Montag, 25. Juni 2012
Palästina

Es ist ein herrliches Land, nach vorherrschender Meinung für die Gründung und beständige Ausweitung eines jüdischen Staates wie geschaffen! Sollte Brockhaus die Welt nicht nur entstellen, müssen wir allerdings darauf hinweisen, daß dieser karge Landstrich an der östlichen Mittelmeerküste ursprünglich von Semiten bevölkert worden ist, die wahrscheinlich um 3.000 v. Chr. von der arabischen Halbinsel herkamen. Jedenfalls dominierten unter ihnen Araber. Demnach wären heutige Schmäher-Innen arabischer BewohnerInnen Palästinas üble Antisemiten?

Nach Brockhaus handelte es sich bei jenen einwandernden Semiten um ein kunterbuntes Völker- und Religionenge-misch, vom „niedersten“ Polydämonismus „vorislami-scher“ Araber bis hin zum „hochentwickelten“ israelitisch-jüdischen Monotheismus. Bekanntlich setzten sich zu Zeiten des Alten Testamentes (bis zur Geburt des Hei-lands) die Hochentwickelten durch: mit Feuer und Schwert. Das scheint sie derart geprägt zu haben, daß sie trotz zahlreicher geschichtlicher Rückschläge, Verstreu-ungen und grausamer Verfolgungen nicht mehr von der imperialistischen Keule lassen können, die sie seit Jahr-zehnten – seit der Vertreibung von 700.000 Palästi-nensern aus ihren angestammten Gebieten – im ganzen Nahen Osten schwingen.

Anläßlich des jüngsten brutalen Überfalls der Israelis auf den Gazastreifen an der Jahreswende 2008/09 nannte Mamdouh Habashi vom Arabisch-Afrikanischen Forschungszentrum in Kairo das vielgehörte und ständig nachgeplapperte Argument, die Staatsgründung Israels verdanke sich den unermeßlichen Leiden unter dem deutschen Faschismus, ein Märchen. Genauso gut hätten beispielsweise die nach Amerika verschleppten Neger-sklaven aus ihrer Entrechtung ein Recht auf Staatsgrün-dung ableiten können – taten sie aber bekanntlich nicht. Dabei seien sie ohne Zweifel homogener als „die“ Juden gewesen. „Anfang des 20. Jahrhunderts, waren da die Jüdinnen und Juden ein Volk? Eine Nation? Oder eine Religionsgemeinschaft?“ Victor Klemperer (ein Jude) wies schon 1947, in seinem Buch LTI, auf die Wahnidee vom „jüdischen Volk“ hin, die Theodor Herzl nie überzeugend habe begründen können. Aber Herzl verfolgte sie mit sehr ähnlichem Fanatismus wie Hitler, der die Wahnidee von der deutschen Auserwähltheit bevorzugte. Dabei war ihnen beiden jedes Mittel recht.

In seinem 2010 auf deutsch erschienen Buch Die Erfin-dung des jüdischen Volkes weist auch Shlomo Sand, ein in Tel Aviv lehrender Historiker, den „Gründungsmythos“ des Staates Israel zurück. Dem Althistoriker Klaus Bringmann zufolge (Süddeutsche Zeitung vom 4. April 2010) kommt Sand zum Ergebnis, der zionistische Nationalismus entspringe der gleichen historischen Epoche wie die europäischen Nationalismen und habe sich also auch in einer ähnlichen Mischung aus mythischen, historischen und biologistischen Motiven herausgebildet. Wenn er sich auf die jüdischen Stammväter berufe, folge er dem Muster, das auch deutsche Mythen um die Germania oder Hermann dem Cherusker zeigten. Plausibel findet Bringmann zudem Sands These, die Mehrheit der osteuropäischen Juden stamme in ethnischer Hinsicht vom Turkvolk der Chasaren ab, die im achten Jahrhundert geschlossen zum Judentum übergetreten seien. Bring-mann bescheinigt dem Buch, „radikal, kenntnisreich und mit großem Mut“ geschrieben zu sein.

In dieselbe Kerbe schlägt der Araber Habashi. Er ver-sichert, für die bereits 60 Jahre alte grausame Groteske in Palästina werde es mit dem Zionismus auch in 600 Jahren keine Lösung geben. Dieser Zionismus sei schon lange vor der Staatsgründung 1948 und auch des Wirkens von Herzl ein kolonialistisches Projekt gewesen, und zwar zunächst vom Britischen Imperium. Dieses sah um 1840 besorgt die Erstarkung Ägyptens unter Mohamed Ali. Außenminister Palmerstone forderte deshalb seinen Botschafter in Istanbul wiederholt dazu auf, dem ottomanischen Sultan die Immigration der Juden nach Palästina vorzuschlagen. „Die Juden würden eine Menschenmauer gegen Mohamed Ali oder seine Nachfolger bilden, die zukünftig solche bösen Vorhaben zu verhindern wissen“, schwärmte der britische Wüstenfuchs. Nach Alfred Norden wird dieser Befund 1967 auch von Anthony Nutting in seinem Buch Die Suezverschwörung 1956 erhärtet. Nutting war damals wie vor ihm Palmerstone britischer Außenminister. Die Briten hätten Israel keineswegs „als Heimstätte und Zukunft für die leidende und verfolgte jüdische Nation gegründet, sondern als Brückenkopf für einen erneuten Vorstoß des Westens in den arabischen Raum sowie als Militärbasis zur Verfolgung westlicher 'imperialistischer' Ziele“, räumt Nutting offenherzig ein.

Heute stemmt sich eben ein paar Nummern größer die von Habashi so genannte „Triade“ USA/EU/Japan gegen „das Böse“, wobei sie ihre hochaufgerüsteten, mit Atomwaffen gesegneten israelischen Vasallen bekanntlich nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Beton mauern läßt. Aller-dings war auch damals schon die CIA im Spiel, wie bei Tim Weiner (2007) zu lesen ist. Der ägyptische Staatschef Nasser zählt zu den Legionen von Häuptlingen, die von der Westlichen Tauschwertgemeinschaft aufgepäppelt – und früher oder später als Kinderschreck hingestellt und entsprechend gejagt werden. Nasser hatte um 1956 von der USA auf die SU umgesattelt, weil ihm die Waffen aus Washington zu spärlich gen Nil flossen. Er hatte sogar den Suez-Kanal verstaatlicht, was die Freie Welt der Kolonisa-toren unerhört fand. Die Umsturz- und Mordpläne gegen Nasser wurden von London und Washington gemeinsam ausgeheckt. Wie sich versteht, war auch Tel Aviv mit von der Partie, das 11 Jahre später den sagenumwobenen Sechstagekrieg gegen Ägypten vom Zaun brach.

Bei dem jüngsten Waffengang Israels hat sich Außenmi-nisterin Tzipi Livni als bemerkenswerte Scharfmacherin erwiesen. Gutes Rüstzeug bekam sie zuvor während einer vierjährigen Tätigkeit für den berüchtigten Geheimdienst Mossad. Zwar ist sie Mutter zweier Kinder, Tierschützerin und Vegetarierin, aber das ist natürlich ihre Privatsache. Der Gazastreifen mit den blutenden, heulenden und getöteten palästinensischen Kindern ist ihre Amtssache. Über 400 tote Kinder stehen in der Bilanz des jüngsten 20tägigen Waffengangs. Es ging mir schon bei der US-Außenministerin Albright (unter Clinton) nicht in den Kopf, wie sich Frauen zu solchen Schwerverbrechen wie der Blockade und dem Überfall eines Landes (damals Irak) hergeben können. Doch spätestens mit Julia Timoschenko, der steinreichen und eisenharten ukrainischen Minister-präsidentin, Condoleezza Rice und jetzt Hillary Clinton auf dem US-Außenministersessel ging mir auf, auch hier – ich spiele auf Schröders „Enttabuisierung des Militärischen“ an – vor der Vollendung der Aufklärung und der 68er Revolte zu stehen. Eva ist ihren Apfel losgeworden und hat endlich eine Eierhandgranate dafür empfangen.

Gott sei Dank gibt es auch unter unseren emanzipierten Frauen löbliche Ausnahmen. Rufen Menschen angesichts der jahrelangen todbringenden Blockade des Gazastreifens durch Israel (und die EU) zum Boykott israelischer Exportwaren auf, ziehen sie sich in Deutschland unweiger-lich den beliebten Antisemitismus-Vorwurf auf den Hals – warum sie nicht gleich Kauft nicht bei Juden! schrien. Im Februar 2009 zu dieser Niederträchtigkeit von der Jungen Welt befragt, verwahrte sich die jüdische Publizistin Evelyn Hecht-Galinski gegen die Zusammenrührung von Antisemitismus und Kritik an Israel. Ein Boykott israe-lischer Exportwaren sei selbstverständlich angebracht, solange Israel fremde Gebiete besetzt halte und zum Teil besiedele, UN-Beschlüsse mißachte und immer wieder Kriege gegen das palästinensische Volk anzettele. Der Begriff des Antisemitismus sei inzwischen durch geradezu inflationären Gebrauch derart entwertet, daß sich die wahren Antisemiten (auf neofaschistischer Seite) nur ins Fäustchen lachen könnten. Parallel dazu sei der deutsche Zentralrat der Juden – dem einst ihr Vater Heinz Galinski vorsaß – zum Sprachrohr der israelischen Regierung verkommen. „Seine heutige Präsidentin, Charlotte Knobloch, befindet sich nach eigenen Worten geistig schon seit langem in Israel. Sie sollte auch ihren Körper dorthin transferieren.“

Ich empfehle außerdem diesen Artikel Mohssen Massarrats aus Ossietzky 14/2012. Die unablässig beschworene „Bedrohtheit von Israels Existenz“ wird darin als ein „Popanz“ entlarvt, an welchem „Tel Aviv, Washington und Berlin“ seit Jahrzehnten „mit großem propa-gandistischem Aufwand“ bauen. So darf der Popanz nun auch in von Berlin gelieferten U-Booten thronen, die er nur zu gern mit seinen als Fata Morganen getarnten Atomwaffen bestückt.
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