Freitag, 13. Juni 2025
Korsische Räuberpistolen Einleitung
ziegen, 10:02h
Dem unerwarteten Fingerzeig eines Bekannten folgend, bot ich kürzlich mein schmales, noch nirgends veröffent-lichtes Buchmanuskript Korsische Räuberpistolen einem ostdeutschen Kleinverleger an. Es handele sich um 16 einfallsreiche Geschichten, erklärte ich, die sich um die beiden im Hafenstädtchen Porto Canto der 1960er Jahre wirkenden Kriminalbeamten Petru Belmosto und Rino Prat rankten. Dieses Gespann sowie der durchgehend freche Tonfall hielten die Geschichten zusammen. Der Verleger war prompt interessiert und las »etwas mehr als die Hälfte«, wie er mir bald darauf schrieb. Aber sein Urteil war der übliche Schlag auf die Mütze. Beim Lesen habe ihn zunehmend Ratlosigkeit beschlichen, und jetzt sei er sich schon nicht mehr sicher, was er da eigentlich gelesen habe.
~~~ >>Ist das eine Parodie auf Krimis der »guten alten Zeit«? Es erinnert mich stark an ein vor Jahrzehnten gelesenes Buch mit Krimigeschichten aus dem Prag der 1920er Jahre (Panoptikum der Altstadt Prag). / Obwohl ich durchaus mehrmals schmunzeln musste, empfinde ich die Texte generell als nicht wirklich gelungen. Daher werde ich sie nicht veröffentlichen. Möglicherweise sieht es ein anderer Lektor/Verleger anders. / Mit den besten
Grüßen ...<<
~~~ Oder Sie vielleicht? Hier können Sie das abgelehnte Manuskript als Pdf von rund 110 Seiten lesen.
~~~ Verständlicherweise rätselte ich eine Zeitlang darüber, was denn nun konkret das Mißlungene an diesen Texten sei. Lag es womöglich an dem von mir gepriesenen »Tonfall«? Den er keineswegs als »frech« empfand? Oder an einer Fehlkonstruktion der Geschichten und des ganzen Buches? Wahrscheinlich spielt das zusammen, sagte ich mir. Ich entschied mich für die Auslegung, ich sei dem Mann rundum zu altmodisch vorgekommen. Das zeigt ja bereits meine kindische Rechtschreibung an. Es deckt sich zudem mit dem weltweiten, alle Bereiche umfassenden Neuigkeitswahn, den ich der Moderne in meinen Ausgewählten Zwergen wiederholt und durchaus begründet bescheinigt habe. Ein Buch darf nie herkömm-lich daherkommen, wenn es Begeisterung wecken soll. Es muß stets anders als alle anderen, bereits vorhandenen Bücher sein. Wo kämen wir hin, wenn jeder Schuster Schuhe nach demselben bewährten Muster verfertigte? Verlangt werden Schuhe, die notfalls auch von Hauskatzen und Giraffen getragen werden können. Sind damit am Menschenfuß gewisse Beeinträchtigungen und Be-schwerden verbunden, sind sie, eben um des Nochnie-dagewesenen willens, in Kauf zu nehmen.
~~~ Diesem Neuigkeitswahn saß auch der berühmte »Buchfinder« Gottfried Bermann-Fischer auf, wenn er dem Wahn auch in einigen Fällen widerstand. Das letztere tat er, zu unserem wie zu seinem Glück, auch mit Boris Pasternaks Wälzer Doktor Shiwago. Als ihm 1957 zu Ohren gekommen sei, der italienische Kollege Feltrinelli werde den Roman herausbringen, habe er ihm unverzüglich die Rechte auf eine deutsche Übersetzung abgekauft, obwohl er, des Russischen unkundig, das Manuskript gar nicht kannte, wie Bermann-Fischer in seinen Memoiren Bedroht – Bewahrt mitteilt. Binnen weniger Monate hatte S. Fischer bereits 4oo.000 Exemplare verkauft.
~~~ »Man mag darüber diskutieren«, schiebt der Verlagschef mit Rücksicht auf seine Mitwahnsinnigen vorsichtshalber ein, »ob der Roman ein literarisches Meisterwerk ist oder nicht, wieweit die Konstruktion des Buches den Anforderungen moderner Literatur entspricht – eines bleibt: Millionen von Menschen waren erschüttert. Es hatte sich etwas Wunderbares ereignet. Wie das winzige Radium-Partikel im Laboratorium der Madame Curie im Dunkel leuchtete, so erhellte die Aura dieses Buches das Dunkel, das über dem unbekannten Lande Rußland lag, und trug zu einer menschlichen Annäherung bei, deren politische Auswirkungen nicht unterschätzt werden sollte.«
~~~ Im Klartext heißt das ja wohl, Millionen LeserInnen irrten sich. Sie schissen auf die befremdliche Neuigkeits-, Brech- und Verkomplizierungssucht »moderner« Autoren und verschlangen das 700-Seiten-Opus trotzdem mit Genuß oder gar mit Erschütterung. Sie vermißten keine Rückblenden-Verschachtelung, die jedes Buch, das den modernen Anforderungen gerecht wird, zu einem Trümmerhaufen macht. Die von Bermann-Fischer immerhin angeführte Aura, die den Roman hervorragend zusammenhält, genügte ihnen. Es war kein neues Buch-klima, aber eins, das neun von zehn avantgardistischen Wetterfröschen niemals zustandebringen würden. Sie hüpfen lieber ein bißchen auf der Leiter herum, statt sich über Monate hinweg am Webstuhl zu bücken.
~~~ Damit habe ich mich allerdings weit von den anzuzeigenden Korsischen Räuberpistolen entfernt. Sie sind jede Wette weder ein überwältigendes noch ein besonders wichtiges Werk. Sie haben mich jedoch, wie man hier sieht, zu der Ahnung geführt, wie ich mir einen Gutteil meines großen Mißerfolges bei der literarischen Zunft erklären könnte: es liegt an meiner Rückständigkeit. Man hält mich zumindest in formaler Hinsicht für einen Hinterwäldler, der sich bei jedem Besuch einer Großstadt an den Straßenecken verwundert fragt, ob sie hier die Brunnen allesamt in den Hinterhöfen angelegt hätten.
~~~ Aber mehr noch, dürfte sich diese Rückständigkeit fürs Empfinden so mancher Kollegen zusätzlich mit einer befremdlichen Radikalität im sogenannten Inhaltlichen paaren. Schließlich führt mich meine stets um schlichte und klare Darstellung bemühte Betrachtung in vielen Fragen zu »unmöglichen« Antworten, denen sie sonst nie begegnen. Ich denke nur an meine krasse Rechtsauf-fassung. Wird sie irgendwo von irgendeinem geteilt? Ich habe schon mehrere angeblich kritische Juristen angeschrieben – und sie alle zogen es vor zu schweigen. Sie haben nicht die Zeit, sich mit anarchistischem Kinderkram zu befassen. Oder sollten sie Dünnschiß haben?
~~~ Ich nehme also an, die genannte, schon beinahe paradoxe Paarung trägt erheblich zu meiner Isolierung und Einsamkeit bei. Gleichwohl halte ich unerschütterlich an ihr fest. Zu Pasternaks altmodischen Zügen zählt selbstverständlich auch der Griff zu einem uralten ausgeleierten Sujet: ein Mann steht zwischen zwei Frauen. Das sind Tonja und Lara. Die Schrecken der sogenannten russischen Revolution, oft von weiß oder rot lackierten Robotern, von Maschinenmenschen serviert, stellen »nur« das Zubrot für einen gestrengen Autor dar, der sich an der Liebe am liebsten geradezu besaufen würde, nebenbei auch an der Frömmigkeit. Auf den Seiten 569–72 meiner Fischer-Ausgabe von 1991 (Übersetzung Thomas Reschke) ist Tonjas bewegender Abschiedsbrief an Jura Shiwago zu lesen; die Roten in Moskau haben sie und ihre Kinder, noch gnädig, zur Verbannung verurteilt. Sie wird wohl nach Paris gehen. Sie erwähnt ihre Begegnung mit der Nebenbuhlerin Larissa Fjodorowna im Ural. »Ich habe ihr zu danken, sie war bei mir, als es mir schlecht ging, und sie hat mir bei der Geburt geholfen. Ich muß aufrichtig gestehen, sie ist ein guter Mensch, aber ich will nicht heucheln, sie ist das genaue Gegenteil von mir. Ich bin dazu geboren, das Leben zu vereinfachen und den richtigen Ausweg zu finden, sie aber, um es zu erschweren und zu verwirren.«
~~~ Hier hat Pasternak beiläufig das ästhetische Konzept der literarischen Neuerer formuliert, den Larissamismus. Den Arzt Shiwago erfüllt Tonjas Brief, der ihn nur auf vielen Umwegen in Jurjatin erreicht hat, mit einem Gram, der ihn besinnungslos auf seinem Sofa zusammensinken läßt.
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