Freitag, 8. Juli 2022
Krankenbesuch
ziegen, 12:49h
Um 2007
Nach zwei Tagen hatte Max die unangenehme Arbeit des Abdeckens hinter sich – Teerpappe auf Nut- und Feder-brettern – und löste mit dem Kuhfuß die ersten Dachsparren. Sie neigten sich geringfügig talwärts. Die Kreisstadt unten summte in mildem Märzlicht. Frau Römhilds Obstbäume zeigten bereits Knospen. Ihre Hühner scharrten teils im Gras, teils unter Max in dem sandigen Fußboden des ehemaligen Fahrzeugunterstands, den er gerade abschlug. Hier hatten sie auch Kuhlen zum Sandbaden oder Dösen. Sie waren weder scheu noch argwöhnisch. Hatten sie Pech, fiel Max der Kuhfuß aus der Hand, und Frau Römhild konnte schon einmal die Bratröhre vorwärmen. Allerdings hakte er den Kuhfuß beflissen an der obersten Leitersprosse ein, bevor er auf einem Längsträger zum Schuppenrand balancierte, um die Dachsparren auf einen dort abgestellten Hänger gleiten zu lassen. Er hatte sie schonend zu behandeln, weil sie noch verwendet werden sollten.
Was ihn selber betraf, war notfalls das Krankenhaus nicht weit – leider. Es war ihm auf diesem Platz der einzige Dorn im Auge. Max' blauer Wohnbus stand unweit des überflüssigen Schuppens vor der Schafweide – und das Kreiskrankenhaus war jenseits von dieser an den Hang geklotzt worden, keine 150 Meter entfernt. Schon der pure Anblick konnte einen krank machen. Nachts hätten sich die Schafe gegenseitig Gruselgeschichten vorlesen können, doch Frau Römhild holte sie stets in den Stall, in dem es wohltuend finster war. Sie hielt auf dem ehemaligen Hof ihres früh verstorbenen Mannes nur noch Schafe, Hühner und Bienen. Den großen Schuppen ließ sie von Max zerlegen, weil ihr Bruder von dem Holz in seinem Schrebergarten ein Häuschen zu errichten gedachte. Das war den beiden 200 Euro für Max wert, Frühstückseier nicht gerechnet.
Max blickte auf. Von der Einfahrt her hielt eine ihm unbekannte Frau auf den Schuppen zu. Vielleicht war es eine Verwandte von Frau Römhild, die am Wohnhaus vergeblich geklingelt hatte. Sie konnte eine nie erwähnte Tochter sein. Ihr strohblonder Schopf hob sich recht hübsch von ihrem Rucksack aus braunem Leder ab. Allerdings ging sie trotz ihrer Jugend etwas zaudernd oder schleppend, als handle es sich bei Frau Römhilds welligem Hof um einen Teich, der Ende März noch zugefroren sei. Da konnte er ja zur Abwechslung einmal Galionsfigur spielen.
Max richtete sich auf dem Balken auf, um die Besucherin auf seinen Kuhfuß gestützt zu erwarten. Das hüfthohe, rotlackierte Eisen zum Nagelziehen sah nicht gerade wie eine Friedenspfeife aus, doch Antje ließ sich nicht ins Boxhorn jagen. Zur Not steckte in der Rucksackaußen-tasche ihr Handy.
»Hallo«, sagte sie steil nach oben, während sie ihrerseits von zwei oder drei braunen Hühnern beäugt wurde. »Es liegt sowieso auf dem Weg zum Bahnhof, da sagte ich mir, ich könnte Ihr Werk vielleicht einmal aus der Nähe bewundern.« Sie nickte auf eine stählerne Mulde, die von Teerpappenfetzen überquoll, und fügte hinzu: »Mühsame Angelegenheit, sie von den Brettern zu schälen, nicht
wahr ..?«
Sie hatte recht. Er hatte einen alten Spaten von Frau Römhild eingesetzt, den er über weite Strecken mit dem Fäustel unter die Nagelreihen der mehrschichtigen Dachpappe zu treiben hatte.
Max lächelte spöttisch und etwas verlegen zugleich. »Woher wissen Sie das?«
Sie deutete über die Schafweide, die zwischen Haselnußsträuchern und dem blauen Mercedesbus zu sehen war: »Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Die Fenster der Kammer, in die sie mich behelfsmäßig gestopft hatten, gingen zufällig auf die Wiese. Ich hoffe nicht, Sie kassieren jetzt noch nachträglich Eintritt von mir …«
Max grinste und erwiderte spontan: »Ganz im Gegenteil! Ich könnte Ihnen einen Tee oder Kaffee spendieren, ganz wie Sie wollen. Damit hätte ich einen guten Vorwand für eine Pause.«
»Ja, gern … Hätten Sie zufällig Kamillentee im Haus?«
Max nickte und bückte sich zur Leiter. »Habe ich!«
Nachdem er den Kuhfuß eingehängt hatte, kam er selbst herunter. Trotz seiner derben, beinahe furchteinflößenden Schnürstiefel tat er auch dies in der Geschmeidigkeit, die Antje bereits beobachtet hatte. Sie ging ihm kaum bis zur Halskuhle. Mit einer eleganten Handbewegung überließ er ihr den Vortritt. Er folgte ihr zum Bus. Er staunte über ihre mageren, zerbrechlich wirkenden Schultern, die gleichwohl dem offensichtlich gefüllten Rucksack trotzten.
Bald darauf saßen sie an seinem schmalen Ausklapptisch, den Dampf des Kamillentees zwischen sich. Durch die geöffnete Seitentür fiel die Vormittagssonne. Im Haselnußgebüsch tickerte ein Rotkehlchen, während aus Richtung Krankenhaus hin und wieder ein Schaf blökte.
Das Heck des Busses wurde von einem niedrigen Schrank eingenommen, auf dem sich Max' Schlaf- und Ruheplatz befand. Er wirkte ordentlich. Mitten auf der sandfarbenen Überdecke hockte, soweit Antje sehen konnte, irgendein kleines Plüschtier.
»Mein Wachhund«, grinste Max, der ihren verkniffenen Augen gefolgt war.
Sie erkundigte sich nach seiner fahrenden Lebensweise. Max kannte in Norddeutschland und Dänemark zahlreiche Leute, durch die er auch an seine Aufträge kam. Er schaffte teils allein, teils wurde er in Gesellenbaustellen von alternativen Projekten einbezogen. Antje hörte verblüfft, er habe dereinst das orthopädische Schuhmacherhandwerk erlernt, aber dann mit der Firma seines ehemaligen Schwiegervaters, der Gehhilfen und Rollstühle herstellte, Schiffbruch erlitten.
Er nickte besorgt unter den Tisch. »Mir fiel Ihre vorsich-tige Gangart auf. Haben Sie am Ende Schwierigkeiten mit ihren Beinen oder Füßen?«
Sie kicherte unwillkürlich und weidete sich an seinem verwirrten Gesicht. Dann weihte sie ihn in ihre jüngste Krankengeschichte ein. Wegen heftigen Bauchkneifens habe sie erst gestern in der Frühe das Kreiskrankenhaus aufgesucht. Ein Arzt eröffnete ihr, es sei der Blinddarm, das müsse beobachtet werden. Bis zum Abend hatten die Schmerzen kaum nachgelassen. »Dann muß er morgen raus!« befand der Arzt. Allerdings flauten die Schmerzen über Nacht – warum auch immer – merklich ab. Man wollte sie trotzdem in den Operationssaal schieben. Nun war ihr unglücklicherweise in dieser Nacht eine recht frische Geschichte aus der Zeitung eingefallen: von einer Schere, die ein Arzt in einer operierten Bauchhöhle vergessen hatte. Deshalb widersetzte sie sich. Sie wollte nach Hause. Daraufhin zuckte der Arzt die Achseln und ließ sie einen Zettel unterschreiben, wonach sie das Krankenhaus gegen ärztliches Anraten und auf eigene Verantwortung verlasse. Nur deshalb sitze sie jetzt einem orthopädischen Schuhmacher gegenüber, der wie der schwarze Kater Stanislaus auf Dachstühlen herumzu-turnen pflege.
Max wog schmunzelnd sein von schwarzer Bürste gekröntes Haupt, während er dem kecken Blick ihrer grünlichen Augen standhielt. Schließlich sagte er:
»Sie erwähnten den Bahnhof – wohnen Sie nicht in der Stadt?«
»Richtig. Ich wohne in Dostum. Das ist ein Dorf rund 15 Kilometer weiter nördlich. Vielleicht haben Sie schon einmal von der Dostumer Pfanne gehört?«
»Ach – die glasierten, bunten Dachziegeln?«
»Genau. Die Ziegelei gehört meinem Vater.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich! Warum denn nicht?«
Max machte eine besänftigende Handbewegung, bevor er sich sein Kinn rieb. Er dachte: Ja – warum eigentlich nicht? Statt ihr einen klassenkämpferischen Vortrag zu halten oder die niederschmetternde Auskunft von ihr zu bekommen, sie züchte in ihrem eigenen Betrieb die bekannte schwarz-weiß-karierte Dostumer Dogge, konnte er ihr höflicherweise vorschlagen, sie nach Hause zu fahren.
Er tat es. Sie wandte natürlich ein, er könne doch unmöglich seine Arbeit unterbrechen. Er versicherte ihr allerdings, das könne er durchaus, weil er erst in einer knappen Woche auf einer Baustelle in der Kremper Marsch zu erscheinen habe. Das beruhigte sie. In Wahrheit fand sie sein Angebot klasse.
Max nickte zu seiner Bettstatt im Wagenheck und sagte lächelnd:
»Wenn Sie es bei Ihrem Zustand für angebracht halten, könnte ich sogar einen Liegendtransport durchführen! Nur das Blaulicht auf dem Busdach müßten Sie ver-
schmerzen …«
Sie sah belustigt zum Bett, stand sogar auf, stemmte sich kokett auf die Kante und stellte mit Hilfe ihrer Schuhabsätze fest, daß der Schrank unter ihr hohl klang. Dann streifte sie die Schuhe kurzentschlossen ab, um einmal Probezuliegen. Während sie ihre Beine aufs Fußende schwenkte, sah sie Max unverwandt an, obwohl sich nun auch ihr Hinterkopf in Richtung einiger bunter Kissen senkte.
Das war verhängnisvoll. Ihr Blick zog Max wie eine machtlose Gliederpuppe von seinem Stuhl. Damit fiel der Ausflug nach Dostum für heute ins Wasser.
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Nach zwei Tagen hatte Max die unangenehme Arbeit des Abdeckens hinter sich – Teerpappe auf Nut- und Feder-brettern – und löste mit dem Kuhfuß die ersten Dachsparren. Sie neigten sich geringfügig talwärts. Die Kreisstadt unten summte in mildem Märzlicht. Frau Römhilds Obstbäume zeigten bereits Knospen. Ihre Hühner scharrten teils im Gras, teils unter Max in dem sandigen Fußboden des ehemaligen Fahrzeugunterstands, den er gerade abschlug. Hier hatten sie auch Kuhlen zum Sandbaden oder Dösen. Sie waren weder scheu noch argwöhnisch. Hatten sie Pech, fiel Max der Kuhfuß aus der Hand, und Frau Römhild konnte schon einmal die Bratröhre vorwärmen. Allerdings hakte er den Kuhfuß beflissen an der obersten Leitersprosse ein, bevor er auf einem Längsträger zum Schuppenrand balancierte, um die Dachsparren auf einen dort abgestellten Hänger gleiten zu lassen. Er hatte sie schonend zu behandeln, weil sie noch verwendet werden sollten.
Was ihn selber betraf, war notfalls das Krankenhaus nicht weit – leider. Es war ihm auf diesem Platz der einzige Dorn im Auge. Max' blauer Wohnbus stand unweit des überflüssigen Schuppens vor der Schafweide – und das Kreiskrankenhaus war jenseits von dieser an den Hang geklotzt worden, keine 150 Meter entfernt. Schon der pure Anblick konnte einen krank machen. Nachts hätten sich die Schafe gegenseitig Gruselgeschichten vorlesen können, doch Frau Römhild holte sie stets in den Stall, in dem es wohltuend finster war. Sie hielt auf dem ehemaligen Hof ihres früh verstorbenen Mannes nur noch Schafe, Hühner und Bienen. Den großen Schuppen ließ sie von Max zerlegen, weil ihr Bruder von dem Holz in seinem Schrebergarten ein Häuschen zu errichten gedachte. Das war den beiden 200 Euro für Max wert, Frühstückseier nicht gerechnet.
Max blickte auf. Von der Einfahrt her hielt eine ihm unbekannte Frau auf den Schuppen zu. Vielleicht war es eine Verwandte von Frau Römhild, die am Wohnhaus vergeblich geklingelt hatte. Sie konnte eine nie erwähnte Tochter sein. Ihr strohblonder Schopf hob sich recht hübsch von ihrem Rucksack aus braunem Leder ab. Allerdings ging sie trotz ihrer Jugend etwas zaudernd oder schleppend, als handle es sich bei Frau Römhilds welligem Hof um einen Teich, der Ende März noch zugefroren sei. Da konnte er ja zur Abwechslung einmal Galionsfigur spielen.
Max richtete sich auf dem Balken auf, um die Besucherin auf seinen Kuhfuß gestützt zu erwarten. Das hüfthohe, rotlackierte Eisen zum Nagelziehen sah nicht gerade wie eine Friedenspfeife aus, doch Antje ließ sich nicht ins Boxhorn jagen. Zur Not steckte in der Rucksackaußen-tasche ihr Handy.
»Hallo«, sagte sie steil nach oben, während sie ihrerseits von zwei oder drei braunen Hühnern beäugt wurde. »Es liegt sowieso auf dem Weg zum Bahnhof, da sagte ich mir, ich könnte Ihr Werk vielleicht einmal aus der Nähe bewundern.« Sie nickte auf eine stählerne Mulde, die von Teerpappenfetzen überquoll, und fügte hinzu: »Mühsame Angelegenheit, sie von den Brettern zu schälen, nicht
wahr ..?«
Sie hatte recht. Er hatte einen alten Spaten von Frau Römhild eingesetzt, den er über weite Strecken mit dem Fäustel unter die Nagelreihen der mehrschichtigen Dachpappe zu treiben hatte.
Max lächelte spöttisch und etwas verlegen zugleich. »Woher wissen Sie das?«
Sie deutete über die Schafweide, die zwischen Haselnußsträuchern und dem blauen Mercedesbus zu sehen war: »Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Die Fenster der Kammer, in die sie mich behelfsmäßig gestopft hatten, gingen zufällig auf die Wiese. Ich hoffe nicht, Sie kassieren jetzt noch nachträglich Eintritt von mir …«
Max grinste und erwiderte spontan: »Ganz im Gegenteil! Ich könnte Ihnen einen Tee oder Kaffee spendieren, ganz wie Sie wollen. Damit hätte ich einen guten Vorwand für eine Pause.«
»Ja, gern … Hätten Sie zufällig Kamillentee im Haus?«
Max nickte und bückte sich zur Leiter. »Habe ich!«
Nachdem er den Kuhfuß eingehängt hatte, kam er selbst herunter. Trotz seiner derben, beinahe furchteinflößenden Schnürstiefel tat er auch dies in der Geschmeidigkeit, die Antje bereits beobachtet hatte. Sie ging ihm kaum bis zur Halskuhle. Mit einer eleganten Handbewegung überließ er ihr den Vortritt. Er folgte ihr zum Bus. Er staunte über ihre mageren, zerbrechlich wirkenden Schultern, die gleichwohl dem offensichtlich gefüllten Rucksack trotzten.
Bald darauf saßen sie an seinem schmalen Ausklapptisch, den Dampf des Kamillentees zwischen sich. Durch die geöffnete Seitentür fiel die Vormittagssonne. Im Haselnußgebüsch tickerte ein Rotkehlchen, während aus Richtung Krankenhaus hin und wieder ein Schaf blökte.
Das Heck des Busses wurde von einem niedrigen Schrank eingenommen, auf dem sich Max' Schlaf- und Ruheplatz befand. Er wirkte ordentlich. Mitten auf der sandfarbenen Überdecke hockte, soweit Antje sehen konnte, irgendein kleines Plüschtier.
»Mein Wachhund«, grinste Max, der ihren verkniffenen Augen gefolgt war.
Sie erkundigte sich nach seiner fahrenden Lebensweise. Max kannte in Norddeutschland und Dänemark zahlreiche Leute, durch die er auch an seine Aufträge kam. Er schaffte teils allein, teils wurde er in Gesellenbaustellen von alternativen Projekten einbezogen. Antje hörte verblüfft, er habe dereinst das orthopädische Schuhmacherhandwerk erlernt, aber dann mit der Firma seines ehemaligen Schwiegervaters, der Gehhilfen und Rollstühle herstellte, Schiffbruch erlitten.
Er nickte besorgt unter den Tisch. »Mir fiel Ihre vorsich-tige Gangart auf. Haben Sie am Ende Schwierigkeiten mit ihren Beinen oder Füßen?«
Sie kicherte unwillkürlich und weidete sich an seinem verwirrten Gesicht. Dann weihte sie ihn in ihre jüngste Krankengeschichte ein. Wegen heftigen Bauchkneifens habe sie erst gestern in der Frühe das Kreiskrankenhaus aufgesucht. Ein Arzt eröffnete ihr, es sei der Blinddarm, das müsse beobachtet werden. Bis zum Abend hatten die Schmerzen kaum nachgelassen. »Dann muß er morgen raus!« befand der Arzt. Allerdings flauten die Schmerzen über Nacht – warum auch immer – merklich ab. Man wollte sie trotzdem in den Operationssaal schieben. Nun war ihr unglücklicherweise in dieser Nacht eine recht frische Geschichte aus der Zeitung eingefallen: von einer Schere, die ein Arzt in einer operierten Bauchhöhle vergessen hatte. Deshalb widersetzte sie sich. Sie wollte nach Hause. Daraufhin zuckte der Arzt die Achseln und ließ sie einen Zettel unterschreiben, wonach sie das Krankenhaus gegen ärztliches Anraten und auf eigene Verantwortung verlasse. Nur deshalb sitze sie jetzt einem orthopädischen Schuhmacher gegenüber, der wie der schwarze Kater Stanislaus auf Dachstühlen herumzu-turnen pflege.
Max wog schmunzelnd sein von schwarzer Bürste gekröntes Haupt, während er dem kecken Blick ihrer grünlichen Augen standhielt. Schließlich sagte er:
»Sie erwähnten den Bahnhof – wohnen Sie nicht in der Stadt?«
»Richtig. Ich wohne in Dostum. Das ist ein Dorf rund 15 Kilometer weiter nördlich. Vielleicht haben Sie schon einmal von der Dostumer Pfanne gehört?«
»Ach – die glasierten, bunten Dachziegeln?«
»Genau. Die Ziegelei gehört meinem Vater.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich! Warum denn nicht?«
Max machte eine besänftigende Handbewegung, bevor er sich sein Kinn rieb. Er dachte: Ja – warum eigentlich nicht? Statt ihr einen klassenkämpferischen Vortrag zu halten oder die niederschmetternde Auskunft von ihr zu bekommen, sie züchte in ihrem eigenen Betrieb die bekannte schwarz-weiß-karierte Dostumer Dogge, konnte er ihr höflicherweise vorschlagen, sie nach Hause zu fahren.
Er tat es. Sie wandte natürlich ein, er könne doch unmöglich seine Arbeit unterbrechen. Er versicherte ihr allerdings, das könne er durchaus, weil er erst in einer knappen Woche auf einer Baustelle in der Kremper Marsch zu erscheinen habe. Das beruhigte sie. In Wahrheit fand sie sein Angebot klasse.
Max nickte zu seiner Bettstatt im Wagenheck und sagte lächelnd:
»Wenn Sie es bei Ihrem Zustand für angebracht halten, könnte ich sogar einen Liegendtransport durchführen! Nur das Blaulicht auf dem Busdach müßten Sie ver-
schmerzen …«
Sie sah belustigt zum Bett, stand sogar auf, stemmte sich kokett auf die Kante und stellte mit Hilfe ihrer Schuhabsätze fest, daß der Schrank unter ihr hohl klang. Dann streifte sie die Schuhe kurzentschlossen ab, um einmal Probezuliegen. Während sie ihre Beine aufs Fußende schwenkte, sah sie Max unverwandt an, obwohl sich nun auch ihr Hinterkopf in Richtung einiger bunter Kissen senkte.
Das war verhängnisvoll. Ihr Blick zog Max wie eine machtlose Gliederpuppe von seinem Stuhl. Damit fiel der Ausflug nach Dostum für heute ins Wasser.
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