Sonntag, 26. Juni 2022
Leichentourismus
ziegen, 20:57h
Um 2010
Leichentourismus bedeutet nicht, beispielsweise den winzigen verwunschenen Waldfriedhof über Schnepfenthal zu besuchen. Ob Sophie Salzmann – an den Eich-Vers Was wären wir ohne den Trost der Bäume! gelehnt – Trost von ihrer Buche erfährt, werden wir ohnehin nicht erfahren. Der schlanke Baum, um 15 Meter hoch, erwuchs genau dem Kopfteil ihres Grabes.
Im übrigen wird der ansehnliche aber verblichene Lehr-körper der berühmten Salzmannschule bei Waltershausen von trutzigen Eichen und Linden beschattet. Mit Förde-rung des Herzogs Ernst II. 1784 gegründet, genehmigte dieser der Schule später auch den eigenen Friedhof. Der Landrat in Gotha täte dies gegenwärtig nicht. Doch wie lange noch haben deutsche Friedhöfe, derzeit rund 32.000, Staat oder Kirche zu gehören? Für Urnenbeisetzungen auf privatem Gelände lassen sich hier und dort schon Ausnahmegenehmigungen erwirken. Der gesetzliche »Friedhofszwang« war Hygiene und Gesundheitsvorsorge geschuldet, so dem Trinkwasserschutz. Dürfte ein jeder nach Belieben oder Platzvorteil »wild« bestatten, gliche Deutschland binnen weniger Jahre den verpesteten Vorstädten, die es lieber in Djakarta oder Kalkutta weiß. Der Erwanderer des Thüringer Waldes würde dann nicht nur über Fernsehgeräte, Autowracks und Müllsäcke mit nicht mehr ganz frischen Windeln stolpern.
Aber genau so wird es eintreffen, wenn dem um sich greifenden Privatisierungswahn keine Kollision der Milchstraße mit dem Andromedanebel zuvorkommt. Unsere BestatterInnen hauen sich bereits mit Dumping-preisen. Um wenigstens ab und zu eine »Polizeileiche« zu ergattern, heißt es künftig Schwarze Sheriffs schmieren. Gemeint sind nicht etwa gefallene Kräfte, vielmehr paß- oder heimatlose tote Kunden der Polizei, die ins Kühlhaus müssen.
Ikea brütet neuerdings über der Idee, verstorbene Kunden gleich in Folie einzuschweißen und in die Tiefgarage rutschen zu lassen. Kostendämpfend wirkt dann vor allem der sogenannte Leichentourismus, bei dem des Bestatters Sattelschlepper preisgünstige Privatkrematorien auf dem Balkan anläuft. Wenn Kasseler Sepulkralkulturwächter-Innen in unfreiwilliger Komik beklagen, solche »unnützen« Rüttelfahrten widersprächen dem Grundsatz der Totenruhe, übersehen sie, wie quicklebendig dadurch das Kapital wird.
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Leichentourismus bedeutet nicht, beispielsweise den winzigen verwunschenen Waldfriedhof über Schnepfenthal zu besuchen. Ob Sophie Salzmann – an den Eich-Vers Was wären wir ohne den Trost der Bäume! gelehnt – Trost von ihrer Buche erfährt, werden wir ohnehin nicht erfahren. Der schlanke Baum, um 15 Meter hoch, erwuchs genau dem Kopfteil ihres Grabes.
Im übrigen wird der ansehnliche aber verblichene Lehr-körper der berühmten Salzmannschule bei Waltershausen von trutzigen Eichen und Linden beschattet. Mit Förde-rung des Herzogs Ernst II. 1784 gegründet, genehmigte dieser der Schule später auch den eigenen Friedhof. Der Landrat in Gotha täte dies gegenwärtig nicht. Doch wie lange noch haben deutsche Friedhöfe, derzeit rund 32.000, Staat oder Kirche zu gehören? Für Urnenbeisetzungen auf privatem Gelände lassen sich hier und dort schon Ausnahmegenehmigungen erwirken. Der gesetzliche »Friedhofszwang« war Hygiene und Gesundheitsvorsorge geschuldet, so dem Trinkwasserschutz. Dürfte ein jeder nach Belieben oder Platzvorteil »wild« bestatten, gliche Deutschland binnen weniger Jahre den verpesteten Vorstädten, die es lieber in Djakarta oder Kalkutta weiß. Der Erwanderer des Thüringer Waldes würde dann nicht nur über Fernsehgeräte, Autowracks und Müllsäcke mit nicht mehr ganz frischen Windeln stolpern.
Aber genau so wird es eintreffen, wenn dem um sich greifenden Privatisierungswahn keine Kollision der Milchstraße mit dem Andromedanebel zuvorkommt. Unsere BestatterInnen hauen sich bereits mit Dumping-preisen. Um wenigstens ab und zu eine »Polizeileiche« zu ergattern, heißt es künftig Schwarze Sheriffs schmieren. Gemeint sind nicht etwa gefallene Kräfte, vielmehr paß- oder heimatlose tote Kunden der Polizei, die ins Kühlhaus müssen.
Ikea brütet neuerdings über der Idee, verstorbene Kunden gleich in Folie einzuschweißen und in die Tiefgarage rutschen zu lassen. Kostendämpfend wirkt dann vor allem der sogenannte Leichentourismus, bei dem des Bestatters Sattelschlepper preisgünstige Privatkrematorien auf dem Balkan anläuft. Wenn Kasseler Sepulkralkulturwächter-Innen in unfreiwilliger Komik beklagen, solche »unnützen« Rüttelfahrten widersprächen dem Grundsatz der Totenruhe, übersehen sie, wie quicklebendig dadurch das Kapital wird.
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