Sonntag, 26. Juni 2022
Petunien
ziegen, 21:12h
Um 2010
Der zarte Mensch sollte Friedhöfe meiden. Die gellenden, sich beißenden Meuten einschlägiger Schnitt-, Topf- und Rabattenblumen brächten ihn sicherlich um. Keine paßt zur anderen. Dafür stecken die Leidensmienen bei jedem Begräbnis in dem gleichen öden schwarzen Tuch. Umgekehrt fände ich es besser.
Zwar liegt auch meine Großmutter Helene auf einem solchen Schreckensort. Sie hatte viel zu leiden, ehe sie mit Hautkrebs ihrem im Krieg gefallenen Ältesten unter die Erde folgte. Trotzdem weigere ich mich, besonders um sie zu trauern. Neulich bat mich Kommunardin M. bedrückt um Nachsicht, weil sie soeben erfahren habe, ihre Freundin E. liege für immer gelähmt im Krankenhaus. Jemand hatte E. ein Messer in den Rücken gestochen. Nach dieser Eröffnung wurde M. von Weinkrämpfen erschüttert. Ich hütete mich, sie darauf hinzuweisen, solche erschütternden Fälle stünden Tag für Tag in der Zeitung. Nur gehen sie uns dann nichts an.
Dagegen pochen Humanisten wie Alain oder auch dessen Sprach- und Zeitgenosse Victor Serge als Anarchist darauf, der Mensch werde in erster Linie durch die Menschheit ausgemacht, nicht durch Familie, Sippe oder linke Landkommune. Von daher wäre Gerechtigkeit, entweder um alle oder um keinen zu trauern. Zwar läßt sich nicht bestreiten, daß solche männlichen Ideen wie Staat, Gesetz und leider auch Gerechtigkeit mit einer gewissen Hartherzigkeit einhergehen, doch das Allgemeingültige ist nun einmal hart. Eben das hat es mit dem Tod gemein.
Die Vielfalt der Namen und der Daten allein auf den Grabsteinen des Bettenhäuser Friedhofs ist schon ungeheuerlich. In der Tat, sie ist zu viel. Aber sie gibt mir immerhin die Idee ein, in dem schlichten Gedenkstein meines eigenen Grabes an Stelle der Namenstafel ein Viereck oder Loch aussparen zu lassen. Der Blick ins Nichts. Oder, falls man Pech hat, auf gelblila gestreifte Petunien.
°
°
Der zarte Mensch sollte Friedhöfe meiden. Die gellenden, sich beißenden Meuten einschlägiger Schnitt-, Topf- und Rabattenblumen brächten ihn sicherlich um. Keine paßt zur anderen. Dafür stecken die Leidensmienen bei jedem Begräbnis in dem gleichen öden schwarzen Tuch. Umgekehrt fände ich es besser.
Zwar liegt auch meine Großmutter Helene auf einem solchen Schreckensort. Sie hatte viel zu leiden, ehe sie mit Hautkrebs ihrem im Krieg gefallenen Ältesten unter die Erde folgte. Trotzdem weigere ich mich, besonders um sie zu trauern. Neulich bat mich Kommunardin M. bedrückt um Nachsicht, weil sie soeben erfahren habe, ihre Freundin E. liege für immer gelähmt im Krankenhaus. Jemand hatte E. ein Messer in den Rücken gestochen. Nach dieser Eröffnung wurde M. von Weinkrämpfen erschüttert. Ich hütete mich, sie darauf hinzuweisen, solche erschütternden Fälle stünden Tag für Tag in der Zeitung. Nur gehen sie uns dann nichts an.
Dagegen pochen Humanisten wie Alain oder auch dessen Sprach- und Zeitgenosse Victor Serge als Anarchist darauf, der Mensch werde in erster Linie durch die Menschheit ausgemacht, nicht durch Familie, Sippe oder linke Landkommune. Von daher wäre Gerechtigkeit, entweder um alle oder um keinen zu trauern. Zwar läßt sich nicht bestreiten, daß solche männlichen Ideen wie Staat, Gesetz und leider auch Gerechtigkeit mit einer gewissen Hartherzigkeit einhergehen, doch das Allgemeingültige ist nun einmal hart. Eben das hat es mit dem Tod gemein.
Die Vielfalt der Namen und der Daten allein auf den Grabsteinen des Bettenhäuser Friedhofs ist schon ungeheuerlich. In der Tat, sie ist zu viel. Aber sie gibt mir immerhin die Idee ein, in dem schlichten Gedenkstein meines eigenen Grabes an Stelle der Namenstafel ein Viereck oder Loch aussparen zu lassen. Der Blick ins Nichts. Oder, falls man Pech hat, auf gelblila gestreifte Petunien.
°
°