Montag, 15. Dezember 2025
François Noël »Gracchus« Babeuf
Verfaßt 2016

Angeblich hatte man die Monarchie gestürzt. Nun hat die Metropole Paris selbst »nach Robespierre« noch 1.800 Ballsäle zu bieten, bei ungefähr 600.000 Einwohnern. Entsprechend wimmelt sie von Stutzern, Strolchen und Spitzeln. Die schlitzohrigsten Strolche, voran Lebemann Paul de Barras, retten sich vor der allgemeinen Unübersichtlichkeit ins fünfköpfige »Direktorium« des Nationalkonvents und spielen »Bürgerliche Revolution«. Die Massenarmut bekommen sie selbstverständlich nicht in den Griff. Das ist die Stunde der Verschwörung der Gleichen unter »Gracchus« Babeuf (1760–97). Der ehemalige Landvermesser und Journalist aus der Picardie war vielleicht nicht der Hauptorganisator, aber ohne Zweifel der »Cheftheoretiker« dieser Bewegung, die ein recht radikales sozialistisches Programm verfocht. Arbeit für alle, dafür auch Zuteilungen für alle. Die Produktion erfolgt nach Plan. Für das Inland wird das Geld abgeschafft. Auch das Wuchern der Städte ist einzudämmen. Aber wie steht es mit der Bürokratie? Den Staat wollen auch die Gleichen nicht antasten. Selbst am Terror gegen »Staatsfeinde« halten sie fest, obwohl sie in dieser Hinsicht sogar Robespierre verurteilt haben, dessen »uneingelöstes« Erbe sie anzutreten gedenken. Vielleicht wird Babeuf die große Ausnahme abgeben, den guten Tyrannen. Ilja Ehrenburg behauptet, damals hätten breite Volksschichten ihre Hoffnungen in diesen abgezehrten Untergrundkämpfer gesetzt. Andererseits übersieht der Sowjetrusse nicht, daß die Massen allmählich revolutions-müde geworden waren. Und das wirkungsvolle Gift gegen die erwähnten Spitzel hatte auch Die Verschwörung der Gleichen nicht erfunden. Ein Streik der Spitzel blieb leider Ausnahme: sie hatten verlangt, der Konvent möge sie von »Assignaten«, »Mandaten« oder dergleichen Papiermüll verschonen und sie stattdessen in dem traditionellen Silbergeld entlohnen. Fuchs Barras ging zum Schein darauf ein. So verrieten sie auch die Aufstandspläne der Gleichen wieder brav, und Barras ließ die führenden Köpfe (im Mai 1796) verhaften.
~~~ Ehrenburgs vorzüglicher Babeuf-Roman* besticht durch Knappheit, sprechende Details und eine seltene Art von zornigem, trockenem Witz. An seiner Darstellung sowohl des Massenelends wie der Verkommenheit der »revolutionären« Elite ist wahrscheinlich kaum zu rütteln. Eine andere Frage ist, ob er dieser Lage mit seinem Babeuf nicht einen etwas zu schönen Hoffnungsschimmer entgegenhält. Das soll nicht heißen, er malte ihn schwarz oder weiß. Sein Babeuf ist aufbrausend und einfältig, rechthaberisch und gutmütig in schöner Abwechslung. An seiner Frau Marie Anne Victoire Langlet und ihren gemeinsamen fünf Kindern (die vornehmlich in seiner Abwesenheit aufwachsen) scheint Babeuf fast rührselig zu hängen; andererseits schreibt er Marie aus dem Gefängnis: »Die Liebe zum Vaterland erstickt in mir alle anderen Gefühle. Ich war immer aufrichtig zu Dir, ich sage Dir unumwunden: Wir Jakobiner, wir Besessenen, sind durchaus nicht zartfühlend, nein, im Gegenteil, wir sind verdammt hartherzig. Du sagst, daß Du beschlossen hast zu sterben. Was kann ich Dir darauf antworten? Stirb, wenn Du willst.«
~~~ Das Hartherzige sind Dinge wie Gleichheit, Gerechtigkeit, ja selbst Freiheit. In der Natur kommen diese »Dinge« nicht vor. Sie sehen von persönlichen Vorlieben genauso wie von persönlichen Schwächen ab. Zu den vielen Repräsentanten und zugleich Opfern dieser Hartherzigkeit zählt der schon andernorts erwähnte junge Konventskommissar Saint-Just. Was Marie betrifft, verwarf sie ihren Entschluß. Sie wurde über 80 – für damalige Zeiten enorm.
~~~ Wahrscheinlich war Babeuf, wenn nicht bereits durch seine entbehrungsreiche Jugend als Sohn eines Deserteurs aus der französischen Armee, schon durch einen Haftbefehl in den Untergrund und die Ausweglosigkeit getrieben worden, mit dem ihn die Richter aus Amiens seit November 1794 verfolgten. Angeblich hatte er sich als Verwaltungschef von Montdidier bei der Versteigerung eines Gemeindegrundstücks einer Urkundenfälschung zwecks Begünstigung eines verdienten Revolutionärs schuldig gemacht. Ehrenburg behauptet, bei dieser Beurkundung sei Babeuf lediglich arglos in eine Falle getappt, die ihm sein langjähriger Widersacher Longcamp stellte, »ehemals königlicher Staatsanwalt, jetzt selbstverständlich Patriot und Republikaner«. Auf diese Weise habe ihn Longcamp aus der Picardie vertreiben und überall verleumden können: »Da seht ihr, dieser Gleichheitsapostel ist der banalsten Fälschung fähig, und alles nur wegen Geld! Jetzt hat er sich aus dem Staube gemacht und lebt in Paris einen vergnügten Tag.« Ich kann diesen Fall nicht beurteilen, kann jedoch versichern, die Methode hat bis heute nichts an Beliebtheit eingebüßt.
~~~ Bei Ehrenburg erscheint der beinahe mönchisch lebende Babeuf auch nicht als ruhmsüchtig. Dagegen heißt es im Zusammenhang mit seiner letzten Verhaftung und dem sich anschließenden, weit weg von Paris in der Kleinstadt Vendôme inszenierten Schauprozeß gegen die Gleichen in der deutschsprachigen Wikipedia, aus unbekannten Gründen habe die Regierung den Sozialisten Babeuf als den Anführer der Verschwörung dargestellt, »obwohl wichtigere Leute als er darin verwickelt waren; seine eigene Eitelkeit spielte ihnen dabei in die Hände.« Vielleicht ging er in der Tat in der großen Rolle des Märtyrers auf. Immerhin hatte er wiederholt seine Bereitschaft zum Sterben bekundet. Ende Mai 1797, inzwischen 36 Jahre alt, wurde er gemeinsam mit Augustin Alexandre Darthé, der erst 27 war, zum Tode verurteilt. Andere Angeklagte bekamen Verbannung oder Freispruch, wobei dem »verdienten Postmeister« Jean-Baptiste Drouet mit stillschweigender Billigung des Direktoriums zur Flucht verholfen worden war. Drouet hatte am 21. Juni 1791 den fliehenden Ludwig XVI. erkannt und dessen Verhaftung veranlaßt. Dadurch war er in den Nationalkonvent beziehungsweise Rat der Fünfhundert – und nun vom Schafott gerutscht.
~~~ Unmittelbar nach der Urteilsverkündung hatten die beiden Hauptangeklagten vergeblich Selbstmord versucht. Es mangelte an einem geeignetem Dolch; sie hatten sich mit einem zurechtgefeilten Eisen »nur« schwer verletzt. Anderntags, nach Ehrenburg jedoch im Morgengrauen und deshalb nur vor schmalem Publikum, kamen sie auf der Place d'Armes von Vendôme unter die Guillotine. Fachleute der Revolution höhnen gern, der fehlende Dolch sei bezeichnend für den ganzen »Dilettantismus« der Gleichen gewesen. Man könnte sie mit der Nase auf den Staatsstreich stoßen, der nur zwei Jahre später erfolgreich verlief, obwohl er mindestens genauso stümperhaft ausgeführt worden war. Mit ihm kam der kleinwüchsige Napoléon Bonaparte in den Sattel. Er hatte die besseren, vor allem finanzkräftigeren Steigbügelhalter.

* Die Verschwörung der Gleichen, Berlin 1929
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