Dienstag, 1. Juli 2014
Erich Kuby
Gestorben 2005 mit 95 Jahren, ist der bekannte linke Journalist und Buchautor sicherlich nicht der uninteres-santeste Mensch auf meiner Greisenliste, gleichwohl werden Sie hier nichts Bewegendes über ihn erfahren. Während einem per Email unternommenen Vorstoß bei seinem jüngsten Sohn kein Echo beschieden war, schrieb ich dessen Mutter gar nicht erst an, weil ich mir sagte, so wie ich sie einschätze, wird sie mich spätestens für einen Rüpel halten, wenn sie beim Überfliegen meiner Webseite über spöttische Bemerkungen zur beliebten männlichen Jungbrunnenkur stolpert. Mit Susanna Böhme-Kuby, geboren 1947, war der Gegenstand dieses Artikels in zweiter Ehe verheiratet. Das Paar lebte seit ca. 1980 überwiegend in Venedig, wo Kuby auch starb. Mit der Literaturwissenschaftlerin und Journalistin und offen-sichtlichen Italien-Kennerin, von der ich öfter entspre-chende Beiträge im Ossietzky lese, soll Kuby auch just jenen Jüngsten gezeugt haben. Wahrscheinlich kam D. 1982 zur Welt. Demnach hatte Erich Kuby, geboren 1910, bei dessen Zeugung bereits die 70 überschritten.

Der Akt deutet zudem auf gewisse ökonomische Potenzen Kubys hin. Schließlich hatte er mit seiner ersten, 1938 geheirateten Frau Edith Schumacher, einer Bildhauerin, auch schon vier Kinder. Davon abgesehen, war er wohl ohnehin für ein Leben als Bettler oder Mönch ungeeignet. Selbst sein bissiger Bericht (von 1951) über eine Cocktail-party auf dem Landsitz des angeblich sozialistischen Marschalls Tito verrät, daß Kuby selber für die Verlok-kungen erlesenen Genußreichtums nicht unempfänglich war. Das bestätigte ihm später (in einem Nachruf) auch sein Kollege aus der stern-Redaktion Günther Schwarberg. Kuby sei gewiß „der einfallsreichste Journalist“ gewesen, hätte es freilich „mit den großen Namen und der feinen Lebensart“ gehabt. Kubys gutes Gespür für den Lebens-wandel der Oberen Zehntausend geht selbstverständlich auch aus seinem bekanntesten Buch über eine „Edelhure“ aus Frankfurt/Main hervor. Andererseits betont er im Vaterland, neben dem „aktiven Musizieren“ sei es ihm immer wichtig gewesen, handwerklich zu arbeiten, so am elterlichen Gehöft in Bayern, später an seinem ehemaligen Fischerhäuschen auf einer jugoslawischen Adriainsel. Damit habe er versucht, der Lebensfremdheit entgegen-zuwirken, die sehr viele seiner Zunft auszeichnet.

Kuby war gut verdienender Redakteur u.a. bei Süddeut-scher Zeitung, Spiegel, stern, doch den meisten Gewinn und Ruhm trug ihm jenes Buch Das Mädchen Rosemarie von 1958 beziehungsweise dessen Verfilmung (mit Nadja Tiller, Mario Adorf, Gert Froebe, Peter van Eyck) aus demselben Jahr ein. Die 24jährige „Edelhure“ Rosemarie Nitribitt war im Jahr zuvor in Frankfurt/Main ermordet worden. Von diesem bis heute unaufgeklärten Kriminalfall angeregt, prangerte Kuby Habgier, Heuchelei und Doppel-moral in Ludwig Erhards Wirtschaftswunderdeutschland an. Im Vorwort zu meiner DDR-Ausgabe von 1988 erwähnt der Autor, sein zumeist als Roman bezeichneter Wurf über Rosemarie habe damals binnen zweier Jahre 17 Übersetzungen erlebt, „sogar ins Japanische“. Doch für mein Empfinden mangelt es diesem Text über die Sinnlichkeit an Sinnlichkeit. Er fesselt wenig. Vermutlich brachte er es vor allem deshalb zum „Renner“, weil die KäuferInnen auf den „geilen“ Inhalt scharf waren, den sie sich (gemäß der zeitgenössischen Prüderie) von ihm versprachen. Wenn ja, wurden sie enttäuscht. Mehr noch, ärgert das Buch sogar durch einige Längen. Stark ist es in den Zügen Betrug, Erpressung, Industriespionage und Kalter Krieg, die es dem um ein „Isoliermattenkartell“ gerankten Mordfall verleiht. Diese Freiheit nimmt sich Kuby, doch den Mord selber (und die TäterInnen) spart er aus, was erneut nur zur Enttäuschung des Lesers beitragen kann. Wahrscheinlich krankt sein Werk über die Prostituierte Rosemarie an dem Umstand, weder Fisch noch Fleisch zu sein, also weder Reportage noch Roman.

1989 brachte Kuby eine umfangreiche Sammlung journa-listischer Arbeiten unter dem Titel Mein ärgerliches Vaterland heraus. Etliche Beiträge zeugen von bemerkens-werter Hellsicht, so wenn Kuby 1950 vor den drohenden Verheerungen massenmedialer „pausenloser Unterhal-tung“ warnt, 1954 die Anfälligkeit des „Konsumenten“ für die „Perfektion der Technik“ beklagt, ab 1958 wiederholt das fraglose Inkaufnehmen von jährlich mehreren Tausend Autoverkehrstoten erwähnt und 10 Jahre später auf eine westliche Doppelmoral hinweist, die Revolutionen plötzlich liebenswert macht, sofern sie im Prager Frühling stattfinden. Die xte Auflage davon haben wir gerade in Kiew erlebt. Andererseits unterlaufen Kuby naturgemäß auch ein paar Fehleinschätzungen. Die gravierendste (Kubys Lieblingsfremdwort) betrifft den sozialdemokra-tischen russischen Wolf im Schafspelz, Gorbatschow. Dafür machte er sich über die Ikone vieler Sozialisten oder Trotzkisten Tito keine Illusionen, wie ich bereits angedeu-tet habe. Seine eigenen Vorstellungen einer „alternativen“ Gesellschaft bleiben verschwommen. Im Grunde seines Herzens dürfte er jedenfalls nie Umstürzler, vielmehr Reformist gewesen sein. Auch Kuby wirbt dafür, sich für die jeweiligen Übelchen stark zu machen, wie ich sie einmal genannt habe. 1987 versteigt er sich sogar zu diesem interessanten Vergleich: „Also was tun? Kleinere Brötchen backen, wenn das große Brot nicht gebacken werden kann? Ist das Opportunismus? Natürlich, aber kein egoistischer, jedenfalls generell nicht. Wer als Grüner mitmischt, tut es nicht, weil es angenehm ist, Abgeord-neter oder gar Minister zu sein; er tritt in die SS ein, um das Schlimmste zu verhüten. Ein böser Vergleich? Gewiß. Bös, aber nicht falsch!“

Immerhin ist er nie selber in den zahlungsfreudigen Staatsapparat „eingetreten“. Er schrieb und veröffentlichte bis kurz vor seinem Tod. Seine Kolumne „Der Zeitungs-leser“ erschien noch 2003 im Wochenblatt Freitag. Er hielt bis zuletzt an der vertrauten Schreibmaschine fest, schickte die Texte allerdings per Fax an die Redaktion. Weiter heißt es, er habe bis zu seinem Tod (2005) gezeichnet und aquarelliert. Von Krankheiten, Gebrechen, Schmerzen wird nichts berichtet. Selbst die Bombardie-rung Venetiens, das gerade wieder Sezessionsgelüste zeigt, durch die Nato blieb ihm erspart.
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