Dienstag, 7. Januar 2025
Evelyn Foster
Verfaßt 2023

Ihr Fall († 1931) wird demnächst seit 100 Jahren unauf-geklärt sein. Ich nehme an, Brockhaus hat nie von diesem Mord gehört. Die im Geschäft mithelfende Tochter eines Garagen- und Taxiunternehmers aus dem nordenglischen Städtchen Otterburn, Northumberland, war Anfang Januar 1931 in der Nähe ihres Wohnortes von einem zugleich qualvollen und seltsamen Tod ereilt worden. Nach den meisten Quellen war sie erst 27. Man hatte sie mit schweren Verbrennungen an der Landstraße gefunden. Ihr Wagen, mit dem sie einen fremden Kunden nach Ponteland bringen wollte, stand ausgebrannt unterhalb der Straßenböschung im Moor. Bevor Foster wenig später in ihrem Elternhaus starb, konnte sie ihren verschwundenen Fahrgast noch als Täter angeben und den Tathergang schildern. Der ungefähr 30jährige Mann habe sie plötzlich vom Steuer gedrängt, geschlagen und schließlich, als der von ihm gelenkte Wagen im Moor stand, mit Benzin übergossen und dieses entzündet. Der Ortspolizist Andy Ferguson schrieb mit. Sie bejahte auch die Frage ihrer Mutter, ob sich der Fremde an ihr »vergangen« habe.
~~~ Foster hatte ihn, wie sie erzählte, an jenem frostigen Januarabend bei Otterburn aufgelesen, sodaß er leider bestenfalls flüchtig von dem einen oder anderen Zeugen gesehen worden war. Bald führten die Untersuchungen des Autowracks und verschiedene Ungereimtheiten in Fosters Geschichte zum Anwachsen der Zweifel bei Captain Fullarton James von der Bezirkspolizei. Zudem erklärte ein Medizinprofessor aus Durham, er habe an der Leiche keine Hinweise auf Vergewaltigung entdecken können. Foster sei noch »Jungfrau« gewesen. Zwar verurteilte ein örtliches Geschworenengericht gleichwohl »eine unbekannte Person« wegen Mordes, doch für James, der sich nach der Verhandlung entsprechend äußerte und damit für Entrüstung bei den Einheimischen sorgte, stand fest, diese Person habe es nie gegeben. Für die Polizei und selbst den Richter hatte Foster mit der Absicht, einen Unfall vorzutäuschen, ihren Wagen und versehentlich auch sich selber eigenhändig in Brand gesetzt. In der Folge blieb der Fall offen – und fiel allmählich dem Vergessen anheim.
~~~ Rund 25 Jahre nach Fosters Tod befaßte sich der erfolgreiche Kriminalautor Julian Symons (1912–94) mit ihm, wobei er auch (1956) vor Ort gewesen sein will.* Das Opfer schildert er als »zurückhaltende, ziemlich schüchterne, durch und durch anständige junge Frau« – und er fragt sich verständlicherweise, welchen Grund ein solcher Mensch gehabt haben solle, seinen noch fast neuen Wagen aufs Moor zu fahren und dort anzustecken. Der Richter hatte den Geschworenen zunächst den Köder »Versicherungsbetrug« vorgeworfen. Aber erstens hatte Foster von der Versicherung kaum mehr als den gegenwärtigen Marktwert des Autos zu erwarten, zweitens hätte diese ohne Zweifel auf einer Aussage des leider flüchtigen Taxikunden bestanden – den Foster nun einmal, törichterweise, ins Spiel gebracht haben soll. Als sein Angebot nicht zog, gab der Richter alternativ zu bedenken, man wisse ja auch von Fällen, in denen Menschen solche Dinge »aus unerfindlichen Gründen« täten, »entweder weil sie nicht anders können oder weil sie Spaß an abnormem Verhalten haben«. Mit beiden Argumenten gelang es ihm erfreulicherweise nicht, die Geschworenen auf die Linie seiner, so Symons, offensichtlichen Voreingenommenheit einzuschwören.
~~~ Es war auch die Linie der Polizei, wie so oft. Ein Kommissar setzt sich aus undurchsichtigen, wenig Vertrauen erweckenden Motiven die Theorie in den Kopf, der unbekannte Fremde sei böswillig erfunden worden, und daran hält er eisern fest, um seine Sicherheit und sein berüchtigtes Gesicht nicht zu verlieren. Captain James war beispielsweise der schwere Fehler unterlaufen, die Unfallstelle in der ersten Nacht nicht bewachen zu lassen, und in der Tat konnte sich dadurch ein schnüffelnder Journalist dort zu schaffen machen, der etliche Spuren beschädigte und auch gleich noch für neue sorgte. Hier ging es etwa um einen Schal der Taxifahrerin, der seinen Ort gewechselt hatte. Nach Symons gestand James dieses Versäumnis nie ein. Da paßt es wie die Faust aufs Auge, wenn sich bei den Nachforschungen des Kriminalautors vor Ort der erwähnte Polizist Andy Ferguson ebenfalls stumm wie ein Fisch zeigte – er verweigerte jede Auskunft.
~~~ Wie sich versteht, fragt sich Symons am Ende seiner Betrachtung, welchen Grund nun der Fremde, an den er durchaus glaubt, gehabt haben könnte, Evelyn Foster so grausam ums Leben zu bringen. Für Symons handelte er sowohl aus dem Zufall der Begegnung wie aus einem beträchtlichen kriminellen Potential heraus. Er nimmt dabei an, der Kerl habe bereits, wegen vorausgegangener Delikte, die Polizei zu meiden gehabt. »Wahrscheinlich wollte er zunächst tatsächlich nur bis Ponteland gebracht werden.« Dann veranlaßten ihn vielleicht indiskrete Fragen seiner Fahrerin oder die Angst, sie könne ihn wiedererkennen, zu einem Meinungsumschwung. Oder der bloße Umstand, mit ihr allein auf dem Moor zu sein, habe »seine sadistischen Triebe« angestachelt, »die es ja bei vielen Kriminellen« gebe. Nur bei diesen? Symons kannte die Opferzahlen des von Tony Blair befeuerten Irakkrieges von 2003 noch nicht; allerdings sollte er von Hiroshima erfahren haben.
~~~ Hat die Londoner Webseite True Crime Library ins Schwarze getroffen**, besteht keine Aussicht mehr, den wahren Mörder Evelyn Fosters auszuknobeln. Nach dieser Quelle war es nämlich der Pferdepfleger Ernest Brown, der genau zwei Jahre nach Fosters Tod bei Tadcaster, York-shire, seinen Boß erschoß, einen Farmer – selbstverständ-lich wegen der Farmersfrau. Man fand den Erschossenen im Wrack seines Autos sitzend – Brown hatte die betreffende Garage angezündet. Der Tatort liegt rund 100 Meilen von Otterburn entfernt. Hinsichtlich des Alters sowie des Auftretens passen Fosters Angaben recht gut auf Brown, der (anderen Webseiten zufolge) im Februar 1934, wohl mit 35, im Armley-Gefängnis, Leeds, gehängt wurde. Vorher soll ihn ein Kaplan aufgefordert haben, die Chance zu nutzen, seine Sünden zu bekennen und so mit Gott seinen Frieden zu machen. Henker Tom Pierrepoint habe anschließend versichert, Brown hätte beim Anlegen der Schlinge gemurmelt: »Otterburn.« Belege werden nicht gegeben.
~~~ Diese Spur ist der zuständigen Polizei keineswegs unbekannt, wie aus einem jüngeren Bericht des Regionalblattes Chronicle hervorgeht.*** Nur fehlten leider Beweise. Deshalb habe der Fall, so Tony Stevens von der Northumbria-Polizei, nach wie vor als ungelöst zu gelten. Der Fall Foster hat bereits einen Schwung von Artikeln und sogar Büchern hervorgebracht. Wenn Sie darin auf interessante Fingerzeige stoßen sollten, gönnen Sie mir bitte eine Nachricht.

* Julian Symons, »The Invisible Man (Der unsichtbare Mann)«, übersetzt von Ruth Sander und veröffentlicht im Sammelband Aufgeklärt! Ungesühnt!, Hrsg. Richard Glyn Jones, ursprünglich in Englisch 1987, hier Lizenzausgabe Augsburg 1999, S. 125–39
** »Evelyn Foster«, Stand 2015: https://www.truecrimelibrary.com/crimearticle/evelyn-foster/
*** Lisa Hutchinson, »The horrifying 1930s murder of a taxidriver …«, ChronicleLive 5. Januar 2019, online: https://www.chroniclelive.co.uk/news/local-news/horrifying-1930s-murder-taxi-driver-15633418

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