Sonntag, 12. Januar 2025
Ottmar Maag
ziegen, 09:37h
Verfaßt um 2015
Den schwäbischen Landwirt († 1946) übergeht die Brock-haus-Redaktion, weil er nur Mordopfer, kein Minister war. In einem Spiegel-Beitrag über krasse Justizfälle sind ihm immerhin drei kurze Absätze gewidmet.* Grundsätzlich passen die Angaben über Maag in einen Strohhalm. Selbst G. H. Mostar, dem wir eine ausführliche Darstellung des Falles verdanken**, verschweigt das Alter des Bauern, der in Gemmingen bei Heilbronn einen »großen Hof« betrieb. Man darf es aber wohl auf Mitte 40 schätzen, zumal Maag erst Anfang 1945 zur Wehrmacht eingezogen worden war, also zum letzten Aufgebot, unter all den anderen Greisen und Pimpfen. Er hatte Glück und kehrte schon im Dezember des Jahres aus der Gefangenschaft zu seiner Frau Erika auf den gemeinsamen Hof zurück. Gleichwohl heißt es, die inzwischen 36jährige Gattin, laut Mostar eine »kräftige, resche Brünette«, habe auch dieses knappe Jahr emsig zu sogenannten Seitensprüngen genutzt. Zuletzt hatte sich ihre Begierde auf den 34jährigen Knecht des Hofes Wilhelm Lang gerichtet, der diese auch erwiderte. Wie sich versteht, bekam Maag Wind davon. Somit hatte der schmächtige Lang ein erstklassiges Mordmotiv zu bieten: zum Verlangen nach der »Reschen« auch noch das Streben nach dem Hof, und in der Tat sollte ihm diese Offenkundigkeit um ein Haar das Genick brechen.
~~~ Allerdings hätten zwei Dinge eigentlich in der lieben Dorfgemeinschaft und bei der Kriminalpolizei bekannt gewesen sein müssen: 1. Erika hatte sich bereits vor dem Tatmonat Februar 1946 wieder von ihrem Geliebten Lang abgewandt, 2. der Hof gehörte nicht dem Mordopfer Maag, vielmehr dessen Mutter, die ihn nie und nimmer an Lang herausgerückt hätte. Aber die schöne passende Theorie häufte ein Fuder Heu auf diese Tatsachen. Nach ihr wurde der kränkliche Bauer Maag, der am fraglichen Februar-abend mit einer Helferin an der Rübenhäkselmaschine stand, durch einen Schuß durchs bis dahin mit einem Sack verstopfte »Deichselloch« aus seiner Scheune gelockt. »Verdammt!« habe er nach Aussage der Helferin geflucht. »Jetzt schießen sie schon auf mich!«
~~~ Auch diese »sie« ließen DörflerInnen und Polizisten so rasch wie möglich unter den Tisch fallen. Das bedeutet, sie gaben sich alle Mühe zu beweisen, daß draußen, auf dem Feldweg hinter der Scheune und der angrenzenden Fohlenkoppel, keine unbekannten Dritten ihr Unwesen getrieben hatten. Tatsächlich hatte es freilich in jenen ersten Monaten nach Kriegsende auch in und bei Gemmingen etliche gewalttätige, teils bewaffnete Übergriffe von Plünderern und mutmaßlichen Rächern gegeben. Man glaubte, vor allem ehemalige landwirtschaft-liche Zwangs- und FremdarbeiterInnen, etwa Polen, hätten darin ihre Wut auf die nun »besiegten« Unterdrücker-Innen ausgelassen. Wenn ja, dann sicherlich nicht unverständlicherweise. Auch von Ottmar und Erika Maag war laut Mostar bekannt, daß sie ihre »Fremdarbeiter-Innen« gelegentlich geschlagen und ansonsten wohl kaum auf Rosen gebettet hatten. Ich nehme von daher an, der nun beschossene »Großbauer« Maag sei vor dem Kriegsende eher ein Freund als ein Feind der Nazis gewesen. Ähnliches scheint mir für ganz Gemmingen zu gelten. Mostar bemerkt wiederholt, wichtige Entlastungen für den des Mordes angeklagten Knecht Lang seien von örtlichen Zeugen auch deshalb so erschreckend lang zurückgehalten worden, weil diese Leute Angst hatten – weil sie nämlich »Dreck am Stecken« hatten und nun das Rampenlicht eines spektakulären Kriminalfalles doch lieber mieden.
~~~ So verzichtete auch die herbeigeilte Landgendarmerie darauf, wichtige Spuren zu sichern, Fußabdrücke oder Patronenhülsen auf dem Feldweg etwa, zumal es auch noch regnete. Maag war hinter die Scheune gerannt und suchte dort das Gelände gemeinsam mit Lang, der aus dem Pferdestall dazugekommen sein wollte, nach Strolchen ab. Dabei wurde hinterhältig auf ihn geschossen. Alle behaupteten zunächst, der Schütze im Dunkel sei Lang gewesen, der schräg hinter seinem Arbeitgeber gelaufen sei. Allerdings bemühte sich Lang sofort um das noch stöhnende Opfer, alarmierte Bäuerin und Magd, die sich vor Schreck verkrochen hatten, und half Maag in die Küche tragen. Der Bauer starb eine Woche später, am 3. März 1946, im Krankenhaus. Soweit er noch hatte sprechen können, waren seine Aussagen undeutlich und widersprüchlich. Aber bald trat ja der Karlsruher Kriminalsekretär Anton Götz in Aktion, der entschlossen war, für klare Verhältnisse zu sorgen. Er unterbreitete der Staatsanwaltschaft immer neue »Indizien«, die seine Voreingenommenheit untermauerten, Lang sei der Übeltäter. Nebenbei: die Tatwaffe wurde nie gefunden.
~~~ Es kam, wie es kommen mußte. Im Oktober 1947 wurde Lang vom Landgericht Heidelberg zu Lebensläng-lich verurteilt, wobei sogar die Todesstrafe im Raume schwebte. Bei diesem Urteil blieb es auch in der Revision. Doch immerhin, Langs neuer Verteidiger Schwander erkämpfte im Verein mit dem leider später verunglückten Privatdetektiv Heinz Lay ein Wiederaufnahmeverfahren, das 1953 ebenfalls in Heidelberg stattfand. Lay hatte zum Beispiel nachweisen können, daß wichtige örtliche Zeugen von der Sippe Maag zu genehmen Aussagen erpreßt worden waren. Hier muß auch die mehr als zwielichtige Rolle von Gattin Erika erwähnt werden. Ihre Liebe zu Lang hatte sich nach ihrer Versöhnung mit Ottmar Maag (auf dem Sterbelager) offensichtlich, wie Mostar meint, in Haß auf Lang verwandelt. Das Urteil war nicht unwesentlich auf eben ihre Aussagen gebaut worden, die in ihrer Parteilichkeit und Widersprüchlichkeit für jeden unbefangenen Beobachter keinen Pfifferling wert waren. Dieses Fehlurteil kam lediglich durch eine eher zufällig platzende Prozeßbombe zu Fall. Bei der Vernehmung des Kriminalinspektors Götz traten Ungereimtheiten auf, die den Richter in dessen Werdegang und Personalakte nachbohren ließen. Danach litt Götz seit Jahren, offiziell bescheinigt, an »Schizophrenie«. Er bestätigte es persönlich mit leiser Stimme vor Gericht. Publikum und Presse machten tellergroße Augen: Die Ermittlungen, die Lang bis dahin rund sieben Jahre Haft und 20 Fuder Gram eingebracht hatten, waren von einem Geisteskranken durchgeführt worden!
~~~ Während Götz alsbald pensioniert wurde, konnte Wilhelm Lang das Landgericht am 23. September 1953 »wegen Mangels an begründetem Verdacht« mit einem Freispruch verlassen. Er bekam zudem Entschädigung zugesprochen, wobei allerdings selbst der vorsitzende Richter Munzinger einräumte, das Unrecht, das Lang erlitten habe, sei niemals »wiedergutzumachen«. Unser neuzeitliches Verfahren der Rechtsprechung selber bezweifelte Munzinger nicht. Der 1973 verstorbene Schriftsteller und Kabarettist G. H. Mostar dagegen, lange Jahre in Stuttgart Gerichtsreporter, deutet die Alternative immerhin an, wenn er vom Wert der »Dorfgemeinschaft, dieser einzigen echten und wahren Öffentlichkeit«, als Prospekt einer lebensnahen und nicht fremdbestimmten Justiz spricht, die auch jene Buchstabengläubigkeit unterliefe, die ich bereits mehrmals andernorts beklagt habe. Selbstverständlich vermiede sie die Widersprüche und auch die Gehässigkeiten nicht – ganz im Gegenteil: sie würde sie unweigerlich aufdecken, weil jeder jeden kennt. Die Rechtsprechung müßte bei denen bleiben, die von ihr betroffen sind. Gewiß zögen sie unbefangene Ratgeber-Innen von außen herbei, doch der Ausgang des von vorne bis hinten »transparenten« Verfahrens läge allein in der Hand dieser Betroffenen. Alles andere ist kalte Rechtsmaschinerie, Mühle des Teufels, nebenbei auch sündhaft kostspielig.
* »Irrtum inklusive«, in Nr. 44/1964
** »Der Fall Wilhelm Lang«, in: Mostar/Stemmle (Hrsg): Unschuldig verurteilt!, München 1968, ursprünglich Stuttgart 1956
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Den schwäbischen Landwirt († 1946) übergeht die Brock-haus-Redaktion, weil er nur Mordopfer, kein Minister war. In einem Spiegel-Beitrag über krasse Justizfälle sind ihm immerhin drei kurze Absätze gewidmet.* Grundsätzlich passen die Angaben über Maag in einen Strohhalm. Selbst G. H. Mostar, dem wir eine ausführliche Darstellung des Falles verdanken**, verschweigt das Alter des Bauern, der in Gemmingen bei Heilbronn einen »großen Hof« betrieb. Man darf es aber wohl auf Mitte 40 schätzen, zumal Maag erst Anfang 1945 zur Wehrmacht eingezogen worden war, also zum letzten Aufgebot, unter all den anderen Greisen und Pimpfen. Er hatte Glück und kehrte schon im Dezember des Jahres aus der Gefangenschaft zu seiner Frau Erika auf den gemeinsamen Hof zurück. Gleichwohl heißt es, die inzwischen 36jährige Gattin, laut Mostar eine »kräftige, resche Brünette«, habe auch dieses knappe Jahr emsig zu sogenannten Seitensprüngen genutzt. Zuletzt hatte sich ihre Begierde auf den 34jährigen Knecht des Hofes Wilhelm Lang gerichtet, der diese auch erwiderte. Wie sich versteht, bekam Maag Wind davon. Somit hatte der schmächtige Lang ein erstklassiges Mordmotiv zu bieten: zum Verlangen nach der »Reschen« auch noch das Streben nach dem Hof, und in der Tat sollte ihm diese Offenkundigkeit um ein Haar das Genick brechen.
~~~ Allerdings hätten zwei Dinge eigentlich in der lieben Dorfgemeinschaft und bei der Kriminalpolizei bekannt gewesen sein müssen: 1. Erika hatte sich bereits vor dem Tatmonat Februar 1946 wieder von ihrem Geliebten Lang abgewandt, 2. der Hof gehörte nicht dem Mordopfer Maag, vielmehr dessen Mutter, die ihn nie und nimmer an Lang herausgerückt hätte. Aber die schöne passende Theorie häufte ein Fuder Heu auf diese Tatsachen. Nach ihr wurde der kränkliche Bauer Maag, der am fraglichen Februar-abend mit einer Helferin an der Rübenhäkselmaschine stand, durch einen Schuß durchs bis dahin mit einem Sack verstopfte »Deichselloch« aus seiner Scheune gelockt. »Verdammt!« habe er nach Aussage der Helferin geflucht. »Jetzt schießen sie schon auf mich!«
~~~ Auch diese »sie« ließen DörflerInnen und Polizisten so rasch wie möglich unter den Tisch fallen. Das bedeutet, sie gaben sich alle Mühe zu beweisen, daß draußen, auf dem Feldweg hinter der Scheune und der angrenzenden Fohlenkoppel, keine unbekannten Dritten ihr Unwesen getrieben hatten. Tatsächlich hatte es freilich in jenen ersten Monaten nach Kriegsende auch in und bei Gemmingen etliche gewalttätige, teils bewaffnete Übergriffe von Plünderern und mutmaßlichen Rächern gegeben. Man glaubte, vor allem ehemalige landwirtschaft-liche Zwangs- und FremdarbeiterInnen, etwa Polen, hätten darin ihre Wut auf die nun »besiegten« Unterdrücker-Innen ausgelassen. Wenn ja, dann sicherlich nicht unverständlicherweise. Auch von Ottmar und Erika Maag war laut Mostar bekannt, daß sie ihre »Fremdarbeiter-Innen« gelegentlich geschlagen und ansonsten wohl kaum auf Rosen gebettet hatten. Ich nehme von daher an, der nun beschossene »Großbauer« Maag sei vor dem Kriegsende eher ein Freund als ein Feind der Nazis gewesen. Ähnliches scheint mir für ganz Gemmingen zu gelten. Mostar bemerkt wiederholt, wichtige Entlastungen für den des Mordes angeklagten Knecht Lang seien von örtlichen Zeugen auch deshalb so erschreckend lang zurückgehalten worden, weil diese Leute Angst hatten – weil sie nämlich »Dreck am Stecken« hatten und nun das Rampenlicht eines spektakulären Kriminalfalles doch lieber mieden.
~~~ So verzichtete auch die herbeigeilte Landgendarmerie darauf, wichtige Spuren zu sichern, Fußabdrücke oder Patronenhülsen auf dem Feldweg etwa, zumal es auch noch regnete. Maag war hinter die Scheune gerannt und suchte dort das Gelände gemeinsam mit Lang, der aus dem Pferdestall dazugekommen sein wollte, nach Strolchen ab. Dabei wurde hinterhältig auf ihn geschossen. Alle behaupteten zunächst, der Schütze im Dunkel sei Lang gewesen, der schräg hinter seinem Arbeitgeber gelaufen sei. Allerdings bemühte sich Lang sofort um das noch stöhnende Opfer, alarmierte Bäuerin und Magd, die sich vor Schreck verkrochen hatten, und half Maag in die Küche tragen. Der Bauer starb eine Woche später, am 3. März 1946, im Krankenhaus. Soweit er noch hatte sprechen können, waren seine Aussagen undeutlich und widersprüchlich. Aber bald trat ja der Karlsruher Kriminalsekretär Anton Götz in Aktion, der entschlossen war, für klare Verhältnisse zu sorgen. Er unterbreitete der Staatsanwaltschaft immer neue »Indizien«, die seine Voreingenommenheit untermauerten, Lang sei der Übeltäter. Nebenbei: die Tatwaffe wurde nie gefunden.
~~~ Es kam, wie es kommen mußte. Im Oktober 1947 wurde Lang vom Landgericht Heidelberg zu Lebensläng-lich verurteilt, wobei sogar die Todesstrafe im Raume schwebte. Bei diesem Urteil blieb es auch in der Revision. Doch immerhin, Langs neuer Verteidiger Schwander erkämpfte im Verein mit dem leider später verunglückten Privatdetektiv Heinz Lay ein Wiederaufnahmeverfahren, das 1953 ebenfalls in Heidelberg stattfand. Lay hatte zum Beispiel nachweisen können, daß wichtige örtliche Zeugen von der Sippe Maag zu genehmen Aussagen erpreßt worden waren. Hier muß auch die mehr als zwielichtige Rolle von Gattin Erika erwähnt werden. Ihre Liebe zu Lang hatte sich nach ihrer Versöhnung mit Ottmar Maag (auf dem Sterbelager) offensichtlich, wie Mostar meint, in Haß auf Lang verwandelt. Das Urteil war nicht unwesentlich auf eben ihre Aussagen gebaut worden, die in ihrer Parteilichkeit und Widersprüchlichkeit für jeden unbefangenen Beobachter keinen Pfifferling wert waren. Dieses Fehlurteil kam lediglich durch eine eher zufällig platzende Prozeßbombe zu Fall. Bei der Vernehmung des Kriminalinspektors Götz traten Ungereimtheiten auf, die den Richter in dessen Werdegang und Personalakte nachbohren ließen. Danach litt Götz seit Jahren, offiziell bescheinigt, an »Schizophrenie«. Er bestätigte es persönlich mit leiser Stimme vor Gericht. Publikum und Presse machten tellergroße Augen: Die Ermittlungen, die Lang bis dahin rund sieben Jahre Haft und 20 Fuder Gram eingebracht hatten, waren von einem Geisteskranken durchgeführt worden!
~~~ Während Götz alsbald pensioniert wurde, konnte Wilhelm Lang das Landgericht am 23. September 1953 »wegen Mangels an begründetem Verdacht« mit einem Freispruch verlassen. Er bekam zudem Entschädigung zugesprochen, wobei allerdings selbst der vorsitzende Richter Munzinger einräumte, das Unrecht, das Lang erlitten habe, sei niemals »wiedergutzumachen«. Unser neuzeitliches Verfahren der Rechtsprechung selber bezweifelte Munzinger nicht. Der 1973 verstorbene Schriftsteller und Kabarettist G. H. Mostar dagegen, lange Jahre in Stuttgart Gerichtsreporter, deutet die Alternative immerhin an, wenn er vom Wert der »Dorfgemeinschaft, dieser einzigen echten und wahren Öffentlichkeit«, als Prospekt einer lebensnahen und nicht fremdbestimmten Justiz spricht, die auch jene Buchstabengläubigkeit unterliefe, die ich bereits mehrmals andernorts beklagt habe. Selbstverständlich vermiede sie die Widersprüche und auch die Gehässigkeiten nicht – ganz im Gegenteil: sie würde sie unweigerlich aufdecken, weil jeder jeden kennt. Die Rechtsprechung müßte bei denen bleiben, die von ihr betroffen sind. Gewiß zögen sie unbefangene Ratgeber-Innen von außen herbei, doch der Ausgang des von vorne bis hinten »transparenten« Verfahrens läge allein in der Hand dieser Betroffenen. Alles andere ist kalte Rechtsmaschinerie, Mühle des Teufels, nebenbei auch sündhaft kostspielig.
* »Irrtum inklusive«, in Nr. 44/1964
** »Der Fall Wilhelm Lang«, in: Mostar/Stemmle (Hrsg): Unschuldig verurteilt!, München 1968, ursprünglich Stuttgart 1956
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