Samstag, 25. Januar 2025
AZ 5 Erzählungen Ritas Rache
ziegen, 11:28h
Skizze, 2023
In den 1960er Jahren war die nordhessische Bezirkshaupt-stadt Kassel vorübergehend eine Hochburg des Anar-chismus. Das ist heute kaum noch bekannt. Die damalige Blüte war Rita Henschel zu verdanken. Flaggschiff des von ihr mitgegründeten Kasseler Anarchistischen Clubs, wie er sich schmucklos nannte, war das Monatsmagazin Kutscherlutscher, das seine verkaufte Auflage in wenigen Jahren auf knapp 27.000 Exemplare steigern konnte. Es verband ein hohes sprachliches und philosophisches Niveau mit viel Witz, Cartoons eingeschlossen. Selbst in den USA gab es ein paar Abonnenten. Als auf dem Weinberg jedoch die Bombe hochging und sieben Anarchisten in den Tod riß, war der Traum vorbei.
~~~ Zwar hatte sich Rita, geboren 1922, schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg vom namhaften und schuldbeladenen Henschel-Clan losgesagt, doch diesem gelang es nicht, Ritas Erbansprüche aberkennen zu lassen. So fiel ihr neben einem Sack voll Geld das ehemalige Kutscherhaus der beiden auf dem Weinberg gelegenen Henschel-Villen zu. Die Villen standen nicht mehr. Das Kutscherhaus, aus gelbem Backstein gemauert, mit vielen Sandstein-Simsen und einem großen Portal für die Wagen versehen, ähnelte aber selber einer durchaus stattlichen Villa. In ihr zog Rita mit ersten Getreuen zunächst den Club, dann das Monatsmagazin auf. Die fünfköpfige, bescheiden entlohnte Redaktion saß im Oberstock. Rita war die Sekretärin der Redaktion, denn ihre Stärke war das Organisieren. Das sollte ihr immerhin bei ihrem Rachefeldzug zugute kommen.
~~~ Die verhängnisvolle Bombe ging 1966 an einem nebligen Novembertag hoch. Von der Redaktion wurde nur Rita verschont, weil sie telefonisch von ihrer erkrankten Wohngenossin um Arznei und Trost gebeten worden war. Sie hörten die Explosionen noch am Bebelplatz, wo sie wohnten. Dann das Sirenengeheul. In der Gegend des Weinbergs (Stadtmitte) mußte ja die Hölle los sein. Dann klingelte das Telefon der beiden Frauen. Eine Zeitungsladeninhaberin hatte Rita mit dem Rad in die Wilhelmshöher Allee einbiegen gesehen und setzte sie nun mit tränenerstickter Stimme ins Bild.
~~~ Eine Erzählung würde vermutlich mit diesem Telefonanruf beginnen. Rita warf sich in ein Taxi. Neben ihren vier Redaktionskollegen, darunter eine Frau, hatte es drei Clubmitglieder aus dem Erdgeschoß erwischt, die gerade Büro- und Putzdienst leisteten. Zum Glück waren keine BesucherInnen dagewesen. Die Seitenflügel der Villa gingen talwärts. Im linken Flügel gab es sogar einen Saal für Vollversammlungen und kulturelle Veranstaltungen, der fast 250 Personen faßte. Jetzt aber war das Anwesen nahezu vollständig eingestürzt. Der Brandherd schwelte noch am nächsten Tag. Sieben Tote – und warum?
~~~ Rita leidet an ihrem Überleben. Nach etlichen verzweifelten Tagen und Nächten schwört sie Rache. Den letzten Anstoß dazu gibt ihr ein Gespräch mit einer Reporterin, das in der Frankfurter Rundschau erscheint und ein größeres, überwiegend positives Echo findet. Da Rita vermutlich Unterstützung benötigt, weiht sie Clubmitglied Klaus Dolfenzeller ein, der sich auch sofort zur Verfügung stellt. Er ist schon Mitte 50. Sie hatten einmal eine Liebschaft, trennten sich einvernehmlich. Von Hause aus Förster (Revierforstamt Ehlen), machte sich Klaus vor einigen Jahren als Naturfotograf selbstständig. In der Fachwelt ist er bereits berühmt. Dem Kutscherlutscher diente er gleichsam als Hausfotograf. Er wohnt auf dem ehemaligen elterlichen Bauernhof am Grunnelsbach in Kassel-Niederzwehren, wo er auch ein Labor eingerichtet hat. Da er immer noch in einem Jagdverein ist (mit Schießstand), hat er sowohl Schußwaffen wie den erforderlichen Schein. Rita besteht jedoch darauf, ihn möglichst weitgehend zu decken. Sie will die »Schuld« auf sich nehmen, falls sie einen Täter auftreibt und ihn zur Strecke bringt.
~~~ Die Kasseler Kripo tritt auf der Stelle. Durch ein angebliches Bekennerschreiben einer bis dahin unbekannten faschistischen Gruppe läßt selbst sie sich nicht täuschen. Rita arbeitet mit der Mordkommission zusammen, so gut es geht. Ein Genosse weist sie auf einen möglichen Verdächtigen hin, der in den Tagen vor dem Anschlag unter Umständen die Villa auskundschaftete. Darauf fordert die Kripo einen Zeichner vom Wiesbadener LKA an und läßt zu dem Verdächtigen ein Phantombild erstellen. Durch Hinweis eines Bürgers wird er bald aufgespürt. Er wohnt in einem anrüchigen Viertel an der Holländischen Straße. Zu seinen Hinterleuten schweigt er. Rita bekommt jedoch heraus, mit welcher Frau er sich gelegentlich vergnügte. Diese Frau läßt sich erweichen, weil sie Ritas Versprechen traut, sie zu decken, und gibt ihr Fingerzeige auf einen mutmaßlichen Agenten aus Westberlin. Rita bespricht sich sofort mit Klaus. Er hat einen geländegängigen Kastenwagen, dessen Rückraum wahlweise durch verschiedene Wände oder Gitter abgeteilt werden kann, etwa wegen der Jagdhunde. Für Übernachtungen ist der Wagen ebenfalls geeignet. Sie entwickeln einen Plan. An einem Apriltag reisen sie gemeinsam durch die DDR (Transit) nach Westberlin. Klaus‘ Versteck für die Pistole ist narrensicher. Als sie den Agenten tatsächlich aufgetrieben und eine Weile beobachtet haben, wird es ernst.
~~~ Der Mann wohnt nicht ungünstig in der Bülowstraße, die auf die Yorckstraße stößt. Das ist die vielfach von Eisenbahngleisen überbrückte Schlucht, die durch das ausgedehnte ehemalige, zum Teil schon verwilderte Anhalter/Potsdamer Güterbahnhofsgelände führt. Rita lebte einige Jahre in der Nähe, am Kreuzberger Chamissoplatz, und ging auf dem Bahngelände öfter spazieren. Nicht weit vom Knick Bülow/Yorckstraße liegt der S-Bahnhof Yorckstraße. Dort führte auf der Nordseite ein schmaler Fahrweg zu etlichen Schrottplätzen und Brennstoffhandlungen, ferner Kleingärten. Rita spricht den Agenten auf der Bülowstraße an, macht ihn neugierig, wahrscheinlich auch scharf. Dann lotst sie ihn just in jenen Fahrweg, in dem ihr Auto parkt. Klaus hat in Kassel ein verstecktes Mikrofon in den Fahrerraum eingebaut. Das Kabel führt in den Rückraum zu einem tragbaren, völlig geräuschlos arbeitenden Uher-Tonbandgerät. Der Mann scheint keinen Argwohn zu schöpfen, hat er die blonde Biene doch bereits auf dem Fußweg zum Auto überraschend nach Waffen abgetastet, dabei auch ihre strammen Brüste nicht verschmäht. Zusätzlich gibt Rita im Wagen vor, etwas durch die Trennwand nach vorn zu holen, sodaß der Agent annehmen muß, im Rückraum lauere keine Gefahr. Dort liegt Klaus mit der schallgedämpften Schußwaffe versteckt. Rita schiebt die Trennwand wieder zu. Niesen darf Klaus natürlich nicht.
~~~ Der Agent deutet nun an, sie hätten den Auftrag zum Anschlag, gegen viel Geld, vom Westberliner Büro der CIA bekommen. Diese Andeutungen kann er ja jederzeit abstreiten – bildet er sich ein. Er läßt durchblicken, das anarchistische Monatsmagazin Kutscherlutscher sei verschiedenen elitären Kreisen doch zu frech und zu beliebt, folglich zu lästig geworden. Nebenbei hatte es selbstverständlich auch Machenschaften der westdeutschen Rüstungsindustrie enthüllt, darunter Rheinstahl-Henschel, wie die Fabrik nach einem Eigentümerwechsel ab 1965 hieß.
~~~ Rita gibt das vereinbarte Zeichen. Klaus schießt den Gangster aus geringer Entfernung in den Nacken. Etwas Blut, dann auch Urin, auf den Schonbezügen seiner Vordersitze muß er in Kauf nehmen.
~~~ Wie sich versteht, hat das Paar den vorübergehenden Aufbewahrungsort für die Leiche erkundet und vorbereitet. Es handelt sich um ein ausgedientes Stellwerkhäuschen, das auf der Südseite der Yorckstraße liegt. Sie müssen nur ein paar hundert Meter auf der Yorckstraße Richtung Kreuzberg fahren. Dann geht ein bucklig gepflasterter, inzwischen von Unkraut durchsetzter Fahrweg ins verwilderte Bahngelände ab. Nach 200 Metern treffen sie am Stellwerk ein. Gehölze geben Sichtschutz. Zwar ist die Eingangstür des Häuschens verschlossen, aber es hat im Oberstock einen Balkon. Dort sind auch schon Fensterscheiben kaputt. Das frühere Stellpult wurde von der Bahn entfernt. Sie legen die klappbare Leiter aus Leichtmetall, die sie gekauft haben, ans Balkongeländer, Rita klettert hinauf. Dann hieven und zerren sie den toten Agenten nicht ohne gewisse Anstrengungen ebenfalls nach oben. Sie verbergen ihn im Häuschen notdürftig hinter einem umgestürzten Stahlschrank, den die Bahnleute verschmähten. Nun sputen sie sich, um zum Grenzkontrollpunkt Dreilinden und wieder nach Kassel zu kommen. Sollte Klaus‘ Wagen an der Yorckstraße irgendjemandem aufgefallen sein, wäre es kein Beinbruch. Rita verhehlt die Reise nach Westberlin ja gar nicht, und an der Yorckstraße kann sie schließlich ohne ihren Begleiter gewesen sein.
~~~ Klaus nutzt die Rückreise dazu, mit Hilfe eines zweiten Tonbandgerätes eine Kopie von dem belastenden Gespräch zu ziehen. Die nimmt er mit auf seinen Zwehrener Hof. Rita dagegen fährt per Rad mit dem Uher zur Kripo im Polizeipräsidium Königstor. Es ist kurz vor Feierabend. Rita erreicht ohne Mühe, daß sich zwei Beamte der Mordkommission mit ihr gemeinsam das Band anhören und ihr sogar eine weitere Kopie aushändigen. Jetzt hat sie eine doppelte Lebensversicherung. Nachdem sich die Kriminalen von ihrer Verblüffung erholt haben, fordert Rita sie auch noch auf, sofort um Westberliner Amtshilfe zu bitten, gelte es doch, in dem ehemaligen Stellwerkhäuschen Soundso die Leiche eines Agenten sicher zu stellen. »Was denn – Sie haben den Mann getötet, Frau Henschel ..?« – »Sie sagen es.« – »Aber dann müssen wir Sie ja erst einmal vorsichtshalber festnehmen!« – »Ja, tun Sie das.«
~~~ Die Westberliner Kollegen brechen die Stellwerktür auf. Die Leiche ist noch da. Später wird natürlich auch die Stimme des einstigen Agenten überprüft. Wie sich versteht, sind Rita und ihre Genossen entschlossen, vor dem Kasseler Landgericht diverse Geheimdienste und Regierungen anzuprangern. Wahrscheinlich bleibt sie gegen Kaution auf freiem Fuß. Ihre Beklemmungen sind schon fast gewiechen; der Racheakt war ohne Zweifel gesundheitsfördernd. Im übrigen hegt Ritas Rechtsanwältin die Hoffnung, das Gericht könnte sich an den Fällen Wera Sassulitsch (Petersburg 1878) und Schalom Schwartzbard (Paris 1926) orientieren. Sollte Rita, wie dieser Attentäter, straflos davon kommen, dürfte sie allerdings gezwungen sein abzutauchen, denn andere haben ja vielleicht auch noch Rachedurst. Der Kutscherlutscher ist sowieso erst einmal im Eimer. Für die Villa wird es sicherlich eine Stange Versicherungsgeld geben; das geht jedoch an den Club (Gemeineigentum, Konsensprinzip). Dolfenzeller ist aber als Fotograf zu einigen Ersparnissen gekommen, und so schmiedet er mit Rita, die ja auch nicht die Ärmste ist, verschiedene Rückzugspläne, etwa Richtung Tessin.
~~~ Übrigens bleibt Dolfenzeller unbehelligt. Zwar ahnt die Kripo, welche Rolle er bei der Westberliner Unternehmung gespielt hat. Sie kann es ihm aber nicht nachweisen. Und der Staatsanwalt zeigt sogar wenig Lust, diese Detailfragen auch noch, auf Kosten des Steuerzahlers, zu klären. »Der Mann ist jedenfalls tot!« schimpft er auf einer Pressekonferenz. »Und wenn Frau Henschel beteuert, das sei ihr Werk gewesen, sollte man sie vielleicht ernst nehmen, meine Herren. Oder finden Sie nicht?«
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In den 1960er Jahren war die nordhessische Bezirkshaupt-stadt Kassel vorübergehend eine Hochburg des Anar-chismus. Das ist heute kaum noch bekannt. Die damalige Blüte war Rita Henschel zu verdanken. Flaggschiff des von ihr mitgegründeten Kasseler Anarchistischen Clubs, wie er sich schmucklos nannte, war das Monatsmagazin Kutscherlutscher, das seine verkaufte Auflage in wenigen Jahren auf knapp 27.000 Exemplare steigern konnte. Es verband ein hohes sprachliches und philosophisches Niveau mit viel Witz, Cartoons eingeschlossen. Selbst in den USA gab es ein paar Abonnenten. Als auf dem Weinberg jedoch die Bombe hochging und sieben Anarchisten in den Tod riß, war der Traum vorbei.
~~~ Zwar hatte sich Rita, geboren 1922, schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg vom namhaften und schuldbeladenen Henschel-Clan losgesagt, doch diesem gelang es nicht, Ritas Erbansprüche aberkennen zu lassen. So fiel ihr neben einem Sack voll Geld das ehemalige Kutscherhaus der beiden auf dem Weinberg gelegenen Henschel-Villen zu. Die Villen standen nicht mehr. Das Kutscherhaus, aus gelbem Backstein gemauert, mit vielen Sandstein-Simsen und einem großen Portal für die Wagen versehen, ähnelte aber selber einer durchaus stattlichen Villa. In ihr zog Rita mit ersten Getreuen zunächst den Club, dann das Monatsmagazin auf. Die fünfköpfige, bescheiden entlohnte Redaktion saß im Oberstock. Rita war die Sekretärin der Redaktion, denn ihre Stärke war das Organisieren. Das sollte ihr immerhin bei ihrem Rachefeldzug zugute kommen.
~~~ Die verhängnisvolle Bombe ging 1966 an einem nebligen Novembertag hoch. Von der Redaktion wurde nur Rita verschont, weil sie telefonisch von ihrer erkrankten Wohngenossin um Arznei und Trost gebeten worden war. Sie hörten die Explosionen noch am Bebelplatz, wo sie wohnten. Dann das Sirenengeheul. In der Gegend des Weinbergs (Stadtmitte) mußte ja die Hölle los sein. Dann klingelte das Telefon der beiden Frauen. Eine Zeitungsladeninhaberin hatte Rita mit dem Rad in die Wilhelmshöher Allee einbiegen gesehen und setzte sie nun mit tränenerstickter Stimme ins Bild.
~~~ Eine Erzählung würde vermutlich mit diesem Telefonanruf beginnen. Rita warf sich in ein Taxi. Neben ihren vier Redaktionskollegen, darunter eine Frau, hatte es drei Clubmitglieder aus dem Erdgeschoß erwischt, die gerade Büro- und Putzdienst leisteten. Zum Glück waren keine BesucherInnen dagewesen. Die Seitenflügel der Villa gingen talwärts. Im linken Flügel gab es sogar einen Saal für Vollversammlungen und kulturelle Veranstaltungen, der fast 250 Personen faßte. Jetzt aber war das Anwesen nahezu vollständig eingestürzt. Der Brandherd schwelte noch am nächsten Tag. Sieben Tote – und warum?
~~~ Rita leidet an ihrem Überleben. Nach etlichen verzweifelten Tagen und Nächten schwört sie Rache. Den letzten Anstoß dazu gibt ihr ein Gespräch mit einer Reporterin, das in der Frankfurter Rundschau erscheint und ein größeres, überwiegend positives Echo findet. Da Rita vermutlich Unterstützung benötigt, weiht sie Clubmitglied Klaus Dolfenzeller ein, der sich auch sofort zur Verfügung stellt. Er ist schon Mitte 50. Sie hatten einmal eine Liebschaft, trennten sich einvernehmlich. Von Hause aus Förster (Revierforstamt Ehlen), machte sich Klaus vor einigen Jahren als Naturfotograf selbstständig. In der Fachwelt ist er bereits berühmt. Dem Kutscherlutscher diente er gleichsam als Hausfotograf. Er wohnt auf dem ehemaligen elterlichen Bauernhof am Grunnelsbach in Kassel-Niederzwehren, wo er auch ein Labor eingerichtet hat. Da er immer noch in einem Jagdverein ist (mit Schießstand), hat er sowohl Schußwaffen wie den erforderlichen Schein. Rita besteht jedoch darauf, ihn möglichst weitgehend zu decken. Sie will die »Schuld« auf sich nehmen, falls sie einen Täter auftreibt und ihn zur Strecke bringt.
~~~ Die Kasseler Kripo tritt auf der Stelle. Durch ein angebliches Bekennerschreiben einer bis dahin unbekannten faschistischen Gruppe läßt selbst sie sich nicht täuschen. Rita arbeitet mit der Mordkommission zusammen, so gut es geht. Ein Genosse weist sie auf einen möglichen Verdächtigen hin, der in den Tagen vor dem Anschlag unter Umständen die Villa auskundschaftete. Darauf fordert die Kripo einen Zeichner vom Wiesbadener LKA an und läßt zu dem Verdächtigen ein Phantombild erstellen. Durch Hinweis eines Bürgers wird er bald aufgespürt. Er wohnt in einem anrüchigen Viertel an der Holländischen Straße. Zu seinen Hinterleuten schweigt er. Rita bekommt jedoch heraus, mit welcher Frau er sich gelegentlich vergnügte. Diese Frau läßt sich erweichen, weil sie Ritas Versprechen traut, sie zu decken, und gibt ihr Fingerzeige auf einen mutmaßlichen Agenten aus Westberlin. Rita bespricht sich sofort mit Klaus. Er hat einen geländegängigen Kastenwagen, dessen Rückraum wahlweise durch verschiedene Wände oder Gitter abgeteilt werden kann, etwa wegen der Jagdhunde. Für Übernachtungen ist der Wagen ebenfalls geeignet. Sie entwickeln einen Plan. An einem Apriltag reisen sie gemeinsam durch die DDR (Transit) nach Westberlin. Klaus‘ Versteck für die Pistole ist narrensicher. Als sie den Agenten tatsächlich aufgetrieben und eine Weile beobachtet haben, wird es ernst.
~~~ Der Mann wohnt nicht ungünstig in der Bülowstraße, die auf die Yorckstraße stößt. Das ist die vielfach von Eisenbahngleisen überbrückte Schlucht, die durch das ausgedehnte ehemalige, zum Teil schon verwilderte Anhalter/Potsdamer Güterbahnhofsgelände führt. Rita lebte einige Jahre in der Nähe, am Kreuzberger Chamissoplatz, und ging auf dem Bahngelände öfter spazieren. Nicht weit vom Knick Bülow/Yorckstraße liegt der S-Bahnhof Yorckstraße. Dort führte auf der Nordseite ein schmaler Fahrweg zu etlichen Schrottplätzen und Brennstoffhandlungen, ferner Kleingärten. Rita spricht den Agenten auf der Bülowstraße an, macht ihn neugierig, wahrscheinlich auch scharf. Dann lotst sie ihn just in jenen Fahrweg, in dem ihr Auto parkt. Klaus hat in Kassel ein verstecktes Mikrofon in den Fahrerraum eingebaut. Das Kabel führt in den Rückraum zu einem tragbaren, völlig geräuschlos arbeitenden Uher-Tonbandgerät. Der Mann scheint keinen Argwohn zu schöpfen, hat er die blonde Biene doch bereits auf dem Fußweg zum Auto überraschend nach Waffen abgetastet, dabei auch ihre strammen Brüste nicht verschmäht. Zusätzlich gibt Rita im Wagen vor, etwas durch die Trennwand nach vorn zu holen, sodaß der Agent annehmen muß, im Rückraum lauere keine Gefahr. Dort liegt Klaus mit der schallgedämpften Schußwaffe versteckt. Rita schiebt die Trennwand wieder zu. Niesen darf Klaus natürlich nicht.
~~~ Der Agent deutet nun an, sie hätten den Auftrag zum Anschlag, gegen viel Geld, vom Westberliner Büro der CIA bekommen. Diese Andeutungen kann er ja jederzeit abstreiten – bildet er sich ein. Er läßt durchblicken, das anarchistische Monatsmagazin Kutscherlutscher sei verschiedenen elitären Kreisen doch zu frech und zu beliebt, folglich zu lästig geworden. Nebenbei hatte es selbstverständlich auch Machenschaften der westdeutschen Rüstungsindustrie enthüllt, darunter Rheinstahl-Henschel, wie die Fabrik nach einem Eigentümerwechsel ab 1965 hieß.
~~~ Rita gibt das vereinbarte Zeichen. Klaus schießt den Gangster aus geringer Entfernung in den Nacken. Etwas Blut, dann auch Urin, auf den Schonbezügen seiner Vordersitze muß er in Kauf nehmen.
~~~ Wie sich versteht, hat das Paar den vorübergehenden Aufbewahrungsort für die Leiche erkundet und vorbereitet. Es handelt sich um ein ausgedientes Stellwerkhäuschen, das auf der Südseite der Yorckstraße liegt. Sie müssen nur ein paar hundert Meter auf der Yorckstraße Richtung Kreuzberg fahren. Dann geht ein bucklig gepflasterter, inzwischen von Unkraut durchsetzter Fahrweg ins verwilderte Bahngelände ab. Nach 200 Metern treffen sie am Stellwerk ein. Gehölze geben Sichtschutz. Zwar ist die Eingangstür des Häuschens verschlossen, aber es hat im Oberstock einen Balkon. Dort sind auch schon Fensterscheiben kaputt. Das frühere Stellpult wurde von der Bahn entfernt. Sie legen die klappbare Leiter aus Leichtmetall, die sie gekauft haben, ans Balkongeländer, Rita klettert hinauf. Dann hieven und zerren sie den toten Agenten nicht ohne gewisse Anstrengungen ebenfalls nach oben. Sie verbergen ihn im Häuschen notdürftig hinter einem umgestürzten Stahlschrank, den die Bahnleute verschmähten. Nun sputen sie sich, um zum Grenzkontrollpunkt Dreilinden und wieder nach Kassel zu kommen. Sollte Klaus‘ Wagen an der Yorckstraße irgendjemandem aufgefallen sein, wäre es kein Beinbruch. Rita verhehlt die Reise nach Westberlin ja gar nicht, und an der Yorckstraße kann sie schließlich ohne ihren Begleiter gewesen sein.
~~~ Klaus nutzt die Rückreise dazu, mit Hilfe eines zweiten Tonbandgerätes eine Kopie von dem belastenden Gespräch zu ziehen. Die nimmt er mit auf seinen Zwehrener Hof. Rita dagegen fährt per Rad mit dem Uher zur Kripo im Polizeipräsidium Königstor. Es ist kurz vor Feierabend. Rita erreicht ohne Mühe, daß sich zwei Beamte der Mordkommission mit ihr gemeinsam das Band anhören und ihr sogar eine weitere Kopie aushändigen. Jetzt hat sie eine doppelte Lebensversicherung. Nachdem sich die Kriminalen von ihrer Verblüffung erholt haben, fordert Rita sie auch noch auf, sofort um Westberliner Amtshilfe zu bitten, gelte es doch, in dem ehemaligen Stellwerkhäuschen Soundso die Leiche eines Agenten sicher zu stellen. »Was denn – Sie haben den Mann getötet, Frau Henschel ..?« – »Sie sagen es.« – »Aber dann müssen wir Sie ja erst einmal vorsichtshalber festnehmen!« – »Ja, tun Sie das.«
~~~ Die Westberliner Kollegen brechen die Stellwerktür auf. Die Leiche ist noch da. Später wird natürlich auch die Stimme des einstigen Agenten überprüft. Wie sich versteht, sind Rita und ihre Genossen entschlossen, vor dem Kasseler Landgericht diverse Geheimdienste und Regierungen anzuprangern. Wahrscheinlich bleibt sie gegen Kaution auf freiem Fuß. Ihre Beklemmungen sind schon fast gewiechen; der Racheakt war ohne Zweifel gesundheitsfördernd. Im übrigen hegt Ritas Rechtsanwältin die Hoffnung, das Gericht könnte sich an den Fällen Wera Sassulitsch (Petersburg 1878) und Schalom Schwartzbard (Paris 1926) orientieren. Sollte Rita, wie dieser Attentäter, straflos davon kommen, dürfte sie allerdings gezwungen sein abzutauchen, denn andere haben ja vielleicht auch noch Rachedurst. Der Kutscherlutscher ist sowieso erst einmal im Eimer. Für die Villa wird es sicherlich eine Stange Versicherungsgeld geben; das geht jedoch an den Club (Gemeineigentum, Konsensprinzip). Dolfenzeller ist aber als Fotograf zu einigen Ersparnissen gekommen, und so schmiedet er mit Rita, die ja auch nicht die Ärmste ist, verschiedene Rückzugspläne, etwa Richtung Tessin.
~~~ Übrigens bleibt Dolfenzeller unbehelligt. Zwar ahnt die Kripo, welche Rolle er bei der Westberliner Unternehmung gespielt hat. Sie kann es ihm aber nicht nachweisen. Und der Staatsanwalt zeigt sogar wenig Lust, diese Detailfragen auch noch, auf Kosten des Steuerzahlers, zu klären. »Der Mann ist jedenfalls tot!« schimpft er auf einer Pressekonferenz. »Und wenn Frau Henschel beteuert, das sei ihr Werk gewesen, sollte man sie vielleicht ernst nehmen, meine Herren. Oder finden Sie nicht?«
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