Donnerstag, 10. April 2025
Ritas RUD
ziegen, 09:36h
Ich stelle zunächst einen Beitrag vor, der schon einmal 2023, als Diskussionsvorschlag bezeichnet, vorübergehend in meinem Blog stand. Das Echo war gewohnt gering. In die endgültige Fassung meiner AZ nahm ich ihn dann nicht auf. Zwar fürchte ich, mein Konzept für eine heimische antikapitalistische Revolte könne für die Gegenwart zurecht als »unrealistisch« abgelehnt werden. Befassen Sie sich aber trotzdem sorgfältig mit ihm. Ich beabsichtige nämlich, in einem sich anschließenden Schritt abzuschät-zen, ob es früher, genauer in den Jahren 1972 bis 1990, unter bestimmten, günstigen Voraussetzungen durchaus realisierbar gewesen wäre. Übrigens schwebte mir zu diesem Thema ursprünglich ein Roman vor. Er sollte 1989/90 im gesamtdeutschen Umsturz und der Gründung des Rhein-Oder-Bundes (ROB) münden. Ich glaube jedoch, für die geplanten skizzenhaften Erwägungen wäre ein Roman die falsche Form. Damit zurück zu jenem Diskussionsvorschlag in Gestalt eines Aufrufes.
RUD gegründet! Genau der richtige Club für
Sie ..?
Die RUD ist die Rebellische Unpartei Deutschlands. Sie ist nichts anderes als irgendein durch Privatinitiative eröff-neter Club. Wir stellen zunächst ihr Statut vor. Danach verschmäht sie Parlamentssitze und Ministerposten genauso wie staatliche Fördergelder oder kommerzielle Erfolge. Mitglied kann jede in Deutschland gemeldete Person werden, sofern diese in der für sie zuständigen Ortsgruppe aufgenommen wird. Gibt es die geeignete Ortsgruppe noch nicht, kann die Person sie gründen, sofern sie nachweislich nie BerufspolitikerIn war, dafür jedoch Statut und Programm und damit die Ziele und Aufgaben der RUD gutheißt. Schon mit dem zweiten Hinzustoßenden ist der Konsens fällig. Das gilt für Entscheidungen in allen wesentlichen Fragen, somit auch zu den nächsten Aufnahme-Gesuchen.
~~~ Vermutlich gibt sich der »Club« die beliebte bürgerliche Rechtsform des Eingetragenen Vereins, heißt somit amtlich RUD e.V. Alle Mitglieder müssen sich namentlich und mit Angabe ihrer Ortsgruppe offenbaren. Die Listen stehen im Internet. Auch die internen Diskurse und Beschlüsse lassen sich per Internet oder Druckerzeugnisse von jedem Interessierten verfolgen. Das ist kein Verhängnis, weil RUD-Mitglieder nichts zu verbergen haben und auch nichts Unrechtes oder gar Strafbares tun. Sie nehmen das grundgesetzlich garantierte Recht auf Vereinigung und Meinungsfreiheit wahr, mehr nicht. Das Grundgesetz nehmen sie behelfsmäßig in Kauf, weil sie nun einmal BürgerInnen der BRD sind, noch jedenfalls.
~~~ Mitgliedsbeitrag wird nicht erhoben. Wie sich die Ortsgruppen und der Bundesvorstand finanzieren, ist deren Angelegenheit. Sollte der Vorstand Überschüsse erwirtschaften, bietet er sie bedürftigen Ortsgruppen an.
~~~ Soweit sie sich an die Öffentlichkeit wenden, lehnen es RUD-Mitglieder grundsätzlich ab, Personen über die verfochtenen Sachen zu stellen. Sie machen Politik nicht mit Gesichtern oder Geschichten, sondern mit Argumenten.
~~~ Alle Mitglieder der ersten Stunde müssen bis auf weiteres den anfänglich nur dreiköpfigen Vorstand der RUD akzeptieren, der sich naturgemäß selbstermächtigt hat. Auf dessen Mist sind auch Statut und Programm gewachsen. Der Vorstand muß stets zu mindestens einem Drittel weiblich besetzt sein. Sobald ein paar Ortsgruppen, wie kleine auch immer, beisammen sind, können sie auf Änderung des Vorstandes oder des Statuts oder der jeweils gültigen Programme dringen. Um es jedoch zu betonen: Für sämtliche wesentlichen RUD-Beschlüsse ist der Konsens erforderlich. Solange es auch nur ein Veto gibt, bleibt es beim Status quo. Es sei denn, die eine oder andere Ortsgruppe zettelt einen Aufstand an, der zu neuen, möglicherweise ganz ungeahnten Clubverhältnissen führt. Ein Ergebnis könnte schlimmstenfalls die Zertrümmerung der RUD sein. Aber vielleicht hätte auch das sein Gutes.
~~~ Die einzige Ausnahme von der Konsens-Pflicht bilden Ausschlüsse, falls sie vorkommen sollten. Hier gilt Konsens minus eins.
~~~ Als Grundsatzprogramm der RUD sollten die folgenden Hinweise genügen. Die Unpartei schlägt eine durchgreifende Verkleinerung und Demokratisierung Deutschlands vor. Die Verkleinerung ist nicht unbedingt quantitativ zu verstehen. Man könnte auch Vereinfachung sagen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sollen so übersichtlich und durchschaubar werden, daß »Demokratisierung« kein fadenscheiniges, letztlich hohles Versprechen bleibt. Das bedeudet zum Beispiel, mit ganzen Legionen von Mitarbeitern besetzte Ministerien, Rundfunkanstalten, Ämter, Fabriken, Banken haben im neuen Deutschland keinen Platz. Die Städte müssen zielstrebig ausgedünnt, die Transport- und Reisewege beschnitten werden. Durch beträchtliche Verringerung des Energiebedarfes erübrigen sich nebenbei Monster-Kraftwerke aller Art. Eine solche umfassende Verkleinerung ist eine wahre Herkulesarbeit, für die es, soweit wir wissen, bislang kein historisches Vorbild gibt. Eine Ahnung davon, wie sie vonstatten gehen und aussehen könnte, vermittelt Henner Reitmeiers Erzählung von 2022 Der Sturz des Herkules. Sie macht auch klar, ohne unverzügliche konsequente Abschaffung des Geldes, der Berufspolitik einschließlich Parteienwirtschaft und aller polizeilichen Kräfte wird das neue Deutschland bereits im Keim ersticken. Es muß ein Bund aus Freien Republiken (Ländern) sein, die unmittelbar von allen Bürgern und deren jederzeit abwählbaren Räten verwaltet werden. Jede Republik fußt auf ihren Grundorgani-sationen (GOs), die nie mehr als 100 Köpfe umfassen sollten. Alle GOs sind bewaffnet. Die RUD wird aufgelöst, denn zu den verheerenden Verirrungen kommunistischer Länder zählte die bürokratische Verdopplung der »Kader« unter Staats- und Parteiflagge.
~~~ Naheliegenderweise schließt das Konzept der »Vereinfachung« auch den Kampf gegen den entsetzlichen gewohnten Lebensstil des zivilisierten Menschen ein. Er verdirbt sowohl die einzelnen Bürger wie deren Volkswirtschaften seit vielen Jahrzehnten bis ins Mark. All die bekannten Überflüssigkeiten wie etwa 2oo Sorten von durchweg gleich unwirksamen oder gleich schädlichen Sonnenölen, 500 gleich schmutzigen und tödlichen Automarken oder ungefähr 10 aufeinanderfolgende Frisurenmoden in 12 Monaten müssen im Zuge des Umsturzes und Umbaus der Gesellschaft möglichst rasch zum Versiegen gebracht werden. Damit können sie nicht mehr dazu herhalten, die Lecks in der Charakterfestigkeit der BürgerInnen zu stopfen und ihr verständliches Bedürfnis nach Anerkennung bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Auch wegen dieser bedrohlichen Absicht der VereinfacherInnen vom RUD-Club wird man diesen ohne Zweifel mit viel Dreck bewerfen, sobald er, vielleicht, nicht mehr kurzerhand ignorierbar ist. Man wird den Wahlschafen erzählen, der Club wolle Bürger in Mönche verwandeln und Deutschland in die Ohnmacht stürzen oder doch jedenfalls in die Altsteinzeit zurückführen. Aber wir versichern Ihnen, gegen das, was mit der Drohne für jeden Haushalt und dem fast vollständig KI-gesteuerten bundesdeutschen Verwaltungs- und Propagandaapparat auf uns zukommt, war die Altsteinzeit mit ihren Schauermärchen, Faustkämpfen und Hungersnöten die reinste Idylle.
~~~ Allen Mitgliedern, die sich in historischer, politökonomischer und philosophischer Hinsicht für wenig sattelfest halten, wird empfohlen, sich noch in weitere Texte Reitmeiers zu vertiefen. Sie stehen alle in seinem Blog Ausgewählte Zwerge. Der Blog hat ein ausführliches Personen- und Sachregister. Eine bindende Funktion für Mitglieder oder Sympathisanten der RUD hat er nicht.
~~~ Wir kommen zuletzt zum Aktionsprogramm. Hier ist zunächst zu betonen, daß die Menschen des neuen Deutschlands nicht nach dem Tag X (des Umsturzes), vielmehr lange vorher gemacht werden. Somit leistet die RUD in erster Linie Selbsterziehungsarbeit. Auch darin gilt bereits Verweigerung: das Leitwort unseres Aktionspro-gramms. So arbeiten Clubmitglieder daran, sich die Nei-gung zu Machtproben, Rechthabertum, Eigennützigkeit, Verstellung auszutreiben. Sie verpönen alle Kampfmittel, die offensichtlich ihren Zielen ins Gesicht schlagen. In der berüchtigten Gewaltfrage ist das natürlich heikel. Wir glauben jedoch, wirklich gewaltfreie Gesellschaften sind undenkbar. Es sind Fata Morganen für Schäfchen, die man irreleiten kann.
~~~ Die Aufforderung, Rundfunkgebühren zu verweigern, ist vielleicht etwas verfrüht. Man kann sich aber ohne Zweifel weitgehend von den Veranstaltungen der Rundfunkanstalten abnabeln. Dafür werben wir. Auftritte in Fernseh- oder Radiosendungen lehnen wir ausnahmslos ab. Unseren Rundfunkanstalten muß, nach der Glaubwürdigkeit, einfach das Publikum ausgehen, dann verschwinden sie von selbst, beispielsweise nach China oder auf den Mars. Dasselbe Muster gilt selbstverständlich für unsere Leidpresse.
~~~ Müssen wir reisen – wir müssen selten – benutzen wir ganz vorwiegend die Eisenbahn. Wir machen unseren Mitbürgern ein sinnvolles Wirken an ihrem Heimatort schmackhaft, das dem zerstörerischen Urlaubs- und Tourismuswahn den Boden entzieht.
~~~ Ausländische Streit- oder Geheimdienstkräfte, aber auch unsere eigenen, inländischen, dürfen dagegen gerne ausreisen. Nach dem Umsturz werden sie gefeuert. Ihre Atomwaffen müssen sie mitnehmen. Der neue deutsche Bund ist unnachgiebig friedliebend. Er wird auch die Mitgliedschaft in allen übernationalen Vereinigungen verweigern, voran UN, Nato, EU. Die UN ist eine überaus kostspielige Quasselbude, die den sogenannten Großmächten seit Jahrzehnten als Feigenblatt für Imperialismus dient. Nato und EU sind riesige Pestbeulen.
~~~ Clubmitglieder leben vorbildlich bescheiden. Sie ächten die herrschende Konsumsucht und den nahezu immer sozialunverträglichen Familiensinn. Sie sprechen sich für eine Vielfalt in den Formen des Wohnens und der Zusammenarbeit aus.
~~~ Das Privateigentum an allem, was persönliche Habe übersteigt, wird mit dem Umsturz abgeschafft sein. Es wird um Gottes willen nicht Staats-, vielmehr Volkseigentum, was in der Regel bedeutet, es wird von den GOs des jeweiligen Landes verwaltet. Die Clubmitglieder üben sich schon heute in rangfreien Kollektivbetrieben. Wiederbelebungen von sogenannten Nebenstrecken der Eisenbahn sind anzustreben. Professionelles Kunstschaffen, Philosophieren oder Lügen – PR oder Journalismus genannt – ist unsere Sache nicht. Bei allen Parlamentswahlen empfehlen wir gnadenlos Boykott. Juristische Auseinandersetzungen verschmähen wir. Um MitbürgerInnen, die hirnverbrannt an ihren Handys oder ihren Hunden hängen, machen wir einen Bogen.
~~~ Wahrscheinlich kann der Löwenanteil der Clubkommunikation über Webseiten und Email-Verkehr abgewickelt werden. Sitzungen, Konferenzen und Kreuzverhöre haben viele Nachteile. Sehen Sie einmal bei Reitmeier unter »Mündlichkeit« und »Verbilderung« nach. Allerdings sind in dieser Hinsicht Ratschläge von Fachleuten erwünscht, die die Sicherheit (= Ungefährlich-keit) von Maildienst- und Internet-Anbietern überhaupt beurteilen und vielleicht erhöhen können. Vermutlich wird der Club eigene Server anstreben, die in vergleichsweise geschütztem Ausland stehen.
~~~ Das neue Deutschland wird Religionsgemeinschaften nicht verbieten, jedoch überflüssig machen. Die verbreitete Hochachtung vor irgendwie religiösen, spirituellen, mystischen Menschen und Konzepten bekämpfen wir bereits jetzt. Für uns ist die Grundlage aller Verständigung nicht Gefühlsdusel, sondern Gespräch. Im Gespräch zählen Argumente, nicht Beteuerungen. Zu einer Unpartei gehört immer Unglaube.
~~~ Die RUD verabscheut Prahlen und Einschüchtern. Somit darf ihre Überzeugungsarbeit auf keinen Fall den öffentlichen Raum zukleistern. Zum einen ginge sie damit nur der Falle des Mehrheitsprinzipes auf den Leim, nämlich: wer ist der Stärkere?; zum anderen haben die Dinge des öffentlichen Raumes ein heiliges Recht auf Eigenständigkeit und Würde. Ein Baum ist keine Litfaßsäule. Die RUD setzt eher auf Agitprop und Aktionen, die mit Witz oder List, daher Verblüffung arbeiten. Sie setzt nicht auf Schaumschlägerei, Einschaltquoten, Umfragewerte. Sie ist im Gegenteil auf einen gewissen Zug ihres öffentlichen Wirkens erpicht, den man partisanenhaft oder wühlmäusisch nennen könnte. Sie beeindruckt eher durch Abwesenheit als durch Kraftakte. Sie ist eben die Unpartei der Verweigerung. Gegen die massenhafte Verbreitung des hübschen Logos der RUD ist allerdings nichts zu sagen. Nur dadurch könnte sie früher oder später gleichsam allgegenwärtig sein. Das gibt den Massen Zuversicht.
~~~ Das gedruckte Monatsblatt des Clubs wird möglicherweise Rudes Bravo heißen. Es soll eine Verbindlichkeit gewährleisten, die allen digitalen und so leicht manipulierbaren Erzeugnisse wesensfremd ist.
~~~ Sobald die sozialpolitischen Auseinandersetzungen heftiger werden, stehen uns zahlreiche Streikformen zu Gebote, die sich zumindest teilweise schon bewährt haben, vom Bummelstreik über den Gebärstreik bis hin zum Generalstreik. Neue Formen dürften noch durchaus erfindbar sein. Alle diese Streiks stellen unseres Erachtens die einzige Möglichkeit dar, ein riesiges Blutbad zu vermeiden. Ein bewaffneter Aufstand im heutigen Mitteleuropa wäre Wahnsinn.
~~~ Aber der gleiche Wahnsinn ist es, dem die Reformisten aller Schattierungen die Stange halten. Sie sorgen dafür, daß die Tretmühle, die tagtäglich für Unmengen an Geängstigten, Gedemütigten, Zerrütteten, Kranken und Toten sorgt, darunter viele Kinder, nie empfindlich einrostet, geschweige denn verschrottet wird. Sie sind die FahnenträgerInnen des angeblich Kleineren Übels. Sie sind die Klempner, die Hausärzte, die Psychotherapeuten der gespenstischen Normalität.
Eben in das zuletzt angeprangerte Fahrwasser haben uns in den 1970er Jahren, parallel zum Verebben der Antiautoritären Bewegung, mit Vergnügen diverse »linke« oder »alternative« Gruppen geführt, voran die später staatstragenden Grünen. Deren Bundespartei wurde 1980 in Karlsruhe gegründet. Ich lasse es dahingestellt, ob Spitzenkader wie Joschka Fischer und Annalena Baerbock bereits als Säuglinge vorsorglich mit Yankeeblut geimpft oder mit angelsächsischem Met zugedröhnt worden sind. Doch für die Behauptung, es habe in der gesamten Postmoderne kaum größere und schädlichere Lumpen gegeben als sie und ihresgleichen, lege ich meine Hand ins Feuer. Damals wußten sie just die Entfaltung einer wirklichen und nennenswerten Graswurzelbewegung zu verhindern. Dazu gehörte auch das Einschwören auf Pazifismus, was nebenbei zusätzlich in gewissen angeblich »anarchistischen« Kreisen Frucht getragen hat. Die grün befeuerten, streckenweise massenhaften Antiatomproteste verliefen sich irgendwo in der Marsch oder im Hessischen Ried, weil eben RUD fehlte. Die grünen Chefs und Chefinnen drängte es an die Hebel der Staats- und Megamaschine, und dazu waren weder Maschinengewehre noch Räte nötig. Kaum an jene Hebel gelangt, ließen sie das pazifistische Mäntelchen freilich gerne fallen, um der weltweit »vernetzten« Rüstungsindustrie mit der geeigneten Armfreiheit die Rettungspakete zuschieben zu können.
~~~ Neben den drei P-Giften Parlamentarismus, Parteienwirtschaft, Pazifismus stellte sicherlich auch das kommunistische Lager einen Hemmschuh revolutionärer Entwicklung dar. Dieser Schuh stand allerdings seit Jahrzehnten in der Welt, und kein gutes Zureden durch GraswurzlerInnen hätte ihn nennenswert ins Recyling verrückt, etwa für Mokassins. RUD hätte aber unversöhnlich auf ihn eingeklopft, wenigstens in Artikeln der Rudes Bravo. Viele angebliche Antikapitalisten zogen es jedoch vor, es sich mit dem kommunistischen Lager nicht zu verderben. Das hatte bereits mit Sartre begonnen, und mit Günther Schwarberg und Erich Kuby, beide schwarfzüngige und einflußreiche Journalisten, hörte es leider noch nicht auf. Denen hätte Rudes Bravo schon Dampf gemacht.
~~~ Aus meinem verglasten Bücherschrank winkt mir eine DDR-Publikation zu, die zufällig in den hier behandelten Zeitraum paßt. Sie heißt Mühlhausen. 1975 zählte diese thüringische Stadt an der Unstrut immerhin fast 45.000 EinwohnerInnen. Man kennt sie vielleicht wegen ihr vielen Wassermühlen und vom bauernfreundlichen Pfarrer Thomas Müntzer her, der 1525 vor den Mühlhäuser Stadttoren, nach Folterung, enthauptet worden war. In jenem Jahr 1975 legten W. G. Heyde (Fotos) und J. L. Burghoff (Einführung) im Leipziger VEB F. A. Brockhaus Verlag einen durchaus solide gemachten schmalen Bildband über die geschichtsträchtige DDR-Stadt vor. Ich nehme an, dieses Werk wäre für ein kleines, bissiges Feuilleton in der Rudes Bravo gut gewesen. Über die Fadenheftung und den Farbdruck kann man nicht meckern, aber von den üblichen abgedroschenen SED-Formeln und dem üblichen peinlich nationalstolzen Tonfall, den uns Burghoff in seinem historischen Abriß zumutet, hätten wohl selbst Schwarberg und Kuby Zahnschmerzen bekommen. Demnach war der mühlhäusische Lebenswandel nach 1945 untadelig. Man findet nicht ein Komma an Zweifel oder gar Selbstkritik. Burghoff stellt vor allem die »anerkannten« Leistungen von Industrie und Handel heraus, und entsprechend fotografiert Heyde am liebsten Taschen oder Tüten tragende BürgerInnen, die gerade ihren Konsumwünschen nachgehen beziehungsweise -fahren. Ihre rollenden oder parkenden Autos sieht man in jedem fünften Bild. Ist die abzubildende Straße zufällig gerade leergefegt, wartet Fuchs Heyde geduldig, bis ein Wartburg kommt. Das hat natürlich nur ästhetische Gründe, waren die Ostdeutschen doch auch in der ausgewogenen Bildkomposition bärenstark. Man wundert sich fast, daß Heyde nicht auch ein modernes Straßenkehrfahrzeug präsentiert, das den im Westen gültigen Qualitätsanforderungen mindestens entspricht. In meiner Zwergrepublik Ümmershand fegen die RepublikanerInnen jetzt wieder wie in der Altsteinzeit mit dem Besen.
~~~ Dafür hocken bei Heyde einmal Frauen unterschied-lichen Alters in Kette wie geprügelte Graugänse an den Nähmaschinen ihrer Fabrik, die ihnen freilich nur auf dem Papier gehört. Sie wissen jedoch, am Rande des »Naherholungszentrums Schwanenteich« steht ihnen »ein großer Parkplatz« zur Verfügung (S. 31). Auf Seite 88 sehen wir den gut bestückten Mühlhäuser Busbahnhof, falls die volkseigene Näherin noch keinen Trabi hat. Auf Seite 98 flaniert das Volk durch die Hauptverkehrsstraße Steinweg, anscheinend (1975) schon eine halbe Fußgängerzone. Das einstige Pflaster ist mit Asphalt überzogen. Täusche ich mich nicht, deutet eine von Regennässe markierte Spur in Waggonbreite auf einstige Straßenbahnschienen hin. Vielleicht hat man sie (wie etwa auch in Eisenach) kurzerhand einasphaltiert, statt sie für Umwandlungszwecke aufwendig wieder herauszureißen. Für Burghoff hat die Mühlhäuser Straßenbahn nie existiert. Er übergeht sie kurzerhand. Aus anderen Quellen ist zu erfahren, die beiden Linien wurden 1968/69 amtlich und realsozialistisch abgesegnet stillgelegt. Überdies gab es ab Bahnhof Mühlhausen zwei Eisenbahnnebenstrecken, nach Treffurt und Ebeleben. Auch denen wurde (nach 1968) der Garaus gemacht.
~~~ Heute zwängen sich vermutlich die jeweils modernsten breitmäuligen Geländelimousinen durch Mühlhausens Altstadtgassen zum Schwanenteich hinaus. Man wird sie alle demnächst mit drehbaren leichten Geschützen ausrüsten, damit die MühlhäuserInnen dem immer näher rückenden russischen Bären tüchtig eins auf den Pelz brennen können.
~~~ Bei einigen anderen ikonenhaften Erscheinungen der westdeutschen Jahre nach 1970 bin ich mir, ohne nähere Untersuchung, nicht sicher, ob sie eher den Hemm-schuhen oder eher den Förderkörben der antiautoritären Revolte zuzuschlagen wären. Ich denke beispielsweise an Ton Steine Scherben, Klaus den Geiger und die Kommunebewegung, aus der ich ja selber komme. Die Scherben endeteten im Deutschrockstar Reiser, und die mehr oder weniger anarchistisch gestimmten Kommunarden legten sich bald recht offenherzig mit Waldorfschullehrerinnen sowie den rotgrünen Annalenas ins Bett. So eine »nähere Untersuchung« des vollständigen Gegenstandes wäre übrigens eine mühsame, langwierige Angelegenheit, die ohne Zweifel sowohl meine Fähigkeiten wie meine Kräfte weit überstiege. Um etwa allein herauszubekommen, wie sich E. F. Schumacher zum Ostblock und insbesondere zu dessen Verkehrspolitik stellte, hätte man bereits einen kleinen Stapel an Büchern und Zeitschriftenartikeln ohne Suchroboterhilfe zu durchforsten.
~~~ E. F. Schumacher legte mit seinem Buch Small is Beautiful, zuerst 1973 auf englisch erschienen, ohne Zweifel einen bedeutenden Förderkorb vor. Er war übrigens ein Bruder der Bildhauerin Edith Schumacher, mit der Erich Kuby (1938) seine erste Ehe eingangen war. Small is Beautiful schlug ein, es traf einen empfindlichen Nerv, selten wurde ein Werk eines weitgehend unbekannten Denkers – vorübergehend – so rege erörtert. Schumacher prangerte den Wachstumswahn, das Märchen von der »Unwirtschaftlichkeit« zahlreicher menschlicher Bestrebungen, den Raubbau und die Energiegier, die Herstellung von jeder Menge Überflüssigem und natürlich den in so vielen Bereichen befolgten Größenkult an. Er predigte ziemlich genau jene Verkleinerung und Vereinfachung, die sich damals, in den 1970er Jahren, auch eine RUD auf die Fahnen geschrieben hätte. Er sprach sich gar für eine »metaphysische Erneuerung« aus. Aber im Grunde war der Mann, wie Kuby, leider Reformist. Geld, Privateigentum, Kapitalismus und selbst den Staat stellt er nie ernsthaft in Frage. Bei den Städten hält er noch eine halbe Million EinwohnerInnen für tragbar. Er rühmt etwa regionale, handwerklich orientierte Kooperativen in Indien – der Moloch Indien selber entgeht seinem Verkleinerungsdrang. Er wirbt für viele Ponys im Bauch des einen Mammuts.
~~~ Nebenbei scheint er auch nie ein waschechter Antiautoritärer gewesen zu sein. In meiner deutschen Rowohlt-Taschenbuchausgabe von 1985 heißt es auf ungefähr jeder dritten Seite »Professor« oder »Dr.« oder »Lord« Soundso. Schumacher läßt den akademischen Grad der angeführten Größen nicht einmal unter den Tisch fallen. Zu allem Überfluß ist er selber auf dem Buchtitelfoto mit edlem gestreiften Anzug und einer wunderschön geblümten, vermutlich seidenen Krawatte abgebildet. Diese Tracht war vielleicht in jenen indischen oder birmischen Kooperativen als unbedingt Nichtüber-flüssiges von Hand gewebt worden. Für den Export.
~~~ Ich persönlich hätte als Autor der Rudes Bravo wahrscheinlich auch am Rande auf Schumachers eher bescheidene stilistische Fähigkeiten, ferner auf seine hartnäckige Neigung zur Frömmelei hingewiesen. Vielleicht hielt er sich wegen beidem in der Sympathie der AnhängerInnen Rudolf Steiners deshalb etwas länger als etwa in der Gunst der Joschka Fischers, Petra Kellys oder gar noch Claudia Roths. Schumachers Vermächtnis war, soweit ich sehe, schon am Ende des Jahrhunderts wie weggeblasen. Das hätte RUD niemals zugelassen.
~~~ Hacke ich gern auf namentlich bekannte »Aktivisten« ein, darf man allerdings nicht glauben, eine erfolgver-sprechende revolutionäre Bewegung der antiautoritären Sorte käme ohne Kader aus. Sie benötigt massenhaft erfahrene Leute als Vorbilder, Antriebskräfte und schließlich, unmittelbar nach dem Umsturz, für die Einrichtung und Festigung der erwähnten Grundorgani-sationen (GOs), auf denen die neuen Republiken des Bundes fußen. Ohne solche Kader braucht man den Umsturz gar nicht erst vom Zaun zu brechen. Und dann benötigt man im Kampf gegen den Kapitalismus auch noch eine zweite wichtige Sache in durchaus beträchtlichem Umfang, nämlich Kapital.
~~~ Das mit Abstand Kostspieligste dürfte in dieser Hinsicht das Unparteiorgan sein, in diesem fiktivem Fall also das Monatsblatt Rudes Bravo. Mit nur ein paar Flugblättern hier und dort wird der Widerstand nichts ausrichten. Schon allein der Spiegel druckte um 1980 eine Millionen Exemplare – Woche für Woche. Kommen Zeit, FAZ und so weiter hinzu. Gegen diese geballte Meinungsmacht helfen keine gelegentlichen Blättchen. Das (angeblich) linke Monatsblatt Konkret kam meines Wissens nie nennenswert über 30.000 Exemplare: viel zu wenig. Es kostete 1975 am Kiosk drei Mark – und das war wiederum zuviel. Ich würde also sagen, eine Rudes Bravo sollte spätestens 1980 über 100.000 Exemplare kommen und trotzdem nur zwei Mark kosten. Schließlich macht man eine antiautoritäre Revolution vorwiegend mit armen Schluckern. Zwar wird sich Rudes Bravo keinesfalls hochdotierte BerufsschreiberInnen und fette Honorare an Gaststars wie Kuby oder Schumacher gestatten, aber die ganze technische Herstellung und der Vertrieb sind immer noch kostspielig genug. Deshalb benötigt man über Jahre hinweg ein gutes Kapitalpolster.
~~~ Wie Sie vielleicht schon gehört haben, hat ja kürzlich sogar Prinzessin Wagenknecht, für ihre maßgeschneiderte Partei BSW, einen Millionär aufgetrieben. In meiner fiktiven Rechnung (dem Roman) hätte ich dafür Rita Henschel eingesetzt. Wahrscheinlich wäre der angestrebte Umsturz von 1989/90 von daher gleichsam dem Kasseler sogenannten Tannenwäldchen entsprossen. Die langgestreckte Anhöhe zwischen dem weitläufigen Rangiergelände des Hauptbahnhofs und der Kölnischen Straße war bereits in den 1970er Jahren vorwiegend von Fichten, Kiefern, Eichen und Kastanien bestanden, daneben auch von einer lupenreinen echten Tanne, die christlich gestimmte AnwohnerInnen einmal vom häuslichen Weihnachtsschmuck befreit und dort ohne amtlichen Segen eigenhändig eingepflanzt hatten. Den Leuten des Vorderen Kasseler Westens diente das schmale, parkähnlich gestaltete Tannenwäldchen hauptsächlich als Spazierrevier und Hundeklo. Aber dann kam Rita.
~~~ Das war 1972. Rita Henschel, recht hochgewachsen, aschblond befranst, kräftige Nase, frech bis dorthinaus, gleichwohl keineswegs auf den Kopf gefallen, war damals Mitte 20. Sie hatte schon vor ihrer Begegnung mit dem deutlich älteren Denker Fred Malunke mindestens zwei Erleuchtungen gehabt. Zum einen war ihr jene Sache mit den Kadern klar – mit diesen »neuen Menschen«, die leider nicht vom Himmel fallen. Man muß sie vielmehr züchten. Malunke bevorzugte allerdings die Formel von der gegenseitigen Erziehung der zukünftigen RepublikanerInnen. Zum anderen war ihr die Sache mit dem erforderlichen Kapital klar – und Rita Henschel hatte es. Zufällig war sie nämlich dem bekannten einheimischen, traditionell militaristisch gestimmten Industriellenclan Henschel im Zuge der antiautoritären Bewegung abtrünnig geworden. Dank ihrer Gewitztheit gelang es diesem jedoch nicht, sie nun im Gegenzug zu enterben. Vielmehr gingen im Jahr 1972 mehrere Millionen Mark auf ihrem Bankkonto ein. Die Gerichte hatten ihren Clan zur Ausbezahlung verdonnert.
~~~ Den ersten Batzen dieses Erbes steckte Rita in ein Grundstück am Südhang des Tannenwäldchens, das sich später (2000), in Wahrheit, die Gruppe https://www.villa-locomuna.de unter den Nagel riß. Dort durfte ich, als Abgesandter der Waltershäuser Puppenfabrikkommune, schon einmal übernachten. Das Gelände hatte einst der Deutschen Bahn als Ausbildungsstätte für Lokomotiv-führer gedient. Neben Bäumen bot es eine Fabrikanten-Villa aus den 1920er Jahren und ein fünfstöckiges Flachdachgebäude von 1960 sowie – die beiden Gebäude verbindend – einen Saal mit angeschlossener Großküche und drei Werkstätten, wie der genannten Webseite zu entnehmen ist. Vermutlich fügten Rita und ihre MitstreiterInnen des taufrischen RUD e.V. auch gleich noch ein separates Druckereigebäude hinzu. Hier lief vor allem die Rudes Bravo aus der brandneuen Rollenoffsetmaschine.
~~~ Mit diesem Hauptquartier war man vom »Markt« vergleichsweise unabhängig. Freilich war man auch recht gefährdet, um hier nicht nur eine Geschichte vom Deckchensticken zu erzählen. Wurde RUD so bekannt, beliebt und »stark«, wie erwünscht, stellte sie jede Wette auch ein bevorzugtes Ziel für die ähnlich beliebten Anschläge dar. Einen kleinen Geschmack davon habe ich neulich mit der Skizze Ritas Rache gegeben. Ich fürchte sogar, Rita selber könnte zu Schaden kommen und den Umsturz vielleicht gar nicht mehr erleben – oder nur mit einem Arm, wie die Contergan-Kinder, oder als Rollstuhlfahrerin.
~~~ Man darf diesen Gesichtspunkt nicht ausklammern. Der Kapitalismus und der erwähnte »Markt« fordern ungeheuerliche Opfer – aber die Auflehnung gegen sie geht auch nicht gerade mit ein paar Beulen oder schlimmsten-falls einem Magengeschwür ab. Auch sie fordert ihre Opfer. Und jeder muß selbst für sich entscheiden, ob sie das wert ist.
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