Montag, 24. September 2018
Connie Reeves
Geschrieben 2016


Dem Nachruf der New York Times zufolge (Douglas Martin) war sie sehr wahrscheinlich das älteste Cowgirl der USA gewesen. Und Meg Clark, der 39jährige Leiter des Camps Waldemar im Städtchen Hunt, Texas Hill Country, versicherte, genau so, wie es im August 2003 kam, hatte Connie Reeves auch abtreten wollen: auf einem Pferde-rücken. In Camp Waldemar war sie für rund sechs Jahrzehnte als Reitlehrerin tätig gewesen. Ungefähr 30.000 „girls“ soll sie das Reiten beigebracht haben. Freilich beherrschte sie auch noch etliche andere Dinge. Sie konnte Stiere treiben, Schafe scheren, Hirsche schießen, Klapperschlangen unschädlich machen, für Dutzende hungriger Viehhirten kochen und so weiter. Nur reiten konnte sie vielleicht doch nicht perfekt genug. An jenem verhängnisvollem Augustmorgen ritt sie Dr. Pepper, einen von ihr bevorzugten, 28 Jahre alten gescheckten Wallach, der seine Freundin freilich nicht zum ersten Mal abgeworfen hatte. Dieses Mal zog sich Reeves beim Aufprall schwere Verletzungen zu, die nicht mehr zu heilen waren. Sie starb knapp zwei Wochen später in einem Krankenhaus von San Antonio – mit 101 Jahren.

Geboren 1901, war sie in Eagle Pass, Texas, unmittelbar am Rio Grande, dem Grenzfluß zu Mexiko, mit Pferden und Cowboys aufgewachsen. Als sie 16 war, ging ihr Vater, ein Rechtsanwalt, nach San Antonio, aber da war es schon zu spät. Zwar studierte auch Constance Jura, doch schloß sie dieses Studium nicht ab, jobbte vielmehr schon als Englisch- und Reitlehrerin, um ihre von der „Depression“ gebeutelte Familie mit über Wasser halten zu können. In Camp Waldemar heuerte sie 1936 an. Hier lernte sie den ehemaligen Rodeo-Champion Jack Reeves kennen, den sie 1942 heiratete. Er starb 1985. Kinder hatten sie nicht. „I'm sure glad I don't have grandchildren“, bemerkte sie 2002 in einem Interview mit Associated Press. „The world today, it's disturbed.“ Reeves kam nie aus Texas heraus. „Let the East have their computer wizards, their skyscrapers, their stock market, their pollution [Umwelt-verschmutzung]“, sagte sie 1998 in ihrer Dankrede für den Chester A. Reynolds Memorial Award. „But leave the wide open spaces and the fresh air to the West.“

Da das Camp nur saisonal geöffnet hatte, bewirtschaftete das Ehepaar „außerdem“ über Jahrzehnte eine 40 Quadratkilometer große Schaf- und Rinderranch, die ebenfalls dem damaligen Campchef Josh Johnson gehörte. Allerdings soll Connies Verbindung mit dem ungehobelten Jack Reeves nicht lange gehalten haben. Ob, wo und in welchem Maße die junge Frau jemals Liebeswonnen erfuhr, ist nicht zu ermitteln. Vermutlich werden mögliche wunde Punkte auch in ihrem 1995 veröffentlichtem, knapp 100 Seiten schmalem Erinnerungsbuch I Married a Cowboy: Half Century with Girls and Horses at Camp Waldemar nicht benannt, vielmehr elegant umritten.

Leider gewähren die mir zur Verfügung stehenden Internet-Dokumente auch keine überzeugende Offenba-rung der hochbetagten Frau Reeves. Man hätte ja zu gern gewußt, wie sich 100 Jahre anfühlen, zumal auf einem Pferd. Olga Craig vom Telegraph, die die Greisin im Oktober 2002 in Hunt aufsuchte, erwähnt zunächst das Geständnis der Pferdebändigerin, in „Automobilen“ zu fahren, sei ihr nie geheuer gewesen. Ansonsten falle die Annahme freilich schwer, so Craig, Reeves könne sich vor irgendetwas ängstigen. Obwohl zart gebaut, wirke Reeves körperlich fit. „Even in shirt and jeans her hair and make-up are immaculate [makellos].“ Von Dennis McLellan (Los Angeles Times, 2003) erfahren wir, vier Jahre vorher habe die alte Dame eingeräumt, nichts könne sie vom Reiten abbringen. Zwar sei sie schon fast blind und höre schwer, sodaß ihr viele Anblicke oder Vogelgesänge entgingen, doch sie könne es nicht lassen – „it's in my blood.“

Einige Monate vor ihrem Tod stellte Connie Reeves in einem Manuskript fest, nach ihren Erfahrungen harmo-nierten Pferde besser mit Frauen als mit Männern. Schon deren rauhe Stimmen erschreckten die Pferde. Dasselbe Pferd, das von einem Kerl keine Trense annehmen wolle, akzeptiere sie aus der sanfteren Frauenhand. Hier drängt sich allerdings die Frage auf, was dann in Dr. Pepper gefahren sei, bevor er Connie Reeves, die viel Sinn für Komik hatte und entsprechend häufig lachte, zu Boden gehen ließ. Nach Darstellung der St. Petersburg Times (Bill Duryea, 2003) kann von einem Bocken und einem Abwurf kaum die Rede sein. Wenige Tage vor Ende des damaligen Sommercamps war Connie in Begleitung der Campeigentümerin Marsha Elmore zum Fluß ausgeritten. Dabei fuhr wohl eher etwas in die betagte, „schon fast blinde“ Reiterin, wünschte sie doch nach einiger Zeit, ihr Pferd in Galopp zu versetzen. Bei diesem mit Körper-einsatz verbundenen Gangartwechsel senkte Dr. Pepper seinen Hals, worauf Reeves vornüber kippte. Die 101-jährige hatte schlicht nicht mehr die Muskelkraft, sich im Sattel zu halten.

Selbstverständlich war sie nicht zum ersten Mal von einem Pferd gefallen. Sie hatte schon einige Verletzungen eingesteckt. Als sie 93 war, trat ihr Pferd bei einem Ausritt in ein Hornissennest. Das zerstochene Tier bockte, warf Reeves ab – und sie landete genau in dem Nest. Sie brach sich fünf Rippen und einen Arm. Die Stiche der Hornissen verkraftete sie besser als ihr Pferd. Die Leitung des Reitunterrichts gab sie erst mit 96 oder 97 ab. Nun jedoch, mit 101, hatte sie durch ihren letzten Unfall bekommen, was sie angeblich unbedingt wollte: beim Reiten sterben. Vielleicht war es ein halber Selbstmord. Zu den Wahl-sprüchen der Pferdenärrin und allseits verehrten, zum Teil auch gefürchteten, strengen Reitlehrerin Reeves zählte Always saddle your own horse. Bestimme dein Leben selbst.
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