Mittwoch, 8. Januar 2025
AZ 1–3 (PAL) Folge 17
Handwerk, Zollstock – Holmberg
Handwerk, Zollstock – Holmberg
ziegen, 10:40h
Die meisten HandwerkerInnen würden sich nackt fühlen, ragte ihnen nicht aus irgendeiner Tasche ein Zollstock heraus. Der Diplomatenkoffer meines letzten Chefs – ein Raumausstattermeister – hieß im Belegschaftsjargon Ausmeßkoffer. Er hatte stets drei Zollstöcke zu enthalten, weil der Chef mindestens einen davon garantiert beim Kunden liegen ließ. Damit drohte er nichts Geringeres als seine Seele zu verlieren.
~~~ Der Bodenverleger wird vielleicht einwenden, bevor er Linoleum bestelle, komme er nicht umhin, das betreffende Zimmer genau auszumessen. Das trifft sicherlich zu – solange wir Geldwirtschaft haben und Linoleum sündhaft teuer ist. Wenn nicht, täte es doch eigentlich auch ein Abmessen mit Schritt und Fuß. Was die Volkswirtschaft allein durch die Einstellung der Produktion von Zollstöcken, Bandmaßen und Laserstrahl-Meßgeräten einsparte! Da fielen ein paar Fuß Linoleumverschnitt gar nicht mehr ins Gewicht.
~~~ Das gleiche gilt selbstverständlich auch für andere Meßgeräte wie beispielsweise Waagen. In den vier zentralen Depots der thüringischen Zwergrepublik Konräteslust, wo ver- und geteilt statt verkauft wird, ist es völlig wurscht, ob einer für seine Wohngemeinschaft drei oder vier oder 3,27 Pfund braunen Rohrzucker mitnimmt. »Bummelt« er auf seinem Fußweg zum Depot, bricht die Republik auch nicht zusammen. Wir dagegen beten die Beschleunigung und infolgedessen Uhren an. Um eine Wiese abzuschreiten, brauche ich Zeit. Da aber Zeit Geld geworden ist, nehme ich das Bandmaß oder den Laserstrahl – deren Erfindung, Entwicklung und Herstellung ihrerseits Zeit kostet. Alle antiquierten Maßeinheiten waren dem menschlichen Körper oder dessen sinnlichem Wirkungsbereich entlehnt: Tagesritt, Elle, Fuß, Zoll. Ein Zoll maß ungefähr eine Daumenbreite. Aber auch Sack, Faß, Eimer. Jeder wußte, wie schwer ein Eimer mit Wasser oder Getreidekörnern war.
~~~ Nun sehe ich durchaus ein, daß man die Höhe eines zu errichtenden Wolkenkratzers nicht in Ellen und den Bedarf an Beton nicht in Fässern angeben kann. Sehe ich aber den Wolkenkratzer ein? Ist er beherrschbar? Ist er unverzichtbar? Entsprechendes gilt für Errungenschaften der Verkleinerungskunst, etwa die Armbanduhr, das Handy oder das Speicherkärtchen im Format eines Fingernagels. Sowohl diese Miniaturen wie der Wolkenkratzer und der Genfer »Teilchenbeschleuniger« sind Ausgeburten krankhaft quantitativen Denkens. Sie stehen und fallen mit genauster Meßkunst, während es bei den Balken und Pfosten des Germanischen Langhauses aus der Jungsteinzeit und noch der Bauernhäuser unseres Mittelalters auf ein paar Zentimeter nicht ankam. Das ließ sich ausgleichen – und wenn nicht, stürzte das Haus auch nicht ein. Es war lediglich geringfügig schief.
~~~ Das gleiche gilt für Möbel oder Leiterwagen. Heute jedoch kommt es auf Bruchteile eines Millimeters an, weil die Quantifizierung aller Produktion zur Freude der Fabrikanten und AktienbesitzerInnen die Normierung aller Produkte ermöglichte; und umgekehrt. Nur das Normierte ist wiederholbar. Nur das Normierte gestattet Massenproduktion. Nur das Normierte machte uns zu einer grauen Masse, in der ein jeder gegen jeden anderen austauschbar ist – gerade so wie die Ersatzteile der Maschinen, deren Anhängsel wir geworden sind. Nur der normierte Mensch kann nach Strich und Faden belogen und gnadenlos ausgenutzt werden. Er läuft reibungslos – mit.
∞ Verfaßt um 2007
Eine schöne Ehe --- Vor rund 100 Jahren kam der dritte Band von Meyers Großem Konversationslexikon heraus. Danach hat es im Jahr 1903 bereits mehrere Formen der Brotschneidemaschine oder auch des Brothobels gegeben. Rund 60 Jahre später strahlte meine selige Großmutter Helene wie eine Königin, weil sie aus den Händen ihres Gatten Heinrichs zum soundsovielten Hochzeitstag eine elektrisch betriebene Brotschneidemaschine empfing. Damit hatte sich das lästige Kurbeln erübrigt. Jetzt brauchte sie bloß noch die Scheibenstärke einzustellen – und schon sah ich die Brotscheiben für eine große Familie (mein Vater hatte dem Städtchen Gudensberg das erste Rundfunk- und Fernsehgeschäft gebracht!) geradezu auf den Küchentisch flutschen. Für Kasernen können aufgrund dieser Errungenschaft in Windeseile ganze geburtenschwache Jahrgänge aufgepäppelt werden, falls uns die Afghanen überfallen.
~~~ In meinen Bott-Erzählungen kommt öfter die bei Gudensberg gelegene anarchistische Landkommune Emsmühle vor. Dort würde man sich vergeblich nach irgendeiner Form der Brotschneidemaschine umsehen. Das Gerät wird verschmäht. Zum einen lebten Kommunarden nicht in Windeseile; zum anderen sei es ein realsozialistischer Irrglaube zu meinen, die Menschen seien gleich. Nicht nur ihre Kräfte und Begabungen, auch ihre Bedürfnisse sind verschieden. A. will daumendicke, B. hauchdünne Brotscheiben. C. bevorzugt ein Gefälle nach links, D. möchte Stufen, egal wohin. Doch mehr noch: In der Weise, wie er sich mit Hilfe eines Brotmessers eine Scheibe vom Brotlaib abschneide, verkörpere und offenbare sich die Eigenart eines Menschen. Unter Brotschneidemaschinen werde diese geopfert, wie bei Guillotinen.
~~~ Als gelernter Handwerker kann ich mich dieser Argumentation nur schwer verschließen. Ein Tapezierhammer wird so »subjektiv« wie eine Spitzhacke geführt. Halten wir uns auch Kommunarden oder Kommunardinnen vor Augen, die mit Spaten, Sense, Heugabel umgehen. Immer mischt sich die Eigenart des Handhabers in die uralte Aufgabe. Es kommt hier bestenfalls zu Ähnlichkeiten – nie zu Reproduktionen. Eben das ist jedoch bei Brotschneidemaschinen, Mähdreschern und Fabriken der Fall, die solche Geräte herstellen. Sie stoßen immer das Gleiche aus. Die maschinelle Produktion arbeitet exakt. Warum? Ersichtlich nur deshalb, weil ihr Normen zugrundeliegen. Sie normiert ihre Produkte und normiert damit die ganze Welt. Sie macht uns normal. Fällt einer aus der Norm, beispielsweise durch Selbststudium oder Fernsehabstinenz, taugt er nichts. Das ist noch das mindeste! Vielleicht ist er sogar anormal oder abnorm.
~~~ Bekanntlich gingen die moderne Technik und die kapitalistische Warenproduktion vor rund 250 Jahren eine Ehe ein, die immer inniger wurde. Ich habe mich schon öfter nach dem Grund dieser großen Zuneigung gefragt. Hier drängt er sich endlich auf. Denn wie die Maschinerie auf Norm beruht, so auch die kapitalistische Warenproduktion. Ihr liegt der alles regelnde, freilich auch alles entsinnlichende Tauschwert zugrunde. Ohne den Tauschwert – der sich im Lauf der Jahrhunderte vom Warenkörper löst und dadurch zum Geld wird – wäre das moderne Marktgeschehen unmöglich. Das Geld – auf genormter Zeit beruhend – schert gerade so alle Dinge über einen Kamm, wie der Automat Schokoladenoster-hasen oder Tageszeitungen ausstößt. Im wesentlichen ist unsere, von Adam Smith gepriesene »Schöne Gesellschaftsmaschine« nichts anderes als eine Stanze. Sie konnte nur einem gnadenlos quantitativen Denken entspringen.
~~~ Demnach handelt es sich bei der Ehe zwischen moderner Technik und kapitalistischer Warenproduktion um einen Männerbund. Darin herrschen Gewalt und Gleichmacherei. Deshalb dürfen jetzt auch Frauen Porsche fahren, »Arbeitsagenturen« leiten, Kriege führen. Darin herrschen Gleichgültigkeit, Perfektion – Leere. Denn nach Klaus D. Frank ist das Perfekte immer auch das Tote. Das Lebendige hat und erstrebt nie Perfektion. Es überrascht uns gern – und sei es durch Fehler. Es fällt aus der Norm.
∞ Verfaßt 2005
Polstern --- Gehen Sie alle Ihnen geläufigen Handwerksberufe durch, werden Sie darunter keinen finden, der dem menschlichen Körper so nahe kommt wie der Polsterer (oder die Polsterin). Seine Hände formen etwas – sie drücken und tasten, zupfen und schieben, kneten und ziehen; seine Hände liebkosen, schrecken aber auch vor Handkantenschlägen nicht zurück. Er ist Schneider, Masseur, Chirurg in einem.
~~~ Legt er mitunter für eine echte »Heftung« Roßhaar auf einem Sesselrücken auf und verzupft dieses krause Haar zu prallen karoförmigen Kissen, fallen ihm in der Tat gewisse Doktorspiele ein, die sich auf Heuböden und Speichern zutrugen. Fingerspitzengefühl, Augenmaß und ein Gespür für Formen und Proportionen sollte er besitzen. Bärenkräfte wären auch nicht schlecht. Der Polsterer ist beinahe Bildhauer. Nur arbeitet er nicht am menschlichen Körper, sondern gleichsam an dessen Abdruck. Er sorgt massiv für angemessene Entsprechungen. Im Gegensatz zu unseren Kleidern und Anzügen, die im Grunde hohl sind oder Hohlheit verbrämen, handelt es sich bei unseren Polstermöbeln ebenfalls um Körper. Haben wir auf oder in diesen Möbeln Platz genommen, werden wir wohltuenden Widerstand spüren. Der Polsterer schuf ein auf uns zugeschnittenes Eigenleben.
~~~ Dabei wird seine Nähe zum Bildhauer bereits von dem Umstand angezeigt, daß beide das Objekt ihrer Begierde aufzubocken pflegen. So können sie es – statt auf Leitern herumzuturnen oder auf Knieen über Fußböden zu rutschen – mit bedächtigen Schritten umkreisen. Nur gelegentlich zieht sich der Polsterer einen Tritt herbei, um sein frischgarniertes oder weißbezogenes Sofa »durchzusitzen«. Ohne Chef im Nacken wäre das arg gefährlich. Denn mit dem Bildhauer muß der Polsterer zu den Küstern im Tempel der Ruhe gezählt werden. Ob Schuster, Landwirt, Ingenieur – sie alle wünschen uns auf Trab. Wir sollen möglichst viele Schuhsohlen und Kalorien verbrauchen. Der Polsterer dagegen lädt uns zu Beschaulichkeit, Muße, Schlaf ein.
∞ Verfaßt um 2000
Übergänge --- Laien verkennen gern die Schwierigkeiten handwerklicher Arbeiten, weil ihnen naturgemäß nur das Hauptsächliche daran ins Auge sticht. Wer die Außenwände des Häuschens betrachtet, das Vera Sprosse unlängst mit Freundeshilfe errichtete, sieht lauter waagrecht verlaufende Bretter, die sich schindelartig überlappen. Um sie mit ein paar Schrauben auf die tragenden Pfosten zu bringen, brauche ich keinen Zimmermann oder keine Tischlerin zu bezahlen, sagt sich der Laie. Eine Wasserwaage kann ich ohne Gesellenbrief bedienen.
~~~ Was nützt ihm aber die Wasserwaage bei den Fenstern und Türen, die möglichst nicht mit den Brettern verkleidet werden sollten? Er muß sie irgendwie aussparen. Das könnte zumindest oben schwierig werden, sofern die Oberkante der letzten Bretter beiderseits des Fensters – man arbeitet vom Haussockel zur Dachtraufe – zufällig nicht mit der Unterkante des Fenstersturzes zuzüglich zwei Zentimeter übereinstimmt. Dann muß er das folgende lange Brett in einem bestimmten Binnenmaß ausschneiden, es sei denn, er faßt das ungeschmälerte Brett als Fenstermarkise auf. In diesem Fall würde ich vorsichtshalber prüfen, ob sich das Fenster dann noch öffnen ließe. Sind weder die Bretter in ihrer Breite noch die Fenster und Türen genormt, sind sie also von unterschiedlichen Ausmaßen, verdreifachen sich die Probleme bereits. Hier wird das Zuschneiden mit möglichst geringem Verschnitt (Abfall) auch für Leute, die eine Handkreissäge zu handhaben wissen, zur Rechenkunst.
~~~ Man ahnt jetzt, worauf ich hinaus will: Die Kunst des Handwerkers bewährt sich nicht im Haupt-, sondern gerade im Nebensächlichen. Nicht große Strecken oder Flächen; die Übergänge sind sein Problem. Wie treffen der gemauerte Kamin, der vermutlich einige Hitze entwickelt, und die mit Spanplatten verkleideten Innenwände aufeinander? Ja, schon die Öffnung für die unweit des Ofens gelegene Zimmertür hat ihre Tücken. Um zu verhindern, unter der Tür einen Windkanal zu haben, kann ich sie die Dielen berühren lassen, nur läßt sie sich dann nicht mehr auf- und zumachen. So kommt die Kunst des Übergangs oft einem Kampf gegen Schwachstellen gleich. Gerade da, wo zwei Polster eines Sofas aufeinandertreffen, habe ich unglücklicherweise Schwierigkeiten, für das Polstermaterial und den Bezugstoff noch hinreichend Halt zu finden. Die Dinge sträuben sich, sofern sie nicht wie zwei schnurgerade asphaltierte Straßen in der gleichen Ebene und im rechten Winkel aufeinander stoßen. Jeder Fall erfordert eine andere Brücke, wie alle SchriftstellerInnen wissen, die in ihren Texten gern mit Absätzen arbeiten – oder diese gerade zu vermeiden trachten.
~~~ Eisenbahnstrecken bereit zu stellen, ist für sich genommen noch keine Hexerei – aber wie verbinde und vereinbare ich die Strecken und Reisetermine miteinander, wenn es viele sind? Es würde hier zu weit führen, auch die heiklen Übergänge in Lebensläufen oder gar in der Weltgeschichte zu betrachten. Jeder weiß, daß er sich immer nur vorübergehend einbildet, auf einer Planke der Sorglosigkeit zu wandeln. Was die waagrechten Bretter an Veras Hauswänden angeht, habe ich die kniffligste Frage noch gar nicht erwähnt. Wie treffen sie sich auf den Hausecken, ohne daß der Wind hineinpfeift oder der liebe Siebenschläfer einschlüpft? Bedenken Sie, die Bretter stehen nicht senkrecht sondern etwas schräg; ich kann sie also nicht kurzerhand auf Gehrung schneiden.
~~~ Am Wartehäuschen des Fröttstädter Bahnhofs, wo man nach Waltershausen umsteigt, habe ich mir nicht ohne Schwierigkeiten eine Skizze von der Art und Weise angefertigt, wie sich dort die Bretter auf den Hausecken tatsächlich durch verschiedene komplizierte Aussparungen fugenlos aneinander schmiegen. Durch einen Fröttstädter Forstwirt und Tischlermeister, der uns beim Hausbau beriet, blieb uns diese aufwendige Filigranarbeit allerdings erspart. Es hätte ohnehin nicht geklappt, weil unsere Bretter nicht von durchgehend gleicher Breite waren. Der Mann schlug vor, auf die Hausecken dicke Kanthölzer zu setzen, die den Brettern beiderseits der Ecke als Anschlag dienen. Die Verbindung ist mäusedicht, und die ästhetische Einbuße erachtet Vera als gering.
∞ Verfaßt 2011
Die kulturelle Bedeutung des vor ungefähr 5.000 Jahren erfundenen »Rollkörpers« Rad muß weittragend sein, wenn neuzeitliche Philosophen, darunter Karl Marx, sogar vom »Rad der Geschichte« sprachen, das man nicht zurückdrehen könne oder dürfe. Gleichwohl stehen wir meines Erachtens vor einem Irrweg. Brockhaus warnt selbstverständlich nicht vor ihm. Kaum hatten die ZweibeinerInnen an ihre Böden aus Brettern ein bis vier Räder gesteckt oder geschraubt, riefen sie nach Zugtieren. Sie wollten ihre Wagen nicht eigenhändig bewegen; sie wünschten in ihnen zu thronen. Manche Leute sind dadurch zeitlebens Säuglinge geblieben. Von den Yankees war schon um 1970 zu hören, sie gingen die 300 Meter bis zum nächsten Drugstore um Gottes willen niemals zu Fuß: sie würfen ihre heckflossigen Limousinen an. Darauf fielen sogar die schwarzen MitbürgerInnen herein, die Roi Ottley noch nach dem Zweiten Weltkrieg ungestraft »Neger« nennen durfte.* Durch Lincolns Sieg im Sezessionskrieg zumindest vorübergehend in Freiheit entlassen, seien vor allem junge Neger massenhaft von den Plantagen in die Städte geströmt, weil sie jetzt, ab 1865, ebenfalls etwas werden wollten. Sie begehrten, Griechisch und Lateinisch zu lernen, ein öffentliches Amt zu ergattern oder wenigstens Prediger zu werden. Somit wollten sie der Handarbeit entkommen, denn die war für sie gar zu eng mit Sklaverei vermählt. Das kann man natürlich verstehen, nur erhält dadurch die allgemeine Ächtung oder Herabwürdigung der Handarbeit noch lange keinen Glanz.
~~~ Mein Großvater Heinrich war nie Neger und schätzte die Handarbeit trotzdem. Zur Bettenhäuser Volksschule, wo er am liebsten Natur- und Heimatkunde sowie Werken unterrichtete, fuhr er stets auf seinem alten Drahtesel. Das war freilich eher Fußarbeit. Für größere Warentransporte, etwa aus seinem Schrebergarten, hatte er einen vierrädrigen Handwagen. Auch Fahrzeugschäden behob er weitgehend eigenhändig. In den anarchistischen Kommunen, die ich durchlief, wimmelte es von Handwagen aller Art, oft hochklassig bereift. Einmal war ich Gast in einer ostdeutschen Landkommune, die gerade eine Schulklasse »eingeladen« hatte, beim jährlichen Müllsammeln zu helfen. Ihr Hof lag mitten in den Feldern und Gehölzen an der typischen schmalen, bucklig gepflasterten Nebenstraße zwischen zwei Dörfern. Nach der »Wende« mauserte sich diese Straße prompt zur Müllkippe. Jeder holte dort seinen alten Fernseher, einen Sack mit gebrauchten Windeln oder ausgediente Schaumstoffpolster aus dem Kofferraum, um sie in die Büsche am Straßengraben zu werfen. Die Sammelaktion dagegen fand ausschließlich mit Handwagen statt. Darin karrten wir das Zeug auf den Hof der Kommune, wo eine Mulde der nahegelegenen Stadtwerke bereitstand. Ein Kommunarde hat wenig Geld, dafür viel Zeit.
~~~ Es verblüfft vielleicht wenig, wenn das Wappen der zwischen Meißen und Dresden gelegenen sächsischen Kreisstadt Radebeul (obersorbisch »Radobyle«) keineswegs einen indianischen Kopfschmuck aus Adlerfedern (Geburtshaus Karl May), vielmehr ein Sechsspeichen-Rad zeigt. Das alte Stadtsiegel zeigt überdies ein Beil. Die Fachleute nehmen jedoch meist an, der Ortsname gehe auf einen frühen slawischen Familiennamen zurück. Rad und Beil könnten also spätere Ausschmückung sein. Alternativ käme beispielsweise »Rodebeul« in Betracht, die Stadt auf dem gerodeten Beul = Hügel.
~~~ Beim Rädern wird es entschieden unangenehm. Man pflog es vor allem im europäischen Mittelalter, um sogenannte SchwerverbrecherInnen zu bestrafen, nämlich grausam zu foltern und zu töten. Meist ließ der Scharfrichter zunächst ein schweres, eisenbereiftes, aufgehängtes Speichenrad wiederholt auf den aufs Schafott gebundenen Verurteilten krachen. War dieser jämmerlich verendet, »flocht« ihn der Scharfrichter in oder auf ein anderes Speichenrad, um ihn zwecks »Abschreckung« auf dem Marktplatz auszustellen. Lehnte er das Rad zum Beispiel an eine gerade geschlossene Hütte der Fleischergilde, wußte jedes Kind, was am kommenden Sonntag auf die Teller kommen würde. In Preußen soll man erst ab 1841 aufs Rädern verzichtet haben. Da hatte Karl Marx Glück. Spricht man also noch heute zuweilen davon, jemand fühle sich nach einer bestimmten Handarbeit wie gerädert, stellt es ohne Zweifel eine gewisse Verniedlichung dar. Um aber ehrlich zu sein, fühle ich mich bereits gerädert, wenn ich drei kriegsgeile Artikel der aktuellen Leidmedien gelesen habe.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 30, August 2024
* Roi Ottley, Black Odyssee, 1948, deutsche Ausgabe Hamburg 1949, S. 220
Siehe auch → Band 4 Bott, bes. »Sonne föhnte«
Hattemer, Lotte (1876–1906), Mitbegründerin des Monte Verità in Ascona, Italien. Nach meinen Erfahrungen sind die wenigen Menschen, die ihr Heil – oder das der Gesellschaft – in »alternativen« Lebensgemeinschaften suchen, um keinen Deut verrückter oder kränker als die vielen Menschen, die in Gestalt der üblichen Ehegatten, WählerInnen und Hamburger-Esser dahinsiechen. Nur verteilen sich diese sozusagen viel mehr, weshalb sie weniger auffallen. In den Kommunen oder Sekten dagegen treten sie geballt auf und fordern so dazu auf, sie als willkommene Zielscheibe von Haß oder Hohn zu begreifen.
~~~ Die Mittelstandstochter Lotte Hattemer wurde in Berlin zur Lehrerin ausgebildet, zog es dann jedoch vor, »auszusteigen«, sich tagelöhnernd über Wasser zu halten und schließlich, um 1900, mit ein paar anderen von München aus, wandernd, gen Italien zu ziehen. Bei Ascona (im schweizer Tessin) blieben die Wandernden an einem Weinberg hängen, von dem sie vier Hektar erwarben und den sie kurzerhand in Monte Verità umtauften. Dieser neue »Berg der Wahrheit« wurde ziemlich rasch berühmt und zog entsprechend Wahrheits- oder HeilssucherInnen aus vielen Ländern an, darunter (spätere) Prominenz wie Mary Wigman, Käthe Kruse, Erich Mühsam, Hermann Hesse, Carl Gustav Jung. Die ursprüngliche Siedlung, vegetarisch gestimmt um eine Naturheilanstalt gruppiert, zerfiel bald; dafür kauften sich andere Leute am Weinberg ein. Auf diese Art wurde er zur Zuflucht mehr oder weniger verschrobener EigenbrötlerInnen, die ihre »Meinungsverschiedenheiten« pflogen.
~~~ Hier drängt sich eine beiläufige Bemerkung aus Musils Mann ohne Eigenschaften auf, erschienen um 1930. Der Trieb recht zu haben sei »fast gleichbedeutend mit Menschenwürde«, heißt es da.* Offenbar trägt die bekannte Einsicht, grundsätzlich besitze jeder Mensch Würde, nicht gerade weit. Sie zerschellt regelmäßig an der eigenen Meinung, also auch am Monte Verità. Man möchte nämlich keineswegs wie jeder, man möchte vielmehr etwas Besonderes sein. Jener, möglicherweise natürliche »Trieb recht zu haben«, verzahnt sich fast immer sofort mit den unwesentlichsten Dingen, und seien es Haartrachten oder Zahnstocher. Und er bettet sich rasch in die je eigene Weltsicht ein, weil jeder Mensch WeltherrscherIn ist beziehungsweise gern einer oder eine wäre. Die Weltherrschaft ist so unteilbar wie die Menschenwürde. In meine »Welt als Wille und Vorstellung«, um auch noch Schopenhauer zu bemühen, muß alles hinein. Jetzt kann ich natürlich nur hoffen, der Stein, den ich damit gegen den Monte Verità schleuderte, springt nicht an meine eigene Birne zurück.
~~~ Was nun Hattemer angeht – mit ihrer Genügsamkeit oft als Gegenstück der lebenshungrigen Münchener »Gräfin« Reventlow aufgefaßt – scheint sie sich nach einiger Zeit in einem tür- und fensterlosen baufälligen Stallgebäude niedergelassen zu haben. Von Geldsendungen ihres Elternhauses zehrend, übte sie Wohltätigkeit, während sie selber zusehends abmagerte. Sie soll regelmäßig nach Locarno gepilgert sein, um Vorträge durchreisender Theosophen zu hören und galt auch selber schon als halbe Heilige. Andererseits wurde sie offensichtlich immer verwirrter. Entsprechend »mysteriös« kam sie im Frühjahr 1906, mit 29, zu Tode. Ihr Vater hatte vergeblich versucht, sie in ein norddeutsches Sanatorium zu locken. Kurz darauf erlag sie einer Vergiftung, anscheinend durch Morphium. Raimund Dehmlow gibt dazu auf seiner Webseite** eine Auskunft des Übersetzers und Mühsam-Biografen Christlieb Hirte aus 2002 und eine schon Ende 1909 abgegebene Erklärung des »Regierungsstatthalteramtes Locarno« an die Polizei in Zürich wieder, die im Berner Bundesarchiv liegt. Danach gab es damals Beschuldigungen, vielleicht Verleumdungen, der Schriftsteller Johannes Nohl und der Psychoanalytiker Otto Gross hätten böswillig an Hattemers Ableben mitgewirkt, doch die Behörden neigten zur Diagnose Selbstmord. Das entspreche der allgemeinen Einschätzung am Berg. Hattemer sei eine Exzentrikerin gewesen und habe »schon bei anderen Gelegenheiten« Hand an sich gelegt.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* Zweibändige Rowohlt-Sonderausgabe, 1984, Band 1, S. 205
** »Lotte Hattemer«, 4. Februar 2021: https://dehmlow.de/index.php/de/otto-gross/55-lotte-hattemer
Laut Brockhaus hatte die österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer (1920–70) um 1960 eine »Endzeitvision«, worauf sie einen bedeutenden Roman schrieb. In Wahrheit läßt sich Die Wand erfrischend vielseitig lesen; an ihr haben sich schon Stadtflüchtlinge, Katzenfreunde und FrauenrechtlerInnen aufgerichtet.
~~~ Die Försterstochter aus der Steiermark siedelte ihre namenlose Ich-Erzählerin im Gebirge an. Um ernstlich an Selbstmord zu denken, ist diese »Heldin« nicht mehr jung genug. Außerdem hätte sie den Hund und die Kuh im Stich lassen müssen. Und dann habe sie auch »eine gewisse Neugier« daran gehindert sich umzubringen. »Die Wand war ein Rätsel, und ich hätte es nie fertiggebracht, mich angesichts eines ungelösten Rätsels davonzumachen.« Also nimmt sie den nahezu aussichtslosen Kampf ums Überleben auf. Er hat nichts Spektakuläres, und sie schildert ihn auch entsprechend. Auf sich selbst, wenige Lebensmittel und Werkzeuge verwiesen, hat diese 40jährige Frau um ihre Fassung zu ringen. Das ist unheimlich spannend. Denn beiderseits der Wand, von der das Gebirge heimgesucht worden ist, lauert das Grauen.
~~~ Früher oder später dämmert dem Leser allerdings, sie habe zurecht von einer »gewissen« Neugierde gesprochen. Die Neugierde scheint nämlich nicht in ihr zu nagen. Nur selten und nie bohrend kommt sie auf die rätselhafte Wand zurück, von der das Verhängnis doch ausging. Man begreift, daß sie es schon beim ersten Zusammenstoß unterließ, sich soweit wie möglich ein Bild von der Beschaffenheit und dem Ausmaß dieser Wand zu machen. Folgendes ist geschehen. Als sie den Gebirgskessel verlassen will, wo sie in der Jagdhütte ihres Schwagers übernachtet hat, stößt sich ihr Hund am Ausgang der Schlucht die Schnauze an einer unsichtbaren Sperre blutig. Sie ertastet eine feste, glatte Fläche, die einer Wand ähnelt. Da sie trotzdem hindurchsehen kann, wird ihr klar, im Tal regt sich nichts mehr. Sie hat ihr Fernglas dabei. Der Mann am Brunnen, die Hände zum Schöpfen bereit vorgebeugt, wirkt wie versteinert. Offenbar hat eine gewaltige Katastrophe zumindest die Menschen getötet. Die ganze Menschheit, vermutet sie sofort. Später sieht sie sich vom stummen Autoradio darin bestätigt. Nur sie ist übrig geblieben: mit einem Hund in einem Gebirgskessel gefangen. Doch woher weiß sie das? Zwar beginnt sie die unsichtbare Wand mit Zweigen abzustecken. Die Wand verriegelt die Schlucht und steigt vom Bachufer bergan. Die Frau folgt ihr. Doch nach kurzer Strecke wird ihre Untersuchung von einer brüllenden Kuh durchkreuzt, der das Euter zu platzen droht. Sie verschafft dem Tier Erleichterung. Wie hätte nun die Leserin gehandelt? Ob panisch oder besonnen, hätte sie doch wohl die Erkundung fortgesetzt. Schließlich war der Verlauf der Wand gar nicht abzuschätzen. Vielleicht brach sie noch im Gebirge ab. Oder sie zog sich quer durch das ganze Land, statt ausgerechnet diesen einen Gebirgskessel zu umschließen. In beiden Fällen wäre die Frau bald auf Mitmenschen gestoßen.
~~~ Aber genau das wollte die Romanautorin Haushofer verhindern. Daher die Kuh, die ich für das entscheidende Requisit ihres Romanes halte. Die Frau führt sie unverzüglich zur Jagdhütte und richtet ihr einen Stall her. Da die Kuh gemolken, gefüttert, betreut werden muß, sind ausgedehnte Erkundungsgänge nicht mehr möglich. Erst durch die Kuh ist die Frau – nach jenem grotesken Zusammenprall – auch real gefesselt. Sie kommt nicht mehr umhin, den erdrückenden Verhältnissen die Stirn zu bieten. Bis dahin, unter den Menschen, kam sie sich im Gefühl ihrer Gefangenschaft immer verrückt vor. Wie kann sich jemand verloren glauben, wenn er Frau oder Mann, zwei Töchter, zahlreiche Rechte und Pflichten hat? Doch gerade damit waren auch zahlreiche Ängste verbunden. Wie ihnen ausweichen? »Real«, indem wir Wände übertünchen, Tapeten wechseln, auswandern. Hier jedoch bleibt der Frau nichts anderes übrig, als sich ihrer Angst zu stellen. Die Wand – wie Haushofer sie verordnet hat – zwingt sie dazu. Nun muß sie einen Kartoffelacker anlegen, Unmengen von Brennholz sägen, Rehe töten, einem Kalb auf die Welt verhelfen, das Tagebuch führen.
~~~ Wir könnten auch sagen, sie hat ihren Mann zu stehen. Es gibt wohl zu denken, wenn selbst ihr Gatte – »vertrautes, gutes Menschengesicht« – in ihrem Bericht kaum vorkommt. Einmal erscheint ihr sein Gesicht im Fieberwahn. »Ich streckte die Hand aus, und es löste sich auf. Man durfte es nicht anfassen.« Wenn nicht tot, dann ist Gott zumindest unerreichbar. Wir sind allein. Auch die Frau wird das Rätsel der Wand nicht lösen. Sie kann sich nur an die Natur halten, die ihr unverständlich bleibt. So ernährt sie sich von Brennesselsalat, Kuhmilch, Rehfleisch, ohne darin eine Faser Sinn zu erblicken. Sie hätte nichts mehr dagegen, gleichfalls zu verwildern. Es wäre kein Akt, mit dem sie Schuld auf sich lüde, sondern ein sanftes Hinübergleiten. Es wäre vorbei mit der Zucht – mit der lebenslänglichen Zumutung, nicht die Zügel schießen zu lassen.
~~~ Allerdings darf sie auch nicht zu eng eingekesselt sein – der Realismus erfordert es. Sie bekommt die Alm, wo sie mit der Kuh den Sommer verbringen kann. Sie hat den gewissen Bewegungsspielraum, durch den Gefangenschaft erst zermürbend wird. Solange es noch einige unerforschte Winkel gibt, bleibt die Ungewißheit. Trotzdem ist sie sich ihres Gefängnisses sicher. Bei einer Tageswanderung, zu der sie sich nach etlichen Wochen doch entschließt, wird sie erst in einiger Entfernung von der Jagdhütte vorsichtig. Jederzeit hätte sie im Wald auf die unsichtbare Wand prallen können, aber sie streckt ihren Wanderstock erst in einem der benachbarten Täler voran. Prompt ertastet sie dort auch die Wand. Damit bestätigt sich, sie ist im Ausmaß mehrerer Jagdreviere eingekesselt. So könnte sich in einer anderen Hütte ein Vorrat an Streichhölzern befinden. Oder es haust eine Ärztin dort, die sie von ihren folternden Zahnschmerzen befreit. Ein Arzt lieber nicht. Der Romanschluß stellt den Männern kein Ruhmesblatt aus.
~~~ Ohne Hoffnung fehlte der Verzweiflung das Gewicht. Selbst jenseits der Wand schimmert noch Hoffnung. Und sei es insofern, als die Frau durch den Bach erkennt, die Wand ist kaum im Boden verankert. Der Bach staut sich zunächst, unterspült dann aber die Wand und fließt draußen weiter. Die Frau kann es ihm nachmachen, falls sie den Kampf gegen ihr Naturell – das im wesentlichen aus Angst gestrickt scheint – zu verlieren droht. Vielleicht würde sie dann wie der Mann am Brunnen versteinern – aufblühen wie Kapuzinerkresse würde sie wohl kaum. Aus ihrem Bericht geht ziemlich deutlich hervor, sie lebt nur widerwillig. Die Gründe dafür müssen uns verborgen bleiben. Sie selber kann oder will sie nicht bloßlegen. Sie hat sich auf eine Weise mit der Wand abgefunden, durch die sie verkümmern wird.
~~~ Die Wand erschien 1963. Sechs Jahre später – knapp vor ihrem Tod (1970) – kommen Haushofers nur wenig verschlüsselte Kindheitserinnerungen Himmel der nirgendwo endet heraus. Das Buch stellt einen kaum überbietbaren Gipfel an psychologischer Beobachtung und kindlicher Komik dar. Allerdings ist der Gipfel derart zart gemalt, daß wir uns schon denken können, Meta werde nicht eben leicht durchs Leben kommen – ihrem Wunsch zum Trotz. »Das kleine Mädchen sitzt auf dem Grund des alten Regenfasses und schaut in den Himmel. Der Himmel ist blau und sehr tief. Manchmal treibt etwas Weißes über dieses Stückchen Blau, und das ist eine Wolke. Meta liebt das Wort Wolke. Wolke ist etwas Rundes, Fröhliches und Leichtes …«
~~~ Man hat verschiedentlich Quellen genannt, aus der Haushofer jenen »genialen« Grundeinfall der Wand bezogen haben könnte. Ich füge hier noch A. S. Neills Jugendbuch Die grüne Wolke von 1938 hinzu, in der just diese Wolke dafür sorgt, daß alle ErdenbewohnerInnen außer der Belegschaft von Summerhill und ein paar Chicago-Gangstern zu Stein werden. Aber wenn dieses Buch in breiten linken Kreisen als »Kultbuch« gilt, spricht es Bände über die bekannte Geschmacksverirrung dieser Kreise. Es ist schlecht geschrieben; es hat vor allem kein Klima; die verhängnisvolle grüne Wolke hat dem Autor, einem Lehrer, die beiden Gene zerstört, die für Bezauberung zuständig gewesen wären. Genau das, wenn auch noch anderes, hat ihm Haushofer voraus – und nur darauf kommt es an.
~~~ Mit jedem Jahr des Älterwerdens messe ich – seit ungefähr 2000 – unserer Kindheit noch mehr Bedeutung zu. Aber nicht etwa, weil ich ihr nachtrauerte. So gut wie keine Kindheit ist ein Deckchensticken, ganz im Gegenteil. Die Beschädigungen und Entbehrungen, die wir unserer Kinderstube verdanken, machen den meisten Menschen bis zum letzten Atemzug zu schaffen.
~~~ Allerdings merken das nur die wenigsten. Werfen sie ihren Geliebten oder ihren Schwiegertöchtern vor, sie zu vernachlässigen, grinsen ihre eigenen Rabenmütter nur in ihrem Rücken. Die Kränkungen lasten sie ihren Beleidigern an – statt ihren Rabenvätern, die sich nie ernstlich für sie interessierten und entsprechend mit Aufmerksamkeit und Anerkennung geizten. Dem Zahnarzt Manfred Haushofer aus Steyr bescheinigte Stiefsohn Christian später im Gespräch mit Marlen Haushofers Biografin Daniela Strigl sogar, im Unterschied zu seinem Verhalten dem jüngeren Bruder gegenüber habe ihn der Vater nie geküßt oder auch nur umarmt. Das Betrübliche in diesem Fall: Auch die Mutter bevorzugte den jüngeren Sohn (der wie der Vater Manfred hieß) »in geradezu auffälliger Weise«. Diese Rabenmutter hat jenen großartigen Himmel der nirgendwo endet zustande gebracht.
~~~ In den 80er Jahren warfen sich Feministinnen auf Marlen Haushofer, um sie auf einen mit Trauerflor bekränzten Sockel zu hieven. Dagegen hebt Karin Fleischanderl in einer Rezension aus dem Erscheinungsjahr 2000 an Strigls Biografie lobend hervor, sie mache sich nicht die gängige Opfertheorie zueigen, zeige vielmehr, daß Haushofer durchaus berechnend und kaltblütig vorging, wenn sie sich diverser Männer als Versorger oder Türöffner bediente, ihren unehelichen Sohn abschob und dergleichen mehr. Die Provinz/die Welt habe Haushofer die Kälte und Beziehungslosigkeit offenbart, die in ihr selber wohnten. Dieses Naturell psychologisierend mit verschiedenen Reggressionen/Wünschen erklären zu wollen, wie Strigl, führe allerdings nur zu Gemeinplätzen. Fleischanderl unterstreicht dagegen die Projektionen der oft so nett und harmlos wirkenden Försterstochter: die Täterin stilisiert sich zum Opfer, um ihrer Aggressionen Herr werden zu können. Diese Aggressionen werden in der Tat auch von zahlreichen Szenen aus Haushofers Büchern bezeugt. Fleischanderl am Schluß ihrer Besprechung: »Marlen Haushofers Krebstod scheint ein letztes Mal die Opfertheorie zu besiegeln. Auch Daniela Strigl kann es sich nicht verkneifen, ausführlich die 'landläufige Meinung' zu zitieren, Krebs sei gewissermaßen die Strafe für nicht gelebtes Leben oder nicht ausgelebte Gefühle. Als ob es einen Idealpunkt gäbe, von dem aus ein Leben als gelungen oder nicht gelungen zu betrachten sei.«
~~~ Ein wahrlich weiser Satz. Fairerweise sollte jedoch betont werden, daß Strigl in ihrer gut geschriebenen Darstellung die »aus einer Kindheit voller Angst« gespeiste »beträchtliche Aggressivität« Haushofers wiederholt erwähnt. Strigl geht zum Beispiel* auf die Phantasien und Träume von Haushofers Alter ego Meta ein. »Die sympathische, hübsche Frau, die dem Vater schöne Augen macht, wird im Traum erwürgt, eine vermeintlich böse Besucherin, die sich gegenüber der Mutter listig verstellt, wird in einem regelrechten Autodafé hingerichtet, nur die gelben Knochen – wohl ein Tribut an das Märchen vom Machandelbaum – überstehen die Flammen und auch die Bestattung und beginnen unter der Erde böse zu kichern. Der Traum hallt im Erwachen nach. 'Etwas kichert noch immer, und es weiß etwas von Meta, was kein Mensch wissen dürfte.'«
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* auf S. 60 der Neuauflage von 2007
Heimat
Als Obervogt war Friedrich Anton von Hundbiß (1769–1805) ungefähr dem späteren Landrat vergleichbar, nur nicht in parlamentarischen, vielmehr feudalen Diensten. Von Hundbiß‘ Vater hatte dieses Amt auch schon bekleidet. Amtsgebiet war die Bodensee-Insel Reichenau nebst einigen umliegenden Festlandsgebieten. Von Hundbiß junior residierte auf »seiner« Insel in der stattlichen zweigeschossigen »Kaiserpfalz«, die über etliche Nebengebäude verfügte und, mit ihrem hohen Rittersaal, auch Gerichtssitz war. Sein oberster Dienstherr war vorwiegend ein Konstanzer Fürstbischof, zuletzt, seit 1803, ein badischer Markgraf. Von Hundbiß war mit der gleichaltrigen Freiin Sophie von Rotberg verheiratet und zeugte zwei Kinder – in der Ehe jedenfalls. Theodor Humpert* möchte nicht behaupten, die Ehe sei glücklich gewesen, weiß aber auch nichts von ihr. Nach sicherlich »bösen Zungen« habe der junge Obervogt so manchem heimischem Mädchen nachgestellt. Andererseits zitiert Humpert aus einem 1805 (im Todesjahr) verfaßten Brief an Von Hundbiß‘ Gönner und Freund Ignaz Heinrich von Wessenberg, Konstanzer Generalvikar: »So lieb wie Sie war mir noch kein Mensch, ich könnte für Sie mein Leben geben …« Das mag unter Umständen als schwule Neigung ausgelegt werden, beweist aber wenigstens, der Generalvikar war ihm lieber als die Schraube zu Hause.
~~~ Als Obervogt hatte Von Hundbiß »die Hoheitsrechte in allen Justiz-, Polizei- und Forstangelegenheiten« inne, und er scheint sie auch mit Lust wahrgenommen zu haben. Heimatforscher Humpert steht ihm im »jugendlichen Feuereifer« kaum nach. Der Obervogt habe nicht nur die Bestechung unter Beamten und Waisenpflegern bekämpft, die nächtlichen Zechgelage nach 22 Uhr verboten und den einträglichen Weinbau auf Reichenau zu steigern versucht, sondern er sei auch mit »unerbittlicher Strenge« allem »lichtscheuen Gesindel«, das sich bei Konstanz, auf dem Bodanrück oder auf der Insel herumtrieb, auf die Pelle gerückt. Sein besonderes Verfahren gegen aufgegriffene »Spitzbuben, Tunichtgute und anderes Gaunerpack« (so Humpert) habe darin bestanden, sie erst einmal von der Polizei tüchtig »ausprügeln« zu lassen. Das habe »auch unter diesen Leuten« oft eine heilsame Wirkung gezeigt und damit der Obervogteikasse manche Verpflegungskosten im Zuchthaus erspart. Man fühlt sich hier unweigerlich an den kurhessischen Juristen und Spitzenpolitiker Ludwig Hassenpflug (1794–1862) erinnert, der zeitweise sogar die Prügelstrafe wieder einführte, um seinem Spitznamen »Hessenfluch« auch wirklich gerecht zu werden. Humpert merkt an, die Sippe des Reichenauer Obervogts habe sich streckenweise auch »Hundpiß« geschrieben. Da hatte sie ja den Uringestank, der ihr an den Landstreichern mißfiel.
~~~ Zwar schreibt Humpert, der Regimewechsel von 1803 – das Fürstentum Konstanz fällt an Baden – habe Von Hundbiß stark zugesetzt, aber die genauen Gründe nennt er nicht. Der Obervogt blieb nämlich durchaus im Amt. Womöglich wurden seine Bezüge gekürzt? Die schweize-rischen Teile seines Amtsgebietes hatte er ja offenbar schon im Zuge der Thurgauer Unabhängigkeitsbewegung von 1798 eingebüßt. Seine Amtsführung wurde nach wie vor gelobt, owohl er sich Kritik an der neuen Landesherrschaft keineswegs verkniffen habe. Vielleicht wehte jetzt einfach ein liberalerer Wind über den Bodensee. Jedenfalls soll der Obervogt dem Generalvikar schon im Frühjahr 1805 seine »böse Schwermut« eingestanden haben. Trübe Gedanken und Todesahnungen hätten ihn heimgesucht. Wenige Monate später, am 18. September, macht sich der 36jährige »seinen« See zunutze: er ertränkt sich. Ob es einen unmittelbaren Auslöser gab (bei dieser Kühle!), scheint niemand zu wissen. Das gilt auch für das Wie. Humpert zufolge vermerkt das Totenbuch von St. Johann ausdrücklich, Näheres finde sich auf einem besonderen Blatt am Beginn des Buches – doch ausgerechnet dieses Blatt fehle, so ein Pech.
~~~ Vielleicht nahm er ein Ruderboot mit Anker – und band sich diesen dann vielmals verknotet ans Bein, bevor er »ausstieg« … Wichtiger dürfte freilich die Frage sein, was es eigentlich mit der vielbeschworenen Heimat und der Liebe zu ihr auf sich habe. Wie sich versteht, hält auch das verdienstvolle Heft meiner Quelle die Heimatliebe schmerzlich hoch. Wenn Hermine Maierheuser freilich (auf S. 128) dichtet, »Heimat, du rauschest in jeglichem Baum, / Heimat, du wirkst in der Fremde den Traum, der uns mit Mächten nach Hause treibt«, verrät sie eine Ahnung von der haarsträubenden Zufälligkeit der Angelegenheit. Erblicke ich das Licht der Welt in Baden, stehen die prächtigsten Fichten der Welt im Schwarzwald; wenn aber nicht, dann im Erzgebirge oder in Kanada. Hier wie dort hängt unsere Empfindung der Geborgenheit, ja unsere Idendität überhaupt an ganz bestimmten, einzigartigen Fichten, bilden wir uns ein. Dabei sind es überall die gleichen. In Wahrheit lauert der Unhold des BesitzerInnenstolzes, der Intoleranz und des Fanatismus in den traulichen Wäldern der HeimatliebhaberInnen. Meine Heimat ist besonders wertvoll; sie ist liebenswerter und wichtiger als deine Heimat. Dieser Irrglaube entsteigt der allgemeinen, außerordentlich hartnäckigen Neigung des Menschen, »das Eigene« zu überschätzen und notfalls das Kriegsbeil für es zu wetzen. Deshalb hält sich der Kapitalismus schon so verblüffend lange, obwohl er x-mal mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt. Im Kapitalismus darf man auf sein Eigentum pochen – mag es aus Grundstücken, Romanstoffen, Vorzügen, Meinungen, Ansprüchen, angeblichem Recht bestehen. In der Heimatliebe haben wir den Boden, aus dem Eigennutz und Selbstgerechtigkeit, Patriotismus und Doppelmoral in einem sprießen. Wenn die Inselgemeinde Reichenau heute über einen ansehnlichen Waldbesitz auf dem Bodanrück verfüge, stellt Heimatforscher Humpert fest, »so verdankt sie dies ihrem Obervogt v. Hundbiß, der am 25. Juli 1801 bei der Verteilung des sogenannten Dettinger Waldes rund 682 Jauchert** den Reichenauern zusprach.« Er schanzte es also zunächst einmal sich selbst und seinen beiden Sprößlingen zu. Den Landstreichern schenkte er die Prügel.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* Theodor Humpert, »Friedrich von Hundbiß, der letzte Obervogt der Reichenau«, in: Badische Heimat, 32. Jg. 1952, Heft 2/3, S. 99–103
** 1 Jauchert = ca. 1/3 Hektar
Natsagdordsch, Daschdordschiin (1906–37), mongolischer kommunistischer Schriftsteller und Abweichler. Zwischen China und Rußland eingeklemmt, wirkt das riesige Land der Mongolen für flüchtige BeobachterInnen meist bedeutungslos. Es ist mehr als viermal größer als Deutschland, aber vergleichsweise menschenleer. Die Hälfte der gut drei Millionen Mongolen ballt sich heute bereits in der von Gebirgen, Steppen und Wüsten umgebenen Hauptstadt Ulan-Bator. Wer Weite und Stille sucht, wird sie wahrscheinlich noch immer in der Mongolei finden. Notfalls genügt Natsagdordsch‘ berühmtes langes Gedicht Meine Heimat von 1933. Schlankes Gras wiegt seine Ähren im Wind, die blau überwölbte Steppe gaukelt manch wundersames Bild vor; die Jurten der Nomaden nennt der Autor nicht, gleichwohl sieht man die Rauchfäden aus diesen kreisrunden, eher stumpf bedachten Zelten steigen, die offenbar gleichermaßen gut vor Hitzewellen und klirrender Kälte schützen. Ungeachtet früherer Ausfälle gegen Heimat und Lyrik muß ich einräumen, dieses innige Werk eines scheinbar schlichten Gemütes ergreift sogar mich. Daran dürfte die Übersetzerin Renate Bauwe keinen geringen Anteil haben. Sie stellt Meine Heimat und noch manches andere auf ihrer Webseite vor.*
~~~ Natsagdordsch stammte aus verarmtem Adel. Seine Mutter hatte er früh verloren. Der Vater, ein Kanzleischreiber, ermöglichte ihm Bildung. So wurde Natsagdordsch gleichfalls Sekretär. Bald nach der Volksrevolution 1921 gelangte er trotz seiner Jugend in hohe Partei- und Staatsämter. Daneben schrieb er Lieder und beteiligte sich, gemeinsam mit seiner ersten Frau Pagmadulam, an einer hauptstädtischen Theatergruppe, die als Keimzelle der neuen Kultur gilt. Ab 1925 folgen Studienaufenthalte in Leningrad und Deutschland, dort wohl hauptsächlich in Leipzig. Auch dabei begleitet ihn seine Frau. 1929 heimgekehrt, ist Natsagdordsch vorwiegend geisteswissenschaftlich, übersetzerisch und literarisch tätig. So schrieb er, aus Märchen schöpfend, die Vorlage für die nach wie vor vielgespielte Oper Die drei traurigen Hügel. Ein Roman blieb unvollendet.
~~~ Bald nach 1930 setzte Natsagdordsch‘ Niedergang ein. Maßgebliche Parteikader warfen ihm, nach Bauwe nicht ganz grundlos, Linksabweichung und westliches Gebaren vor. Selbst seine zweite Ehe mit der Sowjetbürgerin Nina Tschistakowa, die eine deutsche Mutter hatte, stieß auf Mißfallen. Im Winter 1935 wurde Tschistakowa sogar mitsamt der kleinen Tochter Ananda-Schri in die SU ausgewiesen – ohne den Gatten. Der hatte inzwischen auch schon einmal für ein halbes Jahr Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht. Jetzt »resignierte und vereinsamte« er immer mehr, »ergab sich dem Alkohol und starb völlig mittellos«, schreibt Bauwe in einem 2011 überarbeiteten Porträt. Der Mann war erst 30 Jahre alt. Heute thront er in seinem Sterbeort Ulan-Bator in Bronze, wie ich vermute, auf einem fetten Klotz aus weißem Stein: der Nationaldichter.
~~~ Um 1990 ging die Mongolei den bekannten Weg in die kapitalistische Demokratie. Zu den Galionsfiguren des »Umbruchs« gehörte der meist als sehr ehrenwert gelobte Gelehrte Sandschaasuren Zorig (1962–98), auch Sanjaasürengiin geschrieben. Er machte politisch Karriere. Im Herbst 1998 hatte der 36jährige »Infrastruktur-minister« gerade gute Aussichten auf den Posten des Regierungschefs, als er in seiner Wohnung von zwei maskierten Personen überrascht und erstochen wurde. Ein schnöder Raubüberfall war es offenbar nicht. Dafür hatte er als »Infrastrukturminister« Staatsaufträge von beträchtlichem Umfang zu vergeben. Vielleicht wollte man unliebsame Enthüllungen oder ungünstige Weichenstellungen unterbinden. Erst 2016/17 soll es zu einem Prozeß gekommen sein – jedoch hinter verschlossenen Türen. Angeblich wurden drei Personen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Laut der einheimischen (englischsprachigen) UB Post wird aber weiter nach dem Drahtzieher des Mordes gesucht. Die Akten des Falles umfaßten 14.926 Seiten, verrät das Blatt.** Die Demokratie mag unvollkommen und undurchsichtig sein – ihren Fleiß kann niemand bezweifeln.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* https://www.mongolian-art.de/03_mongolische_literatur/literatur_index.htm
** Bayarbat Turmunkh, https://web.archive.org/web/20171229113829/https://theubpost.mn/2017/12/04/s-zorigs-assassination-case-file-to-be-declassified/
Ganz verkürzt gesagt, ist für mich Heimat da, wo ich mich wohl fühle und wo ich Wurzeln schlagen kann, nicht aber, wo mich äußere, ungewählte Umstände wie durch einen Sandsturm hingezwungen haben. Ich nehme also stark an, im südlichen Usbekistan hätte ich mich auch schon vor ein paar tausend Jahren nicht gerade sauwohl gefühlt. Darauf bringt mich, gleich nach der Raumfähre (Challenger), der Ruinenhügel Chaltschajan, der ebendort, zwischen Persien und China eingeklemmt, um 1960 freigelegt worden ist. Die Trümmer zeugen von einer altertümlichen Festung und verschiedenen Monumentalbauten. Überreste höfischer Kunst gibt es auch, wie Brockhaus nicht versäumt zu verkünden. Da liegt der Gedanke an die antiken Kulturen in Mexiko oder in den Andenrepubliken nahe, die weder vor tropischen Schwitzhöllen noch höchsten, teils vergletscherten Berggipfeln zurückschreckten, um dem Boden ein paar Maiskörner und viele mächtige Säulen oder Hinkelsteine von Heiligtümern abzuringen. Vielleicht ist es nicht übertrieben, schon dem vorchristlichen Menschen einen angeborenen Siedlungs-Masochismus zu bescheinigen. Schließlich wird heute allgemein angenommen, die berüchtigte »Wiege der Menschheit« habe in Afrika gestanden, möglichst nahe am Äquator, wo es ausgiebig Atem- und Wassernot gibt. Im anderen Extrem wird der Frühmensch von seinen Grillen nach Alaska, Sibirien oder gar bis Spitzbergen getrieben, wo man sich sofort den Hahn abfriert, sobald man pinkeln will. Warum hat sich‘s der Frühmensch nicht irgendwo am Mittelmeer gemütlich gemacht, an der italienischen oder türkischen Riviera beispielsweise? Weil er sich tüchtig vermehren und vor der Platznot über den ganzen Erdball flüchten muß. Letztlich läuft das freilich nur auf meinen alten Seufzer hinaus, der Mensch könne alles, nur nicht maßhalten.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 7, Januar 2024
Siehe auch → Seßhaftigkeit → Band 4 Düster 2 Kap. 3 (Ortsnamen)
Wie sich mancher vielleicht schon gedacht hat, spielt meine Erzählung »Zora packt aus« (Band 5) auf Kurt Helds bekanntes Jugendbuch Die rote Zora an, das erstmals 1941 in Aarau erschien. Damals soll sich der gelernte Schlosser aus Thüringen, eigentlich Kläber mit Namen und streckenweise Kumpel oder Kofferträger des KPD-Dichterfürsten »Johannes Erbrecher«, bereits vom Kommunismus abgewandt haben. Zum Antiautoritären reichte es aber offensichtlich nicht mehr ganz. Sein vielaufgelegter Roman spielt im kroatischen Küstenstädtchen Senj. Es wies damals wohl kaum über 3.000, ganz überwiegend katholische EinwohnerInnen auf. Wie eine große Internet-Enzyklopädie versichert, beruht Helds Roman auf Eindrücken, die er 1940 vor Ort sammelte. Senj, auf deutsch angeblich Zeng, gehörte in jener Zeit zum Königreich Jugoslawien. Der Belgrader »König« soll »Diktator« gewesen sein. Unterdessen schwoll die faschistische Ustascha an. Die Kapitulation vor den Achsenmächten – voran die lieben Deutschen – erfolgte im April 1941.
~~~ Etwas früher also tritt »die rote Zora« immerhin als Bandenchefin auf. Eine Zeitlang darf sich die Kinderbande vom Stehlen statt vom Sichquälen ernähren. Solange, bis ihnen der alte Fischer Gorian mit einer Verlautbarung des Magistrats eingeschärft hat, »brave Kinder und gute Bürger« der Stadt zu werden (S. 380). So führt Held die »Uskoken«, wie sie sich nach echten spätmittelalterlichen Piraten nennen, auf den Pfad der Tugend zurück. Ein Umsturz war sowieso nie geplant. Schließlich hat auch der Alte selber endlich dem Fischerei-Trust gegenüber »klein beigegeben«, wie Gorian zähneknirschend einräumen muß (379). Die Kinderbande war nur ein verlängerter Ferienbetrieb. Man frönt der Lust am Versteckspiel und hält den Straf- und Rachegedanken hoch, etwa gegen die Gymnasiasten (157). Zwischenzeitlich geht die magere, sommersprossige Bandenchefin der Frauenrolle auf den Leim. Als ihr die Thunfischjagd mit Gorian einen fetten Gewinnanteil einbringt, donnert sie sich auf, um noch besser als »die schöne Zlata« auszusehen. In die Bürgermeisterstochter hat sich nämlich ihr 12 Jahre alter Mitstreiter Branko verguckt. Zora zetert obendrein, Zlata sei eine »Hexe« wie Brankos Großmutter Kata! Das Miststück habe ihn verzaubert (307). In der Tat wird das abfällige Hexen-Etikett, das Autor Kurt Held der armen Einsiedlerin Kata ganz im Sinne der Volksseele verpaßt hat, nie wirklich gelüftet (35, 213). Dabei wären Pavles eiternde Wunden die Chance dafür gewesen. Die Bande war im Wald einem Luchs begegnet. Angeblich verteidigte er einen Fasan, den er gerade gerissen hatte (191). In Wahrheit jagen Luchse nicht am hellichten Tage und greifen so gut wie nie Menschen an. Pavle jedoch muß daran glauben. Statt nun freilich die Wahrsagerin, Kräutersammlerin und Heilkundige Kata um ihre hausgemachte Salbe zu bitten, versteckt die Bande Pavle nur vorübergehend und heimlich in Katas Schuppen (202). Dem reichen Karaman hatte eine Salbe Katas gegen die Gicht geholfen (210, 214). Dieses unverzeihliche, von Held verordnete Versäumnis kostet Pavle viele Tage Krankenlager.
~~~ Held, der biedere Autor mit dem forschen Pseudonym, hatte es dann am eigenen Leibe zu büßen. Er litt an verschiedenen, teils durch den Krieg bewirkten Krankheiten und starb bereits 1959, in seinem schweizer Exil, mit 62 Jahren. Er hatte sich dort ein Haus mit seiner Gattin, der Schriftstellerin Lisa Tetzner geteilt. Das Ehepaar war kinderlos. Das Haus wurde später in eine gemeinnützige Stiftung überführt; die Rechte an Helds Büchern gingen, soweit ich weiß, an den Verlag Sauerländer. Der spielte zumindest im Laufe der Zeit mit Helds größtem Wurf Zora vermutlich eine Menge Geld ein. Meine Seitenangaben beziehen sich auf die 27. Auflage von 1987. Heute, seit 2013, landet das Geld im Schoß des bekanntlich bitterarmen Verlages S. Fischer.
~~~ Der Erfolg von Helds, inzwischen auch verfilmten peinlich rothaarigen Heldin dürfte sich nicht nur der politökonomischen Harmlosigkeit des Werkes verdanken. Der Autor versteht es nämlich, sowohl anschaulich wie spannend zu erzählen. Stilistische Ärgernisse sind selten. Man folgt ihm gern, zumal man auch kaum über die sonst verbreiteten daß-Häufungen zu stolpern hat. Einen häßlichen Doppeldecker will ich tadeln. Gendarm Dordevic gibt dem Krämersprößling für dessen Erzeuger den Rat mit, Brozovic möge aufpassen, »daß wir nicht wieder feststellen, daß seine Gewichte nicht stimmen« (46). Warum schreibt Held nicht, Brozovic möge sich vor einer erneuten Überprüfung seiner meistens falschen Gewichte hüten? Hätte sich Dordevic dadurch gar zu »gehoben« ausgedrückt? Wohl kaum. Vielmehr glaube ich, Held wäre durchaus der Mann dafür, die Polizei zu reformieren, nicht dagegen, sie abzuschaffen. Dem wieseligen Nicola hält er im letzten Kapitel durch den Mund Gorians vor: »Was machst du lieber: Willst du dich weiter vor jedem Menschen verstecken, nachts in einer Höhle, einer Hecke oder in eurem Turm wohnen, von Abfällen, Diebstählen und von altbackenen Semmeln des dicken Curcin leben, oder fährst du lieber auf einem Schiff auf dem Meer, läßt dir den Wind um beide Ohren wehen, setzt Segel auf, wirfst Netze ins Meer und wirst ein braver, tapferer Fischer?« Das klingt doch zunächst nach Alternative, und Nicola ist auch gleich begeistert. Mehr wird dazu nicht gesagt. Aber es ist keine Alternative. Das Schiff, auf dem Nicola anheuern darf, gehört Direktor Frages – und nicht etwa ihm selber und seinen Mitfischern. Frages darf Oberdieb bleiben. Das geheiligte Privat- oder Staatseigentum an Produktionsmitteln wird nicht angetastet.
∞ Verfaßt 2022
Herzen, Alexander (1812–70) und Familie. Vor die Wahl gestellt, wer mir als Vater lieber gewesen wäre, hätte ich dem Schriftsteller Walter → Brandorff wahrscheinlich Alexander Herzen vorgezogen. Dieser russische, später in Westeuropa lebende Berufskollege wurde nicht viel älter als der Horrorspezialist aus Kärnten; er starb 1870 mit 57 Jahren. Mit dem berühmten Russen als Vater hätte ich aber womöglich tief in die Scheiße gegriffen, um es einmal ungewählt auszudrücken. Damit spiele ich auf Herzens Sohn Kolja an, der 1843 zur Welt kam. Das erste schlimme Unglück traf den Sprößling bereits bei der Geburt: er war völlig taub, wie seine Eltern nach ungefähr einem Jahr entsetzt bemerkten. Gleichwohl galt er als lebhaftes Kind und guter Schüler. Man hatte ihn in die Obhut seiner Großmutter Louise Haag gegeben, die sich in Zürich niederließ, weil dort eine Taubstummenschule zur Verfügung stand. Vater Herzen schreibt*, Kolja habe sich schon als Fünfjähriger mit großer Begabung einen Spaß daraus gemacht, alle möglichen BesucherInnen des Elternhauses »bewußt karikiert nachzuahmen«, wodurch er viel Gelächter geerntet habe (S. 201). Vielleicht wäre er ein beachtlicher Pantomime-Clown geworden? Das zweite schlimme Unglück, das ihn mit Acht traf, war natürlich gar nicht lustig. Die Eltern wohnten damals in Nizza, das zu Italien (Piemont) gehörte. Kolja, seine Oma und sein Lehrer Johann Spielmann hatten sich, von Paris kommend, Mitte November 1851 in Marseilles eingeschifft, um mit einem Mittelmeer-Raddampfer nach Nizza zu fahren. Spielmanns Alter ist nirgends zu erfahren; aus verschiedenen Anhaltspunkten schließe ich aber, er war kein Opa, eher ein junger Mann.
~~~ Das Unglück ereignete sich nachts, als die meisten Fahrgäste schliefen. Zwischen der Insel Hyères und dem Festland stieß der Raddampfer, trotz guten Wetters, mit einem anderen Schiff zusammen. Laut Stephan Reinhardt (Georg Herwegh, 2020, S. 366) sank der Raddampfer rasch: von ungefähr 100 Passagieren seien die meisten ertrunken, darunter die Drei aus Paris. Deren Leichen bleiben allerdings verschollen. Der Vorfall wird natürlich auch in Herzens Memoiren erwähnt (S. 349–57). Von einer amtlichen Untersuchung ist mir nichts bekannt.
~~~ Herzen schreibt (357), seit diesem Schlag sei Koljas Mutter Natalja Alexandrowna (1814–52) nie mehr gesund geworden. Das ging von einer Brustfellentzündung bis zu einem Wochenbett, das weder sie noch der Säugling überlebte. Doch der dickste Hammer muß die Groteske mit Georg Herwegh gewesen sein – fast ein Komödienstadl, wäre sie nicht, für Natalja, tödlich ausgegangen. Der zugleich ehrgeizige und eher farblose, wenig zupackende »Dichter« hatte sich in sie verliebt, und streckenweise war sie im Begriff, darauf einzugehen. Das spielte sich vor allem in Nizza ab, ehe Herwegh es vorzog, der Schmach zu fliehen. Nun hockt der Gatte in dem gemieteten, mit Dienerschaft gespickten Haus am Meer und ist tief verstört. Er schont sich in selbstkritischer Hinsicht kaum, aber er macht, wie alle, nicht die geringsten Andeutungen, ob bei dem Dreiecksdrama vielleicht auch Sexualität eine Rolle gespielt hätte. Ich vermute stark: Pustekuchen. Diese erlauchten Revolutionäre waren über viele Monate hinweg von Hirngespinsten gejagt. Streckenweise wurden Duelle, Ehrengerichte und immer wieder Mordanschläge erwogen. Herzen macht den Widersacher keineswegs völlig schlecht; mir mißfällt jedoch, wenn er im Kampfe sogar aus privaten Briefen Herweghs zitiert. Natalja entscheidet sich schließlich für Herzen und die Kinder – bloß stirbt sie da auch schon, ungefähr 38 Jahre alt (380/81).
~~~ Im allgemeinen sind Herzens Erinnerungen durchaus genießbar und aufschlußreich verfaßt, aber zu unausgewogen und mit manchen Längen. Im ganzen drei Bände, da hat er viel hineingepackt. Herzens Ausdruck ist oft köstlich treffend, doch er liebt auch das fruchtlose Schwenken verschiedener Bänder oder Gartengeräte, was er vielleicht für Poesie hielt, während er andererseits mit Vergnügen in den Verästelungen der Politik herumturnt und dabei die Grundfragen aus dem Blick verliert: Eigentumsverhältnisse, Volksbildung und vor allem Selbstorganisation. Möglicherweise stand es in dieser Hinsicht um Freund Bakunin etwas besser. Was der Vielschreiber und vielfache Vater Herzen freilich lieber überging, war sein Früchtchen Lisa Herzen. Irre ich mich nicht, hieß sie offiziell Jelisaweta Alexandrowna, 1858–75. Nach einem jüngeren Zeitungsartikel** war Lisa in London einer Affäre Herzens mit der Gattin (Natalja A. Tutschkowa) seines engsten Mitstreiters Nikolai Ogarjow entsprungen. Mit 17 soll sich das Mädchen schon wieder umgebracht haben – Chloroform-Vergiftung, angeblich wegen Liebeskummer. Neben Lisa habe die Affäre sogar noch ein Zwillingspaar hervorgebracht. Da hat die gute Tutschkowa anscheinend den einen stämmigen Vollbart gegen den anderen stämmigen Vollbart getauscht, wenn mich Fotos nicht täuschen. Der Artikel merkt genüßlich an, Herzens Lage sei heikel gewesen. Nun habe er sich jäh »in der Situation seines Erzfeindes Herwegh« befunden, »der sich vom politischen Kampfgefährten zum erotischen Verräter gewandelt hatte. Deshalb tabuisierte Herzen diese zweite Dreiecksaffäre vollständig und verlor in seiner Autobiografie kein Wort darüber.«
~~~ Was Lisa angeht, fühlte sie sich vermutlich schon als kleines Mädchen in einen Irrgarten gepflanzt, über dem zu allem Überdruß auch noch der Londoner Nebel hing. Die Silberstreifen ihres radikaldemokratisch gesinnten Erzeugers hatten sich als Vogelscheuchen-Flitter erwiesen, und 20 andere Krähen zerrten sie in 20 verschiedene Richtungen. Dostojewski, so die NZZ, habe Lisas Liebesenttäuschung nur als den Vorwand erachtet, ihren eigenen Lebensweg gar nicht erst antreten zu müssen. Wer wollte ihr das verdenken, falls es stimmt? Glücklicher waren womöglich die erwähnten Zwillinge daran, die bereits als Kleinkinder gestorben sein sollen.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H.R.), 2022
* Alexander Herzen, Mein Leben. Memoiren und Reflexionen, Band 2 der Ostberliner Ausgabe: Aufbau-Verlag 1963
** https://www.nzz.ch/zwischen-barrikade-und-salon-1.16321322, 7. April 2012
Heu
Die Ballenpressen, die bäuerliche Herzen seit einigen Jahrzehnten weltweit höher schlagen lassen, stellt Brockhaus sogar mit Grafik vor. Der zeitgenössische Wanderer wird vor allem die fetten Rundballen aus Stroh und Heu kennen. Ist er sich aber auch über die Unfallgefahr im Klaren? Falls er nicht wandert, vielmehr fährt?
~~~ Der englische Musiker und Hippie Mike Edwards (1948–2010) hatte Piano und Cello studiert und wurde vor allem am zweiten Instrument bekannt. In den 1970er Jahren spielte er es für mehrere Jahre in der damals auch im Ausland vielverehrten Birminghamer Rockband Electric Light Orchestra (ELO), bis ihn fernöstliches Gedankengut erreichte und erleuchtete. Er wurde also frommer Hippie, blieb aber immer auch der unterschiedlichsten Musik treu, so in seinen letzten Lebensjahren im Devon Baroque orchestra. Er lebte südlich von Exeter im Städtchen Totnes unweit des Ärmelkanals, das für seine Kunst- und New-Age-Szene bekannt ist. Am 3. September 2010 auf einer Landstraße südlich von Totnes solo per Auto unterwegs, wurde Edwards‘ Wagen unvermittelt von einem Ding aus der Bahn geworfen, das sich im Nachhinein, allerdings nicht mehr für Edwards, als rund 600 Kilogramm schwere Walze aus Heu entpuppte. Sie war von einem Hügel auf die Straße gerollt – und Edwards kostete dieser Angriff das Leben. Der Ballen hatte zunächst Ewards‘ »Van« gerammt; dann rammte dieser einen weiteren Pkw, der gerade die Unfallstelle passierte. Dessen Fahrer blieb unverletzt. Edwards dagegen, erst 62, soll auf der Stelle tot gewesen sein.
~~~ Die Polizei vermutete anfangs, der Ballen sei einem Anhänger oder dem Frontlader eines Schleppers entfallen, doch das stellte sich offenbar als Trugschluß heraus. 2011 oder 12 gab es nämlich ein Gerichtsverfahren gegen die beiden für die am Hang gelagerten Rundballen verantwortlichen Landbewohner Brian Burden, 46, und Russell Williams, 23. Verstehe ich unterschiedliche Quellen richtig, machten die Angeklagten geltend, sie hätten die Ballen eigens quer zum Hang oder auf einer Hangstufe abgestellt, um so die Gefahr ihres Fortrollens zu bannen. Tatsächlich verließen sie das Gericht als freie und unbescholtene Männer.* Anscheinend war der tödliche Zwischenfall als Unfall gewertet worden, der jeden heimsuchen kann. Von daher wäre vielleicht jeder gut beraten, sein Auto lieber verschrotten zu lassen.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 4, Dezember 2023
* »ELO cellist Mike Edwards hay bale death: Farmers cleared«, https://www.bbc.com/news/uk-england-devon-20399136, 19. November 2012
Hexen
Der nordmährische Kurort Groß Ullersdorf (Velké Losiny) dürfte bereits durch seinen kullerigen Namen bemerkenswert sein. Daneben hat er schwefelhaltige Quellen und ein Renaissanceschloß mit dreigeschossigem Arkadenhof und einem Großen Saal zu bieten, den Brockhaus sogar abbildet. Das ist allerdings ein Anblick zum Weglaufen. Der Saal ist derart mit Bildern, Statuen, Simsen, Kaminen, Möbeln, Kronleuchtern überladen, daß eigentlich die üppig bemalte Decke herunterkommen müßte. Jedenfalls eins tiefer. Auf jedem Fleck Tapete hängt ein Gemälde. Alle Rahmen stoßen, alle Formen und Farben beißen sich. Gleichwohl sind die rund 16 Polsterstühle um den langgestreckten, ovalen Eßtisch auch noch einmal knallrot bezogen. Also wenn den lieben hohen Gästen in diesem Saal das Festmahl gemundet hat, kann man ihnen nur Geschmacksverirrung bescheinigen. Dummerweise tragen auch sie noch zu der Orgie bei, weil sie ja alle wild durcheinander bekleidet sind. Zwar ersticken sie dadurch die Röte der Polster, aber für die Dienerschaft stellt der Anblick dieser Tischrunde Folter dar. Ich höre den Einwand, vielleicht sei an der ganzen Orgie gar nicht der Adel, vielmehr die gegenwärtige Museumsleitung schuld. Dann muß man eben an dieser zweifeln.
~~~ Das Schloß wurde gegen 1600 unter dem Grafen Johann von Žerotín erbaut. Nach verschiedenen Webseiten dürfte es, wenig verblüffend, mehrere große Säle geboten haben. Allerdings hebt man die Brauen, wenn auch von einem Gerichtssaal die Rede ist. Davon weiß Brockhaus kein Komma. Im Internet dagegen stößt man hartnäckig auf die Hexenprozesse von Groß Ullersdorf. Der Titel bezeichnet eine von 1678–92 währende Hexenverfolgung, die in diesem mährischen Winkel unter der Regie eines gewissen Heinrich Franz Boblig von Edelstadt in der Zeit der Rekatholisierung des Landes stattfand. Laut deutscher Wikipedia fielen ihr insgesamt 104 Menschen zum Opfer. »Allein in Groß Ullersdorf starben 56 Personen auf dem Scheiterhaufen, der zweite Schwerpunkt wurde Mährisch Schönberg mit 48 Hinrichtungen.«
~~~ Boblig, bis dahin in Ölmitz eher als Advokat tätig, war vom Schloßhauptmann Adam Vinarský von Křížov und seiner erzfrommen Gattin Angelika Anna Sibylla Gräfin von Galle, einer Tochter von Přemek II. von Zierotin, als Inquisitionsrichter angeheuert worden. Laut tschechischer Wikipedia traf er im Alter von 66 ein. Die Gräfin von Galle stellte ihm, vom Gerichtssaal einmal abgesehen, eine Wohnung, Verpflegung, Tageshonorar und Reisespesen. Früher war er anscheinend auch andernorts schon an zahlreichen Exzessen beteiligt. Er dürfte einer jener hirnverbrannten, perversen und sadistischen Greise gewesen sein, an denen das europäische Mittelalter leider nicht arm war. Selbstverständlich genoß er Rückendeckung sowohl seitens der örtlichen Grafen wie von hohem katholischem Personal von Ölmütz bis Prag. Er »richtete« wie üblich auf der Grundlage von Verleumdungen, willkürlicher oder erpreßter Beschuldigungen und gefälschter »Belege«, die er zum Teil eigenhändig verfaßt haben soll. Neben verschrobenen alten Frauen traf es auch reformierte Pfarrer und beispielsweise wohlhabende Mühlenbesitzer. VerleumderInnen schufen sich so Konkurrenten oder sonstwie Mißliebige vom Hals, Boblig selbst strich emsig die Nachlässe von Opfern ein und sonnte sich in seiner kaum glaublichen Machtfülle.
~~~ Da könnte sich mancher durchaus fragen, mit welchem Füllhorn an Dokumenten und historischen Arbeiten, mit welcher Nachforschungslust oder mit welchem Kriterienkatalog (für die Auswahl) die betreffende Person diesen Brockhaus-Eintrag zu Groß Ullersdorf verfaßt haben mag. Aber was verlangt man denn da von Groß Ullersdorf! Bei 24 Bänden ist das ein Stäubchen, das sowieso keinen Hund hinter dem Ofen hervorlockt.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 16, April 2024
Siehe auch → Anarchismus, Mahmud (Fußnote 2)
Hitler-Stalin-Pakt
Er schlug »wie eine Bombe« ein. In der Tat, sieben Tage nach Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages zwischen Deutschland und der Sowjetunion überfällt die Wehrmacht Polen; die Rote Armee folgt auf den Fuß, nur von der anderen Seite her. Polen wird aufgerieben und zerschlagen. Die polnischen Juden dürfen ihr Testament machen.
~~~ Für abtrünnige Kommunisten wie Koestler, Regler, Münzenberg stellte der Pakt keine wirkliche Überraschung dar. Sie kannten die in allen Lagern nie verschmähte Sitte, bedenkenlos die BündnispartnerInnen zu wechseln, sofern es einem nur zum Vorteil gereicht, aus eigener Praxis. Moralische Maßstäbe lassen Parteistrategen nicht gelten. Lenin ging voran. Den Sozialisten Valentinoff rügte er auf einer Konferenz 1904 in Genf mit dem Ausruf, einem Revolutionär sei alles erlaubt, wenn es nur der Sache der revolutionären Bewegung und den Parteiaufgaben diene. Koestler weist in Der Yogi und der Kommissar darauf hin, daß Parteistrategen auch den moralischen Mißkredit ignorieren, den ihnen ihr knallhartes Mittel-zum-Zweck-Denken einträgt. Sie regieren auch gegen die Bevölkerung oder ohne Bevölkerung, falls die Sache es erfordert.
~~~ Doch ansonsten ließ der Hitler-Stalin-Pakt 1939 zahlreiche kommunistische Welten zusammenbrechen. Victor → Serge spricht sogar von einer völligen Demoralisierung der westlichen Arbeiterklassen. Wie konnte das Bollwerk des Antifaschismus mit dem faschistischen Erzfeind gemeinsame Sache machen? Wie werden aus Schurken über Nacht Kameraden, die man über den Klee lobt? Durch rasante Umfärbung. Ex-Kommunist Wolfgang Leonhard schildert dieses Verfahren sowohl in seiner Dokumentation über den Pakt von 1989 wie in seinem ungleich bekannteren Buch Die Revolution entläßt ihre Kinder von 1955 aus eigenem Erleben; selbst die Geschichtsbücher wurden umgeschrieben, auf daß sich Schwarz als Weiß und der Faschist als Bruder erweise. Übrigens hatte das Paktieren schon vorher begonnen. Deutsch-sowjetische Wirtschaftsverträge vom August versorgten die Nazis mit Rohstoff- und Nahrungsmittellieferungen im Wert von 180 Millionen Reichsmark, die zur Kriegsvorbereitung nicht ungelegen kamen. Nebenbei opferte Stalin nicht nur das souveräne Land Polen. Zunächst lieferte er aufgrund des Vertrages rund 1.000 Antifaschisten, die im Schoße der Weltrevolution Schutz gesucht hatten, an die Gestapo aus.* Das wird in der Literatur gern vernachlässigt. Zu diesen Opfern zählte beispielsweise Margarete Buber-Neumann, die im KZ Ravensbrück landete und nur knapp dem Tod entrann, wie sie in ihrem Buch Als Gefangene bei Stalin und Hitler (1947) berichtet. Nachdem Polen unterworfen und aufgeteilt war, machte sich die Rote Armee gemäß den geheimen »Zusatzprotokollen« des Vertrages über das Baltikum, die rumänischen Regionen Bessarabien und Nordbukowina sowie das finnische Karelien her.
~~~ Wie ihn Goebbels im Tagebuch als »genialen Schachzug« feiert, rühmt auch DDR-Funktionär Albert Norden den Pakt. Die Sowjetregierung habe »tausendmal recht« getan, auf diese Weise das Komplott der Westmächte zu vereiteln, den Krieg in die SU zu tragen. Atempause von eindreiviertel Jahren. Die verheerenden SU-Besetzungen in Ostpolen und Baltikum dienen der »Lebensrettung eines Großteils« der dortigen Menschen. So wird aus einem gekreuzigten ein erlöstes Volk, wenn man nur durch die richtige Brille blickt und keinen Zynismus scheut. Davon abgesehen versichert Leonhard, der damals in der SU zum Kader herangebildet wurde, das beliebte Zeitgewinn-Argument habe für zwei Jahre, bis Hitler (1941) zum Angriff gegen Moskau blies, nicht die geringste Rolle in der bolschewistischen Agitprop gespielt. Ja mehr noch, es habe von Moskau und damit der Komintern aus überhaupt keine nennenswerte Rechtfertigung des Paktes gegeben. Dieses »Meisterstück autoritärer Geheimdiplomatie«, wie die schweizer Kommunisten Clara und Paul Thalmann es nannten, wurde den lieben Vasallen kommentarlos jäh ins Maul gestopft, friß oder stirb, und entsprechend stürzten sie massenweise in die größte Erklärungsnot, zuweilen auch Gewissensqual. Dies wird bei Leonhard ausführlich dokumentiert.
~~~ Auch Milo Dor litt am Pakt. In seinen autobiografischen Fragmenten** spricht der 2005 in Wien verstorbene Schriftsteller von dem »Gewissenskonflikt«, in den ihn, den jungen damaligen serbischen Kommunisten, der Pakt »gestürzt« habe. Da hatte das »Bollwerk des Sozialismus und des Fortschritts ..(..).. mit der finstersten Macht Europas ein Abkommen getroffen, das Hitler ermöglichte, alle seine Nachbarn nacheinander anzugreifen und sie brutal zu unterjochen.« Nach diesem Schock, so Dor weiter, sei er »wochenlang regelrecht krank« gewesen. Allmählich habe er sich dann von der Argumentation älterer Genossen einwickeln lassen, die von einem genialen Schachzug des großen Stalin sprachen, der die Aggression von seinem Land abgewendet und die imperialistischen Großmächte stattdessen aufeinander gehetzt habe. »Sie sollten sich nur untereinander zerfleischen, um sich dann, geschwächt, für den Weg zu dem einzig wahren Sozialismus zu öffnen.« Von Polen und etlichen anderen Opfern einmal abgesehen, wurde freilich bald darauf, im Frühjahr 1941, Jugoslawien von der deutschen Wehrmacht zerfleischt. Noch standen jugoslawische Diplomaten mit der SU in aussichtsreicher Verhandlung um einen Freundschafts- und Beistandsvertrag, als unvermittelt Bomben auf Belgrad hagelten und die deutschen Truppen das ganze Land überfluteten. »Die mächtige Sowjetunion kümmerte sich einen Dreck darum, was Hitler tat, mit dem sie einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatte. Sie sah tatenlos zu, wie ihr neuer präsumtiver Verbündeter überrannt wurde. Sie schien nur um ihr eigenes Schicksal besorgt zu sein und ließ Hitler schalten und walten, wie es ihm beliebte, bis er zuletzt seine mörderische Militärmaschinerie gegen sie selbst richtete.«
~~~ Leonhard, der zeitweilige Mitstreiter Ulbrichts, behauptet im übrigen, der von Molotow und Ribbentrop unterzeichnete Pakt habe sich mit keinem Wort um den Weltfrieden gesorgt, der ja damals für alle Internationalisten längst auf dem Spiel stand. Der Pakt stellte einen kurzfristigen Ausgleich der Interessen der Sowjetunion und des faschistischen Deutschlands her, mehr nicht. Du bekommst halb Polen und soundso viele Tonnen an Eisenerz oder Getreide, wir bekommen dafür die andere polnische Hälfte und das Baltikum. Damit war der Weltkrieg so gut wie garantiert, hatte Polen doch mit verschiedenen Westmächten Beistandsverträge. Wobei es der Pakt dem deutschen Faschismus günstigerweise gestattete, sich ungehindert gen Westen zu werfen, da ihn ja Moskau von Sorgen im Osten entband. Einen Zweifrontenkrieg hätte sich Hitler nicht leisten können. Was kümmerte Moskau das Heil von Brüssel, Rotterdam, Paris? Allerdings bemerkt Victor Serge in seinen Erinnerungen, selbst vom russischen Standpunkt aus sei der Pakt ein »idiotischer Verrat« gewesen – war doch klar abzusehen, »daß das Nazireich, siegreich in Europa und im Westen, sich früher oder später unvermeidlich mit seiner ganzen Macht gegen das isolierte und vor allen Demokratien kompromittierte Rußland wenden würde.« Finnland ist übrigens das einzige überfallene Land, das sich militärisch zur Wehr setzt, und zwar nicht schlecht. Es bringt die Rote Armee in arge Bedrängnis. Sieht man einmal davon ab, daß die Sowjetunion auch hier das Völkerrecht brach, könnte man ihren verlustreichen Streich noch immer als denkbar schlechtes Training für den drohenden Abwehrkampf gegen die Hitlerarmee auffassen. Derweil fiel Hitler im Westen unbekümmert in den Beneluxstaaten und in Frankreich ein, hielt ihm doch Väterchen Stalin, wie schon gesagt, den Rücken frei. Wer verschaffte also wem eine Atempause?
~~~ Aber es ist falsch, sich auch nur anflugweise aufs Abwägen taktischer Vorteile einzulassen. Man wird immer welche finden, die zur Rechtfertigung eines Kalküls dienen können. Im Kalkül gibt es immer kleinere und größere Zahlen – ganz wie die berüchtigten Übel. Einzelne Menschen oder deren Würde zählen erst ab 10.000. Das läßt sich berechnen. Dagegen wissen wir nicht, wie sich eine prinzipientreue und humane Haltung der russischen Kommunisten und all ihrer Vasallen auf die Weltlage ausgewirkt hätte. Ich könnte mir denken: ziemlich ermutigend für die Antifaschisten und heilsam für die zerrissene Welt. In diesem Fall hätte Stalin bereits darauf verzichtet, das republikanische Spanien (1936/37) für Waffenlieferungen, die das reinste Erpressungsmittel waren, um seinen Goldschatz zu erleichtern. Davon abgesehen, daß sie ohnehin nur an kommunistisch beherrschte Truppenteile weiter geleitet wurden, kamen die Waffen immer spärlicher; dann blieben sie aus.
~~~ Welchen beträchtlichen Anteil die moskauhörigen Kommunisten, darunter auch ein gewisser Walter Ulbricht, am Scheitern der spanischen Revolution hatten, geht aus einem 1997 veröffentlichten ausgezeichneten Aufsatz*** des Berliner Historikers und Journalisten Manfred Behrend hervor, gestorben 2006. Dieses Scheitern hatte auch in weltpolitischer Hinsicht üble Auswirkungen. Nicht der Überfall auf Polen, das Opfern des republikanischen Spaniens stellte den Auftakt zum Zweiten Weltkrieg dar. An diesem kaltblütigen Opfer hatten selbstverständlich, neben Faschismus und Bolschewismus, auch die lieben westlichen Demokratien mit ihrer heuchlerischen »Nichteinmischungspolitik« ihren Teil.
∞ Verfaßt 2012
* So der Darmstädter Soziologe Helmut Dahmer in seinem Artikel »Der Hitler-Stalin-Pakt und seine Folgen«, Avanti Oktober 2009, hier bei: https://www.scharf-links.de/49.0.html?&tx_ttnews[cat]=27&tx_ttnews[tt_news]=7350&cHash=6519194f2e
** Milo Dor, Auf dem falschen Dampfer, Wien 1988, S. 159 & 162
*** https://www.glasnost.de/autoren/behrend/spanien.html
Siehe auch → O'Casey (beschweigt den Pakt)
Betzy Holmberg Deis (1860–1900) war die Tochter finnisch-norwegischer Eltern, die in Düsseldorf lebten und beide Maler waren, Anna und Werner Holmberg. Der Vater steht mit sechs Zeilen im Brockhaus. Leider erlag er schon sechs Monate nach Betzys Geburt, erst 29 Jahre alt, der Tuberkulose. Daraufhin zogen die beiden Frauen in Annas norwegisches Elternhaus. Ende 1880 wechselten sie jedoch gemeinsam nach Leipzig, weil Betzy dort Musik (Komposition) studieren wollte. Ich folge hier ausschließlich einem erst kürzlich verfaßten englischsprachigen Aufsatz*, den ich mit mehr Glück als Geschick im Internet aufgetrieben habe. Die Autorin ist Finnin.
~~~ Zu Betzys Lehrern zählte Carl Reinecke. 1883 ging sie, auf Unabhängigkeit von der männlich geprägten Schulmusik bedacht, nach Norwegen zurück und verfaßte ihre erste Symphonie. Die gilt als verschollen. Einige Kammermusiken sind dagegen gedruckt. 1883/84 weilte Betzy auch in Rom. Sie erlebte hier und dort Aufführungen ihrer Werke. Mutter und Tochter wohnten unter anderem in Leipzig und Kopenhagen, ab 1891 jedoch in Hamburg, und da wird es verhängnisvoll. In Hamburg habe die 32jährige (1892) den dort ansässigen dänischen Kaufmann (Johann) Heinrich (Ludwig) Deis geheiratet. Kurz darauf hätte sich das Ehepaar aber schon wieder getrennt. Wie es aussehe, riß sich Heinrich Deis Betzys Geld (oder das Geld ihrer Mutter) unter den Nagel und verschwand an einen unbekannten Ort in Dänemark, teilt Välimäki mit. »Laut einer Zeitungsankündigung von 1895 leitete Anna Holmberg ein Gerichtsverfahren ein, in dem sie Heinrich Deis aufforderte, seine Schulden zurückzuzahlen, aber offensichtlich ohne Erfolg.«
~~~ Damit springt die Autorin in den April 1900. Damals sei die ehemalige Komponistin in Hamburg gestorben. Warum oder woran, lesen wir nicht. Betzy war erst 40. Zwar führt Välimäki den Todesanzeigentext der Mutter an, wonach Betzy »friedlich und ruhig« dahingegangen sei. Das könnte allerdings eher eine Beruhigung der Mutter selber oder der lieben Bekannten gewesen sein, möchte ich anmerken. Ferner schreibt Välimäki, anscheinend habe Betzy bereits mit ihrer Verheiratung [beziehungsweise dem raschen Scheitern ihrer Ehe] ihr künstlerisches Schaffen eingestellt. Von einigen Todesanzeigen und Erwähnungen in Sammelwerken abgesehen, habe es auch keine Veröffentlichungen über Betzy mehr gegeben.
~~~ Für mich sind diese biografischen Kahlstellen geradezu niederschmetternd. Das ist jedoch, soweit ich sehe, am wenigsten Välimäki anzulasten, die im Gegenteil anscheinend so gut wie alles zusammengekratzt hat, was irgend aufzutreiben war. Ihr Porträt weist immerhin über 100 Fußnoten auf. Im Internet wird Susanna Välimäki, geboren 1970 in Turku, Finnland, als Musikwissenschaft-lerin und Professorin der Universität Helsinki geführt. Ihr Erscheinungsbild ist mir unbekannt. Dafür bringt sie Fotos von ihrem frühverstorbenen Gegenstand. Himmel, was für eine hübsche, auch witzige Komponistin! Jetzt haben die Würmer sie schon bis auf die Knochen verspeist, befürchte ich. Wobei es mich nicht verblüffen würde, wenn die Würmer der Scham und des Grames bereits seit des Gatten Vertrauensbruchs in ihr genagt und so entweder eine todbringende Krankheit, vielleicht auch gleich einen Selbstmord begünstigt hätten. An dem »Vertrauensbruch« war vermutlich auch ihre eigene Einfalt gehörig beteiligt. Aber dies alles ist Spekulation.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 18, Mai 2024
* Susanna Välimäki, »Composer Betzy Holmberg Deis«, https://www.idunn.no/doi/full/10.18261/smn.48.1.3, 7. November 2022
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