig verschwommene Vorstellungen von nicht-notwendigen Vorgängen zu machen. Da sind ein Staat, ein gereimtes Gedicht oder eine Oktave doch etwas ganz anderes. Bei dieser fand irgendein Steinzeitler, falls es keine Frau war, plötzlich das kleine c im eingestrichenen c' wieder. Ja, das ist Ordnung.
Jetzt fängt draußen wieder dieser idiotische Buchfink zu schmettern an. Während seine Artgenossen ihren »Gesang« meistens in dem Schnörkel Gewürzbier auslaufen lassen, hat mich dieser Vertreter zu dem Gedicht angeregt: »Ja, das ist Sirédio / wird wohl nie des Lebens froh.« Ich hoffe, Sie sind beeindruckt. Um 1977 ziemlich unvermutet auf dem Weg zum Liedermacher, kam ich »natürlich« auf meine frühe Reimlust zurück. Immerhin war ich aber im folgenden klug genug, auf Schmarren wie »Herz/Schmerz« zu verzichten und meine Reime stattdessen mehr oder weniger »unsauber« zu halten. Das empfand ich als bedeutend raffinierter. Doch genau diese Unsauberkeit (in meinen um 2012 aufgenommenen Zwergliedern) warf mir neulich ein Berliner Chorleiter als »Stümperhaftigkeit« vor! Das war vielleicht das Todes-urteil für Liedtexte der folgenden Sorte: >>Meine Flöte ist ein Notbehelf, denn viel lieber säng ich aus eigenem Hals. Doch erwartet man in diesem Fall alle Töne schön in Bedeutung gewälzt. Hab schon gebetet um einen Liedtext, der mir womöglich aus dem Glied wächst.<<
Die Noten können Sie gerne anfordern. Sie werden sehen, die »holprigen« Worte sind gar nicht so ungeschickt auf die hübsche Melodie geschneidert.
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