Sonntag, 14. Dezember 2025
Victoria Benedictsson
Verfaßt 2023

Sollte der Komponist Hans Rott, für meinen Brockhaus ohnehin Luft, von Johannes Brahms umgebracht worden sein, wie einige Quellen glauben, dann hießen die Mörder der schwedischen Schriftstellerin Victoria Benedictsson (1850–88) Georg und Edvard Brandes – jedenfalls in den Augen einiger Feministinnen. Der zuerst genannte Bruder war ein angesehener dänischer Gelehrter und Schriftsteller, den jeder Literaturwissenschaftler kennen muß. Die Bonner Dramaturgin Barbara Damm behauptet* allerdings, Benedictssons 1886 veröffentlichter Roman Frau Marianne sei keineswegs nur von dem Starkritiker gerügt worden, der zugleich, für eine kurze, brüchige Zeit, ihr Geliebter war. Benedictssons »unglückliche Liebe« zu Georg Brandes erwähnt Brockhaus sogar; zudem ihren Selbstmord. Im übrigen war das Echo auf den Roman durchaus geteilt. Nur den »Progressiven« im Lande Schweden dünkte er harmlos und rührselig – ein klarer Rückfall, wie sie fanden. Zwei Jahre später war die Autorin tot.
~~~ Die Tochter eines verbürgerlichten schonischen Landwirts hatte sich erst mit 30, um 1880, im Gefolge einer langwierigen Beinerkrankung (Reitunfall) aus den Fesseln sowohl ihres freudlos-frommen Elternhauses wie ihres mehr als doppelt so alten Gatten Christian freigestrampelt, der im südschwedischen Hörby Postmeister war und bereits fünf Kinder in die Ehe »eingebracht« hatte. Sie wäre lieber Malerin geworden. Jetzt aber wurde die zweifache Mutter von ihrer ausgedehnten Bettlektüre zum Schreiben verführt. Darin war sie von einem freigeistigen US-Amerikaner namens Charles de Quillfeldt und ihrem neuen jungen Vertrauten Axel Lundegård, Sohn des örtlichen Pastors, ermutigt worden. Schon ihre erste größere Veröffentlichung, noch unter männlichem Pseudonym vorgenommen, die Sammlung wirklichkeitsnaher Erzählungen aus dem südschwedischen Volksleben Från Skåne (Aus Skåne) von 1884, erntete viel Beifall. Ein Jahr darauf erzielte sie mit dem Roman Pengar (Geld) ihren größten Erfolg. Diese jüngste Prosa spiegelte eben ihren Befreiungskampf wieder – einen weiblichen also. Gleichwohl läßt sich in ihrem Tagebuch der Verdacht lesen, sie sei »womöglich eine Frauenhasserin«. Ein antipatriarchaler Vampir war sie jedenfalls nicht, wie ja dann auch Frau Marianne bekräftigte. Fotos verleiten dazu, auf eine kantige und spröde schonische Bäuerin zu schließen. Nach Übersetzer Johannes Wanner** hängten ihr manche Publizisten den Makel der »frigiden Hysterikerin« an.
~~~ Leider lernt sie in den literarischen Kreisen von Stockholm und Kopenhagen, in die sie nun eintaucht, auch Georg Brandes kennen. Damm stellt ihn als einen »brillanten Herold der neuen Literatur und verheirateten Lebemann« vor, der sich mit einem Bündel »positi-vistischer Essays« in ganz Europa berühmt geschrieben habe. »Obgleich Brandes schriftstellerisch durchaus ebenbürtig, hängt Victoria Benedictsson bald als aufmerksame Schülerin und Geliebte an seinen Lippen.« Das ist 1886 der Fall. Doch verschiedenen Quellen zufolge nimmt Brandes sie weder als Geliebte noch als Autorin wirklich ernst. Sie ist eine Anregung für ihn, mehr nicht. Die Enttäuschung mit dem »Rückfall« Frau Marianne kommt hinzu. Brandes‘ Bruder Edvard, ebenfalls Schriftsteller, hatte in seiner eigenen Kopenhagener Tageszeitung Politiken eine vernichtende Kritik veröffent-licht. »Das Todesurteil über meine Schriftstellerei, vielleicht über mich selbst«, trug Benedictsson dazu in ihr Tagebuch ein. Vermutlich war sie rundum verunsichert, beschämt, gekränkt. Im Januar 1888 unternahm sie einen ersten Selbstmordversuch.
~~~ Der Umstand, daß sie sich allerdings auch nicht von Georg Brandes lösen konnte, machte sicherlich einen beträchtlichen Teil ihrer Verstörung aus. Eine Paris-Fahrt aufgrund eines Stipendiums der Schwedischen Akademie half ihr nicht auf die Beine. Selbst ihr Mentor Lundegård wußte keine Mittel mehr gegen ihre Lebensmüdigkeit. Im zweiten Anlauf brachte sich die inzwischen 38jährige Schwedin im Juni 1888 in einem Kopenhagener Hotel um. Angeblich durchtrennte sie ihre Halsschlagader mit einem Rasiermesser. Guardian-Autorin Germaine Greer erinnert*** an Prud'hons Geliebte Constanze Mayer und behauptet zudem, man habe Benedictsson in demselben Hotelzimmer aufgefunden, wo Brandes sie dereinst »verführt« hatte. Der oder die nächste wird uns versichern, auch das Rasiermesser stammte von Brandes.

* Barbara Damm, http://parapluie.de/archiv/ohr/ausgegraben/ (2005)
** Johannes Wanner, http://www.achius.ch/literatur/achius_benedictsson.htm (2003)
*** »Death and the maiden«, https://www.theguardian.com/stage/2007/jul/26/theatre3, 26. Juli 2007

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