Donnerstag, 30. Juni 2022
Donbaß II
ziegen, 17:52h
2022
Nach dem Corona-Massen-Spektakel – vielleicht auch nur als Pausenfüller – servieren uns die Medien nun schon seit Monaten die Phobie Jeder Schuß ein Ruß. In dieser Hinsicht lassen es sich sogar Autoren von randständigen kritischen Blättern oder Portalen nicht nehmen, uns ihre Abscheu vor Angriffskriegen, Völkerrechtsbrüchen, imperialistischen slawischen Begierden zu versichern. Dahinter könnte durchaus die typische Angst des Außen-seiters stecken, es sich nun auch noch mit der großen Mehrheit der angeblich Friedenswilligen zu verderben.
Hier reiht sich der französische Beobachter der Weltpolitik Thierry Meyssan, den ich schon weiter oben heranzog, erfreulicherweise nicht ein. Die verbreitete Überzeugung, Rußland habe (am 24. Februar) den Krieg gegen die Ukraine entfesselt – und das auch noch mit dem verwerflichen Ziel, Kiew und die ganze Ukraine zu schlucken – bezweifelt er.* Selbstverständlich übergehen die meisten neuen Friedens-QuerfrontlerInnen den langjährigen Krieg Kiews gegen den abtrünnigen Donbaß sowieso, als stünden sie vor einem handbreiten Rinnsal. Laut Meyssan hat er, je nach Quelle, in acht Jahren 13.000 bis 22.000 zivile Todesopfer gefordert, die Verletzten, Verängstigten und zahlreichen Geflohenen nicht gerechnet. Ähnlich tun sie die unverfrorene Einschnürung Rußlands durch die sogenannte Nato-»Osterweiterung« mit einem Achselzucken ab. Doch selbst der Auslöser des jüngsten Krieges wird gefälscht, glaubt Meyssan belegen zu können. »In Wirklichkeit griffen Kiewer Truppen am Nachmittag des 17. Februar ihre eigene Bevölkerung im Donbass an. Dann schwenkte die Ukraine mit der Rede von Präsident Zelensky vor den politischen und militärischen Führern der NATO in München das rote Tuch vor dem russischen Stier, als er ankündigte, dass sein Land Atomwaffen erwerben werde, um sich vor Russland zu schützen. / Sie glauben mir nicht? Hier sind die OSZE-Berichte von der Donbass-Grenze. Seit Monaten hatte es dort keine Kämpfe mehr gegeben, aber die neutralen Beobachter der Organisation zählten ab dem Nachmittag des 17. März [wohl: Februar] 1.400 Explosionen pro Tag.«
Nun mag es einem angenehm parteilichen Taschenspieler-trick gleichen, den Schwarzen Peter des »eigentlichen Angriffs« Kiew in die Schuhe zu schieben. In jedem Fall dürfte gleichwohl für jeden nüchternen Beobachter »offensichtlich« sein, daß Rußlands militärisches Eingrei-fen von der lieben Westlichen Tauschwertgemeinschaft seit längerem zielstrebig provoziert worden ist. Es bietet einfach zuviele Vorteile. Und die Yankeearschkriecher-Innen im Berliner Regierungsviertel machen selbstver-ständlich mit. Zum Beispiel reibt sich die Rüstungsfirma Rheinmetall die Hände. Aber auf der anderen Seite ist die Angelegenheit leider auch wieder nicht »offensichtlich«. Nachrichtenflut, bewußte Desinformation und Gehirnwäsche haben inzwischen in jedem neuen Streitfall Ausmaß und Perfektion eines Teilchenbeschleunigers von 30 Kilometer Tunnelumfang erreicht – den unsereins nur mit einem Opernglas bewaffnet aus den Angeln heben soll.
Nebenbei bemerkt, kehren unsere Massenmedien soundsoviele »Kriegchen«, die gegenwärtig in anderen Weltteilen toben, eiskalt unter den russenphobisch gewebten Teppich. Ich sage nur Myanmar, Syrien, Jemen, Äthiopien, Lateinamerika. Was interessieren uns Zivilisierten schon tote oder verkrüppelte Kinder, die nicht mitteleuropäisch oder wenigstens slawisch aussehen? Und bei der Weberei sind selbstverständlich auch die seit Jahrzehnten beliebten Täuschungsmanöver wieder hilfreich, etwa die Erfindung von schrecklichen, vom »Feind« verübten Massenmorden unter der Bevölkerung, wie einst in Syrien. Ein tolles Manöver legte übrigens Israel 1956 hin, als die angelsächsische Achse bemüht war, sich die ägyptische Suezkanalzone unter den Nagel zu reißen und den aufmüpfigen Präsidenten Nasser zu stürzen. Die Achse bat Israel unter vier Augen darum, einen »Angriff« auf die Kanalzone vorzutragen. Die USA, GB und Frankreich hatten sich nämlich vertraglich verpflichtet, die international benutzte Wasserstraße gegen jeden Angreifer zu schützen! Nun schlugen sie also die israelischen Spießgesellen »zurück« – und bombardierten wenig später Kairo.**
Verhilft es uns womöglich zum Durchblick, Erhard Cromes jüngsten geopolitischen Abriß aus der Jungen Welt zu studieren? Er ist sogar gut geschrieben.*** Für Crome möchte Rußland, um 1990 gerupft und gedemütigt, reichlich verspätet und rachedurstig bei der imperialistischen Neuordnung mitmischen. Es spiele der angelsächsischen Achse nun die eigene Musik vor. Ob China hier herausfällt, etwa als »sozialistisch«, sagt er nicht. Allen imperialistischen Mitmischern bescheinigt er unkritisch »Demokratie«. Ob das eingezingelte Rußland, angesichts der mißhandelten Landsleute in der Ukraine, eine Alternative zum militärischen Vorgehen gehabt hätte, sagt Crome, wie schon Meyssan, ebenfalls nicht. Aber im Grunde, so dämmert mir jetzt, haben all diese geopolitischen Beobachter-Texte etwas Kraftloses und Kleinmütiges. Sie akzeptieren den Status quo (der kapitalistisch-imperialistisch geprägten Welt) und das Gewohnheitsrecht, unablässig Kriege vom Zaun zu brechen, zum Beispiel 1999 in Serbien. Dafür vermeiden sie die Frage, was der Menschheit eigentlich gut täte, wie die Pest. Eine »kluge Entspannungspolitik« empfehlen sie im letzten Satz. Lächerlich.
Durch kluge Entspannungspolitik – Willy Brandt läßt grüßen – soll also »das Morden« beendet werden. Ich gestatte mir deshalb nochmals einen Seufzer zur Gewaltfrage. Für die absolute Mehrheit kommt »Gewalt« hauptsächlich, ja nahezu ausschließlich aus Fäusten, Polizeiknüppeln, Gewehrläufen und Kanonenrohren. Das Gegenteil ist der Fall. Eine ganz wesentliche Gewalt ist unsichtbar und damit unmeßbar. Sie wird von den alltäglich wirkenden Systemstrukturen – vom Eigentumsrecht bis zum Bürokratenbescheid – und dem Psychoterror fast sämtlicher großen und kleinen Leute ausgeübt. Nicht selten führt diese wenig handfeste Gewalt sogar zu Krankheit und Tod – aber darauf kommt es noch nicht einmal an. Daß sie das Leben auf diesem Planeten Tag für Tag zur Hölle macht, das ist das Entscheidende. Die Kriege sind »nur« die ständigen Auswüchse dieser höllischen Verfassung. Deshalb werden sie auch meistens »mehrheitlich« begrüßt. Der Planet ist völlig falsch gepolt. An dieser Verkehrtheit müßte man ansetzen. Fragen Sie aber nicht mich, wie das gelingen sollte. Eins jedoch kann ich Ihnen versichern. Wenn sich viele ägyptische BürgerInnen 1956 in Kairo, Port Said oder anderen Städten in ihren zerbombten Häusern verschanzten und mit irgendeiner Waffe in der Hand erbitterten Widerstand gegen die Eindringlinge leisteten – als damaliger Mitbürger wäre ich sofort dabei gewesen. Aber damals war ich erst Sechs. Und jetzt bin ich schon scheintot.
* Thierry Meyssan, »Die neue Weltordnung«, https://www.voltairenet.org/article216289.html, 29. März 2022
** Peter Bols, Mit Scheckbuch und Pistole, Ostberlin 1967, bes. S. 138
*** Erhard Crome am 22. April 2022: https://www.jungewelt.de/artikel/425081.imperialismus-verzerrte-spiegelung.html
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Nach dem Corona-Massen-Spektakel – vielleicht auch nur als Pausenfüller – servieren uns die Medien nun schon seit Monaten die Phobie Jeder Schuß ein Ruß. In dieser Hinsicht lassen es sich sogar Autoren von randständigen kritischen Blättern oder Portalen nicht nehmen, uns ihre Abscheu vor Angriffskriegen, Völkerrechtsbrüchen, imperialistischen slawischen Begierden zu versichern. Dahinter könnte durchaus die typische Angst des Außen-seiters stecken, es sich nun auch noch mit der großen Mehrheit der angeblich Friedenswilligen zu verderben.
Hier reiht sich der französische Beobachter der Weltpolitik Thierry Meyssan, den ich schon weiter oben heranzog, erfreulicherweise nicht ein. Die verbreitete Überzeugung, Rußland habe (am 24. Februar) den Krieg gegen die Ukraine entfesselt – und das auch noch mit dem verwerflichen Ziel, Kiew und die ganze Ukraine zu schlucken – bezweifelt er.* Selbstverständlich übergehen die meisten neuen Friedens-QuerfrontlerInnen den langjährigen Krieg Kiews gegen den abtrünnigen Donbaß sowieso, als stünden sie vor einem handbreiten Rinnsal. Laut Meyssan hat er, je nach Quelle, in acht Jahren 13.000 bis 22.000 zivile Todesopfer gefordert, die Verletzten, Verängstigten und zahlreichen Geflohenen nicht gerechnet. Ähnlich tun sie die unverfrorene Einschnürung Rußlands durch die sogenannte Nato-»Osterweiterung« mit einem Achselzucken ab. Doch selbst der Auslöser des jüngsten Krieges wird gefälscht, glaubt Meyssan belegen zu können. »In Wirklichkeit griffen Kiewer Truppen am Nachmittag des 17. Februar ihre eigene Bevölkerung im Donbass an. Dann schwenkte die Ukraine mit der Rede von Präsident Zelensky vor den politischen und militärischen Führern der NATO in München das rote Tuch vor dem russischen Stier, als er ankündigte, dass sein Land Atomwaffen erwerben werde, um sich vor Russland zu schützen. / Sie glauben mir nicht? Hier sind die OSZE-Berichte von der Donbass-Grenze. Seit Monaten hatte es dort keine Kämpfe mehr gegeben, aber die neutralen Beobachter der Organisation zählten ab dem Nachmittag des 17. März [wohl: Februar] 1.400 Explosionen pro Tag.«
Nun mag es einem angenehm parteilichen Taschenspieler-trick gleichen, den Schwarzen Peter des »eigentlichen Angriffs« Kiew in die Schuhe zu schieben. In jedem Fall dürfte gleichwohl für jeden nüchternen Beobachter »offensichtlich« sein, daß Rußlands militärisches Eingrei-fen von der lieben Westlichen Tauschwertgemeinschaft seit längerem zielstrebig provoziert worden ist. Es bietet einfach zuviele Vorteile. Und die Yankeearschkriecher-Innen im Berliner Regierungsviertel machen selbstver-ständlich mit. Zum Beispiel reibt sich die Rüstungsfirma Rheinmetall die Hände. Aber auf der anderen Seite ist die Angelegenheit leider auch wieder nicht »offensichtlich«. Nachrichtenflut, bewußte Desinformation und Gehirnwäsche haben inzwischen in jedem neuen Streitfall Ausmaß und Perfektion eines Teilchenbeschleunigers von 30 Kilometer Tunnelumfang erreicht – den unsereins nur mit einem Opernglas bewaffnet aus den Angeln heben soll.
Nebenbei bemerkt, kehren unsere Massenmedien soundsoviele »Kriegchen«, die gegenwärtig in anderen Weltteilen toben, eiskalt unter den russenphobisch gewebten Teppich. Ich sage nur Myanmar, Syrien, Jemen, Äthiopien, Lateinamerika. Was interessieren uns Zivilisierten schon tote oder verkrüppelte Kinder, die nicht mitteleuropäisch oder wenigstens slawisch aussehen? Und bei der Weberei sind selbstverständlich auch die seit Jahrzehnten beliebten Täuschungsmanöver wieder hilfreich, etwa die Erfindung von schrecklichen, vom »Feind« verübten Massenmorden unter der Bevölkerung, wie einst in Syrien. Ein tolles Manöver legte übrigens Israel 1956 hin, als die angelsächsische Achse bemüht war, sich die ägyptische Suezkanalzone unter den Nagel zu reißen und den aufmüpfigen Präsidenten Nasser zu stürzen. Die Achse bat Israel unter vier Augen darum, einen »Angriff« auf die Kanalzone vorzutragen. Die USA, GB und Frankreich hatten sich nämlich vertraglich verpflichtet, die international benutzte Wasserstraße gegen jeden Angreifer zu schützen! Nun schlugen sie also die israelischen Spießgesellen »zurück« – und bombardierten wenig später Kairo.**
Verhilft es uns womöglich zum Durchblick, Erhard Cromes jüngsten geopolitischen Abriß aus der Jungen Welt zu studieren? Er ist sogar gut geschrieben.*** Für Crome möchte Rußland, um 1990 gerupft und gedemütigt, reichlich verspätet und rachedurstig bei der imperialistischen Neuordnung mitmischen. Es spiele der angelsächsischen Achse nun die eigene Musik vor. Ob China hier herausfällt, etwa als »sozialistisch«, sagt er nicht. Allen imperialistischen Mitmischern bescheinigt er unkritisch »Demokratie«. Ob das eingezingelte Rußland, angesichts der mißhandelten Landsleute in der Ukraine, eine Alternative zum militärischen Vorgehen gehabt hätte, sagt Crome, wie schon Meyssan, ebenfalls nicht. Aber im Grunde, so dämmert mir jetzt, haben all diese geopolitischen Beobachter-Texte etwas Kraftloses und Kleinmütiges. Sie akzeptieren den Status quo (der kapitalistisch-imperialistisch geprägten Welt) und das Gewohnheitsrecht, unablässig Kriege vom Zaun zu brechen, zum Beispiel 1999 in Serbien. Dafür vermeiden sie die Frage, was der Menschheit eigentlich gut täte, wie die Pest. Eine »kluge Entspannungspolitik« empfehlen sie im letzten Satz. Lächerlich.
Durch kluge Entspannungspolitik – Willy Brandt läßt grüßen – soll also »das Morden« beendet werden. Ich gestatte mir deshalb nochmals einen Seufzer zur Gewaltfrage. Für die absolute Mehrheit kommt »Gewalt« hauptsächlich, ja nahezu ausschließlich aus Fäusten, Polizeiknüppeln, Gewehrläufen und Kanonenrohren. Das Gegenteil ist der Fall. Eine ganz wesentliche Gewalt ist unsichtbar und damit unmeßbar. Sie wird von den alltäglich wirkenden Systemstrukturen – vom Eigentumsrecht bis zum Bürokratenbescheid – und dem Psychoterror fast sämtlicher großen und kleinen Leute ausgeübt. Nicht selten führt diese wenig handfeste Gewalt sogar zu Krankheit und Tod – aber darauf kommt es noch nicht einmal an. Daß sie das Leben auf diesem Planeten Tag für Tag zur Hölle macht, das ist das Entscheidende. Die Kriege sind »nur« die ständigen Auswüchse dieser höllischen Verfassung. Deshalb werden sie auch meistens »mehrheitlich« begrüßt. Der Planet ist völlig falsch gepolt. An dieser Verkehrtheit müßte man ansetzen. Fragen Sie aber nicht mich, wie das gelingen sollte. Eins jedoch kann ich Ihnen versichern. Wenn sich viele ägyptische BürgerInnen 1956 in Kairo, Port Said oder anderen Städten in ihren zerbombten Häusern verschanzten und mit irgendeiner Waffe in der Hand erbitterten Widerstand gegen die Eindringlinge leisteten – als damaliger Mitbürger wäre ich sofort dabei gewesen. Aber damals war ich erst Sechs. Und jetzt bin ich schon scheintot.
* Thierry Meyssan, »Die neue Weltordnung«, https://www.voltairenet.org/article216289.html, 29. März 2022
** Peter Bols, Mit Scheckbuch und Pistole, Ostberlin 1967, bes. S. 138
*** Erhard Crome am 22. April 2022: https://www.jungewelt.de/artikel/425081.imperialismus-verzerrte-spiegelung.html
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