Donnerstag, 30. Juni 2022
Ropel, Tobias Przemek
ziegen, 11:43h
16 (1984–2001), Korbacher Schüler, erstochen. Von dem Foto auf der »Gedenkseite«, die Freunde eingerichtet haben, blickt uns ein hübscher Bursche etwas heraus-fordernd an – das hat auch Charme und läßt sich unmöglich mit einer Kriegserklärung verwechseln. Er ist 16 und geht noch auf die Korbacher Louis-Peter-Schule. Er denkt an irgendeine Lehre bei den hiesigen Gummiwerken, die von besagtem Louis Peter dereinst gegründet worden, später der Conti zugefallen sind. Er ist gesellig, stets für einen Scherz zu haben, sicherlich auch für einen Umtrunk, aber alles im harmlosen Rahmen.
Der Rahmen wird erst im Juli 2001 beim Korbacher Altstadtfest gesprengt. Da verlassen einige Jugendliche, unter ihnen Tobias, um Mitternacht das Festzelt auf dem Obermarkt, legen sich mit einigen Mitgliedern des Motorradclubs Bandidos an – oder umgekehrt. Alle sind mehr oder weniger angetrunken. Der Club hatte sich im Zelt bereits mit dem Wirt gestritten. Jetzt greift ein tätowierter 41jähriger mit Zopf den 16jährigen Schüler an, der ihn zuvor beschimpft haben soll, packt ihn am Kragen und sticht ihm ein Klappmesser in den Bauch. Die Messerklinge ist 10 Zentimeter lang. Tobias stirbt gegen Morgen im Krankenhaus. Die BürgerInnen, die beim Frühstück Radio hören, sind entsetzt. In ihrer Stadt! Richter Heinz-Volker Mütze wird dem Täter ein Jahr darauf einen »absolut nichtigen« Anlaß für das Ziehen seiner Waffe bescheinigen. Und selbstverständlich habe solch ein Messer nichts auf einem Sommerfest zu suchen. Immerhin, am Nachmittag stellt sich der zunächst geflüchtete Täter der Polizei. Er habe sich angegriffen gefühlt, aber keine Tötungsabsicht gehabt. Mütze nimmt ihm das schließlich ab, zumal die Frau des in Vöhl am Edersee wohnenden Täters vor dem Kasseler Landgericht versichert, er habe zu Hause voller Reue geweint. Seine Kleidung hatte sie, nach den Feststellungen der Kriminalpolizei, anderntags Bekannten gegeben – zum Verbrennen. Der Regionalpresse zufolge wurde der Angeklagte, der zuletzt als Aushilfe in einem Korbacher Tatoo-Studio gearbeitet hatte, im April 2002 wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Nach drei Jahren ist er wieder frei. Die Gedenkseite für sein Opfer steht noch im Internet.
Korbach, früher Hansestadt, ist die Hauptstadt des nordhessischen Landkreises Waldeck-Frankenberg. Im Schnitt kommen in diesem Landkreis jährlich ungefähr acht Menschen bei Straßenverkehrsunfällen um – mal junge, mal alte. Zugegeben, es waren schon einmal mehr.* Da die Autos auch und gerade im Waldeckschen, dank der Conti-Reifen beispielsweise, »sicherer« geworden sind, beläuft sich der Rest, nämlich an Nichttoten (um 200 Schwerverletzte bei jährlich rund 3.900 Verkehrsunfällen im Landkreis), inzwischen auf verkrüppelte, am Tropf hängende oder von Alpträumen heimgesuchte Beteiligte. Dieser Befund ist im Landkreis noch niemals Anlaß zu öffentlicher Bestürzung gewesen.
* »3.916 Unfälle im Kreis«, lokalo 24 / Eder-Diemel-Tipp (Kassel),
31. Mai 2020: https://www.lokalo24.de/lokales/waldeck-frankenberg/3916-unfaelle-waldeck-frankenberg-wild-vielfach-eine-gefahr-13781344.html
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