Donnerstag, 2. Januar 2025
AZ 1–3 (PAL) Folge 1
Abkürzung – Anarchismus, Lager
Abkürzung – Anarchismus, Lager
ziegen, 13:12h
Abkürzung
Das Spruchband mit der anarchistischen Forderung, sein Handeln gefälligst mit seinem Denken in Übereinstim-mung zu halten, läßt sich immer leicht abschmettern, beispielsweise indem man Brecht/Weills Dreigroschen-oper-Liedchen von der »Unzulänglichkeit allen menschlichen Strebens« pfeift oder an zwei Händen sämtliche »Sachzwänge« aufzählt, die das Bemühen um jene Übereinstimmung gerade durchkreuzten. Deshalb werden wir vielleicht über den US-Demokraten Wickliffe, der seinen Angelweg 1912 unter Mißachtung eines Warnschildes über Bahngeleise abkürzte, nur lächeln. Der hiesige Politiker Sascha Wagener (1977–2011) war sogar noch mehr scherbarthDemokrat, nämlich Mitglied des Vorstandes der Partei der Anmaßung Die Linke und Leiter von deren Freiburger Regionalbüro im Breisgau, als er sich am 13. März 2011 im Bahnhof Lahr (am Schwarzwald) anschickte, die Bahnsteige nicht durch die Unterführung, vielmehr über die Gleise zu wechseln. Wagener kam an diesem frühen Sonntagmorgen aus einer Discothek.* Auf den Gleisen brauste ein Güterzug heran und tötete den 33jährigen, zufällig rothaarigen Sozialisten. Die offiziellen Parteiverlautbarungen vermieden es allerdings, das Publikum oder die WählerInnen mit den Einzelheiten des wieder einmal »tragischen« Unfalls zu belästigen. Sie stellten lieber Wageners vorbildliche Seiten heraus.
~~~ Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich predige keine blinde Gesetzestreue. Obwohl ich ungleich mehr Zeit habe als unsere BerufspolitikerInnen, pflege ich zum Beispiel nie an roten Fußgängerampeln zu warten, sofern kein Auto in Sicht ist. Das deckt sich mit meinem Denken, wonach es sich bei der Straßenverkehrsordnung um einen Bestandteil eines von Beschleunigungswütigen und Profitgierigen errichteten Terrorregimes handelt. Die kleinen Kinder sind kein Gegenargument. Man sollte sie nie an Terrorregime gewöhnen. Ja, besser noch, man sollte sie, heutzutage, gar nicht erst in die Welt setzen, denn der Auftrag, sie erzieherisch auf dieselbe vorzubereiten, ähnelt für alle Beteiligten auch schon einer Folter oder wenigstens der Quadratur des Kreises.
~~~ Ich komme auf Robert C. Wickliffe (1874–1912) zurück. Auch dessen politische Laufbahn endete nicht ganz so vorbildlich, wie sie begonnen hatte. 1898 hatte der junge Rechtsanwalt als Soldat einer Infanterieeinheit aus Louisiana am »Spanisch-Amerikanischen Krieg« teilgenommen, der den USA unter anderem Kuba einbrachte. Er überlebte ihn sogar, obwohl er sicherlich auch dann als Vorbild gepriesen worden wäre, wenn er ihn nicht überlebt hätte. Später Bezirksstaatsanwalt in Louisiana sowie Mitglied des US-Repräsentantenhauses in Washington D.C., ging er im Sommer 1912 ebendort angeln. Nach verschiedenen Quellen betrat er bei diesem Jagdvergnügen, Warnschildern zum Trotze, unweit des Potomac Parks eine Gleisanlage, genauer Eisenbahn-brücke.** Vermutlich wollte er dort nicht angeln, vielmehr einen Weg abkürzen, etwa zum Fluß Potomac. Prompt wurde der 38jährige Politiker der »Demokraten« von einem Zug erfaßt, der ihn wohl auf der Stelle tötete. Seine Frau sei, als man ihr im Capitol die Nachricht vom Auffinden der Leiche beibrachte, in Ohnmacht gefallen.
~~~ Bräche ich diesen Eintrag an dieser Stelle ab, hätte ich, nach drei Absätzen, schon die vierte Abkürzung beigebracht. Vielleicht ist nicht jedem klar, wie sehr wir im Zuge der Zivilisation zu ganz eingefleischten AbkürzerInnen geworden sind. Wir lassen bei Frost eine Haustür aufstehen, um sie eine Minute später, wenn wir aus dem Brennholzschuppen zurückkehren, nicht schon wieder öffnen zu müssen – womit wir drei Sekunden Zeit und drei Gramm Muskelaufwand gespart hätten, freilich nicht unbedingt Brennholz. In Grünanlagen legen wir übereck Trampelpfade von 1,70 Meter Länge an, ich habe sie gemessen. Mancher führt drei Prozesse, um seine Post nicht vom Gartentor abholen zu müssen. Unangenehme Dinge preßt er kurzerhand in Schablonen, beispielsweise Herzversagen, Hexe, Ausländer, Schadensbegrenzung, VerschwörungstheoretikerIn. So mancher lehnt es sogar entrüstet ab, sich zum Urinieren auf der Kloschüssel nieder zu lassen, falls er ein Mann ist. Wie er denn dazu käme, poltert er, sich eines natürlichen Standortvorteils zu begeben!
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H. R.), 2022
* http://www.badische-zeitung.de/lahr/linke-politiker-aus-freiburg-stirbt-nach-discobesuch-in-lahr—42648527.html, 14. März 2011
** https://bioguide.congress.gov/search/bio/W000443
Brockhaus kennt musikalische und sprachwissenschaft-liche Abkürzungen – nur das grundsätzliche Phänomen ist ihm unbekannt. Er hat nie beobachtet, welche gewaltige Rolle das Abkürzen in allen anderen Lebens- und Denkbereichen spielt. Er kennt keine Trampelpfade, die ausgedehnte Straßenecken zu handlichen Käseecken machen. Möglicherweise eilt er, um Zeit und Mühe zu sparen, gelegentlich ohne Mantel zum Brennholzschup-pen. Das Brennholz steckt er dann zusätzlich in seinen Ofen, um eine drohende Lungenentzündung abzuwenden. Also viel gespart. Der Brockhaus-Redakteur hat in seinem neuen Eigenheim sowieso Wärmepumpen-Heizung. Von deren Richtung Gartenzaun abgestrahlten Lärm wird ja nur der Nachbar krank – viel gespart. Auf das Anbringen eines Hakens für die Leiter des Dachdeckers hat er zuletzt verzichtet, einmal aus Kostengründen, ferner weil er endlich einziehen wollte. Später verzichtet er sogar auf den Dachdecker selber, denn durch seine lexikalischen Arbeiten ist der Redakteur schon fast Universalfachmann. Somit reinigt er den Schornstein eigenhändig. Als er auf dem Rückweg aufgrund nasser Dachziegeln ausrutscht, holt er sich durch einen Sturz Prellungen und Blutergüsse, die für drei Wochen Krankschreibung reichen. Die »Lohnfortzahlung« ist im Buchhandelspreis des Brockhaus einbegriffen. Wieder im Dienst, macht er in seinen Lexikon-Einträgen allerdings hier und dort Absätze. Er merkt es nur nicht. Feierabends kürzt er Verhand-lungen mit Frau oder Sprößling durch Schimpfkanonaden oder Ohrfeigen ab. Anderntags fällt ihn mitten in Mannheim ein Köter an. Die ärztliche Behandlung der eiternden Hundebißwunde schiebt er jedoch hinaus, weil er denkt: Ich habe zu tun; im Jenseits gibt es sowieso keine Hunde. Hoffen wir es.
~~~ Das allgegenwärtige Abkürzen erfolgt also mal aus guten, mal aus fadenscheinigen, mal aus geradewegs kontraproduktiven Gründen. Selbst Bequemlichkeit rächt sich oft. Ob einer mehr das Abgekürzte oder mehr das Ausufernde schätzt, dürfte eine Frage des nie gewählten Naturells sein. Am Gesellschaftssystem kann es kaum liegen, da uns zum Beispiel der postmoderne IT-Kapitalismus genauso oft mit verkürzender Ober-flächlichkeit abspeist, wie er uns mit Scheiße überschwemmt. Die dringt uns dann gern bis ins Mark. Wobei sich die genannte Abspeisung auch gern der Lüge bedient, die bekanntlich kurze Beine hat. Allerdings gibt es kaum ein Sprichwort, das nicht ebenfalls eine Verkürzung wäre. Dafür werden uns die Lügen unserer Staatsober-häupter, die sie »Reden« nennen, in der Regel mindestens 30 Minuten lang, nicht selten sogar über zwei oder vier Stunden hinweg serviert.
~~~ Den Weltrekord könnte Grigori Jewsejewitsch Sinowjew halten. Laut einer Willi-Münzenberg-Biografie wurde der hohe Sowjetrusse 1920 auf dem KPD-Parteitag in Halle sieben Stunden lang nicht müde, den Delegierten die Unterwerfung unter die Komintern schmackhaft zu machen.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H. R.), Folge 1, November 2023. Die Arbeit bezog sich durchweg auf meine 24bändige Brockhaus Enzyklopädie der 19. Auflage, erschienen 1986–94.
Wahrscheinlich werden Sie wissen, was ein Mofa ist – aber Mefo ..? Auf die Mefo-Wechsel stieß ich erstmals im dritten Band von Hans Motteks Wirtschaftsgeschichte. Brockhaus kennt sie auch. 1934–38 gaben die Nazis mit Hilfe einer Scheingesellschaft Wechsel aus, durch die sie einen Teil ihrer Rüstungsausgaben vernebeln und geheimhalten konnten. Dadurch wurden die Rüstungsbosse um mindestens 12 Milliarden Reichsmark fetter, allerdings beschleunigte dieses »Instrument« auch die Inflation. Die Scheingesellschaft hieß, langatmig gesagt, Metallurgische Forschungsgesellschaft m.b.H. Flott abgekürzt, hieß sie eben Mefo.
~~~ Nahm ich mich schon früher unserer Vorliebe für Abkürzungen an, ob Trampelpfade oder Sammelbegriffe, habe ich doch die Stutzung von Worten vernachlässigt. Auch sie dient sicherlich der Beschleunigung und Vereinfachung unseres Verkehrs, manchmal auch der Verniedlichung. Durch »Abi« und »Uni« ist eigentlich nicht sonderlich viel eingespart, aber es verleiht den Ausbildungseinrichtungen einen Kosenamen-Hauch. Wer diese Stutzungen kritisieren will, kann sich vielleicht auf meine Ausführungen gegen Fremdworte stützen. Sie sind oft unanschaulich, jedenfalls in der ersten Zeit oder für gewisse Bevölkerungskreise. Was sollte sich meine Großmutter Helene, immerhin Lehrerstochter, unter einem Mofa oder einer Mefo vorstellen? Somit wirken viele Abkürzungen auch ähnlich einschüchternd wie Fremdworte. Sie gehören dem Bezirk der »Insider« und der Jägerlateiner an. Damit will ich nicht verlangen, Sie müßten immer brav »Bundesausbildungsförderungs-gesetz« sagen, wenn sie Bafög meinen. Was Sie aber tun können: Unser Bildungssystem verächtlich machen, gewisse BundesminsterInnen auf den Bafög-Höchstsatz setzen und den allgemeinen Beschleunigungswahn geißeln, bei dem nicht nur die Sorgfalt unter die Räder kommt.
~~~ In Stuttgart 21, dem bekannten Größenwahn-hofsprojekt, ziehen die schwäbischen Bosse gerade ihr Brandbeschleunigungsding durch, heißt es im Internet. Diese Abkürzung kann im Ernstfall (Tunnelbrand) verdammt teuer werden, nur nicht für sie, denn sie fliegen.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H. R.), Folge 25, Juni 2024
Der berühmte deutsche Bankier Hermann Josef Abs weilte 1986, im Erscheinungsjahr des ersten Bandes, noch unter uns. Vielleicht hat ihn Brockhaus deshalb so erstaunlich behutsam behandelt. Sein nachhaltiges Wirken im deutschen Faschismus wird lediglich durch den Hinweis angedeutet, 1938 sei er Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG geworden. Schon wendet sich sein Wirken ins Segensreiche, nämlich in der Nachkriegszeit. Wiederholt Delegationsleiter bei internationalen Verhandlungen, habe er »eine wichtige Grundlage für die Wiedergewinnung des ausländischen Vertrauens als Voraussetzung für den Aufbau der deutschen Wirtschaft« geschaffen. Das ist schon ein starkes Stück. Erst hilft Abs federführend dabei, die deutsche Wirtschaft und das ausländische Vertrauen in den Abgrund zu stampfen, dann baut er beides wieder auf. Der verweisende Pfeil auf den Eintrag über die Deutsche Bank ist Augenwischerei, geht dieser Eintrag doch ähnlich schonend zu Werke.
~~~ Nebenbei hätten wir mit »der Wirtschaft« und der »Deutschen Bank« schon wieder zwei Hüllworte gefangen. Im ersten Fall ist das Kapital, im zweiten eine Privatbank gemeint, die sich geschickterweise einen amtlich-patriotischen Anstrich gab und gibt. Heute dürfte kaum ein Winkel des Planeten zu finden sein, an dem sie nicht mit an vorderster Stelle Geld verdient – für ihre Großaktionäre, voran BlackRock.
~~~ Wie es aussieht, ist Abs nach wie vor, seit 1991, Ehrenbürger der Stadt Frankfurt am Main. Dazu das folgende Streiflicht. Im Dezember 2013 wurde im Frankfurter Römer eine Gedenktafel zum Auschwitzprozeß eingeweiht. Nach diesem Akt schritt die Stadtverordnete Jutta Ditfurth von der ÖkoLinX-Antirassistischen Liste im Römer zu einer im selben Saal angebrachten Tafel mit den Namen Frankfurter EhrenbürgerInnen und überklebte den Namen des früheren Chefs der Deutschen Bank Hermann Josef Abs, gestorben 1994 mit 92 Jahren, mit einem Papierstreifen, auf dem zu lesen war: »Abs war Chefbankier der Nazis und mitverantwortlich für Krieg, KZ, Massenmord, Raub und Versklavung. Max Horkheimer und Fritz Bauer sollen durch die Nähe zu seinem Namen nicht beleidigt werden.« Wie sich versteht, erntete sie seitens aller anwesenden staatstreuen PolitikerInnen wütende Proteste. Ein Hausmeister entfernte den Klebestreifen. Ditfurth kündigte die Wiederholung ihres offiziellen Antrages im Stadtparlament an, Abs die Ehrenbürgerwürde wieder abzuerkennen. Vermutlich wird er scheitern wie der erste.
~~~ Soweit der Rückblick nach Frankfurt am Main. Die Stadt Mannheim scheint bislang keine Abs-Straße vorweisen zu können. Vielleicht ließe sich da etwas deichseln. Ich denke bevorzugt an die Straße, die im Jahr 1986 Sitz der F.A. Brockhaus GmbH war.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H. R.), Folge 1, November 2023
Achtundsechzig (1968)
An seinem kalkhaltigen Südhang hätte ich die heimische Orchideenvielfalt studieren können. Doch machte mich Botanik um 1970 noch nicht manisch. Ich warf mich lieber auf Baran/Sweezys Monopolkapital und Karl Marx höchstselbst. Andere wichtige Bestimmungsbücher hatten Adorno/Horkheimer geliefert. Ich verfügte über ein helles Praktikantenzimmer in Hessens linker Hochburg, dem Landesjugendhof auf dem Dörnberg. Zur freien Kost gesellten sich etliche »Referenten«-Honorare, denn das Haus veranstaltete rund ums Jahr Seminare.
~~~ Der beherrschende Löwe des Dörnbergs hieß Gerhard Büttenbender. Er sprach wie Adorno, sah aber nicht so aus. Um 30, mittelgroß, war sein markanter Schädel von der blonden Mähne gekrönt. Da sein Adornitisch einen mainfränkischen Akzent besaß, ließ sich der kehlige Klang nicht unbedingt seinen 40 täglichen Rothändl-Zigaretten anlasten. Er blies gern durch die Nüstern. Er bewegte sich lässig und lachte häufig wiehernd, was sein Löwenhaupt zum Pferdeschädel machte. Sein Busenfreund war Adolf Winkelmann. Mit diesem aufstrebenden Filmemacher aus dem nahen Kassel teilte Kunstpädagoge Büttenbender fast jede Vorliebe. Man hörte Warhols Velvet Underground und Tiny Tim, fuhr Limousinen von Volvo und heiratete »die Zwillinge«. Man achtete selbstverständlich auf feine Unterschiede. Während Adolf einen silberfarbigen modernen Volvo mit Fünfganggetriebe fuhr, hatte Gerhard eine Antiquität ergattert. Sein olivgrüner Volvo ähnelte den buckligen Gangsterkarossen und hatte hellbraune Ledersitze.
~~~ Bei einem Autounfall wurden die Zwillinge schwer verletzt, genasen jedoch. Adolf war die schöne Jutta, Gerhard die schöne Gisela zugefallen. KennerInnen konnten sie stets auseinanderhalten. Sogar ich. Obwohl schon 19, hatte die antiautoritäre Freizügigkeit meine christliche Verklemmtheit nicht zu knacken vermocht. Ein Jammer angesichts des jugendhofeigenen Hallenbads, das sich für nächtliche Orgien geradezu anbot. Einmal besuchte mich Barbara, diese Nymphe aus Bad Oeynhausen, von deren verblüffend prallen Brüsten ich bis heute träume. Ich konnte sie noch nicht einmal in mein Bett bewegen; sie saß nur mit entblößtem Oberkörper auf der Kante. Sie hätte mir die Verklemmtheit bestimmt genommen, weil sie noch verklemmter war.
~~~ Immerhin griff die Aufklärung auf einem anderen Gebiet. Barbara hatte unlängst an einem Seminar teilgenommen, das Winkelmann und der Marburger Psychologe Christian Rittelmeyer leiteten. Hier floß lediglich Theaterblut. Es handelte sich um eine nordhessische Variation auf die berühmten Folter-Experimente Stanley Milgrams. Der US-Psychologe hatte in Versuchsreihen nachgewiesen, daß die nettesten Menschen zu Sadisten werden, wenn man sie autoritären Strukturen unterwirft. Sie quälen eine ihnen unbekannte Versuchsperson (mit Elektroschocks) nicht etwa aus »natürlicher« Aggressivität, sondern weil sie sich in dem weltweit beliebten »Befehlsnotstand« wähnen. Adolf Winkelmann bediente sich der Autorität einer Filmproduktion. Die vor der Kamera an einen Stuhl gefesselte Versuchsperson sollte »nur« aus rein wissenschaftlichen oder ästhetischen Gründen geohrfeigt werden. Der betreffende Seminarteilnehmer hatte die Heftigkeit der Ohrfeigen zu steigern. Wie sich zeigte, schlugen einige TeilnehmerInnen auch dann weiter, wenn dem Gefesselten bereits das Blut aus den Mundwinkeln rieselte. Das war das Theaterblut. Unser Mann hatte Farbbeutelchen im Mund gehabt und zur geeigneten Zeit zerbissen.
~~~ Im zweiten Teil des Seminars schloß sich an die Enthüllung der Vorwände eine Erörterung des Experimentes an. Als Mensch, der aus solcher abenteuerlichen Jugend tatsächlich etwas gelernt hat, fühle ich mich zuweilen stark in der Minderheit. Außer einer Handvoll Kommunarden, Sträflingen und vielleicht Jutta Ditfurth sind sie alle umgefallen. Sie sind das ewige Moralisieren über den deutschen Faschismus leid. Sie führen weltweit Krieg, weil unser germanischer »Standort« mal wieder zu eng wird und uns »mehr Verantwortung« diktiert. Sie beteuern, wenn es die Staatsräson erfordere, müsse man auch einen Airbus voller Zivilisten abschießen. Auf dem kahlen Teil des Dörnbergs wird bis heute Segelflug betrieben.
∞ Verfaßt um 2007
Ein heiliges Biotop --- Wäre ich eine sendungsbewußte Frau, würde ich meinen zukünftigen Anhängern das Reformkleid, die Gesundheitssandale oder Heilung ihrer Leiden durch Mesmerismus versprechen, wie beispielsweise Darwins Zeitgenossin Harriet Martineau. Pückler-Muskau suchte auf der Rückreise von Ägypten (1838) im Libanon Lady Hester Stanhope auf, die bei Beirut in ihrem Felsenschloß Dahar-Dschuhn einsiedelte. Der Aufenthalt des Fürsten bei der 62jährigen, schon zu Lebzeiten berühmten Exzentrikerin und Astrologin habe »in der Weltpresse fast genauso viel Beachtung wie seine Freundschaft mit Mehemed Ali« gefunden, versichert Heinz Ohff (1991). Die Deutsche Sabine Lichtenfels tat sich 1995 mit Dieter Duhm zusammen, um auf einem 134 Hektar großen Gelände in Südportugal Tamera, nämlich die soundsovielste »spirituelle« Lebensgemeinschaft dieses Planeten aus der Taufe zu heben. Lichtenfels soll sogar einen Privatsekretär haben.
~~~ Offenbar hat sich für viele Veteranen der antiautoritären Bewegung (von 1968) nur die Alternative angeboten, Minister oder Guru zu werden. Lichtenfels‘ Kompagnon ist alten 68ern kein Unbekannter. Dieter Duhm zählte zu den heimlichen Cheftheoretikern der psychologisch ausgerichteten Fraktion des SDS. Er machte besonders durch das 1972 veröffentlichte Buch Angst im Kapitalismus auf sich aufmerksam. 2001 kam er sozusagen auf die Bibel zurück: er legte das Buch Die heilige Matrix vor. In Tamera gehört es, soweit ich weiß, zur Pflichtlektüre.
~~~ Diese Aussage möchte ich allerdings nicht beschwören. Leider liegt es in der Natur »spiritueller« Siedlungen, etwas undurchsichtig zu sein. Auch Vera Sprosse mußte das erfahren. Kurz bevor sie (2009) ihre Kommune verließ, um sich mit Freundeshilfe ein Einsiedlerinnen-Häuschen zu errichten, sah sie sich nach möglichen Alternativen um. Allerdings war Südportugal verdammt weit weg. Sie hatte nur gehört, im Heilungsbiotop Nr.1 – so der bescheidene offizielle Name der Lebensgemeinschaft – lebten derzeit rund 150 Leute, die sich mit Wiederaufforstung des eher kargen Siedlungsgeländes, mit gleichfalls Häuschenbau und mit Meditieren oder auch Beten (ohne Doppel-e) befaßten. Als sie sich auf der Webseite von Tamera ein Bild von den Eigentumsverhältnissen und Verwaltungsstrukturen machen wollte, erfuhr Vera Sprosse so gut wie nichts. Es stimmte sie auch befremdlich, daß im Internet kaum Presseveröffentlichungen über das Projekt zu finden waren. Im Reisebericht eines Besuchers (2004) las sie, Artikel seien unerwünscht – angeblich wegen zuvielen schlechten Erfahrungen mit Verzerrungen oder gar Verleumdungen. Durch Geheimpolitik, sagte sich Vera Sprosse, fordert man solche allerdings gerade heraus.
~~~ Mit Verweis auf die schlechte Quellenlage stellte sie Tamera per Email ein paar gezielte Fragen mit der Bitte um Auskunft oder Hinweis auf Quellen. »Wie sind die Eigentums- und Einkommensverhältnisse, welche Entscheidungsgremien gibt es, arbeiten sie nach dem Konsensprinzip oder mit Abstimmungen, gibt es eine Verfassung, wie werden die neuen Beschlüsse verkündet und notfalls durchgesetzt, gibt es Ordnungskräfte, wie weit unterliegt die Siedlung den portugiesischen Gesetzen und bürokratischen Strukturen.« Das Tamera-office dankte ihr prompt für die »tollen« Fragen, doch gebe es dazu »keine Generalaussagen«. »Eine lebendige Gemeinschaft lebt von sich wandelnden Entscheidungen und Strukturen. Aus diesem Grund findest Du auch nichts im Internet, weil wir es ständig aktualisieren müßten.« Deshalb empfehle sich ein Besuch, am besten anläßlich einer der auf der Homepage angekündigten Einführungswochen. Vera Sprosse sah sogleich nach: bei Zeltunterbringung koste die Einführungswoche für Erwachsene 280 Euro. Hinkommen mußte man beziehungsweise Vera Sprosse natürlich auch noch – Luftlinie Hamburg–Lissabon 2.200 Kilometer.
~~~ Aus im Internet verstreuten Bemerkungen von Besuchern ergab sich für Vera Sprosse das folgende lückenhafte und ungesicherte Bild. Das Gelände und die meisten Gebäude gehören wahrscheinlich Duhm und Lichtenfels. Neue Mitglieder dürfen frühstens nach einem Jahr der Zugehörigkeit Häuser errichten – die privat zu finanzieren sind. Alle BewohnerInnen zahlen eine Miete. Ob sie dafür zumindest von einer zentralen Küche unentgeltlich versorgt werden, bleibt unklar. Sofern sie bestimmte Gemeinschaftsaufgaben übernehmen, werden sie entlohnt. Das meiste Geld wird im Ausland verdient. Zudem treibt die »Kerngruppe« der Gemeinschaft beträchtliche Spendengelder für diverse »Friedenspro-jekte« in nah und fern auf (etwa Kolumbien, Palästina); ob diese Einnahmen transparent gemacht werden, weiß Vera Sprosse nicht. Da die Gemeinschaft selbstverständlich das vielbeschworene »Positive Denken« hochhält, ist es vielleicht auch positiv gedacht, wenn neue SiedlerInnen den Gurus und der Kerngruppe kurzerhand vertrauen. Diese Kerngruppe besteht aus 15 Personen, die wahrscheinlich nicht demokratisch legitimiert sind. Sie betonen jedoch, für alle wesentlichen Entscheidungen werde auf dem Plenum der Gemeinschaft der Konsens gesucht. 2004 teilt Duhm auf dem Plenum mit, nach eingehenden Erörterungen in der Kerngruppe gebe es zukünftig nur noch fünf Arten (oder Klassen?) der Zugehörigkeit. Worin die Abstufungen bestehen mögen, konnte Vera Sprosse nicht ergründen.
~~~ Jeder Tag in Tamera beginnt mit einer Art Andacht, wohl von Kerngrupplern abgehalten. Duhms Heilige Matrix scheint als Bibel zu fungieren. Das von einem Kerngruppler geleitete regelmäßige Forum dient der Selbsterfahrung und Konfliktbewältigung. Möglicherweise wird hier ein nicht geringer (seelischer) Anpassungsdruck aufgebaut. Die Atmosphäre in der Siedlung wirkt unfroh. Die Gäste erfahren vor allem Belehrung. Einige sprechen unverhohlen von einer erschreckenden geistigen Enge. Ich erinnere an den Buchtitel Angst im Kapitalismus. Dafür wird die »freie Sexualität« noch hochgehalten, die ja 1968 sozusagen ein Muß war. Besitzansprüche und Eifersucht sollen sich mit der Emanzipation der TameranerInnen erübrigen. Junge Männer können von erfahrenen Frauen in die Liebe eingeführt werden. Duhm und Lichtenfels haben eine Tochter, die schon zu den Aktivisten zu zählen scheint. Die Kinder und Jugendlichen der Siedlung werden hauseigen unterrichtet. Es gehe vor allem darum, sie zu einem friedlichen Miteinander zu befähigen.
~~~ Um eine Vorstellung von den theoretischen Grundlagen des Tamera-Projektes zu erlangen, verordnete sich Vera Sprosse die Lektüre eines Aufsatzes zum Krieg, den Duhm im März 2003 auf seine Webseite (heilige-matrix.de) gestellt hatte. Dort stand er (2009) noch immer. Sie überging ein Lob für den angeblichen Freund des irakischen Volkes und des Friedens Kanzler Schröder, um sich, mit Duhm, unserer Kultur im allgemeinen zuzuwenden, die er völlig zurecht barbarisch nennt. Sie beruht von vorne bis hinten auf Gewalt. Wir knechten die Dritte Welt, die Natur, die Tiere. Was wir den Tieren zufügten, täten wir früher oder später auch Menschen an. Hier verlockt es die Skeptikerin allerdings zu der Folgerung: »Was die Tiere den Pflanzen zufügen, tun sie früher oder später auch Ihresgleichen an.« Genau so verhält es sich ja auch. Nach Vera Sprosses Einblicken als alte Wanderfreundin handelt es sich bei der schönen Natur um ein einziges Fressen und Gefressenwerden. Pilze befallen Bäume, Elefanten trampeln Orchideen nieder, alles saugt Mutter Erde aus. Duhm sieht davon lieber ab. Damit kündigt sich bereits sein durchaus nicht neues, typisches Heilsversprechen an: er glaubt Zustände ohne Angst, Gewalt, Gegensätze erreichen zu können, kurz die heile Welt. Das verdankt er vermutlich seinem christlichen und seinem marxistischen Erbe.
~~~ Bekanntlich gingen im Frühjahr 2003 weltweit viele Millionen Menschen, darunter Vera Sprosse, gegen den drohenden Irakkrieg auf die Straße. So ermutigend solche Massendemonstrationen auch seien, schreibt Duhm, hätten sie gleichwohl noch niemals zu grundlegenden Änderungen geführt. Auch darin pflichtet ihm Vera Sprosse heute bei. Statt einer »Globalisierung« der Gewalt bedürfe es einer des Friedens. Wenn die meisten 68er in den Schoß des Imperialismus zurückkehrten, dann weil ihnen eine andere Perspektive fehlte. Sie liegt in einer Neuausrichtung unserer Lebenskraft. Diese universelle, göttliche »Ki« hat bislang mit unseren gesellschaftlichen Mustern und Strukturen das falsche Kanalsystem gehabt. Durch »Reki« kann sie zu einem Leben in Harmonie und Freude führen. Dies der Sinn der Heilungsbiotope.
~~~ Alle imperialistischen oder rassistischen Kriege, die äußerlich um Öl, Gebiete, Macht geführt werden, verlängern elementare innere menschliche »Konflikte um Liebe und Verlassenheit, Sexualität und Religion, Anerkennung und Verurteilung, Verletzung und Rache, uneingelöste Sehnsüchte nach Eros, Heimat und Gemeinschaft«. Das geschieht, wenn eine Kultur die leiblichen und weiblichen Regungen unterdrückt und in ihren Kindern die »positiven« Lebenskräfte bricht. Auch Hitler, Saddam oder Bush sind solche gebrochenen Kinder gewesen. »Das innere Drama der Menschheit muß aufgelöst werden, wenn wir eine Erde ohne Krieg erzeugen wollen. Solange in der Liebe Krieg ist, kann es keinen Frieden in der Welt geben. Das gilt für uns im Westen genauso wie für die Wüstensöhne Allahs oder die jüdischen Glaubensbrüder des Alten Testaments. Eine Religion, die uns von der sinnlichen Liebe und von der großen Freude der Geschlechter trennt, wird immer Krieg verursachen. Wir erleben jetzt die Endphase eines Zeitalters, wo fast die ganze Menschheit geglaubt hat, dadurch fromm und tugendhaft zu sein, daß sie ihre innersten Sehnsüchte bekämpft. Am Ende dieses Zeitalters erkennen wir den realen Schmerz, den wir uns und allen Wesen zugefügt haben durch die Tradition unheimlicher Liebesverbote.«
~~~ Diese Analyse klingt zunächst überzeugend, doch bei näherem Hinsehen scheint sie eher aus der Zeit vor 1968 zu stammen. Seitdem ist die sinnliche Liebe doch gerade umgekehrt enthemmt worden. Über Sexualität spricht man heute wie übers Zähneputzen – und nimmt sie auch ähnlich vor. Jeder Wunsch wird uns (am Markt) erfüllt. Nur die Zähne zieht uns keiner. Duhms »psychologischer« Ansatz ist natürlich ehrenwert; die Anarchisten sagen schon immer, ohne Arbeit an unseren Verwundungen und Verhärtungen sei auf »neue Produktionsverhältnisse« kein Pfifferling zu geben. Unsere Handvoll linker Kommunen – in Deutschland um die Kommuja geschart – versuchen diesen Weg zu beherzigen. Doch wieviele Konflikte machen ihnen das Leben schwer, wieviele guten Absichten sind in dieser Szene schon gescheitert, wieviele Kommunen kümmern vor sich hin! Dabei werden die Konflikte und die Bankrotterklärungen gar nicht so selten unter den Teppich gekehrt. Die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) verbietet ja Vorwürfe. Niemand muß sich ändern, wenn er nicht will. Was als Verständigung oder Konsens ausgegeben wird, beläuft sich oft auf die Befolgung von Durchhalteparolen, Zweckoptimismus, Treue dem Projekt gegenüber – um nicht von Gehorsam dem Gruppenglauben und den Gurus der Gruppe gegenüber zu sprechen. Ob das in Tamera nennenswert besser läuft? Angesichts der undurchsich-tigen Strukturen fürchtet Vera Sprosse eher das Gegenteil. Alles riecht nach Sekte.
~~~ Zum Krieg treiben Kräfte, »die aus der Zerstörung von Liebe und Leben ihren Profit ziehen«, stellt Duhm weiter fest. Konsum und Gehirnwäsche seitens der Medien täten das Ihre hinzu, diese Wahrheit zu beschönigen und zu verdrängen. Die Wahrheit würde eine tiefe, unheimlich tiefe Unruhe verbreiten. »Da helfen keine spirituellen Ruheübungen, wie sie in den esoterischen Ratgebern unserer Zeit empfohlen werden.« Auch die Rechtfertigung diverser Grausamkeiten durch den Hinweis auf ein »Karma« sei verwerflich. Es gehe nicht mehr nur um Kerzen und stille Gebete, sondern eine neue Art des Handelns und Lebens. Duhm habe sie in seinem Buch Die heilige Matrix umrissen. Ob sie darin noch genauer dargelegt wird als in der folgenden Beschwörung, die bei Lichte betrachtet nur aus Phrasen besteht?
~~~ >>Wir brauchen ein neues Konzept für das Leben auf der Erde und das Zusammenleben mit aller Kreatur. Wir brauchen eine neue Vorstellung vom Aufbau menschlicher Gemeinschaften und Gesellschaften: Wir brauchen Genesis II, die zweite Schöpfung, diesmal ohne Krieg. Wir brauchen ein Leben in der Liebe, wo der erste Kuß der beiden Liebenden ewig wirkt und nie mehr verraten werden kann. Wir brauchen den Anker und die Ruhe, um das Geheimnis der Liebe zu verstehen, damit wir unsere Glücksorgane entwickeln können. Alles Lernen dient letztlich dazu, die Liebe zu lernen, sagte Elisabeth Kübler-Ross. Das ist nicht mehr das Thema einer privaten Beziehung, es ist das Thema einer ganzen Kultur. Warum sollten diese gewaltigen Erneuerungen, welche die Menschen im technischen Bereich vollziehen, nicht auch zwischen Menschen möglich sein?<<
~~~ Das fand Vera Sprosse ziemlich witzig: für sie sind diese gewaltigen technischen Errungenschaften gerade ein Ausdruck unseres aggressiven Potentials. Entsprechend glaubt sie auch nicht daran, der Mensch könne sein »inneres Drama« ausgerechnet durch »Liebe« überwinden. Die Liebe ist gerade ein wesentlicher Teil des Dramas. Ganz im Gegensatz zum Tier- und Pflanzenreich verknüpfen wir sie aufgrund unseres aufgeblähten Gehirns mit den unmöglichsten Leidenschaften – etwa Zorn, Erpressung, Unterwerfung, Vergeltungssucht, Demütigung, Vernichtung – und den unmöglichsten Ansprüchen, beispielsweise Vollkommenheit und Unsterblichkeit. Soweit er es selbst beurteilen kann, ist der Mensch das einzige wahnsinnige Wesen auf diesem Planeten.
~~~ Gewiß können weder Duhm noch wir unsere jeweilige Auffassung »beweisen«. Duhm (und seine Mitstreiter-Innen) haben uns aber, neben Landbesitz, zwei Vermögen voraus. Zum einen mangelt es ihnen nicht an Sendungsbewußtsein. Sie sind Missionare. Wahrscheinlich sind sie auch bauernschlau, denn sie versäumen es nicht, ihren heilungsbiotopischen Unternehmungen sehr ähnlich wie einstmals Rudolf Steiner einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. Da wird geforscht. Man hat Institute. Man bildet aus. Für alle Frontabschnitte des Kampfes um Frieden findet man hochtrabende und nichtssagende, jedoch einschüchternde Namen. Ich verweise auf die Webseite.
~~~ Zum anderen überwölben sie ihre »wissenschaft-lichen« Einsichten in die vertrackte Lage des Menschen gleichwohl mit dem großen, geduldigen Schirm des Spirituellen, also im Klartext des Religiösen. Was wird dadurch gewonnen? Für Vera Sprosse ist dieser Schirm genau jener Teppich, unter den wir so gern unsere Konflikte, bitteren Wahrheiten und Enttäuschungen kehren: Glaube, es werde alles gut. Ki möchte es so. Ki macht es für dich – wie für jeden anderen Menschen. Mit etwas weniger polemischen Worten: Der Ki-Schirm soll die Einheit verkörpern, die wir faktisch so verdammt schwer, vermutlich sogar nie erreichen. Er stellt eine Illusion dar, unter der nur neuer Schmutz gedeiht. In Wirklichkeit ist Verständigung eine diesseitige und konkrete Sache; göttliche Sphären vernebeln sie nur. Vielleicht kein unerwünschter Nebeneffekt? Dann würde uns der Ki-Schirm daran hindern, Herrschaftsverhältnisse zu durchschauen – solche im »eigenen« Lager.
∞ Verfaßt 2012
Ich nehme an, mein zeitweiliger Jugendgenosse Bernd F. Lunkewitz (* 1947), hier und dort als »Che von Kassel« gerühmt, hätte nichts dagegen, sich just wie Guevara im Brockhaus wiederzufinden – aber wahrscheinlich muß er dazu erst einmal das Zeitliche segnen. Zur Stunde soll er Bürger des idyllischen kalifornischen Städtchens Los Angeles sein. Das heißt, er kroch unter die Schürze jenes Weltpolizisten, den nicht nur die Kubaner aus vollem Herzen hassen. Dafür ließ er 2015 Frankfurt/Main und seine dortige nette Villa im Stich. Von dieser zeigt die FR sogar ein Farbfoto.* An findig herbeigeschafften Möpsen und an zündenden Einfällen fehlte es meinem Landsmann selten. Dabei hatten seine Kasseler Eltern »bloß« eine Reinigung und eine Wäscherei betrieben. Immerhin machte er Abitur und schrieb sich an der Frankfurter Uni in Philosophie und dergleichen ein. Tatsächlich studierte er freilich eher die antiautoritäre Revolte, und ein bißchen auch den Maoismus. Dann warf er sich aber durch einen günstigen Aushilfsjob bei einem Makler just selber auf die Immobilienbranche. Er wurde reich. An seine marxistischen und philologischen Wurzeln anknüpfend, erwarb er 1991 den irgendwie doch immer noch linken Berliner Aufbau-Verlag. Es war nach der »Wende« und wirkte zunächst wie ein Paukenschlag. Allerdings soll ihm dieser Vorstoß auf den Verlegerthron, wegen unklarer Eigentumslage und womöglich auch wegen Beschiß von seiten der berüchtigten Treuhandanstalt, bis zur Stunde viel Verdruß und nach wie vor offene Rechtsstreitigkeiten eingebracht haben. Andererseits kam er dadurch ins Gespräch. Als Immobilienhai wirkt man ja eher im trüben Tiefwasser. Und seiner ausgezeichneten Finanzlage tat es offensichtlich keinen Abbruch. In Los Angeles soll er erneut in einer Villa wohnen, dazu orts- und standesgemäß Fäden zur Filmbranche geknüpft haben. Er teilt sich die Villa mindestens mit seiner Gattin Stephanie, einer Bildenden Künstlerin, die ihm drei Kinder schenkte. Bis zum Sozialismus sei es noch weit, betonte Lunkewitz kürzlich in einem lesenswerten Interview.** Seine im Grunde gut leninistischen Vorstellungen über die Entwicklung der Produktivkräfte durch ein paar hundert rundum verheerend wirkende Megakonzerne und deren anschließende Bekehrung zur Sozialisierung kann ich, um ehrlich zu sein, nur befremdlich nennen; was jedoch den Rechtsstreit um Aufbau angeht, beweisen seine Äußerungen, daß er sich keinen Blütenträumen über die Klassenjustiz der jeweils herrschenden Systeme hingibt. Insofern will ich ihm gern die Daumen drücken. Gewinnt er den Rechtsstreit, möge er mich aber bitte fragen, was er nun mit dem ganzen Zaster anfangen soll. Ich hätte da einige Ideen.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H.R.), Folge 23, Juni 2024
* https://www.fr.de/frankfurt/lunkewitz-geht-nach-kalifornien-11121883.html
** Karsten Krampitz, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159921.bernd-f-lunkewitz-sie-wussten-genau-was-sie-taten.html, Neues Deutschland (verschämt in nd umbenannt), 27. Dezember 2021
Siehe auch → Bachmann Josef → Erziehung, Schweinsblaseninsel → Band 4 Bott, Jagdschein, Kap. 6 (Antifaschismus) → Band 5 Schnitzeljagd
Adenauer, Emma (1880–1916), Lehrerin, Tochter des Kölner Versicherungsdirektors Emmanuel Weyer und Nichte Max Wallrafs, von dem ihr zukünftiger Gatte 1917 das Amt des Kölner Oberbürgermeisters erben sollte. Sie hatte den nahezu mittellosen Jura-Assessor Konrad Adenauer 1901 im Tennisclub Pudelnaß kennengelernt. Sie schenkte ihm ihr Herz und damit auch gleich die Eintrittskarte zu ihren gesellschaftlichen Kreisen. Man sollte meinen, als Frau Adenauer (seit 1904) hätte sie locker zwei von deutschem Boden ausgehende Weltkriege überstehen und Frau Bundeskanzler werden können. Doch seit der Geburt ihres ersten Kindes war sie nierenkrank, und nach zwei weiteren Kindern wurde ihr (1916) mit 36 Jahren eine Pilzvergiftung zum Verhängnis, an der sie starb. So stieg Konrad kurz darauf ohne sie zum Oberbürgermeister auf. Offenbar hatte er zufällig nicht mitgespeist, oder er war bereits so resistent gegen giftige Pilze wie nach 1945 gegen die Faschisten, mit denen er sich in seinem Mitarbeiterstab umgab. Adenauer wurde 91 – noch älter als Hindenburg, und fast dreimal so alt wie seine erste Gattin.
~~~ An mir hätte Direktor Emmanuel Weyer keine Freude gehabt. Von den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtversicherungen einmal abgesehen, besitze ich von Jugend an nicht eine Versicherung. Ich denke, ich habe viel Geld gespart. Als mich einmal ein Vermieter wegen meiner fehlenden Haftpflichtversicherung mit der Aussicht konfrontierte, meine Waschmaschine liefe aus und überschwemmte die Wohnung unter mir, versicherte ich ihm, ich ließe die laufende Waschmaschine nie aus den Augen. Zudem sei ich ja Handwerker. Zum Glück bohrte er nicht nach. Einem Bewerber, der noch nicht einmal eine Waschmaschine besitzt, hätte er wohl kaum die adrette Wohnung anvertraut. Ich wusch meine Kleider damals »in einem Aufwasch« mit, wenn ich selber duschte. Während des Duschens in der Wanne »eingeweicht«, hatte ich sie anschließend nur noch mit kaltem Wasser durchzuspülen und auszuwringen.
~~~ Die Waschmaschine schleudert uns auch schon den Unfug der Versicherungen ins Gesicht. In der Puppenfabrikkommune laufen in der ebenerdigen Waschküche zwei Maschinen – sollten sie einmal auslaufen, dann unmittelbar in die Kanalisation. Versicherungen zeigen untrüglich soziales Defizit an. Statt Solidarität wird das Einzelkämpfertum gefördert. Jeder brütet in seiner Wohnzelle aus, wie er sich noch geschickter, üppiger, betrügerischer absichern kann, um im Existenz- und Konkurrenzkampf die Nase vorn zu haben. Mag auch »das Risiko gestreut« werden – Verantwortung und Lösungssuche werden gerade nicht sozialisiert. 10 Lastschriften von Allianz, Gothaer, Aspirina – und ich bin unwiderruflich ans System gekettet. Die Versicherung bewahrt den Kapitalismus vorm Einsturz.
~~~ Sie normiert uns zudem. Verblüffende Lösungen werden rar, weil sich nie Not in Tugend verwandeln läßt. Mein Bekannter Lutz hatte das Häuschen seiner verstorbenen Tante bezogen. Als das Hochwasser nach einem Unwetter bis ins Eisfach seines Kühlschranks stand, kam er auf die Idee, sich für rund 1.000 Mark einen noch fahrtüchtigen Bauwagen zuzulegen. Er baute ihn aus und verkaufte das Häuschen. Über Pfützen lacht er. Mal wohnt er am Meer, mal in den Bergen. Im Fränkischen machte er einmal einen Brauereiinhaber auf eine halb ausgehängte Lukentür aufmerksam, die jederzeit auf den Bürgersteig oder in einen Kinderwagen fallen konnte. »Dagegen sind wir versichert!« beruhigte ihn der Mann. Seitdem weiß Lutz, was Zynismus ist.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H. R.), 2022
Adolf, Hilde (SPD-Politikerin) → Automobilisierung, Leichsenring
Adorno, T. W. → Simmel, Georg
Aicher, Pia (1954–75), Abiturientin. Das prominente Ehepaar Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher (der Bildende Künstler) hatte fünf Kinder. Die Familie bewohnte bei Memmingen im Allgäu eine ehemalige Mühle. Tochter Pia wurde lediglich 20.
~~~ Kurz nach ihrem schriftlichen Abitur sitzt die junge Frau neben ihrem Vater in dessen BMW; sie wollen, von der Rotis-Mühle aus, nach Ulm, wie mir ein Familien-mitglied (2015) auf Anfrage mitteilt. Dann sei ein vor Otl Aicher fahrender Lastwagen ziemlich unvermittelt links abgebogen; Otl rast hinein. Pia, wohl unangeschnallt, sei mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geknallt. Sie starb einige Tage darauf im Krankenhaus. Dort war auch ihr Vater gelandet, doch wurde er offensichtlich wieder hergestellt. Mein Gewährsmann sagt, er habe Aicher dort erstmals im Leben weinen gesehen. In einem Buch von Otl Aichers Schwiegertochter Christine* findet sich die Ergänzung, er habe im Krankenhausbett »wie ein verprügelter Gladiator« gewirkt (S. 124), möglicherweise aus schlechtem Gewissen. Mehrere Zeitzeugen erwähnen, der untersetzte, bäuerisch-wurzelig wirkende Künstler, der seit Jahren wiederholt von Herzanfällen heimgesucht wurde (102), sei leidenschaftlicher Auto- und Motorradfahrer gewesen; er raste gern, »wie ein Verrückter« (124). Seine Frau Inge habe jedoch, wegen Pia, nie einen Vorwurf gegen Otl gerichtet (155). Dessen Biografin Eva Moser** schildert den Unfall mit Pia überhaupt nicht, falls ich es nicht übersehen habe. Sie erwähnt lediglich, Vater und Tochter hätten sich auf dem Weg zu Pias mündlichem Abitur befunden. Dann setzt sie hinzu: »Schuld im juristischen Sinne war Aicher sicher nicht, aber er war ein wilder Autofahrer, hatte viele Unfälle gehabt, zeitweise drohte ihm sogar der Führerschein-entzug, und von Sicherheitsgurten hielt er nichts.« Er sei lange Zeit nur eingeschränkt arbeitsfähig gewesen; das Lenkrad habe ihn vor Schwererem bewahrt.
~~~ Und was für eine junge Frau war diese Pia Aicher nun gewesen? Funkstille im ganzen Internet. Vielleicht fände man in der Literatur über die berühmten Eltern noch ein paar Striche zu einem Porträt; ich fürchte jedoch, nach vielen ähnlich gelagerten Fällen, eher nicht.
~~~ Der gelernte Bildhauer Otl Aicher (1922–91), auch Grafiker, 1953 Mitgründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung, überdies Herr der Rotis-Mühle, fuhr also auch gern Motorrad. Ironischer- und makabererweise kam er aber nicht durch sein eigenes Motorrad um. Wenn mich die Landkarten nicht täuschen, wird das ausgedehnte Mühlengrundstück von einer Kreisstraße durchschnitten. Am 26. August 1991, inzwischen 69, saß Aicher auf seinem kleinen, wenn auch »lärmenden« Rasenmähtraktor, ist bei Moser zu lesen. Beim Zurücksetzen auf jene Straße habe Aicher ein sich näherndes Motorrad »überhört«, das deshalb auf ihn prallte. Dessen Fahrer sei »fast nichts« geschehen. Aicher dagegen kommt mit schweren Hirnverletzungen ins Günzburger Krankenhaus, wo er am 1. September stirbt. Die in Ulm erscheinende Schwäbische Zeitung hat schon den Nachruf bereit, streift aber den Unfall nur noch kurz.*** Auch nach dieser Quelle stieß Aicher »rückwärts« auf die in der Regel verkehrsarme Straße, als ihn das Motorrad erwischte. Somit hatte dessen Fahrer zufällig Glück im Unglück, wie man wohl sagen darf.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H. R.), 2022
* Christine Abele-Aicher (Hrsg.): Sammelband über Inge Aicher-Scholl Die sanfte Gewalt, Ulm 2012
** Otl Aicher: Gestalter, Ostfildern 2011, S. 380 + 403
*** Gisela Lindner im Kultur-Teil, 2. September 1991
Alter
73 ... werde ich in diesem März. Ich bin »Widder«. In dem gähnenden Loch, das sich nach dem Abschluß meiner Nasen der Weltgeschichte vor mir auftat, beschäftige ich mich, sofern ich nicht die Dachrinne zu säubern oder zwecks Ölens ein Türschloß auszubauen habe, hauptsächlich mit Bücherlesen, Mieser-Zellen-Produktion, Brennholzmachen und Radfahren. Decken sich die beiden letzten Programmpunkte mit der bekannten Empfehlung, öfter in die Sonne zu gehen, wegen Vitamin-D-Mangel, umso besser. Scheint keine Sonne, hilft Fluchen.
~~~ Beim Radfahren begegnet mir zuweilen ein alter Mitbürger, der eher an einen nukleargetriebenen Papagei erinnert, sobald er an mir vorbeischießt. Es heißt, er sei bereits über 80. Das weiße Haar unter dem Schutzhelm versteckt, die Arme wie ein Catcher am zweimal schulterbreiten Lenker seines Kampfrades gekrümmt, kann er die Wiesen und Wälder durch seine zeitgemäß windschnittige, grelle Sportkluft nur beschämen. Mein eigenes Kopfhaar ist zur Stunde noch braun. Dergleichen dürfte sich freilich mehr dem Zufall als dem Trainingsfleiß verdanken. Es soll an den Genen liegen. Möglicherweise ist es aber mein Verdienst, wenn ich inzwischen nicht mehr ganz so ungeduldig und aufbrausend wie mit 27 bin. Jedenfalls möchte ich klarstellen, ein Klacks sind 73 Jahre nun auch wieder nicht. Sehen wir einmal von meinen speziellen Freunden, den Frühverstorbenen (unter 40) völlig ab, bleiben immer noch eine Menge Zeitgenossen, die es keineswegs auf 73 gebracht haben. Mein hiesiger Zahnarzt Lutz Scheer, ein humorvoller und toleranter Hüne, erlag 2010 mit 54 Jahren der Leukämie. Schriftsteller Thomas Bernhard wurde 58. Aber der ist vielleicht zu bekannt. Nehmen wir stattdessen Kurt Held, den ich kürzlich wegen seiner Roten Zora vorgestellt habe. An seiner Stelle wäre ich schon 11 Jahre lang tot, starb er doch (1959) bereits mit 62 Jahren.
~~~ Auf die Gefahr hin, Sie zu langweilen, führe ich, aus dem Stegreif, weitere Künstlerkollegen an. Der Berliner Maler Alexander Kanoldt erlag mit 57 (1939) angeblich einem Herzleiden. Jazzrock- und Cartoonstar Volker Kriegel schaffte 59. Die Wortakrobaten Wolfgang Neuss (65) und Robert Gernhardt (68) wurden auch nicht viel älter. Ein anderer hochkarätiger Musiker überbot Kriegel um schlappe sechs Jahre: Willem Breuker (gesprochen Bröker) aus Holland. Laut englischer Wikipedia (die sich auf die New York Times stützt) verendete der 65 Jahre alte ausgefuchste »Musikclown« am 23. Juli 2010 an Lungenkrebs. Er war auch als Komponist und Arrangeur saustark. Ich besitze etliche CDs von ihm beziehungsweise seiner Truppe. Notfalls tut es auch das Internet. Damals waren dem schwer arbeitenden, untersetzten und vierschrötigen Mann in dem weißgetüpfelten blauen Hemd noch rund 10 Jahre beschieden, was er natürlich nicht wußte. In einem historischen Film über Till Eulenspiegel könnte er sicherlich auch als Bierkutscher mit Bimmel überzeugen, doch in dieser* mitreißenden Fassung des Mandelay Songs spielt er seine Lieblingströte, das Sopransaxofon. Kaum zu glauben, daß solche Pranken wie brünftige Siebenschläfer über die Klappen flitzen. Der Mandelay Song stammt aus Elisabeth Hauptmanns Heilsarmee- und Gangster-Komödie Happy End von 1929, zu der damals Kurt Weill und Bertolt Brecht die Musik und die Liedtexte lieferten. Für Breuker waren die letzten Lebenswochen vermutlich weniger happy.
~~~ Nicht, daß ich nicht schon gewisse Erfahrungen mit dem Blick ins Nichts gesammelt hätte. Während ich mich um 2015 mit Unfallopfern befaßte, fiel mir zu meinem Entsetzen eine Autofahrt von Bochum nach Neunkirchen / Saar ein, die ich anscheinend lange erfolgreich »verdrängt« hatte. Ich wollte um 1973 Möbel mit einem Mietwagen in den maoistischen »Landesverband« an der Saar befördern, den wir damals aufbauen sollten. Ich war völlig übernächtigt losgefahren, und spätestens im Sauerland drohten mir ein ums andere Mal die Augen zuzufallen. Ich schreckte wiederholt auf, ohne bereits in der Leitplanke oder auf einem anderen »Verkehrsteil-nehmer« zu hängen. Glauben Sie aber nicht, der 23jährige Stoffel am Möbelwagenlenkrad hätte mal irgendwo geparkt, um sich Wasser ins Gesicht zu schütten oder gar zwei Stündchen zu schlafen. Die Weltrevolution war dringender. Später, beim Erinnern, war ich immerhin heilfroh, daß ich damals meine Genossin und zukünftige Gattin C. nicht im Wagen hatte. Sie kam mit dem Zug nach.
~~~ Um 1992 wohnte ich zeitweise in Kassel-Wilhelmshöhe am Rammelsberg, übrigens in dem schönen Eckgebäude, in dem derzeit eigentlich noch Nele Schurznagel residieren müßte (→ Band 4, Mollowina, Der Sturz des Herkules). Unweit des Anthroposophischen Zentrums in der Wilhelmshöher Allee gab es damals ein Reformhaus. Ich suchte es öfter auf, vor allem wegen Schwarzbrot und Salbeitee. Einmal war das betreffende Gebäude zwecks Dacherneuerung eingerüstet. Als ich den Laden verließ und durch das Gerüst tauchte, prallte einen halben Meter vor mir ein schweres Ding auf die Zuwegplatten. Ich zuckte zusammen, runzelte die Stirn, ging in die Hocke und besah mir das Ding. Es war eine Art Muschel aus Eisen, ungefähr faustgroß, aus der ein Stück eingekreideten Bindfadens hing. Aha, dachte ich, wohl eine Schlagschnur, wie sie die Dachdecker zum Anzeichnen benutzen. Ich war ja lediglich Raumausstatter, kaum mehr als ein Innendekorateur. Ich erhob mich wieder und blickte am Gerüst empor. Da stand auch schon ein Kollege in Höhe des vierten Stockwerks und sah mir etwas betreten ins Gesicht. »Kommt noch was nach?« rief ich. Er stammelte, das Ding sei ihm wohl aus der Hosentasche gerutscht. Ich grüßte mit einer Hand und entfernte mich. Der Schrecken holte mich erst in der Langen Straße ein. Wenige Sekunden früher aus dem Laden getreten, hätte ich möglicherweise einen kleinen Bombentrichter in der Schädeldecke gehabt.
~~~ 2003 fiel ich in der hiesigen, an der Straßenbahn-Wendeschleife gelegenen Puppenfabrik, die wir gerade ausbauten, von einer fahrlässig wackelnden gegrätschten Stehleiter und brach mir lediglich die linke Hand (mit Gruß an meine Gitarre). Ich ging wenige Zentimeter neben einem Stapel Rigipsplatten nieder, an dessen Kante ich mir durchaus das Genick hätte brechen können. Dann hätte es sich erübrigt, der Kasseler Handwerkskammer reuevoll meinen Gesellenbrief zurückzuerstatten. Von solchen Kraßheiten einmal abgesehen, scheint die Unfallgefahr mit dem Altern ungefähr in dem Maße zu wachsen, wie die eigene Körpergröße schrumpft. Von meinen angeblichen 1,77 um 30 bin ich inzwischen schon meilenweit entfernt. Gleichgewichtsstörungen melden sich zunehmend. Ein Sturz mit dem Fahrrad bei Regenglätte ging neulich glimpflich mit Blauen Flecken ab. Solche Vorfälle hätte es noch vor 10 Jahren nie bei mir gegeben. Kürzlich wollte ich an meinem Sägebock die rote Bügelsäge so elegant und zeitsparend von einer Hand in die andere werfen, wie ich es schon öfter geübt hatte. Prompt schlug sie mit dem Sägeblatt auf mein operiertes und wiederhergestelltes linkes Handgelenk auf. Das war nicht heftig, aber aus meinem Handballen quoll sofort Blut. Die geringfügige Wunde benötigte gut zwei Wochen, um sich leidlich zu schließen. Man sieht daran, im Alter sinkt nicht nur die Muskel-, sondern auch die Heilkraft. Wie sich versteht, hätte das Sägeblatt auch leicht meine Schlagader treffen können. Dadurch hätten sich viele Grübeleien über die günstigste Selbstmord-Methode als Zeitverschwendung herausgestellt. Aber die meisten MemoirenschreiberInnen lassen sich nicht darin beirren, solche »dummen« Gefahren und Zufälle kurzerhand auszusparen. Dann fällt es ihnen nämlich erstaunlich leicht, am Schluß ihres Werkes zu verkünden, alles in allem sei das Leben doch wunderbar.
~~~ Nebenbei bemerkt, wird mein Alltag von mehreren Zauberregeln oder -mitteln bestimmt, an die ich mich ziemlich eisern halte. • Die Sonne erwähnte ich bereits. • Viel Gymnastik in kleinen Raten. • Öfter Ingwerknolle ins Essen schnitzeln. Passen Sie aber auf, das Zeug ist scharf – zum Beispiel bei Augenkontakt. • Dito Zitrone, etwa in den Tee getröpfelt. • Ich kippe mir täglich einen halben Eierbecher voll eines bestimmten bitteren Kräuterlikörs hinter die Binde, den ich aus wettbewerbsrechtlichen Gründen natürlich nicht nennen darf. Alkoholanteil 32 Prozent. • Viele Verletzungen oder Verstimmungen werden von Olbas-Tropfen gelindert oder hinweggefegt. Das ist ein Minzöl. Als Spitzen-Arznei bei Magenbeschwerden muß allerdings ein Teelöffel feiner Heilerde von Luvos gelten. Gegen dies alles waren in jüngster Zeit sogar die schrecklichen Corona-Viren machtlos. Wie sich versteht, kann ich das nicht beweisen. Es sollte aber klar sein: ohne Glauben führt kein Weg ins Himmelreich.
~~~ Bislang hält sich meine Gebrechlich- und Trotteligkeit noch in erträglichen Grenzen. Am ärgerlichsten ist eigent-lich die auffallend zunehmende Gedächtnisschwäche. Sie scheint vornehmlich das Gegenwärtige zu betreffen. Da fragt man sich etwa vergeblich, ob man das Klofenster oder die Ofenklappe vor 20 Sekunden eigentlich geschlossen hat oder nicht. Somit bleibt einem nichts anderes übrig, als diese Verrichtungen ständig zu kontrollieren. Aber die Ermahnung zur Kontrolle vergißt man dann auch wieder … Für Schriftsteller steht damit natürlich ein Horrorgespenst im Raum. Denn was wäre ein Schriftsteller ohne Gedächtnis? Ein überaltertes Stück Pappelstamm wäre er, das man getrost mit der Kettensäge in Brennholz verwandeln kann.
~~~ Da erhebt sich freilich die Frage, ob sich einer oder eine »73 oder mehr« überhaupt wünschen sollte. Dabei habe ich den wichtigsten Gegengrund noch gar nicht angeführt. Es ist jene »Freudlosigkeit des Alters«, die auch mein geschätzter Brieffreund Maximilian Zander zuweilen beklagte. Er starb 2016 mit 87. Mir drückt sie schon heute ziemlich stark aufs Gemüt. Die Neugier scheint im Alter rasanter als die sogenannte Zeugungskraft nachzulassen. Das Essen hat mich bereits mit 50 nicht mehr brennend interessiert. In den jüngsten bleiernen Zeiten kann man sich noch nicht einmal mit auf der Straße verschenktem Lächeln oder Augenzwinkern behelfen, weil sich ja alle Welt hinter Gesundheitsmasken, Smartphones oder sowieso dem anderen versteckt. Wenn da noch einer zwinkert, sieht man ihn schon seine Flinte auf einen Impfmuffel anlegen. Zu den schönsten Freuden hat es früher immer gezählt, anderen eine Freude zu machen, ob per Tat oder Ding. Hornist Ed Rosenfield überrascht seine übel zerstochene spätere Adoptivtochter Julia, damals neun, nach einem Zahnarztbesuch in Casper, Wyoming, mit einem Moskitonetz. Da knutscht sie ihm prompt die gesunde Backe. So in Lashermink. Wer seit Jahren einsiedelt, hat es in dieser Hinsicht natürlich ungleich schwerer als der normale Familien- oder Kommunemensch.
~~~ Kürzlich schrieb mir ein jüngerer Brieffreund in ganz anderem Zusammenhang, es wäre vielleicht am besten, man gewöhnte sich Erwartungen oder Hoffnungen zielstrebig völlig ab, weil man sich dann auch nie mehr enttäuscht sähe. Ich glaube aber, für mich wäre das kein gutes Rezept. Ohne Hoffnung hätte ich nämlich gar keine Freude mehr. Denn in der Regel hofft man ja wohl auf Erfreuliches, und sei es nur die Ersparung von Rückenschmerzen, Katzenjammer oder beindicken vom Sturm abgerissenen Ästen, die über einem aufs Ziegeldach krachen. Durch die Hoffnung – etwa auf eine zufällige interessante Begegnung, ein paar anerkennende Gesten oder Worte, eine gelungene und sogar hier und dort in der Presse gelobte Auswahlplatte mit Musikstücken von mir – habe ich eine Freude, die mich nicht das Geringste kostet. Nur die Enttäuschung, die sich in der Regel rasch einstellt, muß ich zahlen. Da hat der Brieffreund recht.
∞ Zuerst in den Miesen Zellen (Blog H. R.), 1. März 2023
* Hier ein Mitschnitt von 2000: https://www.youtube.com/watch?v=L4bWaeA64Mw
Den Dreifuß kennt Brockhaus nur als mehr oder weniger antikes Kultgerät, nicht dagegen aus der Werkstatt des Schusters. Dem dient das ankerartig oder krakenhaft gestaltete, in der Regel ungefähr 2 ½ Kilo schwere Gerät aus Gußeisen vorwiegend als Amboß. Er kann den Schuh über die verschieden langen Füße oder Teller ziehen und mit einem Hammer nach Herzenslust auf das Leder oder die Nagelköpfe einschlagen. Die Sattler hatten gleichfalls oft einen Dreifuß, und selbst als Polsterer verschmähte ich ihn nicht. Ich nahm ihn freilich bald mit nach Hause, um ihn teils als Andenken, teils aus gymnastischen Gründen zu benutzen. In diesem Fall warf ich mir das Ding täglich für ein paar Minuten von einer Hand in die andere. Auf diese Weise wollte ich mir meine Sportlichkeit erhalten. Immerhin blieb auch mein Zimmerfußboden von Bombentrichtern verschont, wie ich mit Stolz versichern kann. Der Dreifuß fiel mir also nicht einmal herunter. Man sieht daran, die kräftigende Übung hatte auch einen akrobatischen Zug – in der Jugend wollte ich sowieso zeitweise zum Zirkus gehen. Inzwischen ist es mit meiner Sportlichkeit leider trotz Handwerk, Brennholzmachen und Gymnastik nicht mehr zum Besten bestellt. Ich würde den Dreifuß deshalb nicht mehr anrühren, auch wenn ich ihn nicht an ein Heimatmuseum verschenkt hätte. Die unaufhaltsame Zunahme der Gebrechlichkeit und Tolpatschigkeit im Alter ist wirklich Besorgnis erregend. Sogar winzige, vergleichsweise belanglose Haushaltsunfälle häufen sich. Man greift daneben, man greift in die Butter, man stößt etwas um. Kürzlich zog ich meine Tischdecke so ungünstig zurecht, daß meine stets auf einer Ecke postierte kleine Tischlampe auf den Teppich fiel. Der Glasschirm war dadurch zur Hälfte zertrümmert. Immerhin trat jedoch ein Gesetz in Aktion, das mich schon oft erstaunt hat. Nach ihm läßt sich nicht selten aus der Not eine Tugend machen. Die Lampe hatte mich stets geblendet und folglich geärgert. Nun umkleidete ich die noch stehenden Überreste des Glasschirms mit einem mattgrünen kräftigen Papier. Zugeschnitten und am Treffpunkt mit zwei Heftklammern verbunden, ergab sich so ein tütenhafter neuer Lampenschirm, der mir sofort helle Freude bereitete, weil er die Blendwirkung vernichtete. Überhitzungsgefahr besteht nicht. Und die ästhetische Einbuße kostet mich, im Gegensatz zu früher, nur noch ein Achselzucken. Im Sarg wird es noch deutlich unästhetischer.
∞ Zuerst in Risse im Brockhaus (Blog H. R.), Folge 10, Februar 2024
Siehe auch → Band 5 Edmund (Porträt eines alten, kranken Mannes aus der Sicht seines ihn betreuenden Sohnes) + Floß für zwei (mit betagtem Glaser) → Als Zugabe mein Zwerglied Greisengrüße, 2011 aufgenommen von Frank Wismar alias Nana (Bariton) und Lena Müller alias Willi (Piano): nana greise (mp3, 1,638 KB)
Anarchismus
Die Russin Fanny Kaplan (1890–1918) soll auf Lenin geschossen haben. Über Anarchisten sind ähnlich unzählige falsche (und oft bösartige) Vorstellungen im Umlauf wie beispielsweise über Rasputin. Selbst in dem 1905 veröffentlichten Roman Professor Unrat von Heinrich Mann wird der titelgebende Gymnasiasten-schreck unangemessenerweise wiederholt als Anarchist bezeichnet. Auch Schüler Lohmann, von Unrat nie »gefaßt«, höhnt angesichts der vom Professor und seiner Geliebten Rosa Fröhlich aufgezogenen Lasterhöhle, der Tyrann habe den Pöbel in seinen Palast gerufen, um ihm die Anarchie zu verkünden. Tyrann ist er natürlich. Menschenfeind Unrat straft und schadet für sein Leben gern, hat immer recht, dafür nicht einen Funken Selbstkritik. Aber Anarchist? Ich selber verstehe mich so, und ich verstehe darunter den Anhänger einer Ordnung ohne Herrschaft, was bedeutet, daß er autoritäre Knochen wie Unrat am wenigsten gebrauchen kann. Ich nehme an, Heinrich Mann saß damals einem um 1900 beliebten Klischee des Anarchisten auf. Es verdankte sich »Kämpfern«, die Victor → Serge (in seinen bedeutenden Erinnerungen) »Desperados« nennt. Serge lebte unter ihnen. Sprengen sie Zaren, Polizeipräfekturen, Kaffeehäuser oder sich selbst in die Luft, dann aus menschenverachtender Selbstherrlichkeit, die auf wenig Eigenliebe schließen läßt. Das heißt nicht, ich sei grundsätzlich gegen Anwendung von Gewalt. Vielmehr heißt es, daß ich Gewalt verabscheue und möglichst zu vermeiden suche. Das ist ein wichtiger Unterschied, auf den etwa George Orwell hingewiesen hat.* Nebenbei ist der gängige Gewalt-Begriff viel zu eng, wie ich schon früher angedeutet habe. Näheres weiter unten.
~~~ Die jugendliche angebliche »Anarchistin« Fanny Kaplan, Tochter eines jüdischen Lehrers aus der Ukraine, hatte sich 1906 an einem Attentat auf einen kaiserlichen Regierungsbeamten in Kiew beteiligt. Sie erlitt durch die Bombenexplosion schwere Sehschäden und wurde in Gefängnisse und entlegene Zwangsarbeitslager gesteckt, wobei sie ins politische Lager der Sozialrevolutionäre wechselte. Im Sommer 1918 sah die gesundheitlich zerrüttete, inzwischen 28 Jahre alte Frau im obersten »Volkskommissar« und bolschewistischen Parteichef Lenin einen neuen Zaren. Als er am 30. August nach einer Rede eine Moskauer Waffenfabrik verließ, brachten ihm Pistolenkugeln Schulter- oder Nackenverletzungen bei, von denen er sich nie mehr richtig erholen konnte. Als Schützin wurde Kaplan festgenommen. Angeblich bekannte sie sich auch in einer kurzen Stellungnahme zu der Tat, schwieg jedoch im folgenden eisern. So wurde sie nach wenigen Tagen von der Geheimpolizei Tscheka kurzerhand in einer Moskauer Garage ohne formelles Gerichtsverfahren erschossen.
~~~ Unter Historikern ist Kaplans Täterschaft aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten, darunter Kaplans Sehschwäche, umstritten. Manche glauben, sie habe als Sündenbock herhalten müssen oder habe aus freien Stücken die wahren Täter gedeckt. Doch wer auch immer schoß – laut Jens Teschke**, der auch die Ungereimt-heiten anführt, räumte Armeechef Leo Trotzki ein, wer den Nutzen von den drei oder vier Schüssen hatte: »Die Revolution wurde bemerkenswerterweise nicht durch eine kurze Phase der Ruhe stabilisiert, sondern durch die Bedrohung durch das Attentat.«
~~~ Man wird in der Weltgeschichte (bis zur Stunde) nur wenige Muster der Herrschaftssicherung finden, die beliebter sind.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H. R.), 2022
* Essay »Lear, Tolstoy and the Fool« von 1947
** »Kalenderblatt« (30.8.1918) für Deutsche Welle, Stand 2021: https://www.kalenderblatt.de/index.php?what=thmanu&manu_id=998&tag=30&monat=8&weekd=&weekdnum=&year=1933&dayisset=1&lang=de
Die pakistanische Oppositionelle Sabeen Mahmud (1975–2015), Gründerin und Leiterin der Begegnungs- und Kulturstätte The Second Floor in Karatschi, war unter anderem auch IT-Fachfrau. Ich gebe zu, bestimmte Schlagworte sind bereits geeignet, mir den Magen umzudrehen, bevor ich überhaupt nur eine vollständige Zeile der betreffenden Verlautbarung gelesen habe. Mahmud wird in jeder zweiten Quelle als Menschen-rechtlerin geführt, ansonsten als Aktivistin. Hauptsache, aktiv … Ende April 2015 nach einem Seminar in ihrem Zentrum mit ihrer Mutter auf dem Nachhauseweg, wurde die 39jährige von zwei Auftragskillern beim Halt an einer Ampel erschossen. Die Mutter wurde verletzt. Selbst der Chef des pakistanischen Geheimdienstes gab sich entsetzt. Der angebliche Drahtzieher des Anschlages wurde bald darauf gefaßt und eingesperrt. Man spricht von einem bekannten religiösen Fanatiker.
~~~ Das erwähnte Seminar war bereits bedroht worden; es behandelte die Verfolgung von Oppositionellen in der Provinz Belutschistan. So jedenfalls die Petra-Kelly-Stiftung, Unterabteilung der bekannten Heinrich-Böll-Stiftung, 2019 in einer Ankündigung einer Filmver-anstaltung. Für mich ist diese deutsche »grüne« Adresse nicht gerade eine Empfehlung. Einer offensichtlich Microsoft-freundlich gestimmten Webseite* entnehme ich, Mahmud habe in Karatschi schon »Kultstatus« genossen, was den »konservativen Kräften« des Landes überhaupt nicht gefallen habe. Passend dazu verrät die Filmemacherin Schokofeh Kamiz in einem Gespräch, Mahmud sei immer gerne Auto gefahren. Ja, in der Küstenstadt Karatschi kann es sicherlich gar nicht genug Autos geben. Schließlich ist sie von mindestens 15 Millionen Zweibeinern bevölkert, die sich nur ins Gehege kämen, wenn sie alle zu Fuß gingen. Aber Scherz beiseite: Was wollte man in oder an dieser wahren Hölle aus Lärm, Gift, Bestechung, Modernität und Gewalttaten aller Art noch retten oder gar verbessern? Man kann sie nur fluchtartig verlassen. Aber das Gegenteil ist der Fall: die Leute strömen hinein und bleiben – wie man unter anderen an Mahmud sieht, die ja ebenfalls die Stellung hielt. Von der Auflösung oder auch nur Verkleinerung solcher Moloche zu träumen, wäre ohne Zweifel illusionär. China plant und schafft emsig weitere Riesenstädte – und gegen diesen Trendsetter kommt niemand an.
~~~ Ich greife noch einmal die »konservativen Kräfte« auf. Für die meisten Linken, selbst Anarchisten, stellt »konservativ« das Gegenteil von »fortschrittlich« oder »progressiv« und daher zugleich ein Synonym für schlecht dar. Für sie sind die konservativen Kräfte ein ärgerlicher Hemmschuh; sie blockieren mehr Technik, mehr Geld, mehr Staat, mehr Urlaub, mehr Zerstreuung, mehr Bequemlichkeit, mehr Verblödung … In Wahrheit verdanken wir dem »Fortschritt« der Progressiven / ModernisiererInnen / GlobalisiererInnen schon fast die Zerstörung unsrer gesamten Lebensgrundlagen. Wogegen uns manche Konservative neue Autobahnen ersparen, weil ihnen die Rettung eines Auwaldes wichtiger erscheint. Das konservative Prinzip bewahrt und erhält; der Fortschritt zertritt. Große Sprünge nach vorne machte er während der Kolonialisierung durch die Zersetzung verschiedener ritueller Ordnungen, die »primitive« Gesellschaften zusammenhielten, und dann im Gefolge der Aufklärung mit Hilfe der Drachentöter Darwin und Nietzsche, die auch unseren zivilisierten Eingott erlegten. Den religiösen Rest – Glaube ans kommunistische Nirwana – erledigte die westliche Wühlarbeit am sogenannten Eisernen Vorhang. Seitdem haben wir der Leere zu wehren. Soweit zum »Überbau«.
~~~ An der gesellschaftlichen »Basis« stellte die um 1750 einsetzende Industrialisierung ein Meisterstück dar, das auf den Trümmern von kleinen Handwerksbetrieben und Bauernhöfen Zuchtanstalten mit Fabriksirenen, Stechuhren und Videokameras schuf. Fabriken zerstückeln. Konnte es einst zur Menschwerdung kommen, dann nicht unerheblich durch die Schaffung von Behältern wie Tonkrüge, Kanus, Begriffe, Vollversammlungen, Dörfer. Behälter behalten oder enthalten etwas – mitunter eine ganze Zwergrepublik. Das Geschäft der sich herausbildenden Klassengesellschaften dagegen war die Spaltung. »Teile und herrsche« – damit war nicht das Teilen der Nahrung gemeint. Entsprechend finden sich in den »Ballungszentren« die Hungerleider hier, die Übersättigten dort eingepfercht. Der Stamm der Germanen wurde gleich in derzeit ungefähr 50 Millionen AutofahrerInnen zersplittert.
~~~ Die Ambivalenz der Entwicklung sei eingeräumt. So kamen in unseren Breiten um 1980 sehr sinnreiche Gehwagen oder Rollatoren auf, die man eigentlich schon im Mittelalter hätte erfinden können, denn sie stellen ja nicht mehr als Krücken auf Rädern dar. Auch Moskitonetze, Zimmeröfen oder Verhütungsmittel sind nützliche Erfindungen, zu denen man im Neandertal kaum das Zeug gehabt hätte.** Beim Internet dagegen, das auch von Mahmud verehrt wurde, melden sich schon wieder Zweifel. Vielleicht haben wir in ihm die Rache des abgesetzten Eingotts zu sehen, der es auswarf, um die erwähnte Leere mit Belanglosigkeiten, Bruchstücken, Lügen und »Honigtöpfen« zu stopfen, womit von Agenten gestellte Fallen gemeint sind. Es züchtet Beliebigkeit, Austauschbarkeit, Dummheit, Unterwürfigkeit. Wer nicht unablässig Befehlen folgt, hinkt rasch hinterher – bis er hinausfliegt.
~~~ Im Sinne der Austauschbarkeit ist selbstverständlich auch der alte politische Gegensatz von »links« und »rechts« hinfällig geworden. Als größtes Übel der jüngeren Jahrzehnte darf man getrost die rot, grün oder orange angestrichenen ModernisiererInnen bezeichnen. Sie setzten dem humpelnden Kapitalismus Edelstahlgelenke ein. Merkel erntet nur, was Schröder säte. Er säte geradezu obszöne Konzern- und Medienmacht und den Überwachungsstaat.
~~~ Der wesentliche Unterschied ist vielmehr der von unten und oben. Das libertäre steht dem autoritären Prinzip gegenüber. Die Faustregel könnte gar nicht einfacher sein: was Herrschaft und Fremdbestimmung untergräbt oder von vornherein verhindert, ist gut; der Rest schlecht. Sie beansprucht durchaus universelle Geltung. Nur ihre Prüfung in der Anwendung auf Einzelfälle erweist sich leider oft als verdammt schwierig.
∞ Zuerst in Nasen der Weltgeschichte (Blog H. R.), 2022
* Christian Kahle, »Kult-Aktivistin und Tetris-Fan: Sabeen Mahmud wurde erschossen«, WinFuture, 27. April 2015: https://winfuture.de/news,86841.html
** Von der Antike an waren Verhütungsmittel durchaus bekannt. Nach Heinsohn/Steiger (Die Vernichtung der weisen Frauen, 1985) diente ihre bewußte Bekämpfung im Mittelalter (Hexenverfolgung) der Auffüllung der durch Seuchen ausgedünnten arbeitenden Bevölkerung – und bescherte uns später die so genannte Bevölkerungsexplosion.
Das anarchistische Lager --- Selbstverständlich ist auch das anarchistische Lager zwar kein großes, aber ein weites, zersplittertes, überdies zerstrittenes Feld. Gleichwohl läßt es sich um einige Grundsätze konzentrieren, wie ich doch hoffe. So will ich kühn mit der Feststellung beginnen, der Anarchist wolle den mündigen, vielseitig gebildeten, gleichberechtigten, ungeknechteten Menschen. Deshalb verabscheut er Politik. Er will, daß sich die Menschen selbst regieren, wie sie es schließlich über weite Strecken der Menschheitsgeschichte bereits getan haben. Politik ist Stellvertretung und bringt früher oder später immer Herrschaft und Ungerechtigkeit mit sich. Das schließt unweigerlich ein, daß der Anarchist auch keinen Staat und keine Bürokratie will. Kürzlich las ich von Fabrikanten, die sich vor ungefähr 150 Jahren mit Begeisterung auf die Herstellung von Marmelade warfen, um so den Bürger- und Proletarierfrauen, die ja häufig ohnehin an Freizeitmangel litten, das Beerenpflücken und Einkochen zu ersparen. Man glaube aber nicht, es sei so einfach. Die Konkurrenz häkselt Äste in die Marmelade, womit sie bei Hunderten von Kunden und Kundinnen, darunter leider auch Arbeiterinnen der eigenen Branche, Bauchgrimmen und Todesfälle hervorruft. Wer soll dann die Marmelade noch verfüllen? Und kaufen? Deshalb muß der Staat eine KonfV erlassen, eine Verordnung über Konfitüren und einige ähnliche Erzeugnisse, die er natürlich alle paar Jahre, spätestens nach Neuwahlen, zu verbessern und im übrigen tagtäglich zu überwachen hat – ihre Einhaltung in den Fabriken und Läden, meine ich. Aus dieser KonfV geht zum Beispiel hervor, wenn Sie 1.000 Gramm »Konfitüre extra« aus Kaschuäpfeln herstellen, müssen Sie mindestens 250 Gramm Pülpe oder Fruchtmark verwenden, bei Passionsfrüchten dagegen nur 80 Gramm. Andererseits dürfen Sie Hasenködel oder Reißzwecken noch nicht einmal in Hagebutten-»Konfitüre extra« streuen. Und so weiter.
~~~ Da die Möglichkeiten der Fahrlässigkeit und des Betruges in einer modern industrialisierten und globalisierten Nahrungsmittelproduktion riesig sind, nehmen die erforderlichen Verordnungen notwendig das Ausmaß der Regenwälder an, die ihr weichen mußten, und die Legionen der ÜberwacherInnen allein der »Konfitüre-extra«-Produktion könnte man in Notzeiten den Rasen des jeweiligen örtlichen Fußballstadions abweiden lassen. Für die anderen stünden auch Galopprennbahnen und Golfplätze bereit. Im Ernst gesprochen, dürfte die sündhaft kostspielige Bürokratie des Kapitalismus ungeheuerlich sein. 1955 bescheinigte Erich Kuby Adenauers Privat-bundeshauptstädtchen Bonn, es berge »unüberschaubar gewordene Heere« von Staatsbediensteten. Das ist knapp 60 Jahre her. Im heutigen Berlin fällt das Phänomen vielleicht keinem auf, weil sich die Staatsbediensteten mit ähnlich vielen, genauso gut und bequem gekleideten Touristen und Terroristen mischen.
~~~ Kommen noch viele Köter hinzu. So will ich mir zu diesem Gesichtspunkt der ausufernden Bürokratie noch den Hinweis auf einen jüngsten Leckerbissen erlauben. Nach Jerusalem führt jetzt auch Neapel aus ästhetischen und hygienischen Gründen (Kinder!) in ausgewählten Stadtteilen DNA-Pflichttests für Hunde ein. »Mit Hilfe der durch die Tests aufgebauten Hunde-Gendatenbank«, erläuterte die Presse Ende Januar, »soll ein neuer Kontrolldienst des städtischen Veterinäramtes die überall herumliegenden Kothaufen ihren Verursachern und damit den jeweiligen zweibeinigen Verantwortlichen zuordnen.« Man gedenke von jedem gestellten Verantwortlichen pro Hundehaufen 154,90 Euro einzuziehen. Das ist happig, trotzdem glaube ich nicht, daß es alle durch die Reform neugeschaffenen Kosten auch nur zu einem Drittel deckt.
~~~ Das Schlimmste, das uns der bürgerliche Staat mit all seinen Gesetzen und Verordnungen zumutet, sind freilich nicht die materiellen, vielmehr die moralischen Kosten. Auf diesen Umstand habe ich bereits in einigen Rechts-fällen hingewiesen, Stichwort Buchstabengläubigkeit. »Das Gesetz« ist ein Plattmacher obersten Ranges, weil es stets auf alle oder jedenfalls viele Köpfe passen soll und die Menschheit für die Qualität des Einzelfalles taub und gefühllos macht. Darin weiß es sich mit dem führenden politökonomischen Plattmacher der Moderne einig, dem Tauschwert, und entsprechend brachten es beide zum selben Heiligenschein. Wie sich versteht, ist diese sakral angestrichene Holzhammermethode für den Anarchisten unannehmbar. Von seinem natürlichen Riecher für Gut und Böse geleitet, betrachtet und beurteilt er immer nur leibhaftige Menschen und konkrete Situationen, und siehe da, wenn A. und B. dem Anschein nach dasselbe tun, ist es in Wahrheit häufig keineswegs dasselbe. Das räumt in manchen Fällen sogar der Staat ein. Er nimmt es dem Bundeswehrsoldaten übel, wenn er nicht nur den Feind seines Vaterlandes, sondern überdies die eigene Schwiegermutter erschießt. Ansonsten hat ein jeder auch die zivilen Befehle = Vorschriften blind zu befolgen. 1962 zu Besuch im ehemaligen KZ Dachau, zeigt sich Erich Kuby erschrocken davon, daß in den dortigen Baracken Leute wohnen. Nur nicht direkt im Krematorium. Tja, es gab eben noch Wohnungsnot – dafür keinen Paragraphen, der das Wohnen in ehemaligen KZ-Baracken (oder in ausgedienten Krematorien) untersagte. Kuby erinnerte sich an einen zugeflüchteten Maurer, der sich in einer bayerischen Kleinstadt ein Häuschen errichtet hatte, ehe er die amtliche Genehmigung dafür besaß. Das Haus wurde abgerissen. »Er hätte ins Dachauer Lager ziehen sollen – hier darf er wohnen. Das stört niemand.«
~~~ Sprechen wir von Pauschallösungen, sind Großstädte nicht fern. München hat bald anderthalb, die Metropol-region Neapel drei bis vier Millionen EinwohnerInnen. Ich lenke darauf, weil meine Aufzäumung des Themas »Anarchismus« den Gedanken unterstreicht, unabdingbare Vorausetzung herrschaftsfreier und gerechter Verhältnisse seien überschaubare Verhältnisse. Das wiederum bedeudet zweierlei: die Verhältnisse müssen zugleich einfach und klein sein. Ein Riesenschiff wie die Titanic, für über 2.000 Fahrgäste gebaut, läßt sich, bei diesen Ausmaßen und dieser Technik, unmöglich »basisdemokratisch« betreiben. Deshalb wies es allein eine knapp 900köpfige Besatzung auf, vom Hilfsheizer bis zum Kapitän. Erst recht wird das nicht mit Europa gelingen. Kommunisten werden vermutlich widersprechen. Zumindest vor 1990 scheinen die Dinge weltweit einfach und wohlgeordnet genug gelegen zu haben, um sogar einem schlichten Gemüt wie Boris Jefimow das Mitkommen zu ermöglichen. Der Karikaturist habe der Politik zu dienen, zitiert ihn Laura Weißmüller in ihrem Nachruf für die SZ. Folglich hatte der SU-Staats-Karikaturist, der erst kürzlich, am 1. Oktober 2010, im Alter von 108 Jahren in Moskau das Zeitliche segnete, den Kampf gegen den internationalen Trotzkismus und später den »Kalten Krieg« über Jahrzehnte hinweg mit Zeichnungen befeuert, die in den Druckereien von Iswestija, Prawda und so weiter gar nicht mehr klischiert werden mußten. Als er bereits die 100 überschritten hatte, soll er geseufzt haben: »Obwohl ich so viele Epochen, Kriege, Revolutionen und Gegenrevolutionen gesehen habe, reicht meine Lebenserfahrung nicht aus, um das heutige Durcheinander zu verstehen.«
~~~ Wer wirklich anarchistische Verhältnisse herbeiführen möchte, wo auch immer, sollte sich also beizeiten überlegen, was er beispielsweise mit der sogenannten Deutschen Bank anstellt. Der Tageszeitung Die Welt vom 25. Juli 2013 zufolge gilt sie gegenwärtig, nach der Bilanzsumme, als drittgrößtes Finanzinstitut dieses Planeten. Selbstverständlich ist sie seit langem »global« tätig. Ihr Hauptgeschäft, den Betrug, betrieb sie bereits mit ihrer Gründung, 1870, indem sie just unter jenem Namen erschien, der Staats- oder gar Volkseigentum vorspiegelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg empfahlen die US-Militärbehörden aufgrund einer Untersuchung der Schwerverbrechen dieses Privatunternehmens dem Nürnberger Tribunal, es zu liquidieren, die Verantwortlichen als Kriegsverbrecher-Innen vor Gericht zu stellen und sämtliche übrigen leitenden MitarbeiterInnen von Führungspositionen in der demokratischen Marktwirtschaft auszusperren. Das führte lediglich zu einer vorübergehenden, auch schon wieder vorgetäuschten »Entflechtung« der Bank. Näheres läßt sich, bei Bedarf, unter anderem Büchern von Eberhard Czichon (Die Bank und die Macht, 1995) und Hermannus Pfeiffer entnehmen. Eine Freundin schreibt mir soeben, neulich sei im Kino ein ziemlich guter Dokumentarfilm über einen ausgestiegenen Investmentbanker gelaufen, Master of the Universe. Der Mann habe gesagt, die Bilanzen der Deutschen Bank verstehe niemand mehr. Das heißt, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verstehe schon, was da warum stünde, aber eben kein einzelner Mensch mehr. »Wir befinden uns also grundsätzlich im Modus des Blindflugs«, schließt die Freundin, die selber ein kleines Unternehmen leitet.
~~~ Ich fürchte, sie hat recht. Im Dschungel der bestehenden Welt haben lediglich Schlauberger und Verschlagene gute Chancen. Und natürlich Gewalttätige aller Art. Zu sämtlichen Sorten zählen, neben den Bankern, auch die Kommunisten, und zwar keineswegs nur solche, die die russischstämmige US-Bürgerin Emma Goldman um 1920 in der Sowjetunion von einer Bestürzung in die andere fallen ließen. Ich füge hier ein vergleichsweise bedeutungsloses, gleichwohl unvergeßliches Erlebnis aus meiner letzten Kommune hinzu. Dort war einmal ein Mann um 30 zu Gast, der sehr stolz auf seine KPD-Großmutter war und bereits nach Kräften in ihre Fußstapfen trat, also jeden Kommunarden, der ihm außerhalb des Plenums in die Arme lief, eifrig agitierte. Da er aber immerhin den Plenumsfrieden und die ungeschriebene Hausordnung achtete und eigentlich ein netter Mensch war, der über Charme, einen Schatz von Anekdoten und sogar literarisches Talent verfügte, war mir seine Gesellschaft gar nicht so unlieb. Allerdings warf er mir immer hartnäckiger meinen »Individualismus« vor. Das sei eine echte Krankheit. »Na gut«, räumte ich lächelnd ein, »aber meine Mitkommunarden erdulden sie.« Nein, das müsse kuriert werden. Dabei lächelte er ebenfalls – wie gesagt, er war ein charmanter Kerl und hatte sich irgendwie auch für mich erwärmt. Doch dann schien mir, sein selbstironisches Lächeln gehe kaum merklich in ein diabolisches über, bei dem mir recht mulmig zumute wurde. Ich hatte nämlich nachgehakt: »Wenn ich aber nicht kuriert werden will ..?« – »In unserer Kommune, lieber Henner, als mein proletarischer Kampfgenosse, müßtest du wollen«, sagte er mir mit diesem Lächeln geradewegs in die Augen.
~~~ Selbstverständlich stellen auch Drohungen bereits Gewalt dar. Die Anarchisten streben aber bekanntlich friedliche Verhältnisse an. Daraus folgt eine Forderung, die ich andernorts schon öfter angeführt habe: Überein-stimmung von Denken und Handeln und damit auch von Ziel und Weg. Das heißt, die Mittel müssen von der Art der Zwecke sein oder dürfen ihnen jedenfalls nicht Hohn sprechen. Bin ich auf den freimütigen und aufrichtigen Menschen aus, kann ich ihn nicht mit den Mitteln jener Fallenstellerei und jenes Verrats zu erreichen suchen, die wir aus vielen hundert Jahren politischer Kämpfe bis zum Überdruß kennen. Von den sogenannten Grünen, die noch vor kurzem von der erwähnten Freundin gewählt worden sind, kennen wir sie auch. Diese taktischen Mittel würden uns nicht zum freimütigen und aufrichtigen Menschen führen, vielmehr zu jenen Bananenlutschern und Wendehälsen, die sich von Kohl und Vogel um 1990 aus den ostdeutschen Blaufichtenhainen locken ließen.
∞ Verfaßt 2014, leicht gekürzt
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