Samstag, 21. Januar 2023
Ein paar Robin Hoods
ziegen, 10:01h
Die Legende vom guten, edelmütigen Räuber des englischen Mittelalters dürfte bekannt sein. Aber in der Folge sprossen die Robin Hoods auch in anderen Gegenden Europas wie schillernde Pilze aus dem Boden. Diese späteren NamensträgerInnen soll es sogar nachweislich leibhaftig gegeben haben. Eine andere Frage ist, wie mitfühlend, armenfreundlich und uneigennützig sie tatsächlich waren. Meistens nicht so viel.
Hinter dem »Robin Hood der Rhön« verbirgt sich der ehemalige Weilarer Schäfersknecht Johann Heinrich Valentin Paul (1736–80), ein uneheliches Kind armer Leute. Er wird auch Rhönpaulus genannt. Da ihm die Mittel zu einer Heirat fehlten, ging er zu den Soldaten und zog ins Feld. Aufgrund einer Verwundung setzte er sich mit knapp 30 jedoch wieder ab. Er verbarg sich in einer am Neuberg bei Glattbach (Dermbach) gelegenen Höhle seines Heimatgebirges, wo er sich nun mit Beraubung Wohlhabender, Wilderei und Schmuggel (vornehmlich von Salz) über Wasser hielt. Angeblich* vermied er jede Körperverletzung seiner Opfer. Teile der Beute habe er notleidenden Einheimischen zugesteckt – bis er verraten und 1780, wohl mit 44 Jahren, aufgeknüpft worden ist.
Der Westerwald liegt ungefähr auf halbem Wege zwischen Bonn und Koblenz östlich des Rheins. In diesem wenig bekannten Mittelgebirge wuchs Andreas Balzar (1769–97) auf. Er stammte sogar aus einem Pfarrhaus. Die Weihen eines »Robin Hoods des Westerwalds« verpaßte er allerdings, falls mich die Quellen nicht täuschen. Während Theologensprößling Andreas in Herborn die Hohe Schule besuchte, schulte er sich aus offenbar krimineller Neigung im fürstlichen Park in Wilderei. Als ihn sein Erzeuger verstieß, ging er möglicherweise nach Rußland. Er soll es dort bis zum Kapitän einer zaristischen Leibgarde gebracht haben. Ob wahr oder nicht, ersparte es ihm einige Jahre später, 1797 in Westerburg, jedenfalls die Schmach des Enthauptens oder Erhängens. Er wurde nur erschossen. Aus undurchsichtigen Gründen in den Westerwald zurückgekehrt, hatte Balzar seinen eigenen Verein aufgemacht, eine Räuberbande. Auch mit ihr blieb er vorwiegend der Wilderei treu. Damals war der Westerwald ein Zankapfel französischer und österreichischer Truppen. Als sich angeblich ein französischer Offizier an Balzars Flammersfelder Braut verging, blies er seine Mannen wie auch alle einheimischen mutigen Burschen erst recht gegen die Franzosen, was ihm in manchen Nachschlage-werken immerhin den Ruf eines »Freischärlers« oder wenigstens »Widerstandskämpfers« eingebracht hat.** Zu einer allgemeinen Volkserhebung reichte es nachweislich nicht. Balzar wilderte weiter, verbündete sich gelegentlich mit österreichischen (»kaiserlichen«) Einheiten, wurde von den Franzosen als Le capitain noir (Der schwarze Hauptmann) gejagt. Der übliche Verrat brachte ihm mit 28 die Verhaftung und das Todesurteil ein. Darauf blühten die Legenden. Gut 200 Jahre später schwang sich der Weilburger Schulmeister Christian Spielmann, später Direktor des Stadtarchivs Wiesbaden, sogar zu dem Erzählwerk Balzar von Flammersfeld. Roman vom Westerwalde auf, das ich allerdings nicht kenne. Erschienen 1906 in Leipzig, dürfte es heute so gut wie verschollen sein.
Der »Robin Hood des Hunsrücks« hieß Schinderhannes. Er kam 1803 in Mainz mit ungefähr 25 unters Fallbeil, wobei rund 30.000 Schaulustige ihre Unterhaltung gehabt haben sollen.*** Heute wird übereinstimmend angenommen, die Legende des volksfreundlichen Schinderhannes habe nur sehr wenig mit dem Bärenbacher Schinder-Lehrling Johannes Bückler zu tun, dessen Geburtsjahr umstritten ist. Nach manchen Quellen eröffnete er seine Gangsterlaufbahn damit, seinem Meister, woanders auch »Abdecker« genannt, einen Stapel Kalbsfelle zu entwenden. Vielleicht standen sie ihm ja wirklich zu, wie er später behauptete, aber was er in der Folge mit wechselnden Spießgesellen bei zahlreichen, vornehmlich jüdischen Krämern und Viehhändlern der Gegend zusammenstiehlt, um sich nicht mehr »schinden« zu müssen, geht in moralischer Hinsicht kaum auf eine Kuhhaut. Von »Wohltaten« keine Spur. Das ficht natürlich Carl Zuckmayers Drama Schinderhannes von 1927 nicht an, mit dem sich der Rheinhesse einen guten Teil seines Weltruhms erschrieb. Vermutlich wäre er der historischen Wahrheit auch mit Andreas Balzar nicht näher gekommen, ging doch Zuckmayers Trachten dahin, ein Gegengewicht zu Piscators politischem Theater zu setzen, wozu es eben eines uns ans Herz greifenden Räubers bedurfte. In Wirklichkeit dürften auch einige Tote aufs Konto der Bückler-Bande gehen, nur nicht aus den Reihen der Fuggers oder Fürsten.
Der gelernte Maurer Bernhard Matter (1821–54) wirkte vornehmlich im Kanton Aarau, Schweiz. Normalerweise hätte man ihn als Berufsdieb bezeichnet, von denen es bekanntlich viele gibt. Da sich die Einbrüche, Schmuggeltouren und Überfälle Matters, die er teils allein, teils mit Bande vornahm, ausschließlich gegen wohlhabende MitbürgerInnen richteten und er zudem einen guten Teil der Beute zu Spottpreisen unter die armen Leute gebracht haben soll, erwarb er sich jedoch, neben dem Ruhm als Meisterdieb, Herzensbrecher und Ausbrecherkönig, im Laufe der Legendenbildung den Titel des »Schweizer Robin Hoods«. 1854, ein Jahr nach seinem jüngsten Ausbruch, wurde der »von allen Maitli« begehrte Gastwirtssohn, wohl durch Verrat, in einer Teufenthaler Herberge aufgespürt und noch im selben Jahr in Lenzburg von Staats wegen, mit dem Schwert, enthauptet. Wieviele Morde der erst 33jährige auf dem Gewissen hatte? Keinen. Es heißt, er habe nicht einem Opfer oder Ordnungshüter auch nur ein Haar gekrümmt.**** Aber er hatte hartnäckig das heiligste Menschenrecht des Kapitalismus verletzt, das Eigentum.
Wir schließen mit dem Wiener Wald. Im Ersten Weltkrieg war der Arbeiterjunge Johann »Schani« Breitwieser (1891–1919) desertiert. Jetzt verlegte er sich auf das Knacken von Geldschränken. Sein letzter Coup galt der Hirtenberger Waffen- und Munitionsfabrik der Sippe Mandl, die sich auch noch um den Zweiten Weltkrieg verdient machte. Wegen Juniorchef Fritz Mandl wird sich 1924 eine Schauspielerin erschießen, Eva May. Aber so eine Gans, die noch nicht einmal in der Selbstmordart Unabhängigkeit beweist, können wir getrost übergehen. Breitwieser erntet bei jenem »Bruch« eine halbe Million Goldkronen, wird allerdings kurz darauf in St. Andrä bei Wien von der Polizei in seinem damaligen Unterschlupf aufgespürt und im Eifer der Fahndung in die Lunge geschossen. Er stirbt am folgenden Tag. Seinem Begräbnis wohnten, je nach Quelle, 10.000 bis 40.000 Menschen bei. Der knapp 28jährige dunkelhaarige Ganove, auf Polizeifotos zünftig mit Oberlippenbart, genoß nämlich einen Ruf als »Robin Hood von Meidling« – nach dem Wiener Arbeiterbezirk, aus dem er stammte. Tote lud er offenbar nie auf sein Gewissen. Zu Hause hatte er das ärmliche Los von, je nach Quelle, 11 bis 15 Geschwistern zu teilen.***** Schließlich brachte er sich Feilen, Schießen, Schweißen und auch die erforderlichen PR-Kniffe bei. Damals konnte man in vielen Fällen noch wirkungsvoll mit Nachschlüsseln zu Werke gehen. So soll er einmal vor Kriegsende einer Menge, die sich nach Ladenschluß mit großen Augen vor dem gut gefüllten Schaufenster einer Bäckerei herumdrückte, im Vorübergehen mit seinem Dietrich die Eingangstür aufgeschlossen haben, bevor er sich mit seinen Kumpanen verzog. Die Menge habe die Bäckerei gern geentert. Möglicherweise war das nicht nur eine PR-Maßnahme, falls es stimmt. Breitwieser wußte, was Hunger ist.
* https://www.rhoenline.de/rhoenpaulus.html, Stand 2009
** Hessische Biografie, Stand 2020: https://www.lagis-hessen.de/pnd/122781406
*** Florian Stark, https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article235164056/Schinderhannes-Die-Henker-bemuehten-sich-sein-Blut-aufzufangen.html, 21. November 2021
**** https://www.muhen.ch/portrait/geschichtliches/bernhard-matter/ (o. J.)
***** Andreas Liberda, https://www.w24.at/News/2019/3/Schani-Breitwieser-Der-beste-Einbrecher-den-wi, 29. März 2019
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