Freitag, 6. Juli 2012
Speere auf Sperren
Enthalten in meinem Stockraus von 2009


Wenn überhaupt, ist der aufmüpfige Vielschreiber E. G. Seeliger als Verfasser des eher harmlosen Romanes Peter Voß der Millionendieb bekannt, der erstmals 1921 verfilmt wurde. Hauptrolle in der vierten Verfilmung von 1958: O. W. Fischer. Niemand rang mit Konkurrenten wie Willy Fritsch und Heinz Rühmann erbitterter um die Krone der Eitelkeit.

Dagegen muß Seeligers Handbuch des Schwindels von 1922 ein Schattendasein führen, obwohl er darin bissigen Zugriff mit großem Einfallsreichtum zu verbinden weiß. Der Artikel zum Stichwort „Fahne“ beläuft sich auf die Bemerkung, die einzige menschliche Fahne sei die Wetterfahne. Remarque hätte vielleicht noch Schnaps-, ein Gänsehirt Rotzfahnen hinzugenommen. Aber jeder grenzt eben anders ab. Seeliger erweist sich allerdings als wahres Sperrfeuer gegen Grenzen. Das Wort „sperren“ kommt auf den rund 300 Seiten seines scheinlexikalischen Werkes mindestens 150 mal vor. So kennt er allein Dutzende von Sperrschmerzen, sieht auch das Lachen betrüblich oft gesperrt und verkündet – bevor ihn die Münchener Justiz 1923 für sechs Wochen in eine Klapsmühle steckt – der Staat baue nur Sperren. Der Hinweis macht klar, wie Erwerbslosenzahlen zu senken sind: entweder durch den Bau von Autobahnen, die jeden Wildwechsel unterbinden und selbst ihre BenutzerInnen an Schlagbäumen abkassieren, oder durch Fallbeilmanager. Diese Agenten oder Agentinnen der einstigen Arbeitsämter, heute „Agenturen“, haben zunächst Sperrfristen zu verhängen; wenn das nicht greift, die Blut- und Atemzufuhr ihrer Klienten in Halshöhe zu sperren.

Allerdings leistet sich selbst der köstliche Seeliger einige Fehlurteile. Fern aller marxistischen Wertkritik, nennt er die „Ware“ eine wahre Sache, setzt sie mit greifbaren Lebensgütern gleich, fällt auf ihren Schwindel herein. „Zigeuner“ sind ihm „bodenloses Unvolk“, dazu Müll, Abfall, während er den Obersprengmeister Alfred Nobel zum „friedlichsten Schweden“ erklärt. Die Verleumdung der Ungebundenen verweist auf Seeligers befremdliche Verherrlichung von allem Bäuerlich-Irdischen: Landbesitz, Landbestellung, Landleben – es ist die reinste Schollen-seligkeit. Freund Richard Dehmel wird sie ihm kaum ausgeredet haben. Seeliger schlägt gleichsam Freie Auräte vor und schwört, auch die Wahrheit erwachse allein dem kühlen Erdengrunde.

Zur Krönung zieht er an Münchhausens Zopf das Perpetuum Mobile aus demselben: Zwar sei der Mensch ein Erdenklos, wie schon die Bibel sage; „nur daß er sich selber ausgedacht und erschaffen hat.“ Doch wer würfe den ersten Stein? Dichter & Denker empfinden sich ungern als Abkömmlinge oder gar Abschreiber. Sie wollen einzigartig sein.
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