Donnerstag, 9. Januar 2025
AZ 1–3 (PAL) Folge 21
Knoten – Kosmologie, Pferdekopfnebel
Knoten – Kosmologie, Pferdekopfnebel
ziegen, 09:44h
Als ich mir kürzlich die Schuhe zuband, geriet ich über ein Phänomen ins Grübeln, dem sich womöglich noch nie ein Essayist gewidmet hat: Ich meine den Knoten. Bei unsren Schnürsenkeln tritt er zumeist mit zwei Schleifen auf. Als Polsterer sind mir auch Zugknoten, Doppelbohne, Weberknoten geläufig. Doch selbst wenn Sie lediglich zwei oder drei Krawattenknoten beherrschen sollten, werden Sie bereits nach flüchtiger Durchmusterung unseres Alltags zugeben, daß der Knoten zu den genialen Erfindungen der Menschheit zählt.
~~~ Ersparen Sie sich den Griff zu Ihrem umfangreichen Nachschlagewerk: Es wird Ihnen weder den Erfinder noch die Geschichte des Knotens enthüllen. Handelt es sich bei dem Wort Entwicklungsgeschichte nicht bereits um eine Tautologie? Stellt eine Entwicklung das Gegenteil einer Verwicklung dar? Jedenfalls hat der Knoten etwas mit Verknüpfung zu tun. Und Dinge, die lediglich miteinander verknüpft sind, lassen sich leicht wieder lösen. Das Gegenteil der Verknüpfung stellt die Verklumpung dar. Das Verklumpen ist die Lieblingsbeschäftigung der Moderne. Zu diesen Thesen kam ich, als ich auf meine Schnürsenkel starrte. Nun will ich hoffen, das letzte Verdikt falle nicht auf mich selber zurück.
~~~ Suchen wir ein Museum auf, das rekonstruierte Szenen aus der Jungsteinzeit zu bieten hat, springen uns die Knoten geradezu ins Gesicht. Nur mit Hilfe zweier Knoten kann eine Sehne die Enden einer biegsamen Rute so wirksam verbinden, daß sich mit der auf diese Weise geschaffenen Waffe todbringende Pfeile aussenden lassen. Baumstämme werden an Tauen fortgeschleift. Sprossen sind mit Holmen zu Leitern, Sparren mit Balken zu Dachstühlen verzurrt. Das Prinzip des Verzurrens scheint so verbreitet wie alt zu sein. Schon Feuerstein und Speerschaft, später Schneide und Axtstiel waren auf diese Weise verbunden.
~~~ Allerdings zeigen die Äxte mehr. Durch ein Loch im Kopf der Schneide wird der Axtstiel gesteckt, worauf die beiden zusätzlich miteinander verzurrt werden. Vielleicht hatte man das Prinzip des Ineinandersteckens bereits angewandt, als an den Knoten noch gar nicht zu denken war? Man hatte Höhlen gegraben, Schächte ausgehoben, Pfähle eingerammt. Betrachten wir erneut das Germanische Langhaus aus der Jungsteinzeit, ist auch das Ineinanderstecken allgegenwärtig. Balken werden ausgekehlt, damit sie miteinander verzahnt werden können. Löcher in den Hauswänden nehmen tragende Balken auf. In Gestalt von Fenstern und Türen ermöglichen sie es sogar dem Drinnen und dem Draußen, sich miteinander zu verbinden. Im Grunde wurden wir, das läßt sich nicht länger übersehen, nach dieser Weise des Ineinandersteckens bereits gezeugt. Allerdings gilt sie in Sachen Vermehrung inzwischen als veraltet.
~~~ Mustern wir die Tür des Germanischen Langhauses, stehen wir vor einem frühen Wunder des Ineinander-steckens. Die Tür wurde aus einem Brett von Handgelenk-stärke und Schulterbreite gewonnen. Da sich dieses Brett schlecht mit der Wand verknoten ließ, verfielen unsere Urahnen darauf, in der Senkrechten zwei Zapfen stehen zu lassen, damit sich die Tür in den entsprechenden Vertiefungen von Boden- und Deckenbalken drehen konnte. Statt sie anzunageln, lagerten sie ihre Tür. Was sich hier sogleich mitdreht, sind Töpferscheiben, Wagenräder, Windmühlen. All diese Beweglichkeit verdankt sich dem Prinzip des Ineinandersteckens. Und auch von allen ineinandergesteckten Dingen gilt der Satz, sie seien leicht wieder zu lösen.
~~~ Bald ließen die Langhaus-ErbauerInnen beim Zurichten der Tür einen Buckel stehen, der dann wieder ausgehöhlt wurde, sodaß sich ein dicker Knüppel zunächst durch den Buckel, schließlich ins Türpfostenloch führen ließ. Damit hatten sie einen neuen Zapfen erfunden, den sie Riegel nannten. Auch Knöpfe sind Riegel. Ich ver- oder entriegele mein Hemd. Der Reißverschluß mag eine knifflige Weiterentwicklung darstellen, doch gerade er macht das Ineinanderstecken als Dreh- und Angelpunkt der Kultur augenfällig: Zähne schieben sich in Lücken, Zahnbuckel in Zahnmulden; die beiden Zahnreihen gleiten durch die Kanäle des Schiebers – zwei Eisenbahnzügen ähnlich, die sich, aus Osten und Westen kommend, desselben Tunnels bedienen müssen, und am Ausgang des Tunnels haben sie sich zum Nordexpreß vereinigt.
~~~ Damit droht uns allerdings eine Falle. Aus unseren Hochgeschwindigkeitszügen, die Fenster und Türen zu Antiquitäten machen, können wir kaum noch aussteigen. Wer in Frankfurt/Main gepennt hat, muß bis Kassel warten. Bald werden wir nur noch in einem Transrapid oder einem Jumbojet leben – in diese eingeschweißt wie unsere Blumensträuße und Bücher in Klarsichtfolie.
~~~ Vielleicht haben wir, was die Ent- und Verwicklungsgeschichte der Menschheit betrifft, eine erste bedeutsame Zäsur in der Befreiung des Zapfens zu sehen. Ein Schlüssel ist ja kein Riegel mehr; vielmehr ein schlüpfriger Geselle. Ich kann ihn mit mir führen, unter der Fußmatte verstecken oder in den nächsten Gully werfen. Der Schlüssel eifert unseren Wurfspeeren, Pfeilen, Nägeln nach; nur ist er weniger brutal. Einen Dübel aus Kunststoff möchte ich als einen Nagel auffassen, der einer Schraube als Futteral dient, womit der Nagel sozusagen verdoppelt wäre. Doch ich sehe zudem einen Strahlenkranz, der verhindern soll, daß der Dübel wieder aus der Wand fällt, die ich im Augenblick betrachte. So weist der Dübel weit über sich hinaus. Wir sehen ein großes Schiff, das etliche Flugzeuge trägt: ein Überdübel. Die Flugzeuge führen nämlich wiederum kleine Raketen mit sich, die ihrerseits noch einmal Bömbchen zu verstreuen haben. »Sie empfingen ein Überraschungsei der westlichen Tauschwertgemeinschaft.« Denn neunzig Prozent aller Waffen werden von eben dieser in die Welt gesetzt. Auch die Waffen von Schurkenstaaten, Terroristen und Bösewichtern aller Art.
~~~ Halten wir uns ans Schloß, läßt sich erstaunlicherweise noch um 1900 kein nennenswerter Fortschritt erblicken. Das sogenannte Sicherheitsschloß beruht auf dem Fallriegelprinzip, das vor mehreren tausend Jahren in Ägypten erfunden worden ist. Ein verschieden gekerbter Schlüssel drückt unterschiedlich lange Stifte gegen ihre Federung. Die Trennlinie wird frei, der Zylinder kann gedreht werden: damit schnappt der Riegel zurück, der mit ihm verbunden ist, und die Tür läßt sich öffnen.
~~~ Streng genommen handelt es sich beim »Sicherheitsschloß« um eine Tautologie, also um einen weißen Schimmel. Und die Tautologie, zu der die Menschheit spätestens seit 1900 in sehr starkem Maße neigt, ist ebenfalls eine Form der Verbindung. Hier liegt die Befürchtung nahe, die eingangs beklagte Tendenz zur Verklumpung werde sich in der allgemeinen Tautologisierung vollenden. Dann werden Eigennutz und Solidarität, Krieg und Frieden, Mann und Frau, Sein und Sollen, Wirklichkeit und Fiktion sich decken. Mit jeder Grenze, die fällt, jeder Unterscheidung, die hinfällig wird, rücken wir dem Nichts näher.
~~~ Zum Einbau unserer Schlösser und Schloßfallen dienen uns Schrauben. Stellen Holzschrauben oder Maschinenschrauben (solche mit Muttern) nicht großartige Erfindungen dar – ideale Vermittlerinnen? Hätten wir bei der Schraube nicht besser Halt gemacht in unserem Fortschritt? Wir würden bis heute und bis in alle Tage in bewegter Harmonie leben, also in der besten aller Welten. Denn die Schraube verbindet schonend. Sie vermittelt, ohne festzulegen, was bedeutet, sie schafft keine Tatsachen, die neue Tatsachen erzwingen. Wenn wir wollen, hält sie die Tischplatte mit den Tischbeinen oder die Pleuelstange mit der Kurbelwelle zusammen. Wollen wir nicht, lösen wir sie.
~~~ Hier drängt sich der Übergang zum Verschmelzen auf, denn eine Pleuelstange ist keine Zaunlatte. Soweit ich sehe, begannen die Menschen bereits mit dem Verschmelzen, als sie noch verzurrten statt verschraubten. Kupfer mit Zinn, das ergab vor rund 4.000 Jahren die Bronzezeit. Hinzu kam das Verleimen, etwa bei der Papierherstellung im alten China. Selbst der Beton hat recht lange Wurzeln: Kurz nach Christi Geburt, unter Kaiser Hadrian, wird in Rom das Pantheon errichtet. Da die römischen Maurer bereits Zement einsetzen, können sie das Bauwerk mit einer Kuppel von mehr als 40 Metern Durchmesser krönen. In philosophischer Hinsicht müssen die Römer allerdings schon im Hintertreffen gewesen sein. Ein Dach – so hätte jedenfalls Diogenes in seiner Tonne geknurrt – von dem ich nicht weiß, wie ich es unter Umständen wieder abbauen könnte? Fügen wir hinzu: ein gigantischer Berg aus Gebilden, die sich gegen ihre Wiederverwertung sträuben? Neben Millionen Kartoffelkisten aus Plastik stecken in diesem Berg ein paar hundert Kernkraftwerke; Marokko baut auch noch schnell zwei.
~~~ Ich gestatte mir einen Exkurs zur Feder. Ob Spiral- oder Blattfeder, sie vermittelt ja ebenfalls. Durch Abfedern werden irgendwelche Gebilde – seien sie verzurrte, ineinandergesteckte, verschmolzene – flexibler gemacht, wodurch sich ihre Anpassungsfähigkeit, somit ihre Lebensdauer erhöht. Weiter steht noch aus, das Verkeilen einzuordnen. Im Germanischen Langhaus etwa am Fuß eines Pfostens eingetrieben, sorgt ein Keil dafür, daß der Pfosten besser gegen einen Deckenbalken drückt. Solche Keile lassen sich notfalls wieder entfernen. Das Verkeilen stellt somit eine Abart des Ineinandersteckens dar. Dies wird im Grunde auch von zwei Menschen unterstrichen, die sich gar zu heftig lieben. An ihnen sehen wir überdies das Verklammern als weitere Unterart. Ob Heft- und Wäscheklammer oder Schraubzwinge und Schraubstock: es handelt sich um Weisen des Ineinandersteckens. Was nur verklammert ist, läßt sich durchaus wieder lösen.
~~~ Solange das Verknoten oder Ineinanderstecken von Gliedmaßen oder Organen noch populär ist, kommen wir kaum umhin, unseren Körper – ein Bündel aus Sinnen, Säften, Leidenschaften – für die Quelle unserer Verbindungsweisen zu halten, das Verschmelzen eingeschlossen. Der Drang zum Verzurren, Verklammern, Durchdringen, ja selbst zur Auflösung steckt im menschlichen Leib. Ihm eifert unser Geist bloß nach. Dabei schlägt er offensichtlich über die Stränge. In der Natur nämlich zeigt sich all das Beschriebene bestenfalls andeutungsweise; ein Fuchsbau ist kein Bergwerk.
~~~ Wer vom Verbinden handelt, muß auch vom Trennen sprechen. Nicht immer wird durch eine Trennung etwas rückgängig gemacht. Bei sämtlichen verzurrten oder ineinandergesteckten Gebilden ist dies jedoch der Fall; sie können verhältnismäßig einfach wieder in ihre Bestandteile zerlegt werden – etwa der Handwagen, den mein Großvater Heinrich zu seinem Schrebergarten zog, oder seine aus Holz errichtete Gartenlaube. Bei einer Gartenmauer wird es bereits kritisch. Sie ist kaum unbeschadet »rückgängig« zu machen; wir bekämen die Backsteine mehr oder weniger verunstaltet zurück, vom betrüblichen Zustand des Mörtels ganz zu schweigen.
~~~ Selbst beim Polstern – eigentlich ein eher luftiges Geschäft – geht die Tendenz aufs Verschmelzen und Verklumpen. Charles Darwin dürfte als Fachmann für Ent- oder Verwicklung allgemein bekannt sein. Von seinen Biografen Desmond/Moore erfährt man zudem, er habe in seinem Arbeitszimmer über einen roßhaargepolsterten Armlehnstuhl verfügt. Das waren gediegene Zeiten. Ermüdetes und verstaubtes Roßhaar kann auseinandergezupft, gesäubert, gekräuselt und wiederverwendet werden. Inzwischen wird überwiegend mit Schaumstoff gepolstert, der oft auch noch verklebt wird. Ein modernes Sofa vom Fließband läßt sich nach einigen Jahren bloß wegwerfen. Ähnliches gilt für das Verhältnis von mechanischer und elektronischer Schreibmaschine oder von Hollerithmaschine und Computer.
~~~ Wird heute ein Verwaltungsgebäude aus den 60er Jahren abgerissen, sehen wir keine Kuhfüße (Nagelzieher) oder Schraubenschlüssel am Werk, vielmehr Preßlufthämmer, Trennscheiben, Schweißbrenner, Rammböcke, Bagger, Planierraupen. So trägt unser Wüten zur Aufstockung des Müllbergs bei. Neuerdings steht ihm allerdings eine gigantische Abdeckerei zur Seite, griffen wir doch in unserer Verschmelzungssucht aufs Organische über. Die Wiederverwertung der verseuchten Mastbullen schmeckt keinem mehr; aber ungleich schwieriger noch dürfte sich der Versuch gestalten, die säuselnde Tomate oder das etwas unglücklich geklonte fünfbeinige Schaf wieder rückgängig zu machen. Es wird nicht mehr zu Verteilungs-, vielmehr zu Beseitigungskämpfen kommen. Wir dürfen gespannt sein, wer eher zur Bombe greift, wir oder das Schaf mit seinem fünften Bein.
~~~ Um es in einem Satz zu sagen: Die angeblich höchste Kulturstufe, die ihre Verbindungen maßgeblich durch Verschmelzen erzielt, kann diese nur aufwendig, brutal, gleichgültig lösen. Von der Lösung einer Aufgabe ist darin natürlich nichts mehr zu entdecken. Anders dagegen, solange sich unsere Kombinationen im Rahmen des Verzurrens und Ineinandersteckens halten. Dann bleibt die Welt überschaubar. Nicht angenehm oder unangenehm, wohlgemerkt, sondern nur in Ordnung.
~~~ Der Grund liegt längst auf der Hand. Bei solchen kulturellen Gebilden wie Äxten, Langhäusern, Pferdefuhrwerken, selbst Sippen und Stämmen handelt es sich um Kombinationen, die noch in den Teilen zu erkennen sind, aus denen sie sich zusammensetzen. Ist also etwas faul, weiß ich, an welcher Stelle ich zu bohren oder auszuwechseln habe. Beides ist bei mehr oder weniger verschmolzenen Gebilden nicht mehr möglich. Daraus erklärt sich nebenbei, warum die Ganzheitsapostel gleich nach den Steuerberatern zu den größten Nutznießern der Moderne aufsteigen konnten; sie flankieren die Globallisierung. Als Beispiele für verschmolzene Gebilde nenne ich zuletzt: Tornado (das Kampfflugzeug), Mikrowelle, Europäische Union, Chipkarte, Daimler-Chrysler, Aspirin – eingenommen nach einem Galaabend mit sieben Tenören, fünfzig Artisten aller verwandten Sparten und pausenlos trommelnden Videoclips. Sie sind so unerkennbar wie unbeherrschbar aufgrund ihres hohen Verklumpungsgrades.
~~~ Stellt sich noch die beflissene Frage, ob wir vielleicht den rechtzeitigen Absprung verpaßt haben. Es sieht ja alles danach aus. Nur: wer so etwas verkündet, tut es ersichtlich im Nachhinein. Der Absprung wäre gar nicht möglich gewesen. Wer unmittelbar davorsteht, erkennt – um ein harmloses Beispiel zu wählen – eine Schmelzrinne, in der blutroter Stahl fließt, nicht als historische Zäsur. Dabei sehe ich durchaus, daß dieses Beispiel auf die Bronzezeit zurückfällt. Sollte soviel an Weltgeschichte überflüssig gewesen sein?
∞ Verfaßt um 2ooo, später gekürzt. 2005 erschien der Text (»Knoten und Klumpen«) in der von Jürgen Engler herausgegebenen Anthologie small talk im holozän, Berlin 2005. Neuerdings soll es sogar ein ganzes Buch über den Knoten geben, von Michael S. Karg, erschienen 2023. Vielleicht werde ich darin zitiert?
Komik
Das vierte, jüngste und letzte Kind des bekannten Pantomime-Clowns Peter Shub hieß Luca. Der Vierjährige hatte im Sommer 2001 im Innenhof-Restaurant des Alten Rathauses Hannover mit Familie Shub gespeist. Als er seine Pizza verdrückt hatte, stand er auf und ging zu einer offenbar recht großen und schweren Skulptur, die in der Nähe stand. Als er sie angefaßt habe, so der Vater später, sei sie umgekippt und habe den Jungen erschlagen. Die Skulptur sei nicht gesichert gewesen – was der aus den USA stammende Clown »für Deutschland erstaunlich« fand.*
~~~ Es ist genauso schwer, einen solchen krassen Vorfall nicht zu kommentieren wie ihn zu kommentieren. Aber vielleicht ist es auch überflüssig, ihn zu kommentieren. Shub, geboren 1957 in Pennsylvania, führe uns »mit winzigsten Details« vor, »wie Freude, Missgunst oder falsche Fährten entstehen«, lese ich bei Stuttgart Live in der Ankündigung eines erst im kommenden März (2022) stattfindenden Auftrittes. Ich fürchte fast, die riesige falsche Fährte, die mit Masken, Impfpässen und den entsprechenden Einlaßkontrollposten gepflastert ist, wird von Shub lieber ausgespart. Immerhin liegt ein gewisser Trost darin, daß heutzutage überhaupt noch KomikerInnen auftreten dürfen. Zwar hatte eine jüngere Phase der Postmoderne um 1990 als »Spaßgesellschaft« von sich Reden gemacht, aber das ist 30 Jahre her. Es ist vorbei. Heute wird im Gegenteil alles unternommen, um den zweibeinigen Bewohnern dieses Planeten das Kichern, Lachen und Tanzen auszutreiben. Man möchte nur noch vor Angst schlotternde, mißgünstige, bösartige Schafsköpfe. Allerdings lassen sich das noch nicht alle gefallen, wie etwa Danser Encore zeigt, ein mitteleuropäisches Flashmobstück von 2020/21.**
~~~ Mich hat leider noch niemals einer als Komiker gelobt oder auch nur bezeichnet. Vielleicht steht dem meine Vorliebe für die Humor-Unterabteilung »Sarkasmus« entgegen. Von dieser Vorliebe wußten Sie gar nichts? Na, dann erlaube ich mir einmal ein Beispiel aus meinen Miniaturen Vor der Natur anzuführen, das einmal Maximilian Zander hervorstrich. »Vorausgesetzt, in jedem Gewitter offenbare sich Gottes Allmacht«, heißt es im Stück Lichtenberg, »wären die Blitzableiter, die wir auf unseren Kirchen anbringen, ein Ausdruck göttlicher Selbstironie.« Dieser Gedankenblitz dünkte Zander »noch tiefer und sarkastischer als Lichtenbergs Funke«, auf den mein Miniaturtitel anspielt. Spricht Brockhaus bei Sarkasmus von bitterem Hohn und beißendem (verletzendem) Spott, verschweigt er wohlweislich, daß der von mir vertretene Sarkasmus zwar öfter Gott oder den Papst, nie dagegen Genossen trifft. Er setzt nie ein armes Schwein herab, sitzt es doch sowieso schon in der Scheiße. So etwas lieben nur die ZynikerInnen in »rotgrünen« Parteivorständen oder bei Bild, Spiegel, taz. Der Sarkasmus greift immer (selbsternannte) Götter an.
~~~ Gewiß können sich solche auch hinter Genossenlarven verstecken. Um Mitternacht bekommt Victor Serge Besuch von der GPU – Hausdurchsuchung. Bei seinen Leninübersetzungen stutzen die Leute. »Beschlagnahmen Sie die auch?« fragte ich ironisch. »Machen Sie keine Witze«, erwiderte der eine, »auch wir sind Leninisten.« Vortrefflich; wir Leninisten waren unter uns.
~~~ Ich vermute weiter, beim Sarkasmus müsse stets der Tod als der schrecklichste Gott im Spiel sein. Daher die Nähe zum Galgenhumor. 1984 verübte die IRA einen Bombenanschlag auf das Parteitagshotel der britischen Konservativen in Brighton. Industrieminister Norman Tebbit kam schwerverletzt ins Krankenhaus. Vor der Narkose nach Allergien befragt, erwiderte Tebitt: »Bomben.«
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* https://www.hinzundkunzt.de/scheitern-ist-verpoent/, (Hamburg) 21. Februar 2016
** Hier in Berlin veranstaltet: https://www.youtube.com/watch?v=v8ZA9DUMvXI
Albernheit --- Man hatte der Volksschule in Kassel-Bettenhausen soeben einen »Realschulzug« angeschlossen. Ich durfte ihn (ab 1960) besuchen, obwohl ich keine große Leuchte war.
~~~ Ich war vor allem albern. Morgens pflegte ich mich mit Erich S. »an der Ecke« unserer Siedlung zu treffen, um den Schulweg mit ihm gemeinsam zurückzulegen. Der schmalgesichtige Erich war ein streb- und folgsamer Junge; er wurde später Bankkaufmann. Jeden Morgen hämmerte ich mir auf den 200 Metern bis zur »Ecke« ein, heute nicht in Albernheit verfallen zu wollen. Ich flehte zu Gott, leistete Schwüre, malte mir das herrlich hoffähige Leben ohne Albernheit aus. Kaum lag die »Ecke« in unserem Rücken, fing ich mit meinen Faxen an. Jeder Anlaß war willkommen. Lugte ein Taschentuch aus Erichs Hosen, mußte es mit Kletten gespickt oder mit einer Fahrradklammer beschwert werden. Erichs Schiebermütze lud zu einer Verwandlung in Scheuklappen ein. Leider hatte auch das mächtige schmiedeeiserne Tor zum Schulhof keine läuternde Wirkung. Lag man ohnehin von einem Kicheranfall gebeutelt unter dem Schultisch, bot es sich an, im näheren Umkreis alle Schulranzen zu vertauschen. Zettel mit Blödsinn kursierten, Schwämme voller Wasser oder Kreidestaub flogen, Mädchen umklammerten beim Schreiben mit der freien Hand ihre Blusenausschnitte. Es war furchtbar.
~~~ Am meisten litt ich selber unter meiner Albernheit. Sie war hartnäckiger als Rinderwahnsinn. Ich schämte mich ihrer unendlich, wußte jedoch kein Mittel gegen sie. Man war eben so dumm wie das dumme Zeug, das man machte. Man spielte sich in einer Weise auf, die einem, neben Aufmerksamkeit, unweigerlich Verachtung eintrug. Möglicherweise konnte sich die Albernheit nur deshalb zum Albtraum meiner Jugend aufschwingen, weil sie sich mit »objektiven« Makeln zu verbünden verstand. So war meine Mutter eine »Geschiedene« – ihr Sprößling vaterlos. Zwar gab es noch meinen Großvater Heinrich, nur gehörte er leider zum Lehrkörper derselben Schule. Dadurch drang das dumme Zeug stets taufrisch an seine Ohren. Der Enkel machte ihm Schande. Dabei hätte der Enkel guten Grund zur Botmäßigkeit gehabt, denn er kam aus ärmlichen Verhältnissen, für die sein Großvater nichts konnte. Dessen Tochter, die »Geschiedene«, war schuld. Sie mußte sich als Bürohilfe verdingen. Daß ich in meiner Klasse nicht der Erste jedoch der Ärmste war, ging unfehlbar aus den Antragsformularen für »Erziehungsbeihilfe« hervor, die mir der Klassenlehrer halbjährlich nach Unterrichtsschluß aushändigte. So nannte sich damals das spätere Schüler-Bafög. Ich war der Einzige, der es bezog. Und zum Dank glänzte ich nun mit Albernheit und mangelhafter Leistung.
~~~ Beides dürfte kaum zu trennen sein. Die Albernheit ist der Fötus der Rebellion. Sie verweigert Leistung. Allerdings reagiert sie nur – statt Souverän zu sein. Sie stört und zerstört Ordnung, ohne eine neue Form zu schaffen. Der zwanghaft Alberne setzt der drückenden gesellschaftlichen Norm nichts wirklich Eigenständiges entgegen. Er ist Dadaist. Zählt er zudem von Natur aus zu den Schnecken, braucht er zur Läuterung Jahrzehnte. Ich strebte zunächst eine Galgenfrist von drei Jahren an – bis zum Abitur. Im Gegensatz zu Erich konnte ich mir nämlich zum bevorstehenden Realschulabschluß keinerlei Berufsergreifung vorstellen, die mich nicht in die Hölle geführt hätte. In der Verwandtschaft und durch eigene Ferienarbeit gewann ich genug Einblicke in dieses stumpfsinnige Schmoren für etwas »feste Kohle«. So drängte ich mich dem neuen Wirtschaftsgymnasium in Kassel-Kirchditmold auf. Im Fach Spanisch lernte ich kein Wort, dafür im Schreibmaschinensaal umso mehr.
~~~ Es wurden dann nur zweieinhalb Jahre. Sie waren wieder für jede Menge Albernheit und Faulheit, zunehmend allerdings auch für »Politisierung« gut. 1966/68 griff die antiautoritäre Schülerbewegung auf Kassel über. Obwohl uns Juso-Führer Hans Eichel, später Oberbürgermeister und Bundesfinanzminister, bei den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze per Megaphon zur Besonnenheit aufrief, schlugen wir vermehrt über die Stränge. Vom Kirchditmolder Schulhügel her hagelte es Tadel und Blaue Briefe. Ein halbes Jahr vorm Abitur legte mir der »Direx« den Schulabgang nahe. Ich hätte es ohnehin nicht geschafft.
∞ Verfaßt um 2007
Verlassene Gefühle --- Wie mir kürzlich Kinder klarmachten, die mich bei meiner Erzählung ungläubig ansahen, ist in Waltershausen nach dem mittelalterlichen Bierrufer auch der Milchmann längst ausgestorben. In meiner eigenen Kindheit zählte er noch zu den hochangesehensten Krämern. Schließlich besaß er das Privileg, mit Hilfe eines Schwengels statt schnödem Wasser Milch aus seiner Zapfsäule zu pumpen. Sie ergoß sich in herrlichen Schwällen in die mitgebrachten Milchkannen. Da diese Behälter mit umlegbaren Henkeln aus Blech waren, schepperten sie dabei auch recht hübsch.
~~~ Vorher, auf dem Weg durch die Straßen, dröhnten sie geradezu, lag doch nichts näher, als die paar Groschen Milchgeld in der leeren Kanne zu verstauen statt Gefahr zu laufen, sie aus den ewig löchrigen Hosentaschen zu verlieren. Die Kanne schlackerte selbstverständlich. Vielleicht wurde sie sogar in ein Glücksrad verwandelt um zu erproben, welche Fliehkraft erforderlich sei, um die Groschen auch in den Höhenlagen am Kannenboden zu halten. Pimpfe wie ich träumten freilich eher mit offenen Augen und vergaßen das Geld. Von dieser Sitte aus den 1950er Jahren leitet sich die Verhöhnung von Einfaltspinseln mit der Metapher ab, solche wie der oder diese ließen beim Milchholen das Geld in der Kanne liegen.
~~~ Allerdings sind Milchmänner, die sich die klingende und winkende Einnahme selber mit Milch zuschütten, nur schwer vorstellbar. Auch sie hatten sich gegen den tendenziellen Fall der Profitrate zu stemmen. Hat auch der Witz ein Gesetz? Ja, er erwächst stets aus Widersprüchen. Im Kapitel »Humor und Witz« seines Buches Der Mensch – Irrläufer der Evolution erläutert Arthur Koestler, um uns zum Lachen bringen zu können, müßten die betreffenden Situationen oder Ideen »in zwei autarken, aber unvereinbaren Bezugsrahmen oder assoziativen Kontexten« wahrnehmbar sein. In unserem Fall: eine Milchkanne ist keine Geldbörse. Oder im Falle Leons, der in meinem Zwerglied Brettrag durch ein Astloch des Brettes späht, das er vorm Kopf hat: in einer Metapher für Dummköpfe kann kein Astloch sitzen. Schon ein billiger Ostfriesenwitz zündet allerdings mehr. »Warum haben die Ostfriesen beim Grasen immer rote Socken an? – Damit sie sich nicht in die Füße beißen.«
~~~ Hier beißen sich sozusagen zwei Ernährungsweisen, die unzulässigerweise in einen Topf geworfen werden, die von Mensch und Rind. Koestler spielt das Muster, das er fand, nicht nur an einigen Witzen durch – es scheint tatsächlich in allen Wechselfällen der Komik wirksam zu sein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob wir uns prustend auf die Schenkel klopfen oder lediglich schmunzeln. Auch jede Erheiterung folgt nach Koestler stets demselben Muster. Es geht um eine Kluft zwischen Logik und Gefühl. Das sollte man übrigens nicht mit dem Kampf zwischen dem Schönen und dem Häßlichen verwechseln, den F. G. Jünger als maßgeblich empfand. Dessen Beobachtung, das Komische überhaupt erwachse stets Widersprüchen und Regelverstößen, war natürlich nicht neu. Aber für ihn verstößt auch das Häßliche gegen die Regel – weshalb es bei allen komischen Effekten im Spiele sei. Damit wird Jüngers veränderter Blickwinkel originell, wenn auch nicht gerade begrüßenswert. Das Schöne gerät Jünger zum maßgeblichen Monolithen, an dem sich die KomikerInnen ihre Birnen einrennen. Nicht schön ist alles Unangemessene und Übertriebene; nicht schön sind zerstreute, verschrobene, irgendwie »auffällige« Menschen. Je individueller – könnte man deshalb im Geiste Jüngers formeln – desto anfälliger für den komischen Effekt. Aber selbstverständlich auch: je rebellischer! Ironie ist Jünger ein Greuel, weil sie zersetzt – was soll er da erst von Streiks und Aufständen halten! So erweist sich »das Schöne« Jüngers erstaunlicherweise als das Gegebene, allgemein Anerkannte – kurz, als die Norm. Sinn des komischen Effektes ist es, uns dieses Schöne erkennen und nach unserem befreiten Lachen doppelt und dreifach schätzen zu lassen. Hurra, die Norm hat uns wieder! Damit sind wir »natürlich« auch wieder unter die Fittiche der Stärkeren geschlüpft. Die Aufheiterung durch Komik sei »untrennbar mit einem Bewußtsein der Überlegenheit verbunden«, das jeden innig durchdringe, »der es mit der Regel hält«, lesen wir auf Seite 72 von Jüngers frühen Studie*, die selbstverständlich auch mein Brockhaus gern heranzieht. Möglicherweise kollidierte sie später mit Jüngers umfangreichen, ätzenden Kritik der Perfektion der Technik, die allen uns normierenden Großstanzen, etwa Fotografie, Tauschwert, Geld, nur Abscheu entgegenbringt. Nur dem Staat wohl noch nicht.
~~~ Wir waren bei Koestler und dem Lachen stehen geblieben. Jede komische Situation baut zunächst Spannung auf. Doch durch jenen unvermittelten »Sprung« in einen anderen Bezugsrahmen wird unsere Erwartung enttäuscht. Die mit ihr verbundenen Gefühle »sind plötzlich überflüssig und werden auf dem Weg des geringsten Widerstands mit Lachen freigesetzt«. Wie zahlreiche Denker vor ihm betont Koestler dabei, diese beim Lachen gelösten Emotionen enthielten immer ein aggressives Element. »Aber Aggression und Furcht sind Zwillingsphänomene.« Deshalb lache ein Kind auch dann, wenn sich eine vermeintliche Gefahr verflüchtige. Das kläffende Hündchen hat keine bösen Absichten: es wedelt ja mit dem Schwanz.
~~~ Oft stammten die angestauten Emotionen aus unbewußten Quellen, so Koestler weiter. Neben uneingestandener Angst zum Beispiel verdrängter Sadismus, sexuelle Energie, sogar Unmut aus Langweile, wie sich in allen Schulen an jähem, brüllendem Gelächter über irgendeinen trivialen Zwischenfall zeige. Wie hieße also das Gesetz, das uns in komischen Situationen lachen läßt?
~~~ Koestler erwidert kühn, wir lachten, weil unsere Emotionen träger und hartnäckiger seien als unsere Vernunftprozesse. Affekte könnten nicht mit Argumenten oder Einsichten Schritt halten. »Wenn wir unsere Stimmungen so schnell ändern könnten, wie wir von einem Einfall zum nächsten hüpfen, wären wir Gefühlsakrobaten. Da wir aber nicht dazu imstande sind, werden unsere Gedanken und Emotionen häufig voneinander getrennt. Was sich durch Lachen entlädt, sind vom Denken verlassene Gefühle. Wie wir gesehen haben, sind Emotionen wegen ihrer größeren Wucht nämlich nicht fähig, dem plötzlichen Sprung der Ideen zu einer anderen Art der Logik zu folgen; sie neigen dazu, ihren Weg in gerader Linie fortzusetzen. Ariel führt Caliban an der Nase: Der eine springt auf einen Zweig, der andere prallt an einen Baumstamm.«
~~~ Solche Unfälle, die sich dialektischen Winkelzügen verdanken, machten unseren Urahnen kaum zu schaffen, waren doch im Neandertal Gefühl und Verstand noch ins selbe Gemüt gebettet. Das soll nicht heißen, es sei damals besonders gemütlich gewesen. Im Gegenteil, die Gemüter wurden unablässig von Furcht und Schrecken gequält, wie etwa Lewis Mumford und Jost Herbig mit guten Gründen gezeigt haben. Die Emotionen unserer Urahnen ließen sich von jener geraden Linie nicht so leicht abbringen. Mit anderen Worten, man hatte im Neandertal nichts zu lachen. Das Ventil für Lachsalven – so Koestler sinngemäß – konnte sich erst entwickeln, als die Vernunft ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von den »blinden« Trieben der Emotion erreicht hatte.
~~~ Dies muß auf den Atollen der Südsee spätestens 1816/17 der Fall gewesen sein, erfreut sich Weltumsegler Chamisso doch ausdrücklich am fröhlichen Wesen der dortigen InsulanerInnen. In diesem Zusammenhang schwingt er sich, in seinem Buch Reise um die Welt, sogar zur Verkündigung eines Menschenrechtes auf, zu dessen Durchsetzung sein Kapitän Otto von Kotzebue noch nicht zur Bombe griff: das Lachen habe dort nichts Feindseliges; »Lachen ist das Recht des Menschen; jeder lacht über den anderen, König oder Mann, unbeschadet der sonstigen Verhältnisse.«
~~~ Die heutige Forschung scheint allerdings anzunehmen, das Lachen sei älter als die Sprache. Schon einige Affen hätten es gekannt, wenn auch eher als Grunzen. Die einen führen es auf das beruhigend-beschwichtigende Kitzeln des Affensäuglings durch die stillende Mutter zurück. Für die anderen entwickelte es sich aus dem Zähnefletschen. Bei Dunkelheit habe es dem Altsteinzeitler wenig geholfen stumm zu lächeln, um Frieden zu stiften oder zu erbitten. Er grunzte also lachend. Später zeigte das Lachen eher die Überwindung der Angst an – man war erleichtert. Jedenfalls dürfte es von früh an soziale Funktion besessen haben. Witze selber erregen es selten. Ähnlich behaupten verschiedene Webseiten, einsames Lachen komme selten vor. Na, die sollen sich mal in meinen Garten schleichen und ihr von stampfender, elektronischer Popmusik zerknautschtes Ohr an meine Haustür legen.
∞ Verfaßt 2022
* F. G. Jünger, Über das Komische, 3. Auflage Ffm 1948
Der britische Komiker Tony Hancock (1924–68) kämpfte nicht gegen Hähne, vielmehr Tiger. Brockhaus kennt ihn nicht – eine echte Bildungslücke. Aufgewachsen in Birmingham, anfänglich Bauchredner, wurde Hancock im Laufe der 50er Jahre durch Radio- und Fernsehsendungen der Londoner BBC bekannt, die Situationskomik boten. Einerseits sah Hancock ohne Zweifel knuffig aus.* Andererseits hatte er ständig mit der Flasche in der Hand damit zu tun, to Send Away The Tigers, so ein Spruch von ihm, den eine walisische Rockgruppe 2007 zum Albumtitel erhob. Wie er einmal erläutert hatte, meinte der Komiker mit den Tigern die »inneren Dämonen«, die zu entfernen ihm mit Hilfe des Bauchredens offensichtlich noch nicht gelungen war, weshalb er sie im Alkohol zu ertränken suchte. Hancock war gespalten und größenwahnsinnig wie alle »genialen« KünstlerInnen, dazu, im Suff, aggressiv. Ein Autounfall, bei dem er durch die Windschutzscheibe flog, Zerwürfnisse mit Filmpartnern oder Skriptautoren, Beutelungen in etlichen Ehen oder Liebschaften und ständig abnehmende Nachfrage waren wenig geeignet, seinen Alkoholkonsum einzudämmen. Dabei waren seine Rundfunksendungen streckenweise »Straßenfeger« gewesen. Seine zweite Ehefrau Freda »Freddie« Ross, die auch seine Managerin war, verließ ihn nach langen Kämpfen gegen seine Tiger 1966. Hancock wechselte die Tapete über den Tigern: er ging nach Australien, um fürs dortige Fernsehen zu arbeiten. Er schlug aber nicht mehr ein. Freddie rang sich schließlich auch zur Scheidungsklage durch und ging zum Gericht. Drei Tage darauf, Ende Juni 1968, brachte sich der 44jährige »Absteiger« in seinem angeblich recht verwahrlosten Apartement in einem Vorort von Sydney um. Laut Olga Craig** war es »as in life, so in death, his best friends sat at his bedside: vodka by his right hand, amphetamines by his left.«
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 17, April 2024
* https://heritagecalling.com/wp-content/uploads/2014/05/tony-hancock-bbc.jpg
** https://www.telegraph.co.uk/culture/tvandradio/3626969/Laugh-at-Tony-I-very-nearly-died.html, 10. November 2004
Warum gerade mir --- Ein makaberer, wenn auch recht bezeichnender Scherz bahnte sich am 1. April 2007 in Dortmund im Zelt des Zirkus Flic Flac an. Die siebenköpfige Hochseiltruppe Camadi hat ihre spektakuläre Pyramide gebaut und klettert, vom Beifall umbrandet, wieder zur Erde. Letzter auf dem Seil ist der 39 Jahre alte Kolumbianer Marcos Daza. Plötzlich stürzt er aus neun Meter Höhe ab und schlägt auf den harten Boden. »Macht weiter!« soll er vor seinem Abtransport geflüstert haben. Daza erliegt seinen schweren Kopf- und Rückenverletzungen knapp zwei Wochen darauf im Krankenhaus. Eine Untersuchung des Vorfalls ergibt, man hatte unter ihm bereits das Sicherungsnetz entfernt und ein Spannseil gelöst. Durch den Ruck verlor Daza das Gleichgewicht und fiel. Ein angeblich dafür hauptverantwortlicher Zeltarbeiter wurde 2009 vom Dortmunder Amtsgericht mit einer Geldbuße von 3.000 Euro, zahlbar an die Eltern des Kolumbianers, belegt. Bild zufolge verzichtete er jedoch darauf, Arbeitshetze, Sensationslust, irrsinnigen Wagemut oder sonstwas anzuprangern, falls ihn der Reporter nicht zensiert hat. Es sei schrecklich, daß das ausgerechnet ihm passiert sei, habe der 42 Jahre alte Sünder stattdessen am Rande des Prozesses gesagt.*
~~~ Somit legte er das weltweit beliebte Arschkarten-Verschieben an den Tag: Es hätte lieber einem anderen passieren sollen. Denn passieren tut es ja leider. Hochseilakrobatik ist für das menschliche Wohlbefinden so unabdingbar wie die Luftfahrt. Die Ruhrgebietsstadt Haltern, nicht weit von Dortmund entfernt, verlor im März 2015 eine ganze 16köpfige Schulklasse plus zwei Lehrerinnen, weil der aus Spanien kommende Airbus, in dem sie bei der Rückkehr vom Schüleraustausch saßen, gegen die französischen Alpen prallte und, mit 150 Insassen an Bord, zerschellte – alle tot. Es sei ohne Zweifel »der schwärzeste Tag in der Geschichte der Stadt«, sagte Halterns Bürgermeister (38.000 EinwohnerInnen) laut Focus mit belegter Stimme auf einer Pressekonferenz.** Keine Lehrkraft des Halterner Joseph-König-Gymnasiums erlaubte sich den Hinweis auf heimische mittelalterliche Feuersbrünste, Schlachten, Hexenverbrennungen und dergleichen mehr – etwa auf das pandemiefähige Seuchenpotential fliegender Dinosaurier wie Airbus oder Boeing. Prompt ergänzte der Bürgermeister: »Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.« Somit hätte die erste US-Atombombe, die bekanntlich 1945 auf Hiroshima fiel, in Haltern keine Chance gehabt.
~~~ Lassen wir es gut sein mit Katherine Díaz, einer kühnen jungen Frau aus El Salvador. Die 22jährige Wellenreiterin galt sogar als »Olympiahoffnung«. Am 19. März 2021 trainierte sie gerade (unweit ihres Wohnortes Tunco) an der Pazifikküste, als ihr »ein plötzlicher Wetterumschwung« ins Gehege beziehungsweis in die Wellen kam. Sie wurde von einem Blitz erschlagen. Wiederbelebungsversuche am Strand schlugen fehl. Zwar war ihr Onkel Beto auf See in ihrer nächsten Nähe gewesen, wie tz-München wußte***, aber das Blatt versäumte es, dem nun rechtzeitig die Arschkarte zuzuschieben.
∞ Verfaßt April 2023
* https://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/todes-drama-im-zirkus-flic-flac-8598934.bild.html, 5. Juni 2009
** https://www.focus.de/panorama/welt/sie-kehrten-von-einem-austausch-zurueck-16-schueler-des-joseph-koenig-gymnasiums-sterben-an-bord-der-germanwings-maschine_id_4566985.html, 24. März 2015
*** https://www.tz.de/sport/mehr/surferin-katherine-diaz-blitzschlag-tot-training-onkel-trauer-olympia-el-salvador-90261201.html, 26. März 2021
Siehe auch → Angst, Veteranyi (Clowntochter) → Bildende Kunst, Lyncker (Karandasch) → Zirkus
Kommunen (Lebensgemeinschaften)
Unter Störung führt Brockhaus als einen Spezialfall die »Störung der Totenruhe« an. Sie wird bestraft wie fast alles, was in Deutschland das Niveau von Blas- und BAP-Musik-Konzerten zu unterbieten wagt. Das scheint in § 168 StGB einsehbar zu sein. Offenbar sind vor allem Leichenfledderei und Leichenschändung verfemt. Dann geht es ja noch, denn wenn Tote Ohren haben sollten, fresse ich einen Besen.
~~~ Allgemeiner kommen Störungen, nach Brockhaus, in vier naturwissenschaftlichen Bereichen in Betracht, von der Astronomie (Umlaufbahnen) bis zu Physik & Technik. Was fehlt, ist die Sozialpsychologie. In den anarchistischen Kommunekreisen, denen ich um 2000 angehörte, war die Regel bekannt: »Störungen haben Vorrang.« Angeblich auf dem Mist der US-Psychoanalytikerin Ruth Cohn gewachsen, führte der Satz, in gruppendynamischer Hinsicht, zu einer durchaus hilfreichen Wachsamkeit. Zum Beispiel hat es keinen Sinn, das Plenum wie gewohnt mit TOP 1 zu eröffnen, wenn noch dicke Luft im Raum hängt, weil sich beim Einnehmen der Plätze gerade zwei oder mehrere Kommunarden wegen schwelender Feindseligkeiten angegiftet haben. Das muß erst bereinigt werden. Andernfalls wird die Erörterung der anstehenden Sachthemen verzerrt und somit eher unfruchtbare Beschlüsse hervorbringen. Also hebt einer gleich den Finger, sagt »Störung!« und erkundigt sich bei den Streithammeln nach dem Anlaß der Giftmischerei. Nicht selten liegen die hemmenden Störungen allerdings keineswegs auf der Hand. Sie sind etwa im bekümmerten Gesichtsausdruck einer Kommunardin oder in der leibhaftigen Abwesenheit eines Kommunarden verborgen. Was hat sie? Warum fehlt er? fragt sich der wachsame Mitkommunarde – und meldet »Störung!« an.
~~~ Gewiß muß man mit diesem Mittel des Eingriffs verantwortungsvoll und vorsichtig umgehen, sonst landet man früher oder später bei der Schaffung einer Gedankenpolizei. Diese Gefahr besteht immer. Sie ist der Preis für die in egalitären Gemeinschaften herrschende »soziale Kontrolle«. Sie muß mit Erfahrung und Bildung, Weisheit und Fingerspitzengefühl in Schach gehalten werden. Aber was wäre die Alternative? Das Strafgesetzbuch. Da steht klipp und klar alles drin, was erlaubt und was verboten ist.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 36, September 2024
Siehe auch → Anarchismus, Privatsphäre → Erziehung, Schweinsblaseninsel → Hattemer (Ascona) → IndianerInnen, Dietsch (Auswanderer) → Sport (nur Yoga) → Warten (GfK) → Zander (Schlagseitenkommunikation) → Band 5 Santa Molinga + Kolkraben + Mord Melankolonie + Besuch bei Ettö + Sprengkraft Stiftung
Kommunismus
Münzenberg, Willi (1889–1940). Im Frühjahr 2010 rang ich mich schweren Herzens dazu durch, per Internet eine Petition an den Vorsteher der größten kriminellen Vereinigung dieses Planeten zu unterzeichnen. Mister Obama möge sich für die Abschaffung der Todesstrafe und insbesondere dafür einsetzen, daß Mumia Abu-Jamal, der seit 28 Jahren im Todestrakt schmort, einen neuen und dieses Mal fairen Prozeß bekommt.
~~~ Meine Bedenken galten nicht nur Obama und dem taktischen Mittel »Petition«, sondern auch dem für Mumias Befreiung arbeitenden Komitee, das mir stark kommunistisch geprägt vorkam. Der dunkelhäutige Journalist Mumia, einst bei den Black Panthers aktiv, ist ja selber Kommunist. Er schreibt auch regelmäßig in der deutschen Jungen Welt. Wahrscheinlich weiß ich schon zu viel über die Machenschaften kommunistischer Bündnispolitik aus dem vergangenen Jahrhundert, um hier einfältig daran zu glauben, schließlich wollten wir alle dasselbe, nämlich Mumias Leben retten. Kommunisten sind kalt bis ins Blut. Ihrem Mittel-zum-Zweck-Denken opfern sie notfalls das eigene Töchterchen – und der Notfall ist für Kommunisten stets gegeben, weil ja der Kommunismus selber immer nur vom fernen Horizonte her winkt. Erst dort, im Paradies, möchten sie sich die Warmherzigkeit gestatten, die sie dann wahrscheinlich aus den Folgen des angeblichen »Klimawandels« beziehen. Vor diesem zittert die Junge Welt inbrünstig wie die halbe Welt.
~~~ Ich glaube auch nicht daran, daß die Junge-Welt-Leute besser als ihre DDR-Ziehväter sind. Selbstverständlich geben sie sich aufgeschlossen und sogar zu manchen Scherzen bereit, doch immer, wenn‘s ernst wird, sind sie mit ihrem dogmatischen Partei- und Proletarierplunder, ihrem Wahn vom Fortschritt und einem passenden Lenin-Zitat zur Hand. Um 2003 verübelte mir das sogenannte Feuilleton der Jungen Welt einen Text, in dem ich mich unterstanden hatte, beiläufig Nikita Chruschtschow anzupinkeln, der wegen seiner Kleinwüchsigkeit nur Schuhe mit erhöhtem Innenfutter trug. Wie ich mich unterstehen könne, verdiente Kommunisten schlecht zu machen! Ja, seine Verdienste bei den blutigen Parteisäuberungen, die ihn stets unverbrüchlich fest an der Seite des großen Steuermanns fanden, kann man beispielsweise in Simon Sebag Montefiores belegreicher Stalin-Biografie von 2003 nachlesen. Damals stützte ich mich allerdings nur auf Eindrücke von Chruschtschows Gästin Simone de Beauvoir. Sie und Sartre zählten in den 50er und 60er Jahren zu den unzähligen Prominenten, die sich bereit- oder widerwillig vor den Karren der UdSSR spannen ließen. Koestler und Sperber legten sich dafür bei den Amis ins Zeug. Ein bedeutender Zutreiber zum sowjetischen Karren war übrigens der Schriftsteller Ilja Ehrenburg – und zwar gerade wegen seines Aufmuckens gegen manche stalinistische Vernageltheit. Auf diese Weise zog er sogar André Gide an. Als dieser wieder absprang (1937), warf ihm Ehrenburg unflätige Schimpfworte nach, die Julián Gorkin in seinem Buch Stalins langer Arm dokumentiert.
~~~ Wie berechnend die Kommunisten zwischen den Weltkriegen harmlos oder rechtschaffen wirkende Personen und Organisationen für ihre machtlüsternen und staatsverliebten Zwecke einspannten, geht zum Beispiel sehr gut aus Babette Gross‘ Münzenberg-Biografie von 1967 hervor. Gross war die Gefährtin des begnadeten Organisators, Überredungskünstlers und angeblichen roten Millionärs gewesen. Sie legt allerdings glaubhaft dar, Willi Münzenberg, Mitglied des ZKs der KPD und bis zuletzt (1933) Reichstagsabgeordneter, habe die Millionen, die sein verzweigter Konzern erwirtschaftete oder auftrieb, nie für private Zwecke verpulvert. Alles wurde ins Heilsgeschäft der Vorbereitung der Weltrevolution gesteckt. Als Chef verlangte er »das Äußerste an Initiative, Tempo und Arbeitsleistung« von seinen Mitarbeitern. Sie verehrten ihn. Einer von ihnen äußert später, Münzenberg habe an starken Minderwertigkeitsgefühlen gelitten und sich ständig selbst bestätigen müssen. Gross dementiert es nicht.
~~~ Münzenberg war Sprößling eines leicht aufbrausenden und oft betrunkenen Dorfgastwirts in Friemar an der Nesse, das unweit von Gotha liegt. In der Kasse der Schenke herrschte meistens Ebbe. »Dann ließ er dem Jungen vom Dorfschneider aus einem alten Anzug eine Jacke machen, die viel zu groß war. Und der Junge mußte sich mit Fäusten gegen die Dorfjugend wehren, die spöttisch Schwenker hinter ihm herrief.« Wahrscheinlich hielt Münzenberg entgegen vielen ihn grämenden Bedenken noch um 1933 eisern an der Partei- und Kominternlinie fest, damit ihn nicht auch noch Stalin oder Thälmann als einen Schwenker hänselten. Dabei gibt es nichts Widerlicheres, als den Zickzackkurs der Weimarer KPD zu verfolgen! Aber der beruhte eben auf abgesegneten Schwenkern. Nach der faschistischen »Machtergreifung« untergetaucht, schwang sich der 1889 geborene Münzenberg, von Gustav Regler als untersetzter, braunäugiger Mann mit vollem Haar beschrieben, in Paris zum größten Gegenspieler Joseph Goebbels‘ auf. Er besorgte das berühmte Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror und schuf weitere wirksame Plattformen antifaschistischer Einheitsfrontpolitik, wobei er sich, unter dem Eindruck der Moskauer »Säuberungen«, zunehmend gegen den Alleinvertretungsanspruch und die unlauteren Methoden der Kommunisten verwahrt haben soll.
~~~ Regler, Schriftsteller und zeitweise kommunistischer Politkommissar bei den spanischen republikanischen Truppen, zählte zum Mitarbeiterstab des Braunbuchs. In seinen ausgezeichnet geschriebenen Erinnerungen (von 1958) bestätigt er Münzenbergs Neigung zu beinahe täglichen Stimmungswechseln: heute heiter oder siegesgewiß, morgen betrübt und mürrisch – »pöbelhaft wie ein Müllkutscher und unsicher, wie nur Genies es sein können«. Dafür sei ihm die wahnhafte Furcht vor Spionen fremd gewesen, die Regler in Reinkultur durch Exil-Chef Walter Ulbricht verkörpert sah; Münzenberg habe sogar eine Leibgarde abgelehnt, obwohl Paris von braun- bis roteingefärbten Agenten wimmelte, die ihn liebend gern in die Seine befördert hätten. Münzenberg sei der einzige führende KP-Kader gewesen, der mit der Zeit lernte, »auch an alten kommunistischen Begriffen zu zweifeln«, etwa dem verherrlichten »Proletariat«. Seinen wachsenden Schwierigkeiten »mit den offiziellen Hütern der Ideologie« sei er mit »kleinen Bestechungen der Schergen« (etwa Pöstchen in seinem erfolgreichen Verlag) und Ausweichmanövern begegnet. Im Herbst 1936 hatte Münzenberg bereits Glück, nach Verhandlungen in Moskau wieder heil aus dem »sozialistischen Vaterland« herauszukommen. Er verlor sämtliche Pariser Machtbefugnisse und wurde zum Objekt »einer Flüsterkampagne der KPD-Emigrationsführung«, wie Wolfgang Leonhard (1989) schreibt. Im März 1939 gab der unerschütterliche Antifaschist im Wochenblatt Die Zukunft seinen Parteiaustritt bekannt. Den Rest seiner Sowjettreue raubte ihm dann wenig später der Hitler-Stalin-Pakt, der den Zweiten Weltkrieg nicht hemmen, vielmehr befördern half. Münzenberg starb 1940 auf der Flucht durch Südfrankreich unter Umständen, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Er war erst 50. Viele vermuten einen Mord auf Betreiben Stalins.
~~~ Bei gutem Frühlingswetter entschließe ich mich nach einem erfreulich kurzen Besuch im Gothaer Sozialamt, das unweit vom Ostbahnhof liegt, zu einem Radausflug nach Friemar. Ich habe noch einmal rund fünf Kilometer gen Osten zu fahren. Nennenswerte Steigungen sind nicht zu bewältigen. Dafür wirkt auch das Dorf ein wenig fade. Der ehemalige Gasthof Zum Erbprinzen findet sich nur einen Steinwurf von der Nesse entfernt in der Friedhofstraße am wiederum östlichen Dorfrand. Im Erdgeschoß ein Lebensmittelgeschäft, das den Gothaer Supermärkten trotzt. Einer alten Ansichtskarte zufolge, die an Herrn K.s Kasse lehnt, war der Gasthof einst ein stattliches Gebäude mit einem Eckgiebelturm, in dem auch ein Wappen prunkte. Das Gebäude wurde längst begradigt. Herr K. kaufte es nach der »Wende«. Immerhin machte er sich zum Gedenken an den hier geborenen Gastwirtssohn Willi Münzenberg mit einigen anderen Einheimischen für eine Kupfertafel stark, die dann an der Fassade angebracht wurde. Doch bald darauf lag sie auf dem Bürgersteig – gewaltsam abgerissen. Seitdem bewahrt sie Herr K. in seiner Wohnung auf. Die Zeichen der Zeit stünden wohl anders, meint er mit sarkastischem Achselzucken. Eine nach dem prominenten Antifaschisten benannte örtliche Straße oder Gasse gibt es nicht. Wer einen Blick auf die ebenfalls recht stattliche barocke Dorfkirche Friemars werfen will, kann immerhin einen winzigen Karl-Marx-Platz überqueren.
~~~ Margarete Buber-Neumann, die Münzenberg gut kannte, nennt ihn (1958) »eine erstaunliche Persönlichkeit, die einen fast magischen Einfluß auf Menschen der verschiedensten Kategorien ausübte.« Sie hebt seinen Ideenreichtum hervor. Gleichwohl sei er auch als einflußreicher Propaganda- und Konzernchef den Gewohnheiten der Jugendbewegung treu geblieben. Der junge Erfurter Fabrikarbeiter hatte dereinst in Zürich, wo er zu den Freunden des Emigranten Lenin zählte, die Kommunistische Jugendinternationale (KJI) gegründet und im folgenden geführt. Auch später habe es ihn an versammlungsfreien Sonntagen hinaus ins Grüne gedrängt. »Er trank kaum Alkohol, liebte es zu wandern, sich irgendwo im Wald zu lagern und Sport zu treiben.«
~~~ Ich schiebe mein Fahrrad über eine grünende Wiese ans Nesseufer, um einen Schokoladenriegel zu verzehren, den ich von Herrn K. erwarb. Auch die Pappeln und Weiden treiben schon aus. Eine Singdrossel beschimpft mich. Vereinzelte Wildkirschen sind bereits mit kleinen, weißen Blüten übersät. Die Sonne läßt sie leuchten, doch es fehlt ihr noch immer entschieden an Heizkraft. Die Wiese wird morgen früh wieder Rauhreif zeigen. Der April (2010) war durchweg kalt. Das Dumme ist, je älter man wird, desto frühzeitiger denkt man schon wieder mit Schrecken an den nächsten Winter. Ja, wenn der »Klimawandel« endlich käme! Aber er hustet mir was.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
Siehe auch → Anarchismus → DDR → Fortschritt, Dampfmaschine („Industrialisierung“) → Hitler-Stalin-Pakt → Schaulust (Wang Yue) → Welskopf-Henrich (DDR-Autorin)
Kopfbedeckung → Größe, Hölderlin mit Hut
In seinem vor Ort vielgelobten Standardwerk Korbach bringt es Wolfgang Medding fertig, sowohl den Streit zwischen den Stadtpfarrern Johannes Lycaula und Michael Jakobinus, die um 1550 die Fronten der Reformation in Korbach verkörpern, als auch die Verfolgung Korbacher Juden im »Dritten Reich« auf jeweils rund zwei Seiten darzustellen. Die Geschehnisse sind von der Zeitspanne her vergleichbar. Nur daß der Streit zwischen Lycaula und Jakobinus weder ein brennendes Haus noch auch nur einen Erschlagenen gekostet hat. Wogegen von rund 150 Bürgern jüdischen Glaubens, die während des »Dritten Reiches« in Korbach gemeldet waren, 60 vertrieben und 52 in Konzentrationslager verschleppt worden sind. Nur sieben haben das KZ überlebt.
~~~ Auch in anderen Fragen beweist Stadthistoriker Medding eine niederschmetternde Gewichtung. Was wir seit Marx und Engels »soziale Frage« nennen, hat Medding nie begriffen. Zur Einsicht ist es zu spät, denn es gibt in Korbach bereits eine Wolfgang-Medding-Straße. Der Geehrte sprach gern von seinem oder unserem deutschen Vaterland. Das große Ganze, das von selbstlosen Fürsten oder Bürgermeistern verkörpert wird, lag ihm am Herzen. Korbachs Wohltäter Dr. Paul Zimmermann räumt er – bei einem Gesamtumfang von 400 – allein anderthalb Seiten seiner Stadtgeschichte sowie ein großes Foto ein. Zimmermann war parteilos, stand aber den Sozialdemokraten nahe. Das Amt des Korbacher Bürgermeisters versah er lückenlos von 1927 bis 1945. Wie vielleicht nicht jeder weiß, wurden die Bürgermeister des »Dritten Reiches« nicht gewählt, sondern von oben eingesetzt. Gewählt wurde Zimmermann »erst« 1948 wieder – erneut ins Korbacher Bürgermeisteramt!
~~~ Zu Meddings 1955 erschienenem Geschichtsbuch schrieb er (als amtierender Bürgermeister) das Geleitwort. Man wird sich denken können, wie es ausfiel. Auch wird es kaum verblüffen, wenn Paul Zimmermann ebenfalls seine Ehrung im Korbacher Stadtbild gefunden hat. Neben einem Sportplatz wurde eine Schule für praktisch bildbare – oder: behinderte – Menschen nach ihm benannt. Eine schmerzende Geschmacklosigkeit oder Zynismus? Zu Zeiten, da Zimmermann als Bürgermeister eingesetzt und in eine schmucke, braune SA-Uniform gesteckt worden war, pflegte man in solchen Fällen bekanntlich von »minderwertigen« Menschen zu sprechen. Zehntausende von ihnen wurden in Deutschland umgebracht. Ließ Dr. Paul Zimmermann dies alles im Schlaf über sich ergehen? Verkroch er sich zu Hause hinterm Ofen, als Reichsbauernführer Darré und der SS-Fürst → Josias aus dem nahen Arolsen die Korbacher aufhetzten? Als Hans Frese (Bremsklötze am Siegeswagen der Nation, 1989) in der im Conti-Verwaltungsgebäude untergebrachten SS-Sportschule krankenhausreif geschlagen wurde und Arbeiter wie Fritz Schulz (KPD) und Martin Mast (SPD) im Kerker verschwanden? Als die Korbacher Synagoge brannte?
~~~ Nach der 1988 vom Wiesbadener Hauptstaatsarchivar Wolf-Arno Kropat vorgelegten Untersuchung Kristallnacht in Hessen begannen die Pogrome in Kurhessen (und Magdeburg-Anhalt) nicht erst nach der Münchener Goebbels-Rede vom Abend des 9. November 1938, sondern bereits am Abend des 7. November. An diesem Abend wird die Kasseler Synagoge zerstört. Die Inszenatoren sind die Kasseler Gestapo und die Arolser SS – Josias grüßt. Dann wüten die Nazis in Bebra, Ziegenhain, Zierenberg und so weiter. Am Vormittag des 9. November fallen Arolser SS-Trupps bereits ins unweit von Korbach gelegene Städtchen Wolfhagen ein. Laut Kropat war es ein Kennzeichen der hessischen Pogrome, daß sie auch auf dem flachen Land tobten. 1989 machte sich eine Arbeitsgemeinschaft Spurensicherung mit der Broschüre Judenverfolgung in Korbach sehr verdient, wenn auch nicht gerade beliebt. Zu den wenigen Korbacher Zeitzeugen, die sich der Arbeitsgemeinschaft gegenüber zu äußern wagen, zählt Gustav Plutz. »Die Stimmungslage war allein schon vom System her aufgeheizt. Die Jüngeren glaubten, die Juden seien ein Pestbeutel, der ausgerottet werden müsse. Denn so war die Jugend erzogen. Ähnlich war die Stimmung, wenn die SA durch die Stadt zog und sang 'Ja, wenn das Judenblut am Messer spritzt, ja dann gehts nochmal so gut'. Dies läßt sich heute kaum noch beschreiben, weil es ein Unding ist. Aber dies ist geschehen, ich habe es selbst gehört. Und so ähnlich war auch die Situation bei der Synagoge …«
~~~ Synagoge und Schulhaus der Korbacher Juden lagen im Schatten der mächtigen, schönen Kilianskirche in einer Gasse, die wohl nach einer dort ansässigen Familie »Tempel« hieß und auch heute noch heißt. Die Kilianskirche dürfte geschwiegen haben, als Synagoge und Schulhaus in Flammen aufgingen. Nach Plutz‘ Bericht müssen sie zwischen 20.30 und 21.30 Uhr am Abend des 9. November angezündet worden sein, also noch immer vor Goebbels Münchener Hetzrede. In derselben Nacht kommt es zu gewalttätigen Übergriffen auf Wohnhäuser jüdischer BürgerInnen. Die ersten jüdischen Männer werden bereits nach Kassel oder Buchenwald verfrachtet. Die Zahl der Opfer nannte ich.
~~~ Immerhin wurde 1947 – Dr. Zimmermann war gerade abwesend, um sich von den Schrecken des »Dritten Reiches« zu erholen – auf dem Korbacher Judenfriedhof ein schlichter Gedenkstein aufgestellt, der sie allesamt mit Namen nennt. Die Zunamen Mosheim, Weitzenkorn, Löwenstern, Goldberg, Straus dominieren. Und Katz. Derweil turnt der läutende Trauerschnäpper durch die Eschen, die den verwunschenen Friedhof über der Eisenbahnschneise beschirmen. Die Eschen grünen bereits. Den einen ein Leben für die Katz; den anderen die Weihen der Buchdeckel.
∞ Verfaßt 2002
Brockhaus kennt einen zionistisch gestimmten hebräischen Schriftsteller namens Ascher Ginzberg, Deckname Achad Haam, der um 1900 wirkte. Schon ein Sohn des Erzvaters Jakob soll Ascher gehießen haben. Mir war freilich um 2000, als ich in der nordhessischen Kreisstadt Korbach wohnte, die dortige Altstadtgasse Ascher lieber. Im Ascher, der auf knapp 300 Meter längs der alten inneren Stadtmauer verlief, hätte ich nur zu gern Adresse gehabt. Die in grammatischer Hinsicht männliche Gasse war ruhig und romantisch. Laut dem Nordhessen Frank Löwenstein* hat dieser seltsame Straßenname weder etwas mit einem Aschenbecher noch mit dem verheerenden Stadtbrand von 1536 zu tun, ist er doch bereits in etwas älteren Urkunden zu finden. Löwenstein bietet noch einen möglich Bezug zu Sumpf- und Gemeindeland, dagegen nicht zu den Juden an, die es auch in Korbach immer gab, jedenfalls bis zu einer gewissen »Reichskristallnacht« des Jahres 1938, wo auch die dortige, unterhalb der Kilianskirche gelegene Synagoge in Flammen aufging. Wie es aussieht, hat die Herkunft des seltsamen Straßennamens bislang als ungeklärt zu gelten.
~~~ Das seltsamste Haus des Aschers trägt die Nummer 14. Man hatte im Jahr 1734 ein Steinhaus an den Roten Turm der Stadtmauer angebaut, um ein schönes Amtsgefängnis zu gewinnen. Später, ab 1860, wurde dieses Gebäude dann zum Wohnen freigegeben, wobei es bis heute geblieben ist. Der Turm wurde bei Umbauten zum Teil abgetragen. Dieses Domizil wäre aber nichts für mich gewesen. Im einstigen Kerker hatten soundsoviele angebliche SchwerverbrecherInnen vor ihrer Hinrichtung gezittert. War der festgesetzte Tag, dem stets eine Menge schaulustiger BürgerInnen entgegen fieberten, gekommen, hißte der Stadtknecht auf dem ehemaligen Wehrturm die rote, die Blutfahne nämlich. Daher bis heute: Ascher 14, Roter Turm.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 3, Dezember 2023
* https://seite119.de/Ascher_Korbach.html
Um sich auf einem gebräunten Lehrstuhl zu halten, war der hauptsächlich in Berlin wirkende Chirurg August Bier (1861–1949) schon zu gebrechlich: Ruhestand 1932. Günstig für Brockhaus, denn so kann das Lexikon etliche (angebliche) Verdienste des gebürtigen Waldeckers aufzählen. Das Schäbige läßt es lieber weg. Nach Ernst Klee dagegen legte sich Bier im Rahmen der nationalen Revolution erst so richtig ins Zeug. Inzwischen Geheimrat, warb er Anfang April 1932 im Völkischen Beobachter für die faschistische Partei. Auf dem Reichsparteitag 1937 wurde ihm der faschistische Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft überreicht. 1943 berief ihn Hitler zum außerordentlichen Mitglied des Wissenschaftlichen Senats des Heeressanitätswesens. Er starb, mit 87, auf seinem Gut Sauen in Brandenburg. Er selber war selbstverständlich kein Schwein. Im Gegenteil betonen seine vielen AnhängerInnen (in Wikipedia), gegen Kriegsende habe sich Bier nachweislich von den Nazis abgewandt. Ja, sicher, kluge Leute schlagen sich stets auf die Seite der voraussichtlichen Sieger. Merkwürdigerweise hat sich dieser Sinneswandel des ehemaligen Abiturienten der Korbacher Alten Landesschule aber gar nicht in deren Geschichtswerkstatt niedergeschlagen.* Vielmehr bekennt die Schule, Bier habe dem Nationalsozialismus seit 1932 »sehr nahe« gestanden. Das hindert Korbach freilich nicht daran, sich mit der Altstädter Professor-Bier-Straße zu brüsten.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 5, Januar 2024
* https://www.geschichtswerkstatt-als.de/de/prof_bier.html
Siehe auch → Automobilisierung, Ropel → Hunde, Pompetzki → Band 4 Bott, Die Axt im Haus, Kap. 10–15
Kosmologie
Sowohl der früh verstorbene Johannes Fabricius (1587–1617) wie sein Vater David waren durchaus namhafte ostfriesische Astronomen, doch der Laie kennt sie kaum. Der Sohn gilt meist als Entdecker der »Flecken« auf der Sonne. Bis dahin hielt man unsere Erleuchterin für makellos. Da sich die Lage der Sonnenflecken im Lauf der Beobachtungen veränderte, konnte man nun auf die bereits von Kepler vermutete Eigenrotation des Sternes schließen und die Dauer einer Umdrehung berechnen. Johannes hatte erst kurz zuvor aus Leiden das neuartige Fernrohr mitgebracht, »die holländische Brill«. Sein Vater, lutheranisch gestimmter Pastor in einem Dorf bei Emden, bestätigte die Beobachtung, wenn auch nur zerknischt, weil sie sozusagen sein frommes Weltbild befleckte. Noch im selben Jahr, 1611, legte der Sohn eine Schrift über die Entdeckung vor.
~~~ Viel mehr ist über den Filius leider nicht bekannt. Gerade 30 geworden, will Johannes, unter anderem studierter Mathematiker, seinen medizinischen Dr. in Basel machen. Im Januar 1617 aus Wittenberg kommend, erreicht er aber die Schweiz nicht. Er stirbt vorher, wohl in Dresden. Woran, verrät kein Mensch. 1598 war Johannes, als Knabe, einer heimischen Pestepidemie entgangen. Kepler schätzte die schmale Schrift des jungen Fabricius über Sonnenflecken und sprach dem Vater auch sein Beileid zum Tod des Sohnes aus. Diese briefliche Beileidsbekundung verpaßte der Pastor jedoch aus Gründen »höherer Gewalt«. Er wurde, wie immerhin aus seinem Grabstein hervorgeht, wenige Monate nach Johannes‘ Ableben von einem gewissen Frerik Hoyer umgebracht. Über die Umstände gibt es etliche Legenden – und keinen Beleg. Der Soziologe und Erzähler Hermann Korte* hält die Version für am wahrscheinlichsten, der genannte Bauer sei von der Kanzel herab des Diebstahls bezichtigt worden, weshalb er dem Pastor David Fabricius am Abend auflauerte, um ihm hinterrücks mit einem Torfspaten den Schädel zu spalten. Ob die Anschuldigung vielleicht ein Rufmord gewesen war, weiß erneut kein Mensch. Verbürgt sei dafür die Strafe: Hoyer kam unters Rad.
~~~ Für mich ist der Umstand am traurigsten, daß beide Tode so sehr im Dunkel liegen. Vom Junior weiß noch nicht einmal jemand zu sagen, ob er zum Beispiel einer Krankheit erlag, versehentlich unter eine Kutsche kam oder gar Selbstmord beging. Korte weist diesbezüglich auf die Zerstörung vieler Akten und Kirchenbücher durch den soeben entfachten Dreißigjährigen Krieg hin, das schon. Aber man sollte doch meinen, es hätten zumindest ein paar private Briefe oder Aufzeichnungen mit entsprechenden Erwähnungen überdauert, beispielsweise bereits die Botschaft, durch die der Senior vom Ableben des Juniors erfuhr – falls sie nicht in mündlicher Form eintraf, durch Boten. Laut Dirk Lorenzen** ist nach Jahrhunderten sogar ein Text ausgegraben worden, in dem der Vater den Tod seines Sohnes beiläufig datiert (10. Januar) und beklagt, nur die Gründe für diese verdammt frühe Abberufung behält auch der Senior für sich. Vielleicht befürchtete er, der liebe Gott hätte es ihm angekreidet. Heute hätte man zumindest die Aufzeichnung eines entsprechenden Telefonats. Schließlich wird der Mobilfunk längst »flächendeckend« abgehört, also auch zwischen Emden und Dresden. Mit den Speicherkapazitäten, die man für die Archivierung allen irdischen Spionage-Materials benötigt, ließe sich wahrscheinlich, sobald sie einmal erlischt, die Sonne neu aufladen.
~~~ Hier ist vielleicht ein Sprung in die Gegenwart gestattet. Für den inzwischen fast 80jährigen Kosmologen Jochen Kirchhoff stellt die sogenannte Digitalisierung eher einen Fluch als einen Segen dar. Somit ist er erfreulicher-weise einerseits Skeptiker, ärgerlicherweise aber andererseits auch wieder keiner. Diese Zwiespältigkeit mag mit seiner Abkunft zusammen hängen. Er wurde nämlich von zwei Vätern gezeugt, Buddha und Rudolf Steiner, dann freilich vaterlos von der griechischen Ziege Amaltheia aufgezogen, die mancher jedoch für eine Göttin hält. Als Skeptiker erweist sich Kirchhoff auch in seiner mutigen Plandemie-Kritik und in seinem nicht minder mutigen Hohn auf die Märchen, die uns die postmoderne Astrophysik seit Jahrzehnten unverfroren als Tatsachen oder wenigstens Wahrscheinlichkeiten per Zeitung auf die Frühstücksbrötchen schmiert. Das schließt die bekannten Urknalle und Schwarzen Löcher, ja sogar die nahezu unangezweifelte »Lichtgeschwindigkeit« ein, wie er in seinem jüngsten, übrigens sehr fein gestalteten und ausgestatteten Buch*** bekräftigt. Vieles davon seien lediglich willkürliche, oft geradezu abenteuerliche Setzungen. Kirchhoff betont wiederholt, daß wir auch in kosmologischen Fragen nie aus unserer Befangenheit herauskommen. Die herrschende Astrophysik wird von dieser Befangenheit in einen kalten, finsteren, völlig lebensfeindlichen Kosmos geleitet, denn so etwas gefällt der herrschenden Astrophysik. Aber verzichtet Kirchhoff nun, in seiner eigenen Befangenheit, auf ein nicht minder unbeweisbares freundliches Gegenbild?
~~~ Das tut er selbstverständlich nicht. Ein Philosoph wie er muß predigen. Für Kirchhoff wird es höchste Zeit, »die Würde unserer kosmischen Existenz zu retten« (Seite 122), ehe uns der Verdacht beschleicht, nichts anderes als bedauernswerte Sklavenkreaturen und Folteropfer der sogenannten Schöpfung zu sein. Das Böse erwächst lediglich der herrschenden Astrophysik. »Sollte ein Weltgeist dieses Universum des Urknalls, der Schwarzen Löcher und der thermonuklearen Sternenhöllen geschaffen haben, so kann es sich bei ihm keineswegs um ein intelligentes Wesen handeln« (S. 217). Wir benötigen jedoch einen liebenswerten Weltgeist. Nicht, daß Kirchhoff von Gott oder, wie Steiner, von Jesus Christus spräche. So dumm ist er nicht. Er beschwört ersatzweise ein ums andere Mal den Geist, die Weltseele, das Göttliche und dergleichen mehr. Ohne solche »Setzungen« geht es eben nicht. Gesehen hat er von alledem keinen kleinen Fingernagel. Auf Seite 109 wettert er, »schon ein schlichter Grashalm, der vom Frühlingswind bewegt wird und auf dem ein bunt schillernder Käfer herumkrabbelt«, wäre im »aberwitzigen und absurden« Arsenal der herrschenden Astrophysik »eine Unmöglichkeit«. Kirchhoff dagegen möchte auch Stechmücken, Säbeltiger, Rheumatismus, Rollstühle, Mord & Totschlag, schwachsinnige Babys und Altersdemenz. Das war bereits für Hölderlin der »schöne Kreislauf« der Natur. Kirchhoff beklagt wiederholt den »Anthropozentrismus«, versichert uns freilich, Gestirne seien Lebewesen (S. 143). Für ihn geht »alles lebendige Werden … vom Menschen aus und zum Menschen hin« (S. 144). Und das soll keine Engstirnigkeit sein?
~~~ Erstaunlicherweise versagt der erwähnte skeptische Blick Kirchhoffs bei der sogenannten Mondlandung der USA. Er streift sie auf Seite 57 einwandlos. Da möchte man ihm glatt die jüngste, »mit aktuellem Nachwort« versehene Ausgabe von Gerhard Wisnewskis gründlichem und belegreichem Buch auf die Treppe werfen, das man wohl, soweit ich sehe, als Standardwerk der Raumfahrt-Skepsis bezeichnen darf, zumal es gut geschrieben ist.**** Übrigens gewinnt darin auch Raketenschmied Werner von Braun die richtige Kontur. Schon 10 Prozent der Ungereimtheiten und Argumente, die Wisnewski ins Feld führt, würden für tiefste Zweifel an der offiziellen Mondlandungslegende genügen, die freilich längst in unzähligen Nachschlagewerken, Geschichtsbüchern und Zeitungsartikeln steht. Beweisen läßt sich hier übrigens gar nichts. Man kann die Mondlandung der Yankees bis heute weder widerlegen noch hieb- und stichfest beweisen, wie sogar manche NASA-Fans einräumen. »Simuliert« wurde ja sowieso schon dauernd während der Vorbereitungsarbeiten, nämlich zwecks sorgfältigen Trainings in mehr oder weniger großen Hallen, die stets auch Filmstudios waren. Der mutmaßliche Schritt von diesen Trainingseinheiten zur Vortäuschung der »live« übertragenen Mondlandung von Apollo im Juli 1969 wäre sicherlich nur ein ähnlich »kleiner Schritt« gewesen wie der, den Astronaut Neil Armstrong (angeblich) beim Verlassen der auf dem Mond aufgesetzten Landefähre der Menschheit verkündete. Wisnewski führt das aus. Nebenbei schont er den Konkurrenten beziehungsweise Kumpanen der Yankees, die SU-Kommunisten, keineswegs.
~~~ Im übrigen bettet er die wahrlich abenteuerliche Unternehmung (die technisch wahrscheinlich noch gar nicht möglich war) in die geschichtlichen, vor allem politökonomischen Zusammenhänge ein. Für die angeschlagene USA (Vietnam, Watergate) war ein glänzender Erfolg bitter nötig. Wobei ihr Militärisch-Industrieller Komplex in erster Linie nicht auf Lob und Ruhm aus war. Für diesen ging es vielmehr um genauso abenteuerliche Summen, nämlich viele Milliarden Dollars. Laut Wisnewski stammt die Bezeichnung übrigens nicht von Verschwörungstheoretikern, sondern aus Präsident Eisenhowers Abschiedsrede vom 17. Januar 1961. Statt zur Mondfahrt aufzurufen, warnte Eisenhower damals vor der »Eroberung unbefugten Einflusses durch den militärisch-industriellen Komplex« (S. 296). Heute ist das alles befugt. Gibt Wisnewski einen Ausblick auf das Unheil, das sich inzwischen über unseren Köpfen und unter unseren Füßen zusammenbraut, kann einem wirklich schlecht werden.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* David und Johannes Fabricius und der Roman meines Vaters. Eine biographische Erzählung, Münster 2011, bes. S. 101–4
** Dirk Lorenzen, https://www.deutschlandfunk.de/vor-400-jahren-tod-des-astronomen-johann-fabricius-100.html, 10. Januar 2017
*** Jochen Kirchhoff, Kosmos, Köln 2022
**** Gerhard Wisnewski, Lügen im Weltraum / Von der Mondlandung zur Weltherrschaft, ursprünglich 2005, hier jüngste Auflage Rottenburg März 2020
Nimmt Brockhaus den eher unbekannten Astronom Peter Andreas Hansen auf (1795–1874), ehrt er mich gleich mit, wurde der Norddeutsche doch »1825 Direktor der Sternwarte Seeberg bei Gotha«. Ja, er stieg sogar noch auf. Die Sternwarte im Bergwald taugte nämlich nicht viel, zudem wohnte die Familie wenig standesgemäß. So ließ sich der Herzog schließlich erweichen und genehmigte einen Neubau unweit seines Schloßparks in der Gothaer Jägerstraße. Hier wirkte und wohnte Hansen ab 1859 bis zu seinem Tod, und zwar »mit großem Erfolg«, wie zumindest die heimatkundlichen Quellen versichern.
~~~ Im 21. Jahrhundert ging Hansen sogar in die Schöne Literatur ein. Nachdem Kriminalkommissar Armin Köfel (Der Fund im Sofa, Erfurt 2009) mit einem kurz zuvor noch von Hunden gejagten Waltershäuser Schriftsteller durch den Gothaer Schloßpark spaziert ist, biegen sie just in die Jägerstraße ein, gedenken sie doch den Snookersalon Reinen Tisch am Hauptbahnhof aufzusuchen. Köfel deutet aber zunächst nach links, wo ein stattliches, mehrgliedriges, älteres Gebäude aus bräunlichem Sandstein zu sehen ist. »Die Wohn- und Arbeitsstätte unseres Astronomen Peter Andreas Hansen«, erläutert Köfel. »Er starb um 1870. Sehen Sie hinten den angestrahlten Turm? Das war dereinst die Sternwarte. Sie galt damals als mustergültig.« Sein Begleiter nickte. Der vieleckige Turm wies ein umlaufendes blaugoldenes Band aus Rauten auf; in jeder Raute saß ein Sternchen. Jetzt deutete Köfel nach rechts in eine schmale Seitenstraße. »In dem hell verputzten Mehrfamilienhaus hat Hanns Cibulka gewohnt.« Das war ein anderer, ungleich bekannterer thüringischer Schriftsteller gewesen. Köfel hatte einmal einen Einbruch mit Gemälde-Diebstahl bei dem Mann untersucht und sogar aufgeklärt. Der prominente Mieter hatte die Gemälde jedenfalls nicht eigenhändig verschwinden lassen. Er starb vor genau 20 Jahren.
~~~ Beim Gang durch den Schloßpark war es bereits dunkel geworden. Ein Bekannter meinte einmal zu mir, bei meinem Interesse für Kosmologie müßte ich ja wohl auch zu den leidenschaftlichen nächtlichen »Sternguckern« gehören. »Ach woher!« erwiderte ich. »Mein Schlaf ist mir teuer, und den pflege ich in der Regel nachts abzuhalten.« Ein ungutes Gefühl hatte ich aufgrund dieser Antwort aber schon. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, das »Sternegucken« vordringlich aus Angst zu meiden, nicht wegen der Einbuße an geruhsamem Schlaf. Kosmologe Jochen Kirchhoff hätte mich wahrscheinlich verstanden. In seinem jüngsten Buch* merkt er an: »Der technisch-wissenschaftliche Erdling richtet die Fernrohre in die rätselhafte Weite des Alls, und er tut dies in der Annahme, nur der Blickende zu sein, nicht aber der von dort Angeblickte. Dabei kann sich das Gefühl, aus dem Weltraum heraus angeblickt, ja im eigenen Wahn geradezu gerichtet zu werden, durchaus auch im modernen und postmodernen Menschen einstellen, wenn er in sternenklarer Nacht ‚nach oben‘ blickt, ohne dabei die Vorstellungen der Mainstream-Kosmologie aufzurufen. In der nächtlichen Konfrontation mit dem Sternenhimmel, wenn sie denn in der seelischen Tiefe zugelassen wird, stellt sich gelegentlich mehr ein, als der Einzelne verkraften kann.«
~~~ Klammert man die Angst vor Finsternis, Verlorenheit und bösem Blick einmal aus, bleibt zumindest das unheimliche Staunen über den Umstand, daß es im Universum offensichtlich nicht drunter und drüber geht. Zwar explodieren dauernd Sterne oder ganze Galaxien, aber im Wesentlichen scheint dieser merkwürdige Superbehälter, dessen Ränder noch niemals einer gesehen hat, zu halten. Es herrscht Ordnung statt Chaos. Viele Sterne findet selbst der Laie auf Anhieb wieder, sofern er regelmäßig guckt. Auch dieses Staunen kann Kirchhoff nachvollziehen. Die Astronauten hätten die Erde erhaben und erleuchtet in der Schwärze schweben gesehen, und sie hätten versichert, sie hänge ohne jedes Halteseil im Raum, so ist es ungefähr in seinem 1999 erschienen Hauptwerk** zu lesen. Er gibt sich dann noch einige Mühe, der Art dieses Zusammenhaltes auf den Grund zu kommen – vergeblich. Immerhin stellt er für mein Empfinden zurecht fest, irdische und himmlische Mechanik seien keineswegs wesensgleich. Während unsere Fußsohlen auf der Erde durch die Schwerkraft (oder »Gravitation«) festgesaugt werden, scheint im Universum schließlich, ganz im Gegenteil, ein seltsames Gleichgewicht zu herrschen.
~~~ Wie sich versteht – und das ist ja gerade das Gruselige – wissen wir darüber so gut wie nichts. Nach den »Grenzen« des Riesenbehälters haben wir auch kaum eine Ahnung von dessen Beschaffenheit. Ob »interstellare Materie« und »Hintergrundstrahlungsenergie« postmoderner Astrophysiker oder Kirchhoffs »Äther«, es handelt sich gleichermaßen nur um dünne, fadenscheinige Spekulationen. Immer mal wieder läßt Kirchhoff freilich die Katze aus dem finsteren Sack, wenn er die großen ZusammenhalterInnen tapfer und überaus herkömmlich »Weltwille« oder »Weltseele« nennt. Am deutlichsten wird er (in den Räumen) mit dem bündigen Satz: »Das Nichts oder die Götter, das ist die Alternative.« Es geht um Angstabwehr! Darauf kommt Kirchhoff mehrmals zurück. Ein klirrend kalter, unerklärlicher, unmenschlicher Kosmos wäre doch gar zu empörend und furchterregend, sagt er sinngemäß. Also muß er ihn mit »Seele« oder »Göttlichkeit« zusammenkleistern. Zwar rügt er genauso oft die unbedenklichen Operationen mit spezifisch menschlichen Kategorien wie Raum, Zeit, Masse, Energie und so weiter. Schließlich sind sie befangen, beschränkt – geradezu lächerlich. Aber für »Seele«, »Götter«, »Nichts« und dergleichen gilt das offenbar nicht.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 17, April 2024
* Kirchhoff, Kosmos, Köln 2022, S. 119
** Kirchhoff, Räume, Dimensionen, Weltmodelle, bes. S. 155 +159 + 299
Zoologen nennen die Metamorphose (Verwandlung, Umgestaltung), soweit sie im Tierreich vorkommt, Metabolie. Wieder etwas gelernt! Bei dieser handelt es sich also um »die indirekte Entwicklung vom Ei zum geschlechtsreifen Tier durch Einschaltung gesondert gestalteter Larvenstadien«, die man von nicht wenigen Tieren kennt. Die genausten Forschungen lägen hier über Insekten und Lurche vor. Naja, diesen irrwitzigen Weg von einem Schmetterlingsei (mit den Stationen Raupe und Puppe) zu einem bunten Flattermann kennt ja wohl jeder. Aber niemand will mir verraten, was das soll – auch Brockhaus weigert sich. Er gibt noch nicht einmal einen Anflug von Begründung, woraus ich schließe, man hält Vergeudung für selbstverständlich. Offenbar gehört sie zur sogenannten Schöpfung so notwendig wie der Militarismus zur Menschheit und der Stiel zum Apfel. Dabei könnte der Apfel auch viel einfacher und viel bequemer erreichbar aus der Erde wachsen, wie man an Kartoffeln und Steinpilzen sieht. F. G. Jünger sprach in einem ganzen, sehr stoffreichen Buch von der vollkommenen Schöpfung (1969), und ich muß Ihnen unter der Hand sagen, der Mann spinnt. Er meinte das nämlich ernst; er hatte Ironie sowieso geächtet. In Wahrheit gibt es nichts Planloseres, Absurderes und Lachhafteres als eben diese Schöpfung, wenn man sich einmal die Mühe gewisser Einblicke und Erklärungsversuche gemacht hat. Dabei liegt ihr Hauptzug wahrscheinlich in der Tat in der gewaltigen Vergeudung, die sie sich gestattet. Die Einblicke und Erklärungs-versuche eingeschlossen. Und die derzeit noch sieben Milliarden Menschen haben diese Groteske mit- oder sogar hauptsächlich auszubaden.
~~~ Sicherlich gibt es einen beliebten Haupteinwand, der noch lachhafter ist. Meine Verdammung sei »anthropozen-trisch«! Dabei sei der Mensch doch nachweislich in einem womöglich ganz beschränkten Denken gefangen! Wie könne er sich anmaßen, über etwas zu urteilen, das ihm ersichtlich himmelweit überlegen ist – schon durch seine schiere Größe und Undurchsichtigkeit überlegen! Eben hier hat der Einspruch anzusetzen. Wie können es irgendwelche Kräfte, die sich noch nicht einmal vorzustellen pflegen, wagen, einem freiheitlich gestimmten Wesen etwas derart Großes, Undurchsichtiges, Unverdauliches zuzumuten? Woher nehmen sie die Anmaßung, mich zu einem Schicksal als Befehlsempfänger und herumwieselnden Automaten zu verdonnern, als ob ich eine Ameise wäre!
~~~ Sollte dieses Schicksal freilich für die Aufrechterhaltung des gutgeschmierten kosmischen Geschehens unumgänglich sein, wäre ich lieber gleich Ameise geworden. Es hat mich aber nie einer gefragt.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 25, Juni 2024
Da ich mich schon kürzlich (unter »Marstall«) mit Pferden befaßt habe ist hier nur noch der Pferdekopfnebel interessant. Laut Brockhaus erinnert diese »Dunkelwolke« im Sternbild Orion von der Gestalt her an einen Pferdeschädel. Sie sei jedoch lediglich auf lang belichteten Aufnahmen zu sehen. Selber nur einen Durchmesser von rund drei Lichtjahren stark, sei der Pferdekopfnebel ungefähr 1.000 Lichtjahre von uns entfernt. Dort soll sich ein riesiges Sternentstehungsgebiet räkeln. Jüngere Quellen geben die Entfernung sogar mit 1.500 Lichtjahren an. Aber nun überlegen Sie einmal ganz unsentimental, welche Entfernungen uns hier um die Ohren gehauen werden. Ein Lichtjahr mißt 9,46 Billionen Kilometer. Damit wäre der Brockhaus-Pferdekopfnebel bereits rund 28 Billionen Kilometer dick. Und trotzdem sieht ihn kein Schwein! Na, weil er eben so weit von uns entfernt ist: für Brockhaus 9,46 Billiarden Kilometer! Ich wüßte nicht, wie man sich von solch einer Strecke eine halbwegs zureichende Vorstellung machen sollte. Oder wo. Da bleibe ich lieber auf dem Erdboden und halte mich an den anschaulichen Bezirk der guten alten Pferdelänge – ungefähr 2 Meter 40.
~~~ Eine Webseite für Schulkinder verkündet, das von uns beobachtbare Universum sei ungefähr 50 Milliarden Lichtjahre groß. Rechnen Sie bitte selber um ..! Die Einschränkung mit der Beobachtbarkeit ist immerhin lobenswert, doch was meint der Onkel Lehrer mit »groß«? Auch nur wieder den Durchmesser, wenn ich mich nicht irre. Er nimmt also an, das beobachtbare Universum sei eine Kugel, so wie die Erde und wie sein eigener Strohkopf auch. Er kennt die Richtungen und Gestalten im Kosmos nicht weniger gut wie seine Westentasche. Aber die ist keine Kugel.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 29, August 2024
°
°