Samstag, 19. Oktober 2013
Abraham Wald und die Wahrscheinlichkeit
Geschrieben 2014


Striche ich in meinem 24bändigen Brockhaus, der in meinem Bücherschrank ohnehin zuviel Platz beansprucht, lediglich die Personen, die durch Autounfälle und Flug-zeugabstürze umgekommen sind, wäre er bereits auf 23 Bände geschrumpft. Einer von ihnen war der jüdische, vom Balkan stammende US-Mathematiker Abraham Wald, geboren 1902, ein laut Lexikon bedeutender Statistiker, seit 1941 Professor an der Columbia University in New York City. Er fiel mitsamt seiner Gattin Lucille im Dezember 1950 auf dem Weg zu einer Gastvorlesung aus der Luft in die südindischen Nilgiri-Berge. Das sind die „Blauen Berge“ – die hätte er auch bequemer in den Staaten gehabt.

Es ist vielleicht nicht uninteressant, daß Statistiker Wald, beflissener Zuarbeiter der US-Rüstungsindustrie, auch als Schöpfer einer Faustregel gilt, die Fachleute „Survivorship-Bias“ nennen. Sie geht auf die Einsätze britischer Bomber im Zweiten Weltkrieg zurück. Da zuviele Bomber abge-schossen wurden, untersuchten die britischen Ingenieure die zurückgekehrten Maschinen auf die Einschußlöcher hin und empfahlen von daher, die Stellen mit den meisten Einschußlöchern zusätzlich zu panzern. Doch die Abschuß-rate sank nicht. So nahmen sie an, das Übergewicht durch die Panzerung sei schädlich und ließen sie wieder weg. Da meldete sich Abraham Wald, der von dem Problem Wind bekommen hatte, und riet den Ingenieuren, die Maschinen nicht dort zu panzern, wo viele Einschußlöcher waren, sondern dort, wo es keine Einschußlöcher gab. Das sorgte zunächst für Stirnrunzeln und mildes Lächeln, erwies sich jedoch als Volltreffer.

Walds Gedanke hinter dem Vorschlag lag ja eigentlich auf der Hand: Man hatte es versäumt, an die nicht zurückge-kehrten, die abgeschossenen Flugzeuge zu denken. Bei den anderen mußten sich die Einschußlöcher an vergleichs-weise harmlosen Stellen befinden, sonst wären sie ebenfalls nicht zurückgekehrt. Die „Versager“ dagegen hatte es offensichtlich an anderen, empfindlicheren Stellen erwischt. Damit war jene Faustegel gewonnen, die frei übersetzt besagt: wer lediglich die Überlebenden oder Erfolgreichen betrachtet, wird zu einem verzerrten Bild der Verhältnisse kommen. Wahrscheinlich könnte man sogar behaupten, der ganze Kapitalismus mit seiner berüchtigten „Wachstums“-Idiotie beruhe auf eben solchen Verzer-rungen. Für Leute, die sich dazu entschließen, auch mal ein erfolgreicher Künstler, Sportler oder Politiker zu werden, da es ja offensichtlich, nach deren Präsenz in den Medien zu urteilen, kinderleicht sei, genügt vielleicht schon der Hinweis, die Medien ließen die Heerscharen von Gescheiterten in der Regel unter den Tisch fallen, weil sie dem lieben Publikum ein gar zu „defätistisches“ Bild zumuten würden. Nicht anders verhält es sich mit vielen Ratgebern: sie führen drei anspornende Beispiele an und lassen 3.000 andere, eher entmutigende aus Platzgründen weg.

Was nun Walds Reise nach Indien betrifft, hatte er sich vielleicht mit Statistik beruhigt. Heute kommen bei Flugreisen jährlich weltweit im Schnitt „nur“ 1.000 Leute um – ein magerer Ortsteil von Waltershausen. Bei mehr als vier Milliarden Fluggästen im Jahr liege das Risiko, bei einem Absturz zu sterben, bei rund 0,00001 Prozent, lesen wir etwa im Ratgeber Die Zeit (10. Juni 2009). Das nennt man wohl Wahrscheinlichkeitsrechnung, die mich schon als Jugendlicher fesselte. Nur habe ich sie nie begriffen. Inzwischen glaube ich, sie täuscht eine Berechenbarkeit des Risikos für den Einzelnen lediglich vor. Wenn anders, müßten wir wissen, nach welchen Gesetzen der Zufall verfährt – ein schwarzer Schimmel. Den Zufall interessiert die Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht. Das betrifft erst recht solche Unfälle, in denen „Wahrscheinlichkeiten“ der Sorte „persönliche Disposition für eine rheumatische Erkrankung“ oder „schlechter Ruf der Fluggesellschaft Gurke, die nur Wracks betreibt“, nicht oder kaum im Spiel sind. Niemand kann erklären, warum es den regelmäßigen Fluggast A. erst in 20 Jahren oder nie erwischt, B. dagegen schon bei seiner Jungfernfahrt.

Eine Bemerkung des polnischen Schriftstellers Henryk Sienkiewicz in seinen Briefen aus Amerika dürfte in dieselbe Richtung zielen. Im Sommer 1876 liebäugelt er mit der Bärenjagd und besucht zunächst einen kalifor-nischen Squatter, der in seinem abgeschiedenen Gebirgstal gerade an einem „richtigen“ Blockhaus baut. Die erste Nacht in der Wildnis habe doch arg an seinen Nerven gezerrt, können Sienkiewicz' Landsleute in einer Warschauer Zeitung lesen. Jedes Rascheln schien ihm Skorpion oder Klapperschlange, jedes Fauchen Luchs oder Puma anzukündigen. Mit dem jähen Auftauchen eines funkelnden Augenpaars über der erst hüfthohen Haus-wand rechnend, starrte er von seinem Hobelspänenlager aus, statt zu schlafen, Löcher in die Dunkelheit. „Vielleicht passierte das in tausend Nächten nicht, dennoch konnte es in einer geschehen. Wer garantierte mir, daß diese eine nicht gerade angebrochen war?“

Ob auch die Boeing 777 des Flugs MH370 der Malaysia Airlines unter den Zufall oder die Wahrscheinlichkeits-rechnung fällt, läßt sich wahrscheinlich nach einem Monat noch nicht ermessen. Sie verschwand am 8. März 2014 auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking bald nach dem Start (am frühen Morgen) und gilt seither als verschollen. An Bord befanden sich 239 Personen, darunter 152 BürgerInnen der VR China und 50 aus Malaysia. Bis zur Stunde hat angeblich niemand einen blassen Schimmer davon, wo sie geblieben sein könnten, und ihre Angehö-rigen sind entsprechend guter Laune.

Nun läßt sich ein derart großes Linienflugzeug kaum wie ein gestohlener BMW der Hubraumlinie 7 unbemerkt in einem abgelegenen Bambushain in eine als Jagdhütte getarnte Garage fahren. Stürzt es jedoch ins Meer, wirbelt es normalerweise noch immer diverse Wellen auf, darunter solche etlicher Radarstationen. Die Vermutung auf faule Schliche liegt deshalb nahe. Tatsächlich bestätigte der malaysische Ministerpräsident Najib Razak, zum Zeitpunkt ihres Verschwindens seien in der Maschine die Kommunikationsgeräte abgeschaltet gewesen. Dies können in der Regel nur gelernte Piloten – unter Umstän-den auch unter Zwang. Andere BeobachterInnen sehen gleichwohl die Möglichkeit, diese Geräte seien absichtslos ausgefallen, wegen eines Schadens oder Brandes. Razak bestätigte außerdem einen unfahrplanmäßigen, krassen Kursschwenk der Maschine gen Westen oder Süden, in den Luftraum des Indischen Ozeans. Die Webseite Alles Schall & Rauch merkt dazu an, zufällig befände sich auf der neuen Linie, die die Boeing nach der Funkstille einge-schlagen habe, die US-Militärbasis von Diego Garcia auf dem gleichnamigen Atoll, das mitten im Indischen Ozean liegt. Selbstverständlich hätten sie dort die Boeing auf ihrem Radarschirm erblicken müssen – falls sie Lust gehabt hätten, dies der Weltöffentlichkeit auf die Nase zu binden. Die Webseite erwägt sogar einen rächenden Angriff von „Terroristen“ mittels der entführten Maschine auf den Stützpunkt, vielleicht sei sie dabei abgeschossen worden. Diese Theorie kommt mir allerdings reichlich abenteuerlich vor. Sie zerschellt bereits an dem Zweifel, eine solche Luftschlacht könne von aller (Spionage-)Welt unbemerkt stattfinden oder jedenfalls vier Wochen lang geheimgehalten werden. Andererseits gilt das auch wieder für das angebliche spurlose Verschwinden der Riesen-maschine.

Inzwischen sind weitere zwei Monate mit (angeblich) aufwendiger Suche ins Land beziehungsweise in die See gegangen – nichts. Kritische Hintergrundartikel über den Fall sind rar. Der mexikanische Politologe und Hochschul-lehrer Alfredo Jalife-Rahme legte am 30. April auf Voltairenet.org Informationen und Erwägungen vor, die ich bis dahin nicht kannte. Schon vier Tage nach dem Verschwinden der Boeing habe Russia Today an ein erst kürzlich in den USA erteiltes Halbleiter-Patent erinnert, das große Bedeutung für die allermodernste und selbstverständlich sehr einträgliche Rüstungsproduktion besitze. Es geht dabei um eine tarnende oder enttarnende elektronische Kriegsführung, je nach Bedürfnis. Zugleich habe das russische Portal darauf hingewiesen, zufällig hätten in der verschwundenen Maschine 20 für das Pentagon tätige Mitarbeiter der texanischen Firma Freescale Semiconductor gesessen, allesamt Elektroniker-Innen. 12 von ihnen stammten aus Malaysia, acht aus der VR China. Diesen Umstand hatte Reuters (Artikel von Noel Randewich) bereits einen Tag nach dem Verschwin-den gemeldet. Von diesen acht wiederum seien vier Personen LizennehmerInnen jenes Patentes gewesen. Damit stellten sie 80 Prozent der RechteinhaberInnen. Die restlichen 20 Prozent hielt die Firma Freescale Semicon-ductor, als juristische Person, selber. Nun habe es die Bestimmung im Lizenzvertrag gegeben, im Fall eines Ablebens eines Teilnehmers gingen die Rechte (und Einnahmen) zu gleichen Teilen an die überlebenden TeilnehmerInnen. Da die Passagiere der Boeing bekannt-lich als verschollen und vermutlich bald für tot gälten, könne man sich an fünf Fingern ausrechnen, wer ein beträchtlicher Nutznießer ihres Verschwindens sei: Freescale Semiconductor. Diese Firma gehöre, so der 66jährige Professor aus Mexiko, der „umstrittenen und unsichtbaren Firma Blackstone“, deren Besitzer wiederum der britisch-israelische Bankier und „Baron“ Jacob Rothschild sei, geboren 1936.

In dieselbe Kerbe schlug rund zwei Wochen später Mahathir Mohamad (88), wie der schweizer Blick am 20. Mai meldete. Der ehemalige Premierminister Malaysias habe den starken Verdacht, der Hersteller Boeing und die CIA verheimlichten die tatsächlichen Vorgänge. Das verschwundene Flugzeug habe, mit anderen Maschinen dieser Baureihe, über die technische Möglichkeit verfügt, es entgegen dem Willen der Crew ferngesteuert zu fliegen. Mohamad verwies auf ein entsprechendes Patent der Firma Boeing aus dem November 2006. Diese Einrich-tungen würden jedoch mit Schweigen bedeckt, was ihn stutzig gemacht habe. Liegt Mohamad richtig, wäre selbstverständlich auch die oben erwähnte Lahmlegung der Kommunikationsanlage der verschwundenen Maschine nicht mehr verblüffend.

Einem Spiegel-Bericht vom 27. Mai zufolge ist die von U-Booten unterstützte Suche im Indischen Ozean noch im Gang. Die britische Firma Inmarsat und die malaysischen Behörden steckten aufgrund von Notsignalen der Boeing, die trotz jener Lahmlegung über Satelliten empfangen worden waren, westlich von Australien ein Gebiet von der Größe Syriens ab. Es erreicht stellenweise bis knapp 8.000 Meter Meerestiefe. Nach langer Weigerung seien die Satelliten-Daten sogar veröffentlicht worden, doch etliche unabhängige WissenschaftlerInnen bezweifeln den Wert des betreffenden Reports, den sie für lückenhaft, dafür umso geschwätziger halten. Auch das Absuchen des Meeresbodens könnte sich tüchtig strecken: man rechnet im schlimmsten Fall mit einem Jahr. Falls nicht nur Militär beteiligt ist, wäre das selbstverständlich der beste Fall, nämlich der einträglichste. Dann würden sich die 239 Verschollenen oder Toten auch für die Tauch- und Bergungsfirmen lohnen.

Im selben Jahr verfaßt:


Hersh trauert den Zeiten der Wahrheit nach

Im Dezember 2013 und April 2014 legte Seymour Hersh in zwei Artikeln sehr starke Anhaltspunkte für die Berechti-gung des vielen kritischen Beobachtern geläufigen Verdachts vor, die weidlich ausgeschlachteten Giftgasan-schläge in der syrischen Region Ghuta vom August 2013 seien keineswegs vom Assad-Regime, vielmehr von den „Rebellen“ der islamistischen Al-Nusra-Front unter Anstiftung und mit tatkräftiger Unterstützung des türkischen Geheimdienstes verübt worden, und eben dieser Umstand sei dem Weißen Haus durchaus bekannt gewesen.

Trifft der Befund zu, liegt er nebenbei tadellos auf der Linie eines erst kürzlich aufgeflogenen (angeblichen) Verschwörergesprächs im türkischen Außenministerium in Ankara. Ein Mitschnitt davon fand sich am 27. März 2014 auf YouTube. Das Gespräch unter acht Augen, das wenige Tage nach dem Abschuß eines im Grenzgebiet manövrie-renden syrischen Kampfflugzeuges durch die Türkei statt-fand, führten Außenminister Ahmet Davutoğlu, dessen Staatssekretär Feridun Hadi Sinirlioğlu, Geheimdienstchef Hakan Fidan und Vizegeneralstabschef Yaşar Güler. Es wird vermutet, die vier Herren wurden durch Wanzen oder aus geraumer Entfernung durch ein Richtmikrofon abgehört. Nach einem Bericht des schweizer Blatts und Portals 20-minuten erwogen sie unter anderem die Vortäuschung einer Attacke auf die türkische Exklave um das Grabmal von Süleyman Schah in Syrien, um dadurch einen Vorwand für einen Angriff auf den Nachbarstaat zu schaffen. Offenbar räumte die türkische Regierung das Gespräch zumindest grundsätzlich ein. König Erdogan habe die Enthüllung als „unmoralisch“ und „verachtens-wert“, sein Außenminister Davutoğlu als einen „Angriff auf die türkische Republik“ gegeißelt.* So kann man den Satirikern der Welt den Wind aus den Segeln nehmen.

Damit zurück zu Hersh. Bemerkenswerterweise sah sich der renommierte Skeptiker gezwungen, die genannten jüngsten Artikel in einer britischen Literaturzeitschrift (London Review of Books) unterzubringen, weil sie von seinen Stammblättern The New Yorker und Washington Post zurückgewiesen worden waren. Dem britischen Guardian gegenüber hatte er schon im Juli 2013 geseufzt: „Es steht schlecht um die Republik, wir lügen zu allem, die Lüge ist zum Standard geworden.“ Hersh ist inzwischen 77 Jahre alt. Der Ruhm des alten Muckrakers aus Chicago, Illinois, begann 1969, während des Vietnamkriegs, mit der Aufdeckung des „Massakers von My Lai“. Den besten Scherz im Zusammenhang mit Hersh machte George W. Bush nach 9/11: „Seymour Hersh ist ein Lügner.“

Allerdings drängt sich hier skeptischen Menschen die Frage auf, ob der Standard vor 1969 wirklich ein anderer gewesen sei, wie es Hersh ja indirekt behauptet. Ich glaube eher, daß sich die Möglichkeiten des Enthüllens verbessert haben – darin liegt der wesentliche Unterschied. Hierzu führt Thierry Meyssan gerade auf Voltairenet.org (21. April) als wichtigste Gesichtspunkte die Bedeutung der massenweise verbreiteten Aufnahmetechnik und des Transportmittels Internet sowie die neue Rolle Moskaus an. Anders ausgedrückt, wurde in der Zeit des „Kalten Krieges“, wie ich glaube, sehr wahrscheinlich keinewegs weniger gelogen und gefälscht, aber es wurden entschieden weniger „Manipulationen“ aufgedeckt und angeprangert.

Meyssan bietet auch ein Beispiel zum Stand des Betruges vor 100 Jahren, das ich aufgreifen möchte, weil ich es bei der Abfassung meiner Betrachtung Alle Kreter lügen (im Beitrag ab Mitte) noch nicht kannte und folglich nicht berücksichtigt habe. Neben dem Neuigkeitswert hat es den Vorteil, den Verdacht von mir zu waschen, ich nähme lediglich Vorfälle zur Kenntnis, die entweder den USA oder aber meinem eigenen Vaterland zur Schande gereichen. Es handelt sich um den sogenannten, im Mai 1915 von London veröffentlichten Bryce-Report, der heute wahrscheinlich nur noch ein paar Fachleuten etwas sagt. Mein Brockhaus (Band 4 von 1987) kennt zwar den zu seiner Zeit sehr angesehenen britischen Diplomaten und Historiker Lord James Bryce, der den sogenannten Berichterstattern (das übliche ministerlich und geheim-dienstlich gesteuerte „Komitee“) als willfähriges Aushängeschild diente, nicht aber jenen Report, obwohl er damals wie die sprichwörtliche Bombe einschlug. London hatte das 360 Seiten starke Schriftstück unverzüglich in rund 30 Sprachen übersetzen lassen und an Hunderte von Regierungen und Medien geschickt. Eine Kurzfassung kam außerdem für einen Penny in den Straßenverkauf. Dies alles verfehlte nicht die beabsichtigte Wirkung, einen weltweiten „Meinungsumschwung“ in der Frage zu erzielen, ob die Teilnahme am Krieg gegen Deutschland wünschenswert, wenn nicht sogar unerläßlich sei. Sie war es selbstverständlich, wies der Bericht doch auf entsetz-liche Massaker und andere Grausamkeiten hin, die die deutsche Reichswehr an der belgischen Zivilbevölkerung begangen hatte. Es waren sogar noch üblere Dinge, als sie Herr Rudolf Scharping 1999 „den Serben“ vorwarf. Zum Beleg führte der Bryce-Report Hunderte von eidesstatt-lichen Zeugenaussagen und Auszüge aus deutschen Soldatentagebüchern an. Wie sich freilich später heraus-stellte, hatte die werte „Kommission“ das ihr unterbreitete Greuelmaterial nicht im geringsten überprüft. Aber das machte nichts, war doch der Krieg inzwischen (mit Hilfe der USA) gelaufen.

Heute sind die meisten HistorikerInnen der Ansicht, es habe sich um ein Müsli aus Halbwahrheiten, Gerüchten, Verleumdungen und Fälschungen gehandelt. Der Labour-Politiker und Schriftsteller Arthur Ponsonby soll sich sogar schon 1928 mit Beschämung zum Bryce-Report geäußert haben, nämlich in seinem Buch Falsehood in Wartime: Propaganda Lies of the First World War. Dieses Buch enthält übrigens den berühmten Satz „When war is declared, truth is the first casualty“, Das erste Opfer nach der Kriegserklärung ist die Wahrheit. Selbst das Magazin der Bundeswehr y-punkt.de räumt (2007) ein, von den angeblich Ende 1914 verstümmelten belgischen Kindern hätte sich beispielsweise nie auch nur eins gefunden. Andererseits behauptet das Bundeswehrmagazin keineswegs, die deutschen Soldaten seien mit Samthand-schuhen vorgegangen oder die deutschen Regierungs-stellen hätten nicht gleichfalls „massive Propaganda“ eingesetzt. Damals – und nicht etwa erst mit Goebbels – habe das „Ideologisieren“ im „Kampf der Kulturen“ begonnen. Ich nehme an, so um 1970 herum (Vietnam-krieg) endete es gottseidank wieder. Wie sonst wäre die Fairneß zu erklären, die wir gegenwärtig in der medialen Schlammschlacht um die Ukraine erleben?

* 20 minuten 28. März 2014



Zum Thema Lüge siehe auch
Luftschlacht über Ustica
Kapitel Wahrheit, gegen Beitragsende
>Jugoslawienkrieg
>Neun-Elf
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